TE Vwgh Erkenntnis 2005/3/18 2004/02/0300

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Veröffentlicht am 18.03.2005
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ArbIG 1993 §13;
ASchG 1994 §130 Abs1 Z17;
ASchG 1994 §2 Abs6;
ASchG 1994 §40 Abs1;
ASchG 1994 §41 Abs5;
ASchG 1994 §41 Abs6;
ASchG 1994 §45 Abs5;
B-VG Art131 Abs2;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §45 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2004/02/0301 Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2004/02/0302 E 18. März 2005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit jeweils gegen die Spruchpunkte 2., 3., und 6. der Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark I.) vom 9. Juli 2004, Zl. UVS 30.12-25/2004-12 (protokolliert zu Zl. 2004/02/0300;

mitbeteiligte Partei: EK in M), und II.) vom 23. Juli 2004, Zl. UVS 30.12-28/2004-12 (protokolliert zu Zl. 2004/02/0301;

mitbeteiligte Partei: JH in G), jeweils betreffend Einstellung von Verwaltungsstrafverfahren in Angelegenheit Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden jeweils in den Spruchpunkten 2., 3. und 6. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.) Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldbach vom 21. Jänner 2004 wurde der Mitbeteiligte K als handelsrechtlicher Geschäftsführer und daher als gemäß § 9 Abs. 1 VStG Verantwortlicher der B GmbH mit Sitz in F, die persönlich haftende Gesellschafterin der B GmbH & Co KG mit Sitz in F sei, für schuldig erkannt, er habe zu verantworten, dass am Tatort Sitz der B GmbH & Co KG Vorschriften zum Schutze der Arbeitnehmer nicht eingehalten worden seien. Bei der Erhebung am 24. Februar 2003 in der Arbeitsstätte in F habe der Arbeitsinspektor M folgende Übertretungen (es werden hier nur die beschwerdegegenständlichen angeführt) nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (AschG), BGBl. Nr. 450/1994 idgF, festgestellt:

"...

2. Übertretung:

Für den Einsatz von gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen, bzw. dem unbeabsichtigten Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen gibt es zwar eine Liste.

Aus dieser sind jedoch keine Angaben über:

-

Die Art, Ausmaß und Dauer der Einwirkung

-

Gesamtwirkung von mehreren gefährlichen Arbeitsstoffen

-

Risikoerhöhende Bedingungen am Arbeitsplatz

zu entnehmen, und wurde auch erhoben, dass sich über diese Problematik noch niemand Gedanken gemacht hat, und eine Ermittlung und Beurteilung der gefährlichen Arbeitsstoffe bis zum 24.02.2003 nicht erfolgte und dieser Verpflichtung nicht nachgekommen wurde.

Gemäß § 41 Abs. 5 AschG 1994, BGBl. Nr. 450/1994 idgF. müssen Arbeitgeber in regelmäßigen Zeitabständen Art, Ausmaß und Dauer der Einwirkung von gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen und von biologischen Arbeitsstoffen im Sinne des § 40 Abs. 1 AschG auf die Arbeitnehmer ermitteln, wobei gegebenenfalls die Gesamtwirkung von mehreren gefährlichen Arbeitsstoffen sowie sonstige risikoerhöhende Bedingungen am Arbeitsplatz zu berücksichtigen sind. Diese Ermittlung ist zusätzlich auch bei Änderung der Bedingungen und bei Auftreten von Gesundheitsbeschwerden, die arbeitsbedingt sein können, vorzunehmen."

Dadurch sei § 41 Abs. 5 AschG verletzt worden. Es wurde gemäß § 130 Abs. 1 Z. 17 AschG eine Geldstrafe von EUR 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Die 3. Übertretung wurde folgendermaßen umschrieben:

"Im Betrieb wurde bis 24.02.2003 noch keine Ermittlung und Beurteilung von Gefahren durch Explosions- und brandgefährliche Arbeitsstoffe (Reinigungsmittel, Aceton, Lacke und Lösemittel, Verdünnungen ...) durchgeführt. Auch konnten keine Nachweise über eine solche Gefahrenermittlung erbracht werden.

Gemäß § 41 Abs. 6 AschG ... müssen Arbeitgeber in regelmäßigen Zeitabständen ermitteln, ob explosionsgefährliche oder brandgefährliche Arbeitsstoffe in einer für die Sicherheit der Arbeitnehmer gefährlichen Konzentration vorliegen, wobei gegebenenfalls die Gesamtwirkung von mehreren gefährlichen Arbeitsstoffen sowie sonstige risikoerhöhende Bedingungen am Arbeitsplatz zu berücksichtigen sind. Diese Ermittlung ist zusätzlich auch bei Änderung der Bedingungen vorzunehmen."

