TE OGH 1963/4/2 4Ob530/62

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Veröffentlicht am 02.04.1963
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Norm

ZPO §11
ZPO §127
ZPO §552 (2)
ZPO §559

Kopf

SZ 36/54

Spruch

Mehrere aus einem Wechsel verpflichtete Personen bilden weder eine materielle noch eine formelle Streitgenossenschaft (§ 11 ZPO.).

§ 127 ZPO. ist daher auf Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag nicht anwendbar.

Entscheidung vom 2. April 1963, 4 Ob 530/62.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Das Erstgericht hat den beantragten Wechselzahlungsauftrag gegen beide Beklagte erlassen. Der Wechselzahlungsauftrag wurde dem Zweitbeklagten am 7. September, dem Erstbeklagten am 10. September 1962 zugestellt. Die von den beiden Beklagten gemeinsam durch ihren Vertreter am 11. September 1962 bei Gericht eingebrachten Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag hat das Erstgericht hinsichtlich des Zweitbeklagten als verspätet zurückgewiesen.

Der dagegen erhobene Rekurs des Zweitbeklagten hatte Erfolg. Das Rekursgericht hat den erstgerichtlichen Beschluß "in seiner Abänderung behoben" und dem Erstgericht aufgetragen, die Einwendungen des Zweitbeklagten gegen den Wechselzahlungsauftrag vom 31. August 1962 entgegenzunehmen.

Der Oberste Gerichtshof stellte den Beschluß der ersten Instanz wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig. Schon der Spruch des angefochtenen Beschlusses ergibt, daß das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß über die Rechtzeitigkeit der Einwendungen abgeändert hat. Es liegt also keine aufhebende, sondern der Sache nach eine abändernde Entscheidung der zweiten Instanz vor. In solchen Fällen steht der weitere Rechtszug an den Obersten Gerichtshof offen (vgl. E. vom 21. Februar 1962, 6 Ob 64/62, EvBl. 1962 Nr. 377).

Der Revisionsrekurs ist auch begrundet.

Der Oberste Gerichtshof hat in seinen Entscheidungen vom 24. April 1900, GlUNF. 980, und vom 23. Mai 1916, Amtl. Slg. NF. 1770, ausgesprochen, daß die Frist zur Erhebung der Einwendungen für jeden Wechselverpflichteten besonders laufe und daß § 127 ZPO. nicht angewendet werden könne, nach welcher Bestimmung dann, wenn die einzelnen Streitgenossen zur Vornahme derselben Prozeßhandlung zustehenden Fristen zu verschiedenen Zeiten ablaufen, die fragliche Prozeßhandlung von jedem Streitgenossen so lange vorgenommen werden kann, als noch einem der Streitgenossen eine Frist für diese Prozeßhandlung offensteht. Begrundet wurde diese Auffassung damit, daß zunächst ein außerstreitiges Verfahren hinsichtlich jedes einzelnen Wechselschuldners vorliege und daß ein Prozeß erst durch Erhebung der Einwendungen durch jeden einzelnen Belangten entstehe. Auf die Stichhältigkeit dieser Begründung soll nicht weiter eingegangen, aber immerhin darauf verwiesen werden, daß in der Entscheidung vom 4. Jänner 1916, SprRep. 255 = AmtlSlg. NF. 1684, für das infolge des gleich zu Prozeßbeginn allenfalls entstehenden Exekutionstitels ähnliche Kündigungsverfahren ausgesprochen wurde, daß dieses Verfahren (vor den Einwendungen) ein außerstreitiges Verfahren ist.

