TE OGH 1969/2/20 1Ob31/69

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Veröffentlicht am 20.02.1969
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Norm

ABGB §936
ABGB §1072
ABGB §1079

Kopf

SZ 42/31

Spruch

Auf einen Vormietrechtsvertrag ist die clausula rebus sic stantibus anwendbar.

Entscheidung vom 20. Februar 1969, 1 Ob 31/69.

I. Instanz: Bezirksgericht Favoriten; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die klagende Partei behauptet, sie habe mit der Beklagten am 6. Juli 1961 einen Mietvertrag über ein in Wien 10. befindliches Geschäftslokal (Gassenverkaufslokal) samt Nebenräumen abgeschlossen. Im Hinblick auf den bevorstehenden Abbruch des Gebäudes habe sich die Klägerin verpflichtet, das Lokal zu räumen. Anderseits habe die Beklagte die Verpflichtung übernommen, spätestens nach Fertigstellung des Rohbaues der Klägerin alle Lokale oder zumindest ein gleichartiges im Neubau anzubieten. Der Rohbau sei nunmehr fertiggestellt. Die Beklagte habe aber die Anbietung eines Lokals mit der Begründung abgelehnt, daß sie das Haus verkauft habe. Die Klägerin habe durch die Weigerung der Beklagten, ihr im Neubau ein Lokal zur Verfügung zu stellen, einen Schaden erlitten, weil sie aus dem Betriebe eines Parfümerie-, Drogerie- und Haushaltsartikelgeschäftes, das sie in diesem Lokale eröffnet hätte, bisher einen Gewinn von mindestens 50.000 S erzielt hätte.

Gestützt auf diesen Sachverhalt beantragte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten, ihr im Neubau ein Gassenlokal mit 25 m2 Bodenfläche samt einem Nebenraum mit zirka 15 m2 Bodenfläche zur Miete zu ortsüblichen Bedingungen anzubieten. Überdies stellte sie noch zwei Eventualbegehren.

Das Erstgericht wies das Haupt- und die beiden Eventualbegehren ab. Seine Entscheidung beruht im wesentlichen auf folgenden Feststellungen:

