TE OGH 1962/3/14 7Ob91/62

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Veröffentlicht am 14.03.1962
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Norm

Ehegesetz §50
Ehegesetz §54
Ehegesetz §55 (2)

Kopf

SZ 35/34

Spruch

Einem auf § 50 EheG. gestützten Scheidungsbegehren fehlt nicht in der Regel die sittliche Rechtfertigung. Zwischen den Fällen des § 54 und des § 55 (2) EheG. besteht ein wesentlicher Unterschied.

Entscheidung vom 14. März 1962, 7 Ob 91/62.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht sprach die Scheidung der Ehe der beiden Streitteile gemäß § 50 EheG. aus und führte u. a. aus: Die Beklagte ist mit einer krankhaften Eifersucht behaftet, die zwar keine Geisteskrankheit im Sinne einer Eifersuchtsparanoia bildet, aber einer geistigen Störung gemäß § 50 EheG. gleichzusetzen ist. Sie leidet an überwertigen Eifersuchtsideen, ihre Einstellung ist paranoid-querulatorisch. Dieser Zustand besteht schon seit Jahrzehnten. Eine Besserung ist nicht mehr zu erhoffen. Die Beklagte war bereits zweimal in Heilanstalten untergebracht, doch scheiterten die Versuche des Klägers, mit ihr die Ehe wieder fortzusetzen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagte macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Sie führt aus, daß die Untergerichte zu Unrecht von der sogenannten Härteklausel des § 54 EheG. keinen Gebrauch gemacht hätten. Ebenso wie gemäß § 55 (2) EheG. sei auch in diesem Fall die Scheidung der Ehe die seltene Ausnahme. Insbesondere müsse mit Rücksicht auf die lange Dauer der Ehe und das Alter der Beklagten von mehr als 49 Jahren davon ausgegangen werden, daß sie die Scheidung unbillig hart treffen würde. Die Treuepflicht des Ehegatten erfordere auch Opfer, insbesondere für den Fall der Erkrankung.

Zu diesen Ausführungen ist zunächst zu bemerken, daß in der Lehre allerdings die Ansicht vertreten worden ist, die Gründe, welche die sittliche Berechtigung des Scheidungsbegehrens nach § 55 (2) EheG. ausschließen, seien dieselben, die im § 54 EheG. genannt sind. Dies ist, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt, insbesondere in der Entsch. JBl. 1958 S. 177 ausgesprochen hat, in dieser allgemeinen Fassung unrichtig. Zwischen den Fällen des § 54 und des § 55 (2) EheG. besteht ein wesentlicher Unterschied. Im letzteren Fall ist derjenige, der die Scheidung begehrt, an der Zerrüttung der Ehe schuldig. Andererseits setzt auch § 55 EheG. im Gegensatz zu § 50 EheG. nicht voraus, daß Umstände vorliegen, die dem Kläger die Fortsetzung der Ehe unzumutbar machen. Es kann daher nicht gesagt werden, daß in der Regel auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 EheG. eine Scheidung nicht stattfinden dürfe.

Daß niemand aus seinem eigenen ehewidrigen Verhalten zu seinen Gunsten etwas ableiten kann, liegt auf der Hand. Ist nun der Tatbestand des § 55 (1) EheG. durch das Verschulden desjenigen, der die Scheidung begehrt, verwirklicht worden, so kann er in der Regel nicht behaupten, daß die Aufrechterhaltung der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt wäre. Es geht nicht an, die Rechte des Ehegatten, der an der Zerrüttung schuldlos ist, so zu behandeln, wie die des Teiles, der sie durch eine schwere Eheverfehlung herbeigeführt hat. Die Bedeutung dieses Umstandes übersieht Schwind (Klang[2] I. S. 800 ff.) in seiner Kritik der Rechtsprechung des OGH. zu § 54 EheG. Das Verschuldenselement ist nicht, wie Schwind meint, eine sekundäre Frage. Ohne Verschulden gibt es auch bei § 55 EheG. keinen Widerspruch, so daß in einem solchen Fall die Frage der sittlichen Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens gar nicht aufgeworfen werden kann.

Daß die sittliche Rechtfertigung die Voraussetzung einer Scheidung sein muß, kann gewiß nicht bezweifelt werden. Ob sie aber vorliegt, ist zunächst auf Grund des Gesetzes zu beurteilen. Sie ist gegeben, wenn einer der Tatbestände verwirklicht worden ist, die nach dem Gesetz zur Scheidung ausreichen. Soll, wenn es das Gesetz zuläßt, davon eine Ausnahme gemacht werden, so hat die Voraussetzung der Teil zu beweisen, der sich darauf beruft. Damit ist nicht gesagt, daß hiefür ein strenger Maßstab anzulegen wäre. Keineswegs darf aber die österreichische Rechtsprechung im § 55 EheG. die, wenn der Kläger die Zerrüttung selbst verschuldet hat, nur in seltenen Ausnahmsfällen die Scheidung zuläßt, auf den Fall des § 50 EheG. ausgedehnt werden.

Für diese Auffassung kann man sich auch nicht darauf berufen, daß in der BRD. allgemein eine andere Ansicht in Lehre und Rechtsprechung herrschend wäre. Hoffmann - Stephan S. 212, Erman, Kommentar zum BGB. S. 2465, Soergel[8], F 181, betonen, daß die Härteklausel des § 47 DEheG. (gleich § 54 OEheG.) im Gegensatz zu § 48 DEheG. (gleich § 55 ÖEheG.) den Ausnahmsfall darstelle und der Beklagte für das Vorliegen der Voraussetzungen hiefür beweispflichtig sei. In der Entsch. BGHZ. 1, 263 wird ausdrücklich auf den Unterschied zwischen diesen Fällen verwiesen.

Daß auf Seite der Beklagten solche Eheverfehlungen objektiv vorliegen, kann nach den Feststellungen der Untergerichte nicht bezweifelt werden.

Anmerkung

Z35034

Schlagworte

Ehescheidung nach § 50 EheG., sittliche Rechtfertigung, Unterschied, zwischen Härteklausel nach § 54 EheG. und Widerspruch nach § 55 (2), EheG., Eifersuchtsideen, Ehescheidung nach § 50 EheG., Härteklausel nach § 54 EheG., Unterschied zum Widerspruch nach § 55 (2), EheG., Widerspruch nach § 55 (2) EheG., Unterschied zu § 54 EheG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1962:0070OB00091.62.0314.000

Dokumentnummer

JJT_19620314_OGH0002_0070OB00091_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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