TE OGH 1962/6/27 1Ob124/62

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Veröffentlicht am 27.06.1962
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Norm

ABGB §1338
JN §1
Pockenimpfgesetz §14 (1) litc

Kopf

SZ 35/70

Spruch

Schadenersatzansprüche geimpfter Personen gemäß § 14 (1) lit. c des BG. vom 30. Juni 1948 über Schutzimpfungen gegen Pocken (Blattern), BGBl. Nr. 156, gehören auf den Rechtsweg.

Entscheidung vom 27. Juni 1962, 1 Ob 124/62.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Nicht bestritten ist, daß die Klägerin im Herbst 1958 in Erfüllung der Impfpflicht zum Schutze gegen Pocken geimpft worden ist und daß bei ihr gegen Ende Oktober 1958 Krankheitserscheinungen aufgetreten sind.

Unter ausdrücklicher Berufung auf § 14 (1) lit. c des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1948 über Schutzimpfungen gegen Pocken (Blattern), BGBl. Nr. 156, begehrt die Klägerin die Verurteilung der beklagten Partei zur Leistung einer Dauerrente von 400 S ab 1. November 1961 und die Feststellung, daß die beklagte Partei der Klägerin aus der am 2. Oktober 1958 durch den Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft erfolgten Impfung gegen Pocken, welche für die Klägerin Dauerfolgen und Dauerschäden verursacht habe, "für alle erlittenen Folgen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hafte und allen Schaden zu ersetzen habe".

Die beklagte Partei macht Unzulässigkeit des Rechtsweges geltend und führt dazu im wesentlichen aus: Der Anspruch der Klägerin sei nicht im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, weil es sich hiebei nicht um einen Schadenersatzanspruch im Sinne des § 1338 ABGB. handle. Der Anspruch sei mit den Ansprüchen nach dem Epidemiegesetz 1950, nach dem Tierseuchengesetz oder nach dem Myxomatosegesetz zu vergleichen, die sämtliche im Verwaltungsweg geltend zu machen seien.

Das Erstgericht hat die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges mit folgender Begründung verworfen:

Mangels einer besonderen Zuständigkeitsvorschrift im Pockenimpfgesetz trete die Regel des § 1338 ABGB., somit die gerichtliche Zuständigkeit ein, die dadurch nicht berührt werde, daß es sich vorliegendenfalls um eine Haftung des Bundes ohne Rücksicht auf ein Verschulden handle. Hätte der Gesetzgeber die Durchsetzbarkeit des Anspruches auf Ersatz von Impfschäden im Verwaltungsweg beabsichtigt, dann hätte er eine diesbezügliche Bestimmung in das Gesetz aufgenommen. Die Berufung auf andere Gesetze gehe fehl, weil Analogieschlüsse dem österreichischen Formalrecht fremd seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es in Stattgebung der von der beklagten Partei erhobenen Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges die Klage zurückwies. Das Rekursgericht führte im wesentlichen aus:

Auszugehen sei von den Bestimmungen des Pockenimpfgesetzes, insbesondere dessen § 14 und der auf Grund dieses Gesetzes und des § 28 EpidemieG. (1950) erlassenen beiden Verordnungen. Es sei zwar richtig, daß im Pockenimpfgesetz selbst für die Entscheidung über den darin vorgesehenen Ersatz für Impfschäden eine spezielle Zuständigkeit ausdrücklich nicht festgelegt sei; dessenungeachtet lasse sich aber die Zuständigkeitsfrage unter Berücksichtigung des äußeren und inneren Zusammenhanges des Pockenimpfgesetzes und seiner Durchführungsverordnungen mit dem EpidemieG. (1950) nur dahin beantworten, daß zur Entscheidung über das von der klagenden Partei geltend gemachte Ersatzrecht nicht die ordentlichen Gerichte, sondern die Verwaltungsbehörden zuständig seien.

