TE OGH 1971/12/9 1Ob310/71

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Veröffentlicht am 09.12.1971
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Norm

ABGB §178
Außerstreitgesetz §1

Kopf

SZ 44/184

Spruch

Das Gericht hat Verfügungen im Sinne des § 178 ABGB auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle immer zu treffen, wenn es das Wohl des Kindes erfordert

OGH 9. 12. 1971, 1 Ob 310/71 (LG Salzburg 8 R 378/71; BG Hallein P 87/66)

Text

Die beiden mj Kinder Sylvia (geboren am 15. 5. 1957) und Barbara (geboren am 8. 10. 1958) stammen aus der Ehe des Ernst O und dessen Frau Theresia. Die Ehegatten wohnen zwar noch im gemeinsamen Haushalt, doch hat die Kindesmutter im November 1969 die Ehescheidungsklage eingebracht, der sich ihr Gatte widersetzt. Das Verfahren ist noch anhängig. Mit der Begründung, daß es zwischen den Ehegatten laufend zu unerquicklichen und häßlichen Szenen komme, unter denen die Kinder sehr leiden, stellte die Kindesmutter am 15. 12. 1970 den Antrag, die beiden Kinder für die Dauer des Ehescheidungsstreites bei den mütterlichen Großeltern in K unterzubringen. Der Vater hat sich gegen diesen Antrag ausgesprochen.

Der Erstrichter ordnete, nachdem die Bezirkshauptmannschaft M auf Grund eines Erhebungsberichtes mitgeteilt hatte, daß die Aufnahme der beiden Kinder im Hause der Großeltern nur vorübergehend möglich wäre, und die Bezirkshauptmannschaft H einen Bericht dahin erstattet hatte, daß den Kindern unter den gegenwärtigen Umständen das Lernen schwerfalle, der Schulerfolg bei weitem nicht so gut sei, wie er bei der Intelligenz der beiden Minderjährigen erwartet werden könnte, die Lehrer aber einhellig dringend von einer Umschulung abrieten, zudem sich das "Marienheim" H bereit erklärt hatte, die Kinder mit Schulbeginn 1971 im Heim aufzunehmen, und nachdem die Kindesmutter ihren Antrag entsprechend abgeändert hatte, mit Beschluß vom 14. 6. 1971, die Unterbringung der beiden Kinder im "Marienheim", dem Internat der Schulschwestern, mit Beginn des Schuljahres 1971/72 an.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Erstrichter aus, daß das Verhältnis der Kindeseltern seit vielen Jahren tiefgreifend zerrüttet sei und die Wiederherstellung eines normalen Eheverhältnisses voraussichtlich nicht mehr möglich sein werde. Die Kinder hätten besonders unter den laufenden Streitigkeiten der Eltern, zwischen denen es auch wiederholt zu gegenseitigen Mißhandlungen gekommen sei, zu leiden; beide Kinder hätten auch übereinstimmend erklärt, von zu Hause wegzuwollen und seien mit einer Unterbringung im Internat der Schulschwestern einverstanden. Aus der Aussage der Kinder gehe klar hervor, daß die Behauptung ihres Vaters, es habe in der letzten Zeit zwischen den Eltern keine Auseinandersetzungen gegeben, unrichtig sei. Es komme nach wie vor fast täglich zu lautstarken Streitigkeiten, durch welche die Kinder sehr beeinträchtigt würden. Auch die Behauptung des Vaters, er mache mit den Kindern jeden dienstfreien Sonntag Ausflüge, sei durch deren Aussage widerlegt. Das Bezirksjugendamt H, das gemäß § 24 JWG zum Antrag der Mutter gehört worden sei, habe sich ebenfalls für die Unterbringung im "Marienheim" ausgesprochen, weil so die Kinder einerseits dem Bereiche der ständigen elterlichen Auseinandersetzungen entrinnen, andererseits aber das Gymnasium weiter besuchen könnten. Die Unterbringung der Kinder in diesem Heim liege daher in deren Interesse und diene ihrem Wohl.