Dadurch sei § 41 Abs. 6 AschG verletzt worden. Es wurde gemäß § 130 Abs. 1 Z. 17 AschG eine Geldstrafe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Die 6. Übertretung wurde folgendermaßen umschrieben:

"Im Betrieb wurden bis 24.02.2003 noch keine Maßnahmen festgelegt, die bei Grenzwertüberschreitungen von MAK- oder TRK-Werten zu treffen sind.

Gemäß § 45 Abs. 5 AschG ... müssen Arbeitgeber für Arbeitsstoffe, für die ein MAK- oder TRK-Wert festgelegt sind, dafür sorgen, dass Maßnahmen festgelegt werden, die im Falle von Grenzwertüberschreitungen infolge von Zwischenfällen zu treffen sind."

Dadurch sei § 45 Abs. 5 AschG verletzt worden. Es wurde gemäß § 130 Abs. 1 Z. 17 AschG eine Geldstrafe von EUR 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

II.) Mit inhaltlich gleichlautendem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldbach vom 22. Jänner 2004 wurde auch der Mitbeteiligte H (ein weiterer handelsrechtlicher Geschäftsführer der B GmbH) der unter Punkt I. ausgeführten Übertretungen für schuldig erkannt.

Gegen diese Straferkenntnisse erhoben die Mitbeteiligten Berufung.

Mit Bescheiden vom 9. bzw. 23. Juli 2004 gab die belangte Behörde den Berufungen u.a. in den Punkten 2, 3 und 6 Folge, hob die Straferkenntnisse diesbezüglich auf und stellte das Verfahren nach § 45 Abs. 1 VStG ein.

Dagegen richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 (Art. 131 Abs. 2 B-VG) gestützte Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidungen jeweils

(im Wesentlichen) folgendermaßen:

Zu Punkt 2:

"Bei der zweiten Übertretung wird die Tathandlung auf zweierlei Weise charakterisiert: Es seien der Liste die relevanten Angaben nicht zu entnehmen bzw. sei eine Ermittlung und Beurteilung der gefährlichen Arbeitsstoffe bis 24.02.2003 nicht erfolgt. Auf beides kommt es im Sinn des § 41 Abs. 5 nicht an, da nach dieser Bestimmung Art, Ausmaß und Dauer der Einwirkung von Arbeitsstoffen auf die Arbeitnehmer zu ermitteln sind. Der Begriff 'entnehmen' ist kein Synonym für ermitteln; auf die Ermittlung der gefährlichen Arbeitsstoffe kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, sondern auf die Ermittlung der Art, des Ausmaßes und der Dauer der Einwirkung, wie ausgeführt. Da der Spruch auf der Strafanzeige basiert, die bereits die angeführten Mängel aufweist, liegt keine ausreichende Umschreibung des Sachverhaltes vor, weshalb der Berufung Folge zu geben ist."

Zu Punkt 3:

"Eine (allgemeine) Ermittlung und Beurteilung von Gefahren durch explosions- und brandgefährliche Arbeitsstoffe, wie in der Sachverhaltsumschreibung des Spruchs behauptet, wird dem Arbeitgeber durch § 41 Abs. 6 ASchG nicht abverlangt; vielmehr kommt es darauf an, ob die genannten Kategorien von Arbeitsstoffen in einer für die Sicherheit der Arbeitnehmer gefährlichen Konzentration vorlagen. Da somit dem Arbeitgeber ein Verhalten vorgeworfen wurde, zu dem er nicht verpflichtet war, ist der Berufung Folge zu geben und das Verfahren in diesem Punkt einzustellen."

Zu Punkt 6:

"Auch bei diesem Punkt fehlt das wesentliche Sachverhaltselement, dass gesundheitsgefährdende Arbeitsstoffe in Verwendung standen, was zur Aufhebung des Straferkenntnisses führt."

Die hier wesentlichen Bestimmungen des AschG lauten:

"§ 41 (5) Arbeitgeber müssen in regelmäßigen Zeitabständen Art, Ausmaß und Dauer der Einwirkung von gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen und von biologischen Arbeitsstoffen im Sinne des § 40 Abs. 1 auf die Arbeitnehmer ermitteln, wobei gegebenenfalls die Gesamtwirkung von mehreren gefährlichen Arbeitsstoffen sowie sonstige risikoerhöhende Bedingungen am Arbeitsplatz zu berücksichtigen sind. Diese Ermittlung ist zusätzlich auch bei Änderung der Bedingungen und bei Auftreten von Gesundheitsbeschwerden, die arbeitsbedingt sein können, vorzunehmen.