Mit Mietvertrag vom 6. Juli 1961 habe die Beklagte als Alleineigentümerin des Hauses der Klägerin das erste vom Hauseingang links gelegene Geschäft, bestehend aus einem Verkaufslokal mit zirka 25 m2 Bodenfläche und einem Nebenraum mit zirka 15 m2 Bodenfläche samt Mitbenützungsrecht für das zu diesen Räumen gehörige Klosett gegen einen monatlichen Mietzins von 500 S wertgesichert vermietet. Gemäß Punkt V des Mietvertrages sei die Klägerin berechtigt, an der Außenfront des Lokals ein Firmenschild und Werbeschilder anderer Art gegen Bezahlung von 1000 S monatlich wertgesichert anzubringen. Nach Punkt VI sei das Mietverhältnis bis zum 31. Dezember 1962 abgeschlossen worden, weil die Vermieterin beabsichtige, das Haus abzureißen und an dessen Stelle ein neues Geschäfts- und Wohnhaus zu errichten. Falls sich für die Vermieterin eine Veränderung des Termins für den Beginn der Abbruchsarbeiten ergeben sollte, solle der Mietvertrag bis zu jenem Tage weitergelten, den die Vermieterin bestimme. Von diesem Tage aber an gerechnet, müßten innerhalb von drei Monaten die Abbruchsarbeiten beginnen, widrigenfalls die Vermieterin der Mieterin insoferne schadenersatzpflichtig werde, als durch verfrühte Festsetzung dieses Tages durch die Vermieterin der Mieterin ein Verdienstentgang aus der verfrühten Räumung des Bestandgegenstandes entstanden sei. Dadurch solle sichergestellt werden, daß die Vermieterin ab 1. Jänner 1963 jederzeit das Haus abreißen und durch einen Neubau ersetzen könne, die Mieterin aber tatsächlich erst dann räumen müsse, wenn spätestens in drei Monaten darnach wirklich mit den Abbruchsarbeiten begonnen werde. Im Punkt VII habe sich die Beklagte verpflichtet, spätestens nach Fertigstellung des Rohbaues alle - oder nach ihrer Wahl - mindestens ein gleichartiges oder ähnliches Lokal wie das vertragsgegenständliche zu denselben Bedingungen wie irgendwelchen anderen Interessenten der Klägerin zur Miete anzubieten. Erst wenn die Mieterin nicht innerhalb von vier Wochen auf dieses Anbot eingehe, sei die Vermieterin zur Vergabe des Lokals an irgendwelche Dritte berechtigt. Als Gegenleistung hiefür habe die Klägerin den erhöhten Pauschalzins von 500 S und eine weitere verdeckte Zinszahlung von monatlich 1000 S für die Anbringung von Werbeschildern gezahlt und sich verpflichtet, bei Bedarf freiwillig zu räumen. Schon bei der Besprechung im Juni 1961 zwischen dem Vertreter der Klägerin und der Beklagten sei die Klägerin davon in Kenntnis gesetzt worden, daß die Beklagte die Absicht habe, das gegenständliche Haus abzureißen und an dessen Stelle teils aus Eigenmitteln, teils mit öffentlichem Kredit einen sechsstöckigen Neubau bestehend aus Wohnungen und Geschäftslokalen, zu errichten. Die Beklagte habe erklärt, über genügend Geldmittel zu verfügen. Die Kosten des Neubaues seien mit 4.000.000 S veranschlagt worden. Damals seien Entwürfe der Baupläne vorgewiesen worden; auch sei ganz allgemein darüber gesprochen worden, daß die Klägerin im Neubau eine ortsübliche Miete zu bezahlen haben werde. Der Inhaber der klagenden Firma habe der Beklagten angeboten, sich am Neubau finanziell zu beteiligen. Die Beklagte habe dies mit dem Hinweis, daß sie über genügend Geldmittel verfüge, abgelehnt. Darüber, daß Punkt VI nur für den Fall gelten sollte, daß die Beklagte selbst baue, sei nicht gesprochen worden. Bei einer zweiten Besprechung zwischen den Streitteilen seien schon die fertigen Baupläne für das Erdgeschoß des Neubaues gezeigt worden. Im Juni 1961 habe die Beklagte über Eigenmittel von zirka 1.500.000 S verfügt. Der Baumeister Otto R. habe der Beklagten zugesichert, daß die zum Neubau fehlenden Mittel durch öffentliche Kredite aufgebracht werden würden. Der behördliche Abbruchsauftrag sei im Jahre 1963 ergangen, doch habe der Abbruch erst etwa Mitte 1965 beginnen können. In der Zwischenzeit habe die Beklagte an Steuernachzahlungen bis Ende 1963 etwa 1.200.000 S gezahlt und somit ihre Eigenmittel nahezu erschöpft. Es sei auch im Zeitpunkt der Räumung (1965) ein öffentlicher Kredit zu einem verbilligten Zinsfuß nicht mehr zu erhalten gewesen. Schließlich hätten sich die Baukosten gegenüber dem Jahre 1961 um etwa 1.000.000 S erhöht. Es sei auch im Jahr 1965 der ursprünglich geplante Wohnhausbau mit Geschäftslokalen im Parterre nicht mehr so rentabel wie im Jahre 1961 erschienen. Die Beklagte habe ihr Projekt fallen gelassen und beschlossen, die Liegenschaft zu verkaufen. Sie habe ihre Absicht auch der Klägerin mitgeteilt. Im Sommer 1966 sei dann die Liegenschaft von Karl V. gekauft und darauf ein Geschäftshaus errichtet worden. Mit Schreiben vom 16. September 1966 habe die Klägerin bei Karl V. angefragt, unter welchen Bedingungen er bereit wäre, ihr ein Ersatzlokal anzubieten. Mit Schreiben vom 19. September 1966 habe Karl V. geantwortet, daß ihm bei Abschluß des Kaufvertrages weder Verpflichtungen der Beklagten gegenüber der Klägerin bekannt gewesen seien, daß er solche auch nicht übernommen habe und es daher ablehne, ein Lokal zur Miete anzubieten.

In rechtlicher Beziehung meint das Erstgericht, daß der Beklagten infolge wesentlicher Änderung der Umstände die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses nicht zugemutet werden könnte. Die Weiterveräußerung der Liegenschaft sei vertraglich nicht verboten, eine Überbindung der von der Beklagten übernommenen Verpflichtungen gegenüber der Klägerin am den Käufer der Liegenschaft sei nicht vereinbart worden.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Hauptbegehrens und des ersten Eventualbegehrens, hob jedoch im übrigen das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Sache im Umfange der Aufhebung zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht sprach aus, daß das Verfahren erst nach Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen sei.

Das Berufungsgericht begrundete seinen Beschluß wie folgt:

