TE Vfgh Beschluss 2001/6/20 G124/00, KI-7/00

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Veröffentlicht am 20.06.2001
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
RAO §9 Abs2
VfGG §48
VfGG §42, §43

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes betreffend Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und eines Antrags auf Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes zwischen OGH und dem Ausschuß einer Rechtsanwaltskammer betreffend den Kauf von Honorarforderungen eines Anwalts durch einen anderen Anwalt; keine rechtliche Betroffenheit mangels Vorliegens eines Kompetenzkonfliktes zwischen Gerichten einerseits und aufgrund fehlender Identität der Sache

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.1. Den Antragstellern - sie betreiben eine Rechtsanwaltskanzlei in Wien - wurde von Rechtsanwalt Dr. Michael V eine Honorarforderung, die ihm aus der Vertretung seiner Mandantin Edith K entstanden war, zum Kauf angeboten. Die Antragsteller wandten sich mit folgendem "Weisungsersuchen" an den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien:

"Sehr geehrter Herr Dr. St,

wir nehmen Bezug auf das heute mit Ihnen geführte Telefonat. Gerne nehmen wir Ihre freundliche Einladung an und legen hiermit schriftlich die mit Ihnen besprochene Rechtsfrage der Kammer zur Beurteilung vor:

Ein befreundeter Kollege hat gegen einen Klienten X eine Forderung. Er bat unsere Kanzlei mit seiner Vertretung bei der außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung. Bislang gab es nur eine Besprechung mit der Gegenseite. Der Kollege ist an uns herangetreten, ob wir Interesse am Ankauf der Forderung hätten, da er einen Liquiditätsengpaß habe. Das Mandatsverhältnis wäre mit dem Forderungsankauf sofort beendet. Die Abrechnung der bereits erbrachten Leistungen erfolgt gesondert vom Forderungsankauf. Der Ankauf erfolgt zu einem geringeren Betrag als das Nominale. Der Kollege hat natürlich über die Werthaftigkeit der Forderung und allfällige Einreden gegen sie einen weitaus umfangreicheren Wissenstand.

Der Anwalt des Klienten X wurde über den möglichen Forderungsankauf in Kenntnis gesetzt. Er hat vorweg erklärt, daß der Forderungsankauf sittenwidrig wäre. Die Befriedigung der an uns abzutretenden Forderung würde er ablehnen.

Dr. O und ich dürfen Sie höflich um Stellungnahme bitten.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

(Es folgt der Name eines der Antragsteller)"

1.2. Das Schreiben wurde von der Abteilung VII des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien wie folgt beantwortet:

"Sehr geehrter Herr Kollege!

Gerne teilen wir zu Ihrer Anfrage folgendes mit: Aus standesrechtlicher Sicht bestehen auf der Grundlage des uns in Ihrer Anfrage vom 31.8.1998 geschilderten Sachverhalts keine Bedenken, sofern selbstverständlich bei der weiteren Geltendmachung der Forderung die disziplinären Regelungen eingehalten werden. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien kann Weisungsanfragen nur aus disziplinärer Sicht beurteilen. Eine zivilrechtliche Beurteilung kann daher nicht vorgenommen werden. Auf §1 Abs1 Z16 BWG wird verwiesen.

Wir hoffen, durch eine schnelle Stellungnahme geholfen zu haben und verbleiben

mit vorzüglicher kollegialer Hochachtung

Wien, am 2. September 1998

DER AUSSCHUSS DER RECHTSANWALTSKAMMER WIEN

Abt. VII"

1.3. Am 2. September 1998 schloß Rechtsanwalt Dr. Michael V mit den Antragstellern eine Zessionsvereinbarung über den Kauf der genannten Honorarforderung ab. In der Folge brachten die Antragsteller beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eine Klage auf Zahlung der Forderung in der Höhe von insgesamt S 2,054.867,64 gegen die vormalige Mandantin des Rechtsanwalts Dr. Michael V, Edith K, ein. Die Klage wurde vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien abgewiesen. Dieses Urteil wurde in der Folge vom Oberlandesgericht Wien bestätigt. Der Revision der Antragsteller "wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung" wurde mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 19. September 2000, GZ 10 Ob 91/00f, keine Folge gegeben. Begründend führte der Oberste Gerichtshof aus, daß die dem Klagebegehren zugrundeliegende Abtretungsvereinbarung nach §879 Abs1 ABGB wegen Verstoßes gegen §9 Abs2 RAO ("anwaltliche Verschwiegenheitspflicht") nichtig sei.

