TE OGH 1963/10/16 6Ob171/63

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Veröffentlicht am 16.10.1963
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Norm

Kundm.Pat, zum ABGB, Abs6
Rechtsüberleitung im Burgenland (V) v. 29. 5. 1922, BGBl. Nr. 315, §1

Kopf

SZ 36/130

Spruch

Zur Frage der Ersitzung an burgenländischen Grundstücken. Die Ersitzung an einem öffentlichen Gut ist ausgeschlossen, wenn die Ausübung von Nutzungsrechten daran verboten ist.

Entscheidung vom 16. Oktober 1963, 6 Ob 171/63.

I. Instanz: Bezirksgericht Oberpullendorf; II. Instanz:

Landesgericht Eisenstadt.

Text

Die Klägerin ist alleinige Eigentümerin und Besitzerin der Liegenschaft EZ. 134 des Grundbuches der Katastralgemeinde K. Zum Gutsbestand dieser Liegenschaft gehört auch das Grundstück Nr. 33/1, Haus KNr. 58, samt Hof und Wirtschaftsgebäude. Das darauf befindliche Haus steht mit der Längsseite an der Grenze des Nachbargrundstückes 30/1 und mit der Schmalseite an der Grenze des Grundstückes Nr. 34/1, Weg im Ortsried des öffentlichen Gutes EZ. 3 des Grundbuches der Katastralgemeinde K. Von der Schmalseite des genannten Hauses (6.30 m) ragt in die zum öffentlichen Gut gehörige Parzelle Nr. 34/1, deren Verwalterin die Beklagte ist, ein Vorgarten in der Breite von ungefähr 3 m. Dieser Vorgarten wurde sowohl von den Rechtsvorgängern der Klägerin als auch von dieser ständig mit einem Holzzaun umfriedet. Die Klägerin und deren Rechtsvorgänger bebauten und bepflanzten den Garten mit Blumen, mitunter auch mit Gemüse. Vom Vorgarten liefen zwei alte Weinstöcke auf die Schmalseite des Hauses. Diese Art der Nutzung des Vorgartens wurde schon 40 Jahre vor dem Jahre 1937 von den Rechtsvorgängern der Klägerin vorgenommen. Diese waren immer der Ansicht, daß dieser Vorgarten Eigentum der jeweiligen Besitzer des Hauses K. Nr. 58 sei. Anläßlich einer Vermessung im Jahre 1910 wurde der strittige Vorgarten beim Haus der Klägerin nicht verzeichnet. Im Jahre 1937 fand in der Gemeinde K. wieder eine Vermessung statt. Dabei wurden Handskizzen und Anmeldungsbogen angefertigt. In diesen wurden von den Vermessungsbeamten die unbestrittenen Besitzverhältnisse verzeichnet. Ergaben sich über die Zugehörigkeit von Grundstücksflächen Streitigkeiten, wurden diese strittigen Flächen nicht berücksichtigt. Die einverständlichen Ergebnisse der Vermessung wurden durch Unterschriftsleistung anerkannt. In den Handskizzen betreffend das Haus K. Nr. 58 (Beilage II) ist der strittige Vorgarten nicht eingezeichnet. Der Rechtsvorgänger der Klägerin behauptete damals, daß der Vorgarten sein Eigentum sei. Im Jahre 1937 wurden den in der Nachbarschaft der Klägerin befindlichen Hausbesitzern St. und Z. Vorgärten um den Preis von 1 bis 2 S pro m2 von der beklagten Partei verkauft. Ein Verkauf an den Rechtsvorgänger der Klägerin scheiterte damals, weil dieser behauptete, ohnedies Eigentümer des Vorgartens zu sein.

Die Klägerin begehrt aus dem Titel der Ersitzung des Eigentumsrechtes die Feststellung ihres Eigentumsrechtes an dem genannten Vorgarten und die Verurteilung der Beklagten zur Einwilligung in die Abschreibung dieses Vorgartens von der Parzelle 34/1 des öffentlichen Gutes EZ. 3 der Katastralgemeinde K. und Zuschreibung dieses Teilstückes zu dem Gutsbestand der im Alleineigentum der Klägerin stehenden Liegenschaft EZ. 134 der Katastralgemeinde K. durch Einbeziehung in das Grundstück Nr. 33/1 Haus KNr. 58, samt Hof und Wirtschaftsgebäude im Ortsried.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Eine Ersitzung der strittigen Grundfläche durch die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgänger habe nicht stattgefunden, weil einerseits die Ersitzungszeit nicht verstrichen und andererseits der Besitz weder echt, rechtmäßig noch redlich sei.

