TE Vwgh Erkenntnis 2005/3/8 2005/18/0058

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Veröffentlicht am 08.03.2005
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §39;
MRK Art8 Abs2;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §27 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des J, geboren 1986, vertreten durch Dr. Johannes Hysek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr Karl Lueger-Ring 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. November 2004, Zl. SD 1409/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 22. November 2004 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 17. November 2003 nach Österreich gelangt und habe einen Asylantrag gestellt, welcher im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat am 30. September 2004 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Während des Asylverfahrens habe der Beschwerdeführer über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. Juni 2004 sei der Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 und 2 Z. 2 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe am 18. April 2004 gewerbsmäßig zwei Kugeln Kokain (1,3 Gramm brutto) an einen verdeckten Ermittler verkauft.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG, sodass die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle gegeben seien. Der Beschwerdeführer verfüge über keine familiären Bindungen in Österreich. Auf Grund seines ca. einjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sei jedoch von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grund des § 37 FrG zu bejahen. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit Dritter, dringend geboten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche, dass er nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Verhaltensprognose könne schon in Ansehung der gewerbsmäßigen Tatbegehung und der den Suchtgiftdelikten zu Grunde liegenden immanenten Wiederholungsgefahr nicht positiv ausfallen.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Darüber hinaus sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Zusammenhang mit Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten voller sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten und der damit verbundenen Wiederholungsgefahr könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens Abstand genommen werden.

Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so sei eine Befristung für fünf Jahre ausreichend, weil ein Wegfall des für die Erlassung der Maßnahme maßgeglichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen dieses Zeitraumes erwartet werden könne.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Unter dem Blickwinkel des § 36 Abs. 1 FrG bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde habe keine konkreten, auf die Person des Beschwerdeführers bezogene Gefährlichkeitsprognose erstellt, sondern "Allgemeinplätze" des erstinstanzlichen Bescheides übernommen. Hätte die belangte Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 FrG in Erwägung gezogen, ob und bejahendenfalls welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung für oder gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprechen, hätte sie festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer bereits über einen längeren Zeitraum qualifiziert wohl verhalten habe und "fortgeschritten sozial integriert" sei. Sie wäre dann zum Ergebnis gelangt, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers nicht geeignet sei, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden.

1.2. Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerde nicht im Recht.

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1.

die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.

anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Nach § 36 Abs. 1 leg. cit. ist somit Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes die auf bestimmte Tatsachen gestützte Prognose, dass der Aufenthalt eines Fremden die in Z. 1 oder die in Z. 2 genannten öffentlichen Interessen gefährdet. Diese Bestimmung räumt der Behörde insofern Ermessen ein, als sie diese ermächtigt, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes trotz Vorliegens der in § 36 bis § 38 leg. cit. normierten Tatbestandsvoraussetzungen abzusehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2001, Zl. 98/18/0183).

Im § 36 Abs. 2 FrG sind Sachverhalte demonstrativ angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Aufenthaltsverbot ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden, wenn zwar keiner der Tatbestände des § 36 Abs. 2 FrG verwirklicht ist, wohl aber das Gesamt(fehl)verhalten des betreffenden Fremden die im § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigt. Die im § 36 Abs. 2 leg. cit. genannten Sachverhalte sind dabei als Maßstab für die Schwere jener Tatsachen heranzuziehen, die bei der Verhängung eines bloß auf § 36 Abs. 1 FrG gegründeten Aufenthaltsverbotes vorliegen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. September 2004, Zl. 2001/18/0161).

1.3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. Juni 2004 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 und 2 Z. 2 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt, weil er am 18. April 2004 gewerbsmäßig zwei Kugeln Kokain (1,3 Gramm brutto) an einen verdeckten Ermittler verkauft hatte.

Bei Suchtgiftdelikten handelt es sich um eine besonders gefährliche Kriminalitätsform mit hoher Wiederholungsgefahr und großer Sozialschädlichkeit. Die Beurteilung der belangten Behörde, der Aufenthalt des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG, begegnet daher keinem Einwand, zumal der Beschwerdeführer das Suchtgiftdelikt gewerbsmäßig ausgeübt hat (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis 2001/18/0161).

Den Überlegungen des Beschwerdeführers über eine "Indizwirkung" der Strafbemessung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien steht entgegen, dass die Behörde das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen betreffend die Strafbemessung bzw. die Gewährung bedingter Strafnachsicht zu beurteilen hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1998, Zl. 98/18/0287).

Dem weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei im Tatzeitpunkt mittel- und obdachloser Asylwerber gewesen und habe sich vor dem Inkrafttreten der "Grundversorgungsvereinbarung" und des Wiener Grundversorgungsgesetzes in einer existenzbedrohenden Notlage befunden, ist zu entgegnen, dass auch materielle Not den gewerbsmäßigen Verkauf von Suchtgift (Kokain) und die damit verbundene große Gefährdung der Gesundheit anderer nicht rechtfertigen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2004, Zl. 2004/18/0264).