Die Zuhaltung der von der Beklagten im Punkt VII des Mietvertrags übernommenen Verpflichtung, der Klägerin nach Fertigstellung des Rohbaues ein Geschäftslokal anzubieten, sei durch die Veräußerung des Grundstücks und die Weigerung des neuen Eigentümers, die Klägerin als Mieter anzunehmen, endgültig vereitelt worden (§ 1447 ABGB.). Die Beklagte sei aber wegen verschuldeter Erfüllungsvereitelung zum Schadenersatz verpflichtet. Es könne die Beklagte nicht entschuldigen, daß ihr die nötigen Geldmittel zur Errichtung des Neubaues gefehlt hätten. Die Preissteigerung im Baugewerbe sei nicht unvorhersehbar gewesen. Die Beklagte hätte sich auch durch Nachfrage beim zuständigen Finanzamt wegen etwa vorhandener Steuerschulden ihres schon im Jahre 1958 verstorbenen Vaters erkundigen können. Auch durch eine Überbindung ihrer Verpflichtungen an den Erwerber der Liegenschaft hätte sie zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen beitragen können. Es wäre auch eine Mitfinanzierung durch die klagende Partei in Erwägung zu ziehen gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der Beklagten Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht ging bei seiner rechtlichen Beurteilung ohne nähere Begründung davon aus, daß die Beklagte im Vertrag vom, 6. Juli 1961 gegenüber der Klägerin die Verpflichtung übernommen habe, nach Abbruch ihres Hauses ein neues Geschäfts- und Wohnhaus zu errichten. Das Erstgericht stellte fest, daß bei Abschluß des Mietvertrages beide Parteien der Meinung waren, daß die Beklagte selbst einen Neubau werde errichten lassen; die Übernahme einer Verpflichtung der Beklagten gegenüber der Klägerin zur Errichtung eines Neubaues wurde vom Erstgericht nicht festgestellt. Eine solche Verpflichtung ist auch dem Mietvertrag nicht unmittelbar zu entnehmen. Dieser enthält in Punkt VI nur die Feststellung, daß die Vermieterin, die jetzige Beklagte, beabsichtige, das gegenständliche Haus abzureißen und an dessen Stelle ein neues Geschäfts- und Wohnhaus zu errichten. Ausdrücklich wird im letzten Absatz des Punktes VI noch festgehalten: "Die Vermieterin ist mit Ausnahme der vorerwähnten Bedingungen und der Bestimmung, daß sie die Ankündigung der Beendigung des Mietverhältnisses im Falle der Überschreitung des Zeitraums bis zum 31. Dezember 1962 zwei Monate vor dem Räumungstag mittels eingeschriebenen Briefes an die Mieterin durchzuführen hat, an keinerlei andere Bestimmungen, Vereinbarungen oder gesetzliche Regelungen gebunden". Die Frage, ob die Beklagte eine bindende Verpflichtung gegenüber der Klägerin übernommen hat, einen Neubau zu errichten und hierin der Klägerin ein Geschäftslokal anzubieten, braucht aber aus den folgenden Gründen nicht weiter geprüft werden.

Die Parteien waren bei Abschluß des Mietvertrages übereinstimmend der Meinung, die Beklagte werde den Neubau selbst errichten lassen, wofür ihr damals Eigenmittel von 1.5 Millionen Schilling zur Verfügung standen. Für die damals mit 4 Millionen Schilling veranschlagten Baukosten war im übrigen die Aufnahme eines öffentlichen Kredites zu einem verbilligten Zinsfuß in Aussicht genommen.

Auf das im Punkt VII des Mietvertrags vereinbarte Vormietrecht (§ 1072 ABGB.) ist jedenfalls, gleichviel ob es als Vorvertrag oder als Option aufzufassen ist, die clausula rebus sic stantibus des § 936 ABGB. anzuwenden (vgl. Gschnitzer in Klang[2] IV/1 S. 571). Feststeht, daß die Parteien bei Abschluß des Mietvertrages von unrichtigen Voraussetzungen über die Finanzierungsmöglichkeiten des Neubaus, bei dessen Errichtung die Beklagte von vorne herein die Mitbeteiligung anderer Interessenten abgelehnt hatte, ausgegangen sind. Die von der Beklagten im Jahr 1961 keineswegs voraussehbare Änderung der Finanzierungsmöglichkeiten des Baues im Jahre 1965 löste daher den Vertrag über das Vormietrecht auf (vgl. Gschnitzer a. a. O. S. 577, 578).

Eine Überbindung der Anbietungspflicht der Beklagten auf den Käufer ihrer Liegenschaft kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte eine Verpflichtung nur unter der Voraussetzung übernommen hatte, daß sie selber bauen werde, nicht auch dann, wenn sie zur Veräußerung des Grundstücks schreiten würde. Da aber der Vormietvertrag infolge Änderung der Umstände aufgelöst wurde, hat die Beklagte keine Rechtspflicht verletzt, wenn sie über ihr Eigentum frei verfügte.

Das in Punkt VII vereinbarte Vormietrecht ist also nicht wirksam geworden, sodaß auch ein Schadenersatzanspruch nach § 1079 ABGB. nicht besteht.

Anmerkung

Z42031

Schlagworte

clausula rebus sic stantibus, Anwendung auf Vormietrecht, Vormietrecht, Anwendung der clausula rebus sic stantibus

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1969:0010OB00031.69.0220.000

Dokumentnummer

JJT_19690220_OGH0002_0010OB00031_6900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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