(6) Arbeitgeber müssen in regelmäßigen Zeitabständen ermitteln, ob explosionsgefährliche oder brandgefährliche Arbeitsstoffe in einer für die Sicherheit der Arbeitnehmer gefährlichen Konzentration vorliegen, wobei gegebenenfalls die Gesamtwirkung von mehreren gefährlichen Arbeitsstoffen sowie sonstige risikoerhöhende Bedingungen am Arbeitsplatz zu berücksichtigen sind. Diese Ermittlung ist zusätzlich auch bei Änderung der Bedingungen vorzunehmen.

§ 45 (5) Stehen gesundheitsgefährdende Arbeitsstoffe, für die ein MAK-Wert oder TRK-Wert festgelegt ist, in Verwendung, müssen die Arbeitgeber Maßnahmen festlegen, die im Falle von Grenzwertüberschreitungen infolge von Zwischenfällen zu treffen sind."

Die im Verwaltungsverfahren rechtzeitig innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist von 6 Monaten gesetzten Verfolgungshandlungen lauten in den gegenständlichen Spruchpunkten gleich wie in den Straferkenntnissen.

Der Beschwerdeführer rügt, die Auffassung der belangten Behörde erscheine "übertrieben formalistisch". Die gegenständlichen Tatumschreibungen mögen zwar nicht optimal formuliert sein, von wesentlichen Mängeln könne aber nicht die Rede sein. Die belangte Behörde wäre angesichts der nach Ansicht des Beschwerdeführers vollständigen und rechtzeitigen Verfolgungshandlungen verpflichtet gewesen, den Spruch der Straferkenntnisse erster Instanz "entsprechend zu präzisieren oder zu ergänzen".

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht:

Denn die Tatumschreibungen in einer Verfolgungshandlung müssen im Gesamtzusammenhang (vgl. zum sinnvollen Verständnis einer solchen das hg. Erkenntnis vom 19. November 2004, Zl. 2004/02/0219) gelesen werden. Durch die (inhaltlich richtige) Aufnahme der anzuwendenden Norm im Anschluss an die individualisierte Tatumschreibung kann zu Punkt 2 kein Zweifel daran bestehen, wie das Wort "entnehmen" (nämlich im Sinne von "ermitteln" im Zusammenhang mit den in der individuellen Tatumschreibung angeführten näheren Determinanten) gemeint ist.

Gleiches trifft auf den Punkt 3 zu. Auch hier kann - entgegen der Begründung der belangten Behörde - nicht daran gezweifelt werden, dass den Mitbeteiligten die fehlende Ermittlung und Beurteilung, ob explosions- und brandgefährliche Arbeitsstoffe in einer für die Sicherheit der Arbeitnehmer gefährlichen Konzentration vorliegen, zum Vorwurf gemacht wurde.

Was aber den Punkt 6 anlangt, so führt auch hier das "sinnvolle Verständnis der Verfolgungshandlung in ihrem Gesamtzusammenhang" zur diesbezüglichen Aufhebung des angefochtenen Bescheides: Es darf nämlich dabei nicht übersehen werden, dass in der zitierten Verfolgungshandlung insoweit auf den Wortlaut des § 45 Abs. 5 ASchG Bezug genommen wurde, als von "Arbeitsstoffen" die Rede ist. Was darunter zu verstehen ist, findet sich allerdings in der Legaldefinition des § 2 Abs. 6 (erster Satz) ASchG, wonach darunter alle Stoffe, Zubereitungen und biologische Agenzien zu verstehen sind, die bei der Arbeit "verwendet" werden. Von daher gesehen ist klar, dass den Mitbeteiligten hinsichtlich dieses Spruchpunktes die "Verwendung" der im § 45 Abs. 5 ASchG angeführten Stoffe angelastet wurde.

Die belangte Behörde war daher - hinsichtlich sämtlicher drei beschwerdegegenständlichen Spruchpunkte - nicht berechtigt, mangels entsprechender Verfolgungshandlungen das Strafverfahren einzustellen (zumal sie bei diesbezüglicher Ergänzung bzw. Klarstellung des erstinstanzlichen Spruches auch jeweils nicht die "Sache" überschritten hätte - vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 3. September 2003, Zl. 2001/03/0152).

Die angefochtenen Bescheide sind daher in den bekämpften Spruchpunkten mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.

Wien, am 18. März 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004020300.X00

Im RIS seit

05.05.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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