TE OGH 1973/5/23 1Ob71/73

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Veröffentlicht am 23.05.1973
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Norm

ABGB §879
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb §1

Kopf

SZ 46/54

Spruch

Wenn durch Nichtkontrahierung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt werden würde, besteht die Rechtspflicht zur Schadensverhütung durch Kontrahierung. Der zum Vertragsabschluß Verhaltene verletzt seine Verpflichtung erst dann, wenn er sich weigert, den vom Berechtigten verlangten Vertrag nach Maßgabe seiner Verpflichtung abzuschließen. Nur wenn der Schuldner nicht kontrahiert, kann der Gläubiger, statt Erfüllung zu verlangen, nach den allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen Schadenersatz fordern

OGH 23. Mai 1973, 1 Ob 71/73 (OLG Innsbruck 2 R 293/72; LG Feldkirch 1 b Cg 200/71)

Text

Zwischen der klagenden Partei, die u. a. - neben der Firma R allein in Österreich - Ziehkarton (Ziehpappe), einen Spezialkarton, der ziehfähig ist und sich für die Verformung bei der Schachtelerzeugung eignet, erzeugte, und dem Beklagten, einem Kartonagenerzeuger in Vorarlberg, bestand seit 1968/69 eine Geschäftsverbindung. Ab Ende 1969 bezog der Beklagte von der klagenden Partei etwa 120 t Ziehkarton jährlich. Da sich Zahlungsverzögerungen ergaben, gab die klagende Partei Mitte 1970 dem Beklagten bekannt, daß die Auslieferung neuer Bestellungen erst nach Bezahlung der jeweils vorigen Lieferung erfolgen werde; die Lieferungen wurden auch tatsächlich sodann erst ausgeführt, nachdem der Beklagte die vorhergehende Lieferung bezahlt hatte; so wurde etwa den Bestellungen vom 1. Dezember 1970 und 12. Jänner 1971 erst am 29. Dezember 1970 bzw. 12. Feber 1971 entsprochen, nachdem der Beklagte am 28. Dezember 1970 bzw. 11. Feber 1971 die vorhergehenden Lieferungen bezahlt hatte.

Am 22. Jänner 1971 wurde zwischen der klagenden Partei und der Firma Josef B, Kartonagenfabrik in L, Vorarlberg, mit der die klagende Partei seit 20 Jahren in Geschäftsverbindung stand, eine vorerst ab 1. März 1971 auf ein Jahr geltende Vereinbarung getroffen, mit der sich die Firma Josef B verpflichtete, ihren Gesamtbedarf an Ziehkarton von etwa 700 Jahrestonnen bei der klagten Partei zu beziehen; die klagende Partei erteilte der Firma Josef B die Exklusivität der Lieferung von Ziehkarton für Tirol und Vorarlberg und verpflichtete sich, gegebenenfalls Lieferungen von Ziehkarton an andere Kartonageure nur im Einvernehmen mit der Firma Josef B und in dem eventuell vereinbarten Ausmaß durchzuführen. Von diesem Abkommen wurde der Beklagte am 11. Feber 197i verständigt. Mit Schreiben vom 12. Feber 1971 bestellte der Beklagte 20t Ziehkarton bei der klagenden Partei; er vertrat in dem Schreiben den Standpunkt, daß er es sich nicht leisten könne, die Zusage der Firma Josef B abzuwarten, so daß er sich gezwungen sehe, für die kommende Erzeugung Ende März 1971 direkt zu bestellen; der Beklagte ersuchte um dringliche Mitteilung, ob die Bestellung geliefert werden könne; er fügt bei, schon aus Konkurrenzgrunden nicht gewillt zu sein, die Erzeugnisse der klagenden Partei bei der Firma Josef B zu bestellen. Die klagende Partei antwortete, daß die Ware unter der Voraussetzung, daß der Beklagte sich mit der Firma Josef B in Verbindung setze, geliefert werden könne. Mit Schreiben vom 18. Feber 1971 ersuchte der Beklagte die Firma Josef B um Zustimmung zur Lieferung von monatlich 20 bis 25 t Ziehkarton an ihn; zwischen 12. Feber und Ende Feber 1971 gab die Firma Josef B auch die Zustimmung zur Lieferung der vom Beklagten zuletzt bestellten Menge. Diese lag am 30. März 1971 bei der klagenden Partei zur Auslieferung bereit. Tatsächlich wurde sie jedoch erst am 20. April 1971 ausgeliefert, weil der Beklagte die vorangehende Lieferung vom 12. Feber 1971 erst am 18. April 1971 bezahlt hatte. Der Beklagte machte in der Folge keinen Versuch, von der klagenden Partei weitere Lieferungen zu verlangen. Bereits im Feber 1971 hatte sich der Beklagte, der nach früheren Erfahrungen Waren der Firma R für qualitätsmäßig nicht entsprechend hielt, mit Unternehmungen in der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung gesetzt, doch waren ihm deren Bedingungen finanziell nicht akzeptabel erschienen. Anfang März 1971 nahm der Beklagte Verbindung mit einer finnischen Firma auf, die im April 1971 eine Probesendung schickte,; seit Juni 1971 steht der Beklagte mit ihr in Geschäftsverbindung; die Preise entsprechen denen der klagenden Partei, die Ware ist für die Zwecke des Beklagten sogar besser geeignet als die der klagenden Partei, so daß er seine Erzeugung erweitern konnte. Der Beklagte mußte allerdings die Ziehwerkzeuge auf den finnischen Karton einstellen, was einen Aufwand von 37.000 S erforderte.