2. Die Antragsteller behaupten nun das Vorliegen eines bejahenden Kompetenzkonfliktes nach Art138 Abs1 B-VG. Es handle sich beim Schreiben der Rechtsanwaltskammer Wien vom 2. September 1998 um eine (verbindliche) Weisung, welcher Bescheidqualität zukomme. Sowohl der Oberste Gerichtshof als auch die Abteilung VII des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien haben über dieselbe Sache - nämlich über die Frage, ob die Veräußerung von Honorarforderungen unter Rechtsanwälten einen Verstoß gegen §9 RAO darstelle - in der Sache (gegensätzlich) entschieden. Es bestehe kein Zweifel darüber, daß auch der Oberste Gerichtshof diese Frage als "Hauptfrage" zu beurteilen hatte.

2.1. Den Einschreitern ist jedoch bewußt, daß der Antragstellung nach Art138 Abs1 B-VG jene Bestimmungen im Abschnitt C des Verfassungsgerichtshofgesetzes (im folgenden: VerfGG) entgegenstehen, die als Voraussetzung für die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes normieren, daß einerseits noch keine rechtskräftige Gerichtsentscheidung vorliege und die anderseits den Parteien nur ein subsidiäres Antragsrecht für den Fall einräumen, daß die Behörden trotz Aufforderung (durch die Parteien) nicht binnen vier Wochen selbst den Antrag stellen. Um im konkreten Fall zur Antragstellung nach Art138 Abs1 B-VG legitimiert zu sein, begehren die Einschreiter gemäß Art140 Abs1 B-VG

"der Verfassungsgerichtshof möge

1. §43 Abs2 VerfGG zur Gänze

2. §43 Abs3 VerfGG zur Gänze oder in eventu nur die Wortfolge 'Lag ein rechtskräftiger Spruch in der Hauptsache noch nicht vor,'

3. §48 VerfGG,

diese jeweils in der Fassung BGBl 1953/85 idF BGBl I 1999/194 bzw. der auf den vorliegenden Antrag gemäß Art138 B-VG anzuwendenden Fassung,

als verfassungswidrig aufheben und den Beschwerdeführern gemäß §27 iVm §65a VerfGG Kostenersatz durch den Bund zuerkennen".

Zur Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen führen die Antragsteller aus:

"§48 VerfGG räumte den Beschwerdeführern (gemeint wohl: Antragstellern) als einzige Möglichkeit ihre Rechte zu wahren ein, den OGH aufzufordern, eine Kompetenzkonfliktanzeige zu erstatten. Erst danach wären sie gemäß §48 VerfGG berechtigt, selbst an den VfGH mit einem Antrag heranzutreten. Hier zeigt sich aber ein verfahrensrechtlicher Denkfehler des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber geht nämlich in §48 VerfGG davon aus, daß die betroffene Partei noch während des Verfahrens davon Kenntnis erlangt, daß in die Kompetenz eines anderen Organes eingegriffen werden soll bzw. zwei Organe in einen Kompetenzkonflikt geraten.

Im vorliegenden Fall bestand aber keine Gleichzeitigkeit der Handlungen von ARAK und OGH. Der DAR (gemeint: Ausschuß der Rechtsanwaltskammer) hat im Jahr 1998 den Beschwerdeführern bestätigt, daß das von ihnen beabsichtigte Rechtsgeschäft standesrechtlich unbedenklich ist. Die Beschwerdeführer gingen daher auch davon aus, daß der OGH in rechtsrichtiger Entscheidung dies beachten werde. Erst mit der Zustellung des Urteils 10 Ob 91/00f mußten die Beschwerdeführer jedoch feststellen, daß der OGH die Zuständigkeit zur Auslegung von §9 Abs2 RAO des ARAK mißachtete. Wohlgemerkt hat der OGH auch den Antrag der Beschwerdeführer auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung abgelehnt ..., in deren Rahmen diese von der bevorstehenden Kompetenzverletzung Kenntnis hätten erlangen können. Damit wurde das Recht der Beschwerdeführer gemäß §48 VerfGG, ein Kompetenzverfahren in Gang zu setzen, praktisch völlig unterlaufen.