Das Rekursgericht änderte die erstrichterliche Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Antrages ab. Es führte im wesentlichen aus, die Mutter habe im Dezember 1969 die Ehescheidungsklage, gestützt auf Mißhandlungen und Bedrohungen durch ihren Gatten und Vater der beiden Minderjährigen, eingebracht. Auf diese Behauptungen habe sie auch einen Antrag auf Bewilligung des abgesonderten Wohnortes und einstweiligen Unterhaltes gestützt, doch seien diese Anträge in beiden Instanzen abgewiesen worden. Der Scheidungsrichter habe zwar festgestellt, daß es im November und Dezember 1969 zwischen den Streitteilen zu Tätlichkeiten gekommen sei, die mit leichten Verletzungen der Ehefrau geendet haben, doch habe er diese Vorfälle nicht als sehr bedeutend gefunden; er sei zur Überzeugung gelangt, daß diese Tätlichkeiten weitgehend durch das Verhalten der Ehefrau veranlaßt worden seien. Im Scheidungsverfahren habe das Gericht seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, daß der Ehefrau keine Übergriffe ihres Mannes mehr drohten, er vielmehr nur auf der Fortführung eines geordneten Familienlebens bestehe. Diese Erwartung habe sich allerdings nicht erfüllt, der Ehemann habe später vom Strafrichter einen strengen Verweis erhalten, weil er seine Frau im Februar und im März 1970 neuerlich mißhandelt habe. Aber auch nach diesen Vorfällen sei es der Ehefrau nicht gelungen, für sich das Recht auf einen abgesonderten Wohnort zu erlangen. Es habe sich nämlich herausgestellt, daß es zu dem ersten Vorfall wegen der ehewidrigen und ehebrecherischen Beziehungen der Ehefrau zu einem anderen Mann gekommen sei. Den zweiten Vorfall habe die Ehefrau dadurch veranlaßt, daß sie ihr Ehebett aus dem gemeinsamen Schlafzimmer entfernen wollte. Das OLG Linz habe in seiner Entscheidung im Ehescheidungsstreit ausgeführt, es sei offenbar allein auf das grob ehewidrige Verhalten der Klägerin zurückzuführen, wenn das häusliche Verhältnis getrübt und unter Umständen sogar unheilbar zerrüttet sei. Das Rekursgericht stellte ferner aus dem Ehescheidungsakt fest, daß die Kindesmutter in der Zeit vom 12. bis 22. 8. 1969 gemeinsam mit dem erwähnten Mann in einem Zweibettzimmer genächtigt und in einem Brief an ihre Mutter die Gründe dargelegt habe, weshalb sie aus der Ehe strebe, und daß sie sich erst jetzt (mit dem anderen Mann) richtig glücklich fühle. Im Juni 1971 habe die Klägerin die Fortsetzung des gemäß § 191 ZPO unterbrochenen Ehescheidungsverfahrens beantragt, doch sei am 26. 7. 1971 zwischen den Parteien Ruhen des Verfahrens vereinbart worden. Wenngleich der Kindesvater in der Vergangenheit gewiß manches nicht richtig gemacht habe, sei er es, der heute die Ehe retten und damit den Kindern die Geborgenheit einer Familie erhalten und sie vor dem Schicksal von Kindern geschiedener Eltern bewahren wolle. Wenn die Ehegatten heute noch etwas, wenigstens äußerlich, zusammenhalte, so sei es die häusliche Gemeinschaft mit den Kindern, deren Anwesenheit gewiß auch besänftigend auf beide Ehegatten wirke. Gelänge es der Mutter, die auf eine Beendigung der Ehe hinwirke, die Kinder aus dem Hause zu bringen, wäre die Ehe wohl endgültig als gescheitert anzusehen. Daß dies aber dem Wohl der Kinder abträglich wäre, brauche nicht begrundet zu werden. Das Rekursgericht vermeine daher, daß - auch im Interesse der Kinder - alle Bemühungen des Vaters, die Ehe noch zu retten, unterstützt werden müßten. Daß der Vater neben all dem, was ihm seine Frau durch ihre Beziehungen zu einem anderen Mann angetan habe, nun auch noch auf die Gemeinschaft mit den Kindern verzichten solle, wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn es zum Wohl der Kinder unbedingt notwendig wäre. Das Rekursgericht halte es für wahrscheinlich, daß gerade dieses Verfahren den Vater in Hinkunft dazu bewegen werde, die Streitigkeiten daheim einzustellen. So müsse das Wohl der Kinder durch das Verbleiben bei den Eltern nicht unbedingt beeinträchtigt werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Mutter der Minderjährigen Folge und änderte den zweitinstanzlichen Beschluß dahin ab, daß der Beschluß der Erstrichters wiederhergestellt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Grundsätzlich kann das Gericht nicht nur in den Fällen des § 178 ABGB einschreiten, sondern immer dann, wenn es das Wohl des Kindes erfordert (siehe hiezu 1 Ob 129/56 EvBl 1956/185 = RiZ 1956, 123 und die dort zitierte Judikatur). Dies wird immer dann der Fall sein, wenn durch das Verhalten eines oder beider Elternteile eine Schädigung oder Gefährdung des leiblichen, geistigen oder sittlichen Wohles des Kindes zu befürchten ist (siehe hiezu Wentzel - Plessl in Klang[2] I/2, 243). Daß aber ein Verhalten, wie Zwistigkeiten der Eltern untereinander, die laufend zu wechselseitigen Beschimpfungen und Tätlichkeiten vor Kindern dieses Alters führen, ihrer Erziehung abträglich ist, bedarf wohl keiner weiteren Begründung (siehe auch hiezu Wentzel - Plessl aaO, 244, SZ 26/114).