Der Beklagte bezahlte die Lieferung vom 20. April 1971 nicht, so daß die klagende Partei mit der vorliegenden Klage vom Beklagten die Bezahlung des Rechnungsbetrages von 110.468 S samt Anhang verlangt. Der Beklagte anerkannte diesen Anspruch, wendete jedoch eine Gegenforderung von mindestens 130.000 S ein, da ihm die klagende Partei durch ihren gemeinsam mit der Firma Josef B vorgenommenen sittenwidrigen Boykott schweren finanziellen Schaden zugefügt habe; durch die Umstellung des Betriebes auf die Verarbeitung finnischen Ziehkartons seien zudem die Maschinen des Beklagten wochenlang stillgestanden und hätten umgebaut werden müssen; auch späterhin hätte es noch Störungen gegeben. Wegen der um zirka einen Monat verspäteten letzten Lieferung habe er außerdem anderen Ziehkarton zu erhöhten Preisen einkaufen müssen.

Das Erstgericht stellte fest, daß der Klagsanspruch zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, und verurteilte den Beklagten zur Bezahlung des begehrten Betrages. Der zwischen der klagenden Partei und der Firma Josef B abgeschlossene Exklusivvertrag habe für den Beklagten eine Bezugsbehinderung dargestellt.

Kontrahierungszwang bestehe aber nur in gewissen Fällen auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder dann, wenn der Lieferant eine Monopolstellung habe. Der Beklagte habe aber die Möglichkeit anderweitigen Bezugs zu gleich günstigen Bedingungen gehabt. Bei einem Jahresumsatz des Beklagten von 120.000 t stellten die geringfügige Verzögerung und die verhältnismäßig geringfügigen Umstellungskosten keine Existenzgefährdung dar.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und erwähnte noch, daß die spätere Auslieferung der Bestellung vom 12. Feber 1971 wegen der späten Zahlung der vorherigen Lieferung nur vom Beklagten zu vertreten sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der Gegenforderung des Beklagten muß zwischen zwei Ansprüchen unterschieden werden. Es handelt sich einerseits um den Schaden, den er dadurch erlitten haben will, daß die Auslieferung des am 12. Feber 1971 bestellten Ziehkartons erst am 20. April 1971 erfolgte, der Vertrag also nicht zur gehörigen Zeit erfüllt worden wäre (§ 918 ABGB), und andererseits um den Schaden, der dem Beklagten durch die Notwendigkeit der Umstellung des Betriebes auf die Verarbeitung finnischen Ziehkartons als Folge eines sittenwidrigen Boykotts im Zusammenhang mit dem zwischen der klagenden Partei und der Firma Josef B abgeschlossenen Exklusivvertrag erwachsen sein soll.