Auch der Hinweis des Beschwerdeführers, er habe sich seit dem 18. April 2004 keine weiteren strafbaren Handlungen zu schulden kommen lassen und sich seither "qualifiziert" wohl verhalten, indem er seit 8. Juni 2004 in einer Einrichtung des evangelischen Flüchtlingsdienstes wohnhaft sei und sich im September 2004 als Hilfsarbeiter bei der MA 48 beworben habe, ist nicht zielführend. Diese Umstände können keine Gewähr dafür bieten, dass der Beschwerdeführer nicht wieder mit Suchtgift handeln werde, zumal der seit dem Tatzeitpunkt verstrichene Zeitraum viel zu kurz ist, um einen Wegfall oder auch nur eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr annehmen zu können. Auf Grund der Suchtgiftdelikten innewohnenden Wiederholungsgefahr kann der vorgebrachte Umstand, dass der Beschwerdeführer lediglich eine Straftat begangen hat, zu keinem anderen Ergebnis führen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/18/0107).

2.1. Mit Blick auf § 37 FrG meint der Beschwerdeführer, es sei "im Dunkeln" geblieben, warum die Interessenabwägung zu seinen Ungunsten ausgegangen sei.

2.2. Dies trifft nicht zu. Die belangte Behörde hat im Hinblick darauf, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 17. November 2003, also seit ca. einem Jahr, in Österreich aufhalte, zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben angenommen. Sie hat aber - unter Bedachtnahme auf seine persönlichen Interessen - ebenso zutreffend den Standpunkt vertreten, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei, manifestiert sich doch in der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat nach dem SMG die von ihm ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit, zumal es sich bei der Suchtgiftkriminalität, wie oben dargelegt, um eine besonders gefährliche Art der Kriminalität handelt.

Im Licht dieser Erwägungen erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren persönlichen Interessen werden in ihrem Gewicht dadurch gemindert, dass sich der Beschwerdeführer für die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts nur auf eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz stützen konnte. Weiters hat die Integration des Beschwerdeführers in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch das von ihm begangene Suchtgiftdelikt eine deutliche Beeinträchtigung erfahren. Von daher gesehen hat die belangte Behörde zu Recht den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beigemessen, als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation und die seiner Angehörigen.

2.3. Auf das in diesem Zusammenhang erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm sei am 28. Jänner 2005 eine Beschäftigungsbewilligung erteilt worden, der Verwaltungsgerichtshof habe seiner Beschwerde gegen den abweisenden Asylbescheid des unabhängigen Bundesasylsenates am 26. November 2004 die aufschiebende Wirkung erteilt und er besuche seit April 2004 regelmäßig Gottesdienste und Bibelrunden der "Kephas-Kirche", ist wegen des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) nicht einzugehen.

3. Mit dem Vorwurf, die belangte Behörde habe das ihr bei der Anwendung des § 36 Abs. 1 FrG zu handhabende Ermessen gesetzwidrig ausgeübt, ist der Beschwerdeführer nicht im Recht. Für die belangte Behörde bestand entgegen der Beschwerde keine Veranlassung, von dem ihr nach der genannten Gesetzesstelle bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zukommenden Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen, sind doch weder aus der Beschwerde noch aus dem angefochtenen Bescheid besondere Umstände ersichtlich, die für eine derartige Ermessensübung sprechen.

4. Das Beschwerdevorbringen zu § 39 FrG, die belangte Behörde hätte zu Unrecht "die an Willkür grenzende Bemessung der Dauer des Aufenthaltsverbotes" der erstinstanzlichen Behörde fortgeschrieben und den gesetzlichen Rahmen "bis zur zulässigen Höchstdauer von zehn Jahren" ausgeschöpft, geht ins Leere, weil die belangte Behörde - in Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides - ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von nur fünf Jahren erlassen hat. Gegen die Festsetzung dieser Gültigkeitsdauer besteht kein Einwand, weil nicht anzunehmen ist, dass die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr vor Ablauf dieser Frist weggefallen sein wird.

5. Mangelhaft soll das Verfahren geblieben sein, weil die belangte Behörde den erst 18-jährigen Beschwerdeführer, bei dem es sich um einen "unbegleiteten Vollwaisen" handle, "über die verschiedenen Aspekte eines Verfahrens gemäß § 36 FrG" hätte aufklären müssen. Wäre die Aufklärung erfolgt, wäre er von sich aus in der Lage gewesen, "zusätzliche Angaben zu seiner im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides fortgeschrittenen sozialen Integration zu machen".

Dieses Vorbringen zeigt die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aber nicht auf, legt sie doch nicht dar, auf welche persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet die belangte Behörde im vorliegend angefochtenen Bescheid zusätzlich hätte Bedacht nehmen müssen bzw. welche die persönlichen Interessen verstärkenden Umstände bei entsprechenden Ermittlungen hervorgekommen wären.

6. Da somit bereit der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 8. März 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005180058.X00

Im RIS seit

30.03.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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