Die spätere Entwicklung hat zu der hier zu entscheidenden Frage nichts Entscheidendes gebracht. Die Rechtspraxis hat sich anscheinend an die beiden erwähnten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes gehalten, was daraus hervorzugehen scheint, daß einschlägige Entscheidungen weder in der Amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen seit 1919 (siehe den Generalindex zum I. bis XXX. Band, Wien 1960) enthalten noch seit 1945 überhaupt ergangen sind. Im Schrifttum finden sich nur recht allgemeine Ausführungen, meistens ohne Angabe von Gründen. Rudolf Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes,[2] S. 438, meint, daß § 127 ZPO. für jede Art von Streitgenossenschaft, also auch für mehrere aufgekundigte im Bestandverfahren und für mehrere Wechselbeklagte, gilt. Dabei besteht die angenommene Parallele zwischen mehreren Aufgekundigten und mehreren Wechselbeklagten nicht, weil in jenem Fall eine einheitliche Streitpartei vorliegt, so daß ohnedies § 14 ZPO. eingreift. Hinsichtlich der mehreren Wechselbeklagten führt Pollak bloß die gegenteilige Auffassung der beiden erwähnten Entscheidungen und die ebenfalls gegenteilige Meinung von Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen[4], S. 690, mit dem Hinweis an, deren Begründung sei unzureichend, ohne aber - wie bereits angedeutet - eine eigene Begründung zu geben. Hans Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 253, will § 127 ZPO. anscheinend bloß für die Fälle des § 11 Z. 1 ZPO. gelten lassen. Karl Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechtes[2], S. 127, denkt anscheinend an alle Fälle der Streitgenossenschaft, ohne aber das Wechselverfahren zu erwähnen. Hans W. Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, II, 673, meint, die Gleichbehandlung aller Streitgenossen finde auch bei den Fristen für die Erhebung von Einwendungen im Mandats-, Wechselmandats- und Bestandverfahren Anwendung. Damit steht allerdings nicht gut im Einklang, daß er gleich anschließend die Anwendung des § 127 ZPO. für die Wiedereinsetzung und für die Rechtsmittelklagen ablehnt, weil nicht die eingetretene Rechtskraft rückwirkend beseitigt werden könne. Ähnliches tritt aber auch bei Annahme seiner Auffassung bei Wechseleinwendungen ein. Wenn etwa dem Erstbeklagten der Wechselzahlungsauftrag am Montag, dem 1., zugestellt wurde, so ist er mit Ablauf des Donnerstages, des 4., rechtskräftig geworden. Zeigt dann der etwa Montag, den 8., rücklangende Zustellschein hinsichtlich des Zweitbeklagten, daß diesem am Donnerstag, dem 4., zugestellt wurde, so wäre der Wechselzahlungsauftrag hinsichtlich des Erstbeklagten doch nicht am Freitag, an dem vielleicht bereits Exekution geführt wurde, rechtskräftig geworden, sondern der Erstbeklagten konnte am Montag, dem 8., noch Einwendungen erheben - ein recht wenig klares und erfreuliches Ergebnis. Letzten Endes käme man dann, wenn man § 127 ZPO. anwenden wollte, bei mehreren Wechselbeklagten zu einer möglichen Verdopplung oder auch Vervielfältigung der Einwendungsfrist, weil es immer wieder sein könnte, daß am letzten Tag der Einwendungsfrist gegenüber einem Schuldner erst dem anderen zugestellt wird, welche Reihe sich eben bei mehreren Schuldnern fortsetzen und so zu völlig unübersichtlichen Verhältnissen führen könnte. Beim Wechselverfahren wäre dies kaum erträglich. Stagel folgt in der NotZ. 1960, 95, bei Besprechung von Fasching denn auch der Auffassung von Sperl, wobei auch er wieder keine Begründung gibt.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich bei dieser Sachlage nicht veranlaßt, von seiner eingangs berichteten, nun bereits ein halbes Jahrhundert bestehenden Praxis abzugehen, zumal ihr, wie dargestellt, das Schrifttum im Ergebnis zum Teil beigetreten ist und - wie die eben angestellten praktischen Erwägungen zeigen - erhebliche Gründe der Zweckmäßigkeit für sie sprechen. Zur Begründung dieses Ergebnisses kann auch noch folgendes beigefügt werden: Bei mehreren aus einem Wechsel verpflichteten Personen liegt gar nicht der Fall einer Streitgenossenschaft vor, wie ihn § 11 ZPO. in seinen beiden Absätzen erfassen will. Daß eine Streitgenossenschaft nach § 11 Z. 1 ZPO. nicht gegeben ist, braucht nicht begrundet zu werden. Aber auch um eine Streitgenossenschaft nach § 11 Z. 2 ZPO. handelt es sich nicht. Dies hat schon Schrutka; Grundriß des Zivilprozeßrechts[2], S. 86, erkannt, wenn er ausführt, daß zwar die Verpflichtung jedes Wechselschuldners auf dem Wechsel beruhe, daß aber im übrigen jeder aus einem besonderen Tatbestand hafte. Damit stimmt der materiellrechtliche Grundsatz der gegenseitigen Unabhängigkeit der Wechselverbindlichkeiten völlig überein (Art. 7 WechselG.; früher Art. 3 ADWO.) und weiter der Umstand, daß eben jede Wechselverbindlichkeit selbständig auf der Skriptur jedes einzelnen Wechselschuldners beruht. Daß der Gesetzgeber bei mehreren Wechselschuldnern nicht ohne weiteres eine Streitgenossenschaft angenommen hat, ergibt sich auch daraus, daß er es in § 93 (2) JN. für notwendig befunden hat, anzuordnen, daß die Wechselschuldner als Streitgenossen geklagt werden können, was zumal bei Bestand des § 89 JN. entbehrlich wäre, wenn man eine Streitgenossenschaft gemäß § 11 Z. 2 JN. annimmt (s. dazu Materialien I, 80, 694, 729). Es ist aber recht naheliegend, anzunehmen, daß sich § 127 ZPO. wenn schon nicht nur auf die Streitgenossenschaft nach § 11 Z. 1 ZPO., so doch nur auf die Streitgenossenschaft nach § 11 ZPO. bezieht, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß es sich um eine recht eigenartige Ausnahmenorm handelt, die etwa bei sonst ähnlichen Verhältnissen im deutschen Prozeßrecht keine Entsprechung hat (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechtes[8], S. 465).

Geht man von der Rechtsauffassung aus, daß § 127 ZPO. auf Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag nicht anwendbar ist, so muß dem Revisionsrekurs Folge gegeben und die Entscheidung der ersten Instanz wiederhergestellt werden.

Anmerkung

Z36054

Schlagworte

Einwendungen gegen Wechselzahlungsauftrag, Streitgenossenschaft, keine - der aus einem Wechsel Verpflichteten, Wechsel, Streitgenossenschaft, Wechselzahlungsauftrag, Einwendungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0040OB00530.62.0402.000

Dokumentnummer

JJT_19630402_OGH0002_0040OB00530_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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