Das Erstgericht hat sowohl im ersten als auch im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß die Rechtsvorgänger der Kläger zwar schon 40 Jahre vor dem Jahre 1937 im Besitz des Vorgartens und der Ansicht gewesen seien, sie seien dessen Eigentümer, daß aber diese Ansicht allein nicht genüge, um den Besitz als redlich anzusehen; es sei vielmehr der Beklagten der Beweis, daß die Klägerin bzw. deren Vorbesitzer nicht gutgläubig sein konnte, gelungen, weil schon nach der örtlichen Lage des Grundstückes die Überzeugung der Klägerin und ihrer Rechtsvorgänger, Eigentümer des Vorgartens zu sein, nur mit auffallender Sorglosigkeit gewonnen werden konnte.

Infolge Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht nach Beweiswiederholung dem Klagebegehren statt. Es übernahm die eingangs angeführten Feststellungen des Erstgerichtes zur Gänze mit der Ergänzung, daß bei der im Jahre 1910 stattgefundenen Vermessung die umstrittene Grundfläche nicht erfaßt wurde und ging davon aus, daß grundsätzlich der Eigentumserwerb durch Ersitzung auch an Grundstücken des öffentlichen Gutes möglich sei. Im vorliegenden Fall sei die Voraussetzung hiefür, nämlich der Besitz des Rechtes, dadurch gegeben, daß die Klägerin und deren Rechtsvorgänger die Benützung des strittigen Grundstückteiles des öffentlichen Weges auf andere Weise ausgeübt haben, als sie durch jedermann im Rahmen des Gemeingebrauches habe ausgeübt werden können, nämlich dadurch, daß sie diesen einzäunten und in der eingezäunten Fläche einen Hausgarten unterhielten. Es geht nur mehr um die Frage, ob der beklagten Partei der Beweis der Unredlichkeit des Besitzes der Rechtsvorgänger der Klägerin gelungen sei, denn es sei die vierzigjährige Ersitzungszeit im Jahre 1937, als noch der Vater der Klägerin Besitzer des Vorgartens gewesen sei, bereits längst abgelaufen gewesen. Nun sei nach den Feststellungen davon auszugehen, daß ein ausreichender Besitz der Rechtsvorgänger der Klägerin während der im Jahre 1937 bereits längst abgelaufenen Ersitzungszeit vorliege, weshalb alle Umstände, die nach dem Beginn des Jahres 1937 eine Gutgläubigkeit der Klägerin oder deren Rechtsvorgänger ausschließen würden, außer Betracht zu bleiben hätten, weil die Ersitzung im Falle der Gutgläubigkeit der seinerzeitigen Besitzer des Vorgartens mit Beginn des Jahres 1937 bereits abgeschlossen gewesen sei. Die Unredlichkeit der Besitzer des Vorgartens in einem Zeitraum von 40 Jahren vor dem Jahre 1937 vermeine die hiefür beweispflichtige beklagte Partei allein daraus ableiten zu können, daß der Rechtsvorgänger der Klägerin im Jahre 1910 darauf aufmerksam gemacht worden sei, daß der Vorgarten zum öffentlichen Gut gehöre, welcher Umstand jedoch in der Folge nicht habe bewiesen werden können. Andere Tatsachen, die gegen die Redlichkeit des Besitzes der Rechtsvorgänger der Klägerin und damit für die Annahme sprechen würden, es hätte der objektiv erscheinende Sachverhalt den Rechtsvorgängern der Klägerin die rechtmäßige Zugehörigkeit des Vorgartens zum öffentlichen Gut als gegeben erscheinen lassen müssen, habe die beklagte Partei nicht einmal behauptet. Sie habe sohin den Beweis der Unredlichkeit des Besitzes der Rechtsvorgänger der Klägerin an dem strittigen Grundstücksteil nicht erbringen können.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es trifft zu, daß, wie das Berufungsgericht, gestützt im wesentlichen auf die Entscheidungen SZ. XXXI 71 und XXXII 64, ausführt, nach österreichischem Recht ein Eigentumserwerb an Grundstücken des öffentlichen Gutes möglich ist und daß daher auch an einem öffentlichen Weg der Erwerb eines Privatrechtes durch Ersitzung grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist, daß jedoch Voraussetzung eines solchen Erwerbes ist, daß der Erwerber die Benützung in anderer Weise ausgeübt hat, als sie durch jedermann im Rahmen des Gemeingebrauches ausgeübt werden konnte. Das Berufungsgericht hat aber ebenso wie das Erstgericht übersehen, daß hier die Anwendung ungarischen Rechts in Frage kommt. § 1 der Verordnung vom 29. Mai 1922, womit weitere Anordnungen über das Justizwesen im Burgenland auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechtes und des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten usw. getroffen wurden, BGBl. 1922 Nr. 315, bestimmt, daß an Stelle des bisher im Burgenland geltenden bürgerlichen Rechtes, abgesehen von bestimmten hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen, das derzeit in Österreich in Geltung stehende bürgerliche Recht einschließlich des Handels- und Wechselrechtes tritt. § 2 ordnet an, daß für die Anwendung der bisher geltenden Vorschriften auf bereits begrundete Rechtsverhältnisse, soweit im folgenden nichts anderes angeordnet wird, die Bestimmungen der Abs. 5 und 6 des Kundmachungspatentes zum ABGB. vom 1. Juni 1811, JGS. Nr. 946, zu gelten haben. Nach Abs. 6 des Kundmachungspatentes ist eine schon vor der Wirksamkeit des ABGB. angefangene Ersitzung oder Verjährung nach den älteren Gesetzen zu beurteilen. Es ist aber, sobald sich jemand auf eine Ersitzung oder Verjährung beruft, welche in dem neueren Gesetz auf eine kürzere Zeit als in den früheren Gesetzen bestimmt ist, eine derartige kürzere Zeit erst von dem Zeitpunkt an zu berechnen, an welchem das ABGB. verbindliche Kraft erlangt hat. Es ist daher zu prüfen, ob nach ungarischem Recht an öffentlichen Straßen überhaupt eine Ersitzung möglich ist, und falls diese Frage bejaht wird, wie lange die Ersitzungszeit beträgt.