Das Rekursgericht hat nun seinen abweislichen Beschluß im wesentlichen damit begrundet, daß bei Unterbringung der Kinder in einem Internat die Ehe der Kindeseltern wohl als endgültig gescheitert angesehen werden müsse, was aber - auch im Interesse der Kinder - nach Möglichkeit doch vermieden werden müsse, wenngleich nicht viel Hoffnung bestehe, die Ehe noch zu retten.

Dem Rekursgericht ist selbstverständlich darin zu folgen, daß die Scheidung der Ehe der Eltern ein Übel für die Kinder ist. Im vorliegenden Fall ist die Hoffnung auf eine Rettung der Ehe und eine alsbaldige Wiederherstellung eines ruhigen Familienlebens aber so gering, daß darauf nicht mehr gebaut werden kann. Gerade aus den Ausführungen des Gerichtes zweiter Instanz ergibt sich, daß die Kindesmutter unter allen Umständen bestrebt ist, aus ihrer Ehe herauszukommen. Dies ergibt sich insbesondere aus ihrem in der Rekursentscheidung zum Teil wörtlich wiedergegebenen Brief an ihre Mutter. Wenn es nun im Zuge des Ehescheidungsverfahrens und auch schon vorher zwischen den Ehegatten wiederholt und zum großen Teil vor den Kindern zu gegenseitigen schweren Beschimpfungen und tätlichen Auseinandersetzungen gekommen ist, die sogar gegen beide Elternteile Strafverfahren nach sich gezogen haben, dann kann es keinem Zweifel unterliegen, daß diese Vorkommnisse eine schwere seelische Belastung für die Kinder darstellen, die sich für ihre zukünftige Entwicklung nur abträglich auswirken kann und offenbar auch schon ausgewirkt hat. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Diskrepanz zwischen der Intelligenz der Kinder und ihrem mehr oder weniger schlechten schulischen Erfolg verwiesen. Diese gegenseitigen Beschimpfungen und Tätlichkeiten der Eltern untereinander vor den Kindern, gleichgültig, von wem sie ausgegangen sein mögen und wer hiezu Anlaß gegeben hat, lassen einen Mißbrauch des den Eltern eingeräumten Erziehungsrechtes erkennen, gegen welchen Mißbrauch im Wege des § 178 ABGB Abhilfe geschaffen werden kann und muß.

Bedenkt man, daß sich die beiden Mädchen in einem kritischen Alter (13 und 15 Jahre) der Entwicklung befinden, die gerade jetzt erforderliche liebe- und verständnisvolle Betreuung aber nicht finden, insbesondere auch weil die Mutter ihren Kopf offenbar bei anderen Dingen hat, und zieht man ferner in Erwägung, daß beide Kinder übereinstimmend aus dem für sie offenbar unerträglichen häuslichen Milieu herauswollen - gewiß ein trauriges Zeichen für das Elternhaus - dann steht ihre vorläufige Unterbringung im Internat der Schulschwestern, also in einer ihrer Entwicklung nicht abträglichen Umgebung, von wo sie ohne Umschulung auch weiterhin das Gymnasium besuchen können, durchaus im Einklang mit dem Grundsatz, daß die Entscheidungen in Pflegschaftssachen ausschließlich dem Wohl der Kinder zu dienen haben. Sollte es im vorliegenden Fall zum endgültigen Scheitern der Ehe kommen, muß darin das kleinere Übel für die Kinder erblickt werden.

Es war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses der erstrichterliche Beschluß wiederherzustellen.

Anmerkung

Z44184

Schlagworte

Heimerziehung, Wohl des Kindes, Verfügung nach § 178 ABGB, Wohl des Kindes, Wohl des Kindes, Heimerziehung, Wohl des Kindes, Verfügung nach § 178 ABGB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1971:0010OB00310.71.1209.000

Dokumentnummer

JJT_19711209_OGH0002_0010OB00310_7100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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