Nach § 1 des Epidemiegesetzes 1950 gehören auch die Pocken zu den anzeigepflichtigen Krankheiten. Im § 28 dieses Gesetzes sei festgelegt, daß in Ansehung der Maßnahmen in bezug auf Krankheitserreger besondere Anordnungen durch Verordnung erlassen werden können. Im dritten Hauptstück, das die Entschädigung und Bestreitung der Kosten zum Gegenstand habe, werde die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche und Kosten ausdrücklich den Verwaltungsbehörden übertragen. Dies gelte insbesondere für die Entscheidung über die Entschädigung für Gegenstände, die bei Durchführung der behördlichen Desinfektion beschädigt oder vernichtet worden seien. Berücksichtige man, daß das Pockenimpfgesetz selbst in § 11 (3) die sinngemäße Anwendung der §§ 27 und 34 des Epidemiegesetzes statuiere, daß die beiden Durchführungsverordnungen zum Pockenimpfgesetz nicht nur auf Grund dieses Gesetzes, sondern auch auf Grund des § 28 EpidemieG. erlassen worden seien und daß zwischen sämtlichen die Pocken behandelnden Bestimmungen ein enger sachlicher und systematischer Zusammenhang bestehe, dann komme man zwangsläufig zu dem Ergebnis, daß die Ersatzleistungen, die der Bund unter den in diesen Gesetzen festgelegten besonderen Voraussetzungen von vornherein auf sich nehme, nach den gleichen verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten zu behandeln seien. Es wäre nicht einzusehen, warum für die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche nach dem Epidemiegesetz 1950 eine andere Zuständigkeit gelten solle als für die Entscheidung über die Ersatzansprüche nach dem Pockenimpfgesetz.

Der Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges lasse sich auch daraus ableiten, daß zwischen der Klägerin und dem Bund als dem öffentlichen Rechtsträger aus der zwangsweise vorgenommenen Impfung keine rechtlichen Beziehungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung, und der Gleichwertigkeit der Beteiligten bestehen oder entstehen. Die rechtlichen Beziehungen der Streitteile seien sohin schon ihrem Ursprunge nach nicht der Privatrechtssphäre zuzurechnen. Bei dem im PockenimpfG. vorgesehenen Ersatz handle es sich daher um eine Verwaltungsangelegenheit, über welche die zuständige Verwaltungsbehörde durch Bescheid zu erkennen haben werde.

Schließlich spreche auch der Wortlaut des § 14 PockenimpfG. für einen vorwiegend von öffentlich-rechtlichen Elementen durchsetzten Entschädigungsanspruch, der im Verwaltungswege geltend zu machen sei. Es falle auf, daß der Gesetzgeber im ersten Absatz dieser Bestimmung ohne Notwendigkeit verschiedene Kosten, Vergütungen und die Ersatzleistungen für Impfschäden zusammenfasse. Daraus sei zu schließen, daß diese Auslagen gleich zu behandeln seien, und zwar als "Aufwand" im Rahmen der fiskalischen Verwaltungserfordernisse, wie sich aus dem zweiten Absatz ergebe. Gerade die Verwendung des Ausdruckes "Aufwand" spreche dafür, daß es sich bei den Bestimmungen des ersten Absatzes nicht um materiellrechtliche Haftungsbestimmungen, sondern um Bestimmungen über Ansprüche öffentlich-rechtlichen Charakters handle, die als solche im Verwaltungsweg zu behandeln seien.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der klagenden Partei Folge und stellte den erstrichterlichen Beschluß wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Klägerin trägt in ihrem Rechtsmittel vor, daß aus der Heranziehung des Epidemiegesetzes 1950 für die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges nichts zu gewinnen sei. Das Pockenimpfgesetz enthalte jedenfalls keine Zuständigkeitsvorschrift. Ein rechtlich erheblicher Anhaltspunkt für die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden zur Entscheidung der Ansprüche von körperlich durch die Zwangsimpfung beschädigten Personen sei in keinem der beiden Gesetze vorhanden. Wäre es im vorliegenden Fall der Wille des Gesetzgebers gewesen, die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden für die Erledigung von Ersatzansprüchen zu bejahen, dann hätte er - wie in vielen anderen Gesetzen - eine entsprechende Bestimmung in das Gesetz aufgenommen. Da dies nicht der Fall sei, bleibe es bei der Regel des § 1338 ABGB. Dabei sei es gleichgültig, ob der Schadenersatzanspruch aus einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis hervorgehe oder nicht. Es widerspreche auch dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, den Schuldner zum Richter in eigener Sache zu berufen.

Die Klägerin behauptet einen ihr durch die Pockenimpfung entstandenen körperlichen Schaden (§ 1293 ABGB.) und verlangt Ersatz für diesen Impfschaden, wie es in § 14 (1) PockenimpfG. ausdrücklich vorgesehen ist. Die Klägerin behauptet kein rechtswidriges oder schuldhaftes Vorgehen der zuständigen Organe anläßlich der Durchführung der Impfung, so daß die Anwendung des Amtshaftungsgesetzes von vornherein ausscheidet, worauf bereits die Untergerichte zutreffend hingewiesen haben. Bei der Entscheidung über den von der Klägerin erhobenen Schadenersatzanspruch ist von dem Grundsatz des § 1 JN. auszugehen, daß ein derartiger Anspruch als privatrechtlicher Anspruch (§ 1338 ABGB.) beim ordentlichen Gericht geltend zu machen ist, sofern nicht ein besonderes Gesetz etwas anderes bestimmt (Erk. des VerfGH. vom 13. Oktober 1953, K I- 2/53, ÖJZ. 1954 S. 210).

