TE OGH 1965/9/16 2Ob243/65

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Veröffentlicht am 16.09.1965
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Norm

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334

Kopf

SZ 38/140

Spruch

Ein einmaliger Aufmerksamkeitsfehler im Zuge einer mehr oder minder zur Routine gewordenen Tätigkeit kann nicht allein deshalb als grob fahrlässig bezeichnet werden, weil die Folgen einer solchen Unaufmerksamkeit unter Umständen sehr beträchtlich sein können

Entscheidung vom 16. September 1965, 2 Ob 243/65.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz

Text

Am 15. November 1962 erlitt der Hilfsschlosser Johann K. einen Arbeitsunfall. Er geriet beim Formen von Wellblechtafeln mit der linken Hand in den Arbeitsweg des Preßstempels der Abkanntpresse. Dabei wurde ihm der Arm abgequetscht. Der Beklagte, der als Werkmeister bei diesem Arbeitsvorgang mitwirkte, wurde vom Strafgericht der Übertretung nach § 335 StG. schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er bei der Bedienung der Abkantpresse, die gebotene Vorsicht außer acht ließ und, ohne sich ausreichend davon überzeugt zu haben, ob Johann K. das Einrichten des Werkstückes bereits beendet habe, den Preßstempel durch Betätigung des Fußschalters auslöste.

Die Klägerin, die an Johann K. als Sozialversicherungsträger Leistungen zu erbringen hat, begehrt unter Berufung auf § 334 ASVG. deren Ersatz vom Beklagten. Mit dem Leistungsbegehren verband sie ein Feststellungsbegehren.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Er stellte unter anderen fest: Die Abkantpresse habe, obwohl sie keine technische Schutzvorrichtung, gegen derartige Unfälle aufgewiesen habe, den Vorschriften entsprochen, weil an diesen Maschinen im Hinblick auf die Besonderheit ihrer Arbeitsweise solche Schutzvorrichtungen nicht angebracht werden könnten. Der Unfall habe sich bei der Bearbeitung der zehnten Wellblechtafel ereignet, nachdem bereits neun Wellblechtafeln fertiggestellt gewesen seien. Während K. bis dahin die Blechtafeln jeweils von einem Standort hinter der Maschine eingerichtet habe, wo das längere Ende der Blechtafel hinausgeragt habe, habe ihm der Beklagte bei der zehnten Blechtafel gesagt, er brauche nicht zum Zwecke des Einrichtens des Werkstückes hinter die Maschine zu gehen. Dies habe er deshalb gesagt, weil die Blechtafel ohnedies anstandslos über den hinter der Presse befindlichen Anschlag hinweggekommen sei. Die beiden etwa 1.50 m voneinander entfernt stehenden Männer hätten die nur wenig unter dem Preßstempel hervorstehende Blechtafel mit ihren Händen gehalten. Im Augenblick der Betätigung des Fußschalters habe sich der Beklagte nicht überzeugt, ob nicht etwa K. die Hand in der Maschine habe.

Der Erstrichter war der Ansicht, den Beklagten treffe ein grobes Verschulden, weil er Johann K. beim Einrichten dieser Blechtafel angewiesen habe, vor der Maschine zu bleiben, statt, wie sonst, hinter die Maschine zu treten, weil er nicht mit Johann K. ein Stichwort vereinbart habe, das vor der Betätigung des Fußschalters hätte fallen müssen sowie, weil er sich nicht davon überzeugt habe, daß K. nicht die Hand in der Maschine habe.

Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der Oberste Gerichtshof änderte die Urteile der Unterinstanzen dahin ab, daß er das Leistungs- und Feststellungsbegehren abwies.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Frage, ob grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 (1) ASVG. vorliegt, kann jeweils nur nach den Umständen des einzelnen Falles beurteilt werden. Im vorliegenden Falle liegt dem Beklagten im wesentlichen zur Last, daß er sich nicht vor Betätigung des Fußschalters durch einen Blick auf Johann K. davon überzeugte, daß das Auslösen des Preßstempels ohne Gefahr für Johann K. erfolgen könne. Daß nicht ein Stichwort vereinbart wurde, fällt nach der Sachlage neben dieser Unterlassung weniger ins Gewicht. Ähnliches gilt von dem von den Vorinstanzen gleichfalls als beachtlich angesehenen Umstand, daß der Beklagte bei dem gegenständlichen Arbeitsvorgang Johann K. anwies, beim Einrichten des Werkstückes nicht, wie sonst, hinter der Maschine, sondern vor dieser Aufstellung zu nehmen. Denn hatte der Beklagte, wie festgestellt wurde, die Möglichkeit, sich durch einen Blick auf Johann K. davon zu überzeugen, ob er den Fußschalter gefahrlos betätigen könne, dann ist es nicht von entscheidender Bedeutung, daß nicht zusätzlich eine akustische Verständigung vereinbart wurde und daß K. an der Seite der Maschine stand, wo das kürzere Ende der Blechtafel unter dem Preßstempel hervorragte. Daß der Beklagte es unterließ, vor Betätigung des Fußschalters einen Blick auf Johann K. zu werfen, stellt gewiß eine Nachlässigkeit dar. Der Beklagte wurde deshalb auch vom Strafgericht der Übertretung nach § 335 StG. schuldig erkannt. Allein bei der Beurteilung der Frage, ob diese Fahrlässigkeit als eine grobe im Sinne des § 334 (1) ASVG. zu werten ist, darf doch nicht übersehen werden, daß sich der Unfall im Drange der Geschäfte bei Ausübung einer sich mehrfach wiederholenden Tätigkeit ereignete. Es ist in der menschlichen Natur begrundet, daß bei derartigen Tätigkeiten Aufmerksamkeitsfehler unterlaufen können. Ein solcher einmaliger Aufmerksamkeitsfehler im Zuge einer mehr oder minder zur Routine gewordenen Tätigkeit kann nicht allein deshalb als grob fahrlässig bezeichnet werden, weil die Folgen einer solchen Unaufmerksamkeit unter Umständen sehr beträchtlich sein können. Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, daß dem Beklagten eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 (1) ASVG. nicht zur Last fällt, daß es demnach an einer der Voraussetzungen für die Haftung nach dieser Gesetzesstelle mangelt.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Anmerkung

Z38140

Schlagworte

Aufmerksamkeitsfehler, keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334, (1) ASVG., Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 (1) ASVG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1965:0020OB00243.65.0916.000

Dokumentnummer

JJT_19650916_OGH0002_0020OB00243_6500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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