Nun war bis in die jüngste Vergangenheit das ungarische Privatrecht ein von schriftlichen Rechtsquellen teils unterstütztes und teils durchbrochenes Gewohnheitsrecht, dessen Inhalt und Entwicklung laufend durch das Schicksal Ungarns unmittelbar beeinflußt wurde (Anton Almäsi, Ungarisches Privatrecht, Berlin-Leipzig, 1924, I. Band, S. 3 § 2; Carl Putz, System des ungarischen Privatrechtes, Wien 1870, Vorwort und S. 1 ff.). Im 16. Jahrhundert hat Werböczy das damals geltende ungarische Recht in seinem 1517 in Wien gedruckten Werk Opus Tripartitum (Trip.) erfaßt, das seither eine wichtige schriftliche Rechtsquelle und einen Ausgangspunkt des ungarischen Rechtes bildet. Es wurde zwar mit kaiserlichem Patent vom 29. November 1852, RGBl. 1852 Nr. 246, das ABGB. vom 1. Juni 1811 "mit mehreren Beschränkungen und näheren Bestimmungen eingeführt und vom 1. Mai 1853 angefangen in Wirksamkeit gesetzt", doch wurde die Arbeit der vom 23. Jänner bis 3. April 1861 tagenden Judex-Kurial-Konferenz (JKK.), welche darüber zu beraten hatte, auf welche Art die alten ungarischen Gesetze wieder herzustellen seien, von den beiden Häusern des ungarischen Reichstages, der königlichen Kurie und den Munizipien angenommen und von der Praxis seither in derselben Art als geltendes Recht anerkannt wie seinerzeit das Tripartium (Almasi, I. Band, S. 5; Richard Zehntbauer, Einführung in die neuere Geschichte des ungarischen Privatrechtes, Freiburg 1916. S. 9-23, Ernst Heymann, Ungarisches Privatrecht und der Rechtsausgleich mit Ungarn, Tübingen 1917, S. 9-13; Anton Dauscher,

Das ungarische Zivil- und Strafrecht nach den Beschlüssen der JKK., Wien 1862, Einleitung).