Bejaht man bei der vorliegenden, seltenen Verfahrenskonstellation das Recht der Beschwerdeführer, einen Antrag gemäß Art138 B-VG an den VfGH zu richten, würde aber §43 Abs3 VerfGG der Befugnis des VfGH zur Prüfung des OGH-Urteils entgegen stehen, weil mit der Zustellung des OGH-Urteiles dieses rechtskräftig wird und rechtskräftige Gerichtsurteile gemäß §43 Abs3 VerfGG (einfaches Gesetz !!!) nicht mehr nach Art138 B-VG geprüft werden können. Diese Regelung hat in §43 Abs2 VerfGG ihre Wurzeln. ...

§43 Abs2 und Abs3 VerfGG sind verfassungswidrig, weil sie einer Prüfung des OGH-Urteils durch den VfGH entgegen stehen. Somit stehen sie mit dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip in Widerspruch. Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH müssen Rechtsschutzeinrichtungen die Erlangung rechtsrichtiger Entscheidungen ermöglichen und ein Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen (Mayer, B-VG, Anm I.6. zu Art18 B-VG, mwN). Dies gilt auch für die Entscheidung über Kompetenzkonflikte. Dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip wäre im Fall einer Zurückweisung des vorliegenden Antrages nicht entsprochen.

Die Beschwerdeführer hatten keine Möglichkeit den Kompetenzkonflikt vor den VfGH zu bringen. Der OGH hat durch den Eingriff in die Entscheidungskompetenz des ARAK nicht nur in die Eigentumsordnung (zivilrechtliche Privatautonomie) eingegriffen, weil er das Rechtsgeschäft der Beschwerdeführer für wegen vermeintlichem Verstoßes gegen §9 Abs2 RAO für ungültig erklärte, er hat die Beschwerdeführer auch ihrem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG entzogen, weil er die Entscheidung des ARAK nicht anerkannte, sondern selbst einen Verstoß gegen §9 Abs2 RAO feststellte.

Darüber hinaus stellen §43 Abs2 und Abs3 VerfGG auch eine nicht vorgesehene oder sonst aus der Bundesverfassung zwingend ableitbare Einschränkung der Prüfungsbefugnis des VfGH gemäß Art138 B-VG dar.

...

Im übrigen zeigt sich in §43 Abs2 und 3 VerfGG auch ein eklatanter Unterschied in der Behandlung von bejahendem und verneinendem Kompetenzkonflikt. In VfSlg 14.336 = KI-8/94 hat der VfGH nach einer Abtretung an den VwGH, der dann wiederum seine Zuständigkeit durch einen Zurückweisungsbeschluss verneint hatte, nur deshalb nach der geltenden Rechtslage des §43 Abs3 VerfGG durchsetzen können, weil der Zurückweisungsbeschluss des VwGH keine rechtskräftige Entscheidung der Hauptsache darstellt (siehe dazu die Anmerkung von Mayer, wonach der VfGH über Art138 B-VG gegenüber dem VwGH in zahlreichen Fällen seine Ansicht durchsetzen muß, Mayer, B-VG, Anm I.3 zu Art138 B-VG).

Im umgekehrten Fall, daß zufolge einer Parallelbeschwerde an VwGH und VfGH einerseits der VwGH von der Rechtswidrigkeit der Anwendung einer Gesetzesbestimmung, der VfGH andererseits jedoch von deren Verfassungswidrigkeit ausgeht, besteht keine Möglichkeit den bejahenden Konflikt zu entscheiden, weil die Entscheidung des VwGH gemäß §43 Abs2 und 3 VerfGG unangreifbar wäre. Art138 B-VG sieht eine derartige Beschränkung in keiner Weise vor. Ebenso könnte ein bejahender Kompetenzkonflikt von zwei Gerichten wegen der §43 Abs2 und 3 VerfGG nicht gelöst werden, wenn eines der beiden Gerichte in letzter Instanz entscheidet. Die auch im vorliegenden Fall sichtbaren Mängel der gesetzlichen Regelung im VerfGG sind offenkundige Denkfehler der Legisten.