Die Bedenken des Rekursgerichtes dagegen, daß es sich bei dem Anspruch der Klägerin um einen privatrechtlichen Anspruch handelt, sind nicht berechtigt. Jeder Schadenersatzanspruch ist auf Grund der Bestimmung des § 1338 ABGB. als privatrechtlicher Anspruch anzusehen, mag er auch aus einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis hervorgehen (Wolff in Klang[2] VI, S. 191 f.). Auch aus der Verwendung des Ausdruckes "Aufwand" im § 14 (2) des Pockenimpfgesetzes läßt sich nicht darauf schließen, daß der in Abs. 1 genannte "Ersatz für Impfschäden" nicht ein Schadenersatz sein soll. Auch Schadenersatzleistungen gehören zu dem mit irgendeiner Unternehmung verbundenen, Aufwand.

Es bleibt daher nur zu prüfen, ob für die Durchsetzung des in § 14

(1) lit. c genannten Schadenersatzanspruches eine von der Regel des § 1338 ABGB. abweichende Bestimmung existiert. Hier muß auch das Rekursgericht zugeben, daß im PockenimpfG. selbst eine Zuständigkeitsvorschrift nicht enthalten ist. Auch das Epidemiegesetz 1950 oder sonst ein Gesetz enthält keine Zuständigkeitsregelung hinsichtlich der in § 14 PockenimpfG. genannten Ansprüche auf Ersatz von Personenschäden. Der Umstand allein aber, daß im § 1 (1) des EpidemieG. 1950 unter den anzeigepflichtigen Krankheiten auch die Pocken aufgezählt sind, daß das Pockenimpfgesetz in § 11 (3) die sinngemäße Anwendung der §§ 27 und 34 des Epidemiegesetzes anordnet und daß zwei Durchführungsverordnungen zum Pockenimpfgesetz nicht nur auf Grund dieses Gesetzes, sondern auch unter Berufung auf § 28 des Epidemiegesetzes ergangen sind, läßt keinen zwingenden Schluß in der Richtung zu, daß die Zuständigkeitsregelung des Epidemiegesetzes auch für das Pockenimpfgesetz gelten soll. Die beiden sich auf § 28 EpidemieG. (1950) beziehenden Durchführungsverordnungen befassen sich mit der Zuständigkeit nicht, ebenso nicht die nach § 11 (3) des Pockenimpfgesetzes sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen des Epidemiegesetzes. Daher muß gerade daraus, daß im Pockenimpfgesetz selbst über die Zuständigkeit nichts ausgesagt wird - auch den Materialien und den Erläuterungen zur Gesetzesvorlage ist diesbezüglich nichts zu entnehmen - und auch nicht auf die betreffenden Bestimmungen des Epidemiegesetzes hingewiesen wird, geschlossen werden, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 über die Zuständigkeit nicht auch für das PockenimpfG. gelten sollen.

Da sohin aus dem Pockenimpfgesetz die Unzuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über den von der Klägerin erhobenen Entschädigungsanspruch nicht abgeleitet werden kann, bleibt es bei der Grundregel des § 1 JN., nach der die Entscheidung über den Schadenersatzanspruch der Klägerin den ordentlichen Gerichten zusteht.

Dem Revisionsrekurs der Klägerin war aus den angeführten Gründen Folge zu geben und die Entscheidung der ersten Instanz wiederherzustellen.

Anmerkung

Z35070

Schlagworte

Impfschaden, PockenimpfG., ordentlicher Rechtsweg, Ordentlicher Rechtsweg, Schadenersatz nach § 14 (1) lit. c, Pockenimpfgesetz, Pockenimpfung, Schadenersatz, ordentlicher Rechtsweg, Rechtsweg, ordentlicher, Schadenersatz nach § 14 (1) lit. c, Pockenimpfgesetz, Schadenersatz, Pockenimpfung, ordentlicher Rechtsweg

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1962:0010OB00124.62.0627.000

Dokumentnummer

JJT_19620627_OGH0002_0010OB00124_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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