Für die Frage, ob eine Ersitzung am öffentlichen Straßengrund nach ungarischem Recht überhaupt zulässig ist, muß auch noch der Gesetzesartikel (GA.) I vom Jahre 1890 "über die öffentlichen Straßen und Mauten" herangezogen werden. Im § 1 dieses Gesetzesartikels werden die den Gegenstand dieses Gesetzes bildenden öffentlichen Straßen in Staatsstraßen, Munizipalstraßen, Straßen, welche zu Eisenbahnen führen, öffentliche Gemeindestraßen, Gemeinde- (öffentliche Feld-)wege usw. qualifiziert. § 130 verbietet, den Straßenkörper und jedes Zubehör und Gebiet desselben zu eigenen Zwecken, wenn auch nur zeitweilig, zu okkupieren (vgl. auch Almasi, I. Band, S. 97/98).

Es wird daher festzustellen sein, ob die fragliche Straße unter den Begriff der öffentlichen Straße im Sinn des § 1 fällt (siehe auch § 36 und 47 des GA. I, 1890). Das ist deshalb von Bedeutung, weil eine Ersitzung an einem öffentlichen Gut dann ausgeschlossen ist, wenn die Ausübung von Nutzungsrechten daran verboten ist (Klang im Klang-Kommentar[2] VI S. 572 zu § 1455 ABGB., Entscheidung vom 4. März 1923, ZBl. 41/255).

Sollte aber ein Ausschluß der Ersitzung grundsätzlich nicht gegeben sein, dann wäre die Frage der Ersitzungszeit zu prüfen. Für die Ersitzung und Verjährung waren nach ungarischem Recht im wesentlichen die Bestimmungen des Tripartitums I/78 maßgebend. Demnach betrug die Ersitzungszeit bei königlichen Gütern und Rechten 100 Jahre (Putz, S. 111; Dauscher, S. 342; Johann von Jung, Darstellung des ungarischen Privatrechtes, Wien 1818, I. Band, S. 200, 201, und Almasi, II. Band, S. 43; letzterer nimmt ganz allgemein dem Staat gegenüber eine hundertjährige Ersitzungszeit an), bei geistlichen Gütern 40 Jahre, bei adeligen Gütern 32 Jahre, bei bürgerlichen Gütern 12 Jahre und bei Bauerngütern 1 Jahr und 1 Tag (Almasi, I. Band, S. 5, II. Band, S. 42/43 und 47; Dauscher, S. 342, Putz, S. 110). Bei der Prüfung der Frage, ob die Ersitzungszeit abgelaufen ist, wird Bedacht zu nehmen sein auf die Ereignisse im Jahre 1910. Es ergibt sich weder aus den Ausführungen des Erstgerichtes noch aus denen des Berufungsgerichtes, warum der Rechtsvorgänger der Klägerin trotz der im Jahre 1910 erfolgten Neuvermessung des öffentlichen Gutes annehmen konnte, daß er Eigentümer eines Teiles dieses Gutes sei. Die Feststellung des Berufungsgerichtes, es sei bei dieser Vermessung der gegenständliche Vorgarten nicht erfaßt worden, wurde vom Berufungsgericht nicht näher begrundet. Es läßt sich der Aktenlage nicht entnehmen, worauf diese Feststellung im einzelnen fußt.

Es werden daher, wenn nicht schon aus den oben angeführten Gründen der Ausschluß der Ersitzung anzunehmen ist, die Vorgänge im Jahre 1910 in allen Einzelheiten festzustellen sein.

Anmerkung

Z36130

Schlagworte

Burgenland, Anwendung ungarischen Rechtes, Ersitzung im Burgenland, ungarisches Recht, Ungarisches Privatrecht, Anwendung im Burgenland

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0060OB00171.63.1016.000

Dokumentnummer

JJT_19631016_OGH0002_0060OB00171_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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