Steht die Verfassungswidrigkeit von §43 Abs2 und 3 VerfGG fest, so läßt sich das in §48 VerfGG normierte Antragsrecht der Beschwerdeführer verfassungskonform dahingehend interpretieren, daß den Beschwerdeführern nach Zustellung des Urteils des OGH eine Frist von vier Wochen zur Stellung eines Antrages beim VfGH gemäß Art138 B-VG offensteht. Da der OGH durch sein Urteil in die Kompetenz des Ausschusses eingreift, gibt er gleichzeitig damit zu erkennen, daß er einen Antrag auf Einleitung eines Kompetenzkonfliktverfahrens ablehnt. Nichts anderes wäre auch geschehen, wenn die Beschwerdeführer in einer wie beantragten mündlichen Verhandlung vor dem OGH den Kompetenzeinwand geltend gemacht hätten und sich der Senat des OGH die Entscheidung über die Einleitung eines Art138 B-VG-Verfahrens beim VfGH für die schriftliche Entscheidungsausfertigung vorbehalten hätte.

Daher wäre der vorliegende Antrag der Beschwerdeführer gemäß Art138 B-VG binnen 4 Wochen ab Zustellung des OGH-Urteils rechtzeitig und zulässig.

Wie der vorliegende Fall zeigt, ist ein Antragsrecht der Parteien nach Zustellung eines Urteils des OGH zur Wahrung des Rechtstaatlichkeitsprinzips geboten.

Folgt man nicht der Ansicht, daß mit Zustellung des OGH-Urteils dieser konkludent die Einleitung eines Kompetenzkonfliktverfahrens abgelehnt hat, sodaß den Beschwerdeführern binnen 4 Wochen nach Zustellung des OGH-Urteils dennoch ein Antragsrecht zusteht, so ist §48 VerfGG ebenso als verfassungswidrig anzusehen. Diesfalls wäre direkt aus Art138 B-VG abgeleitet den Beschwerdeführern ein Recht auf Antragstellung zuzubilligen."

2.2. Gleichzeitig stellen die Einschreiter gemäß Art138 Abs1 B-VG den Antrag auf Entscheidung des bejahenden Kompetenzkonfliktes mit dem Begehren, "der Verfassungsgerichtshof möge gemäß §51 VerfGG das Urteil 10 Ob 91/00f des Obersten Gerichtshofes vom 19. September 2000 insoweit aufheben, als durch dieses Urteil in die Kompetenz der Jurisdiktion des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien eingegriffen wurde".

3. Der Oberste Gerichtshof legte die Gerichtsakten vor, erstattete jedoch keine Äußerung.

4. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien legte die Verwaltungsakten vor und gab zum Antragsvorbringen eine Stellungnahme ab, worin er das Vorliegen eines positiven Kompetenzkonfliktes bestreitet: Die Anfragebeantwortung der Abteilung VII des Ausschusses vom 2. September 1998 stelle "keine rechtskraftfähige bindende standesrechtliche Anordnung" dar. Es handle sich dabei bloß um "eine generelle ex ante vorgenommene standesrechtliche Beurteilung auf Grundlage eines abstrakt geschilderten Sachverhaltes".

5. Die zur Stellungnahme eingeladene Bundesregierung erstattete ebenfalls eine Äußerung, in der sie zur Zulässigkeit des Individualantrages nach Art140 Abs1 B-VG die Auffassung vertritt, daß die Antragsteller durch die Regelungen des §43 VerfGG nicht aktuell in ihrer Rechtssphäre betroffen sein können, weil diese Bestimmung nur bei Kompetenzkonflikten in den Fällen des Art138 Abs1 litb B-VG Anwendung findet, nicht aber im hier vorliegenden Fall eines Kompetenzkonfliktes zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde gemäß Art138 Abs1 lita B-VG. §48 VerfGG sei (bei isolierter Betrachtung) nicht "Sitz der von den Antragstellern behaupteten Verfassungswidrigkeit". Die Antragslegitimation fehle den Einschreitern aber auch deshalb, weil der Oberste Gerichtshof die Frage, ob die in Rede stehende Forderungsabtretung mit §9 Abs2 RAO im Einklang steht, als Vorfrage iS der §§190 und 191 ZPO zu beurteilen hatte. Damit liege aber keine "Identität der Sache" vor und könne daher auch kein bejahender Kompetenzkonflikt angenommen werden.

6. Die Antragsteller verteidigen in einer Replik zur Stellungnahme der Bundesregierung ihre ursprüngliche Antragsbegründung, "erweitern" bzw. "ändern" aber gleichzeitig ihren Antrag "gemäß Art140 Abs1 B-VG iVm. §35 VerfGG und §235 Abs1-3 ZPO" indem sie nunmehr ua. auch das Begehren stellen, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. §42 Abs1 VerfGG (i) zur Gänze in eventu,

(ii) die Wortfolge ',kann nur so lange

gestellt werden, als nicht in der Hauptsache ein rechtskräftiger

Spruch gefällt ist' in eventu,

(iii) die Wortfolgen 'nur so lange' und

', als nicht in der Hauptsache ein

rechtskräftiger Spruch gefällt ist',

2. §42 Abs2 VerfGG die Wortfolgen 'von der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde des Bundes oder eines Landes' sowie 'diese Behörde' und 'amtlich' ... als verfassungswidrig aufheben ... ."

II. 1. Der (Individual-)Antrag gemäß Art140 Abs1 B-VG erweist sich als nicht zulässig:

1.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985, 11730/1988).

Für die Beurteilung der Frage, ob das angefochtene Gesetz sich auf die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig auswirkt, ist nach dieser Rechtsprechung nicht dessen subjektive Auffassung entscheidend. Es kommt vielmehr darauf an, ob bei verständiger Würdigung der konkreten Umstände nach allgemeiner Auffassung die durch das Gesetz bewirkte Änderung der Rechtsposition des Antragstellers als eine für ihn nachteilige anzusehen ist (VfSlg. 11765/1988). Ein für die Antragslegitimation unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers ist aber jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser durch Art und Ausmaß durch das Gesetz eindeutig bestimmt ist und die rechtlich geschützten Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden.

1.2. Da es sich beim Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien um eine Verwaltungsbehörde handelt, könnte es sich hier - wie die Bundesregierung zutreffend ausführt - denkbar nur um einen in Art138 Abs1 lita B-VG iVm. §42 VerfGG geregelten bejahenden Kompetenzkonflikt zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde handeln.

Da im (ursprünglichen) Antrag aber Teile des §43 VerfGG angefochten wurden (wobei diese Bestimmung lediglich Regelungen für - hier offenkundig nicht vorliegende - Kompetenzkonflikte zwischen Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof, zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und allen anderen Gerichten und zwischen ordentlichen Gerichten und anderen Gerichten trifft) mangelt es daher (schon aus diesem Grund) an der Prozeßvoraussetzung der aktuellen unmittelbaren Betroffenheit der Antragsteller durch die bekämpfte Vorschrift.

1.3. Selbst dann, wenn die mit Schriftsatz vom 13. Februar 2001 beim Verfassungsgerichtshof eingelangte "Antragserweiterung" für den Verfassungsgerichtshof insofern maßgeblich wäre, als sie in seine Prüfung miteinzubeziehen wäre (vgl. aber die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Unzulässigkeit einer Antragsänderung, "die auf einen Austausch des Prüfungsgegenstandes hinausläuft" in VfSlg. 13398/1993, 13794/1994, 15021/1997), könnten sich die diesfalls angefochtenen Bestimmungen auf die Rechtssphäre der Antragsteller (schon) deshalb nicht negativ auswirken, weil hier begrifflich nicht von einem (bejahenden) Kompetenzkonflikt, wie er (inhaltlich) von Art138 Abs1 B-VG vorausgesetzt wird (vgl. dazu bereits Ermacora, Der Verfassungsgerichtshof (1956), 117), gesprochen werden kann:

Der Verfassungsgerichtshof ist in den grundlegenden Erkenntnissen VfSlg. 1341/1930 und 1351/1930 davon ausgegangen, daß ein bejahender Kompetenzkonflikt zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde stets nur dadurch entsteht, daß beide Behörden die Entscheidung in derselben Sache für sich in Anspruch genommen oder in der Sache selbst entschieden haben. Es dürfe daher auch die Überschreitung der Zuständigkeit durch eine der beiden Behörden stets nur aus der Tatsache abgeleitet werden, daß diese Behörde ihre Zuständigkeit überhaupt in Anspruch genommen oder daß sie aufgrund dieser zu Unrecht erfolgten Inanspruchnahme der Zuständigkeit eine Entscheidung überhaupt getroffen hat. Die Frage, wie diese Entscheidung inhaltlich lautet, könne nicht zu einem Verfahren nach §42 Abs1 VerfGG führen. Der Verfassungsgerichtshof ging im Erkenntnis VfSlg. 1341/1930 davon aus, daß der Begriff der "Sache" ein prozessualer Begriff sei, der in Übereinstimmung mit den das Verwaltungs- und das gerichtliche Verfahren regelnden prozessualen Vorschriften auszulegen sei. Eine Frage, die für die Entscheidung einer bestimmten Behörde in einer bestimmten Sache lediglich eine Vorfrage bilde, die aber ihrerseits nach der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung nicht von dieser gleichen, sondern nur von einer anderen Behörde selbständig entschieden werden könne, eine solche Vorfrage bilde für die erkennende Behörde nicht eine "Sache" iS der ZPO und des AVG, weil "Sache" iS dieser Verfahrensvorschriften stets nur die Angelegenheit bilden könne, die einer Entscheidung im prozeßrechtlichen Sinn durch den Spruch des Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde zugeführt werden solle oder zugeführt worden sei. Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung, welche er mit den Erkenntnissen VfSlg. 1720/1948, 2899/1955 und 9060/1981 fortgesetzt hat, abzugehen.

Ungeachtet der Frage, ob hier tatsächlich eine bescheidförmige Erledigung des Weisungsersuchens vorliegt, hatte der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien als Hauptfrage darüber zu befinden, ob der Kauf der Honorarforderung gegen Standespflichten - etwa gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht in §9 Abs2 RAO - verstößt. Demgegenüber hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob das Begehren der Antragsteller auf Zahlung der durch Zession an die Antragsteller übertragenen Honorarforderung gegen Edith K in der Höhe von S 2,054.087,64 zu Recht besteht. Die Frage, ob der Kauf der Honorarforderung gegen §9 Abs2 RAO verstößt - was bejahendenfalls die Nichtigkeit der Abtretungsvereinbarung zur Folge hat (§879 Abs1 ABGB) - bildet für das Gericht lediglich eine Vorfrage. Nach der dargelegten ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann daher mangels Identität der Sache kein Kompetenzkonflikt iS des Art138 Abs1 lita B-VG vorliegen und können die Antragsteller durch Vorschriften des Abschnittes C ("Bei Entscheidungen in Kompetenzfragen") des VerfGG nicht aktuell in ihrer Rechtssphäre betroffen sein.

1.4. Der gemäß Art140 Abs1 B-VG gestellte Antrag war daher mangels Legitimation der Antragsteller zurückzuweisen.

III. Da - wie unter Punkt II.1.3. näher dargelegt - mangels Identität der Sache schon begrifflich kein Kompetenzkonflikt iS des Art138 Abs1 B-VG vorliegt, sowie aufgrund des Umstandes, daß es den Antragstellern (bereits) wegen Zurückweisung des Individualantrages (weiterhin) an der Antragslegitimation gemäß Art138 Abs1 lita B-VG iVm. §§42 und 48 VerfGG 1953 mangelt, war auch ihr Antrag auf Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes als unzulässig zurückzuweisen.

IV. Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ("Mangels der Legitimation") und §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ("offenbare Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes") in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte Berufsrecht, VfGH / Antrag, VfGH / Individualantrag, VfGH / Kompetenzkonflikt, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G124.2000

Dokumentnummer

JFT_09989380_00G00124_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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