Was den ersten Anspruch betrifft, steht fest, daß die klagende Partei dem Beklagten bereits im Jahre 1970 (offenbar widerspruchslos) bekanntgegeben hatte, wegen eingetretener Zahlungsverzögerungen neue Lieferungen immer erst nach Bezahlung der letzten Lieferung vorzunehmen. Der Beklagte konnte dann aber nach den bestehenden Lieferbedingungen mit der Auslieferung der Bestellung vom 12. Feber 1971 vor Bezahlung der letzten Lieferung vom 12. Feber 1971 nicht rechnen. Nachteile, die dem Beklagten aus der erst am 20. April 1971 erfolgten Durchführung der letzten Lieferung entstanden, gehen dann aber ausschließlich zu seinen Lasten.

Seine weiteren Ansprüche leitet der Beklagte daraus ab, daß die klagende Partei, die die einzige Erzeugerin von Ziehkarton in Österreich sei, durch den Abschluß des Exklusivvertrages mit der Firma Josef B und der damit zusammenhängenden Belieferungssperre ihn aus dem Wettbewerb ausschalten habe wollen. Da zwischen der klagenden Partei und dem Beklagten kein Sukzessivlieferungsvertrag bestand und die klagende Partei auch sonst nicht vertraglich verpflichtet war, laufende Lieferungen an den Beklagten durchzuführen, könnte der Beklagte einen Schadenersatzanspruch nur damit begrunden, daß für die klagende Partei wegen ihrer Monopolstellung oder aus anderen gleichwertigen Gründen Kontrahierungszwang bestanden hätte; aus diesem Grund hätte sie den Exklusivvertrag mit der Firma Josef B nicht abschließen dürfen, dieser sei sittenwidrig und daher nach § 879 ABGB, § 1 UWG nichtig. Die Verweigerung eines Kontraktschlusses gilt auch als unsittlich, wenn jemand eine tatsächliche Monopolstellung hat und sie grundlos oder aus mißbilligungswerten Gründen ausnutzt, um einen anderen entweder überhaupt von einer bestimmten Güterbewegung auszuschließen oder ihn nur unter Bedingungen zuzulassen, die als unangemessen, unerträglich für den Betroffenen und darum unsittlich erscheinen (EvBl. 1972/157; Nipperdey Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 61). Kontrahierungszwang besteht also überall dort, wo praktische Übermacht eines Beteiligten bei bloß formaler Parität ihm die Möglichkeit der "Fremdbestimmung" über andere gibt (Bydlinski Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, 170). Wenn durch Nichtkontrahierung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt werden wurde, besteht die Rechtspflicht zur Schadensverhütung durch Kontrahieren (EvBl. 1972/157; Nipperdey Kontrahierungszwang, 57). Der Anspruch kommt erst mit seiner Geltendmachung zur Wirkung (Nipperdey Kontrahierungszwang, 113), der Verpflichtete hat den Vertragsantrag anzunehmen (Nipperdey Kontrahierungszwang, 116) und kann zur Abgabe der erforderlichen Willenserklärung auch im Rechtsweg gezwungen werden (Nipperdey Kontrahierungszwang, 117). Der zum Vertragsabschluß Verhaltene verletzt seine Verpflichtung (erst dann), wenn er sich in irgendeiner Form weigert, den Vertrag nach Maßgabe seiner Verpflichtung abzuschließen; (nur) wenn der Schuldner nicht kontrahiert, kann der Gläubiger, statt Erfüllung zu verlangen, nach den allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen Schadenersatz fordern (Nipperdey Kontrahierungszwang, 131).

Wenn also der Beklagte im vorliegenden Fall die Meinung vertrat, der Exklusivvertrag zwischen der klagenden Partei und der Firma Josef B sei als sittenwidrig nichtig, hätte er dies der klagenden Partei auf ihren Vorhalt, er hätte nunmehr die Zustimmung der Firma Josef B für Lieferungen an ihn einzuholen, mitteilen und darauf bestehen müssen, daß sie weiterhin an ihn ohne Rücksicht auf den abgeschlossenen Vertrag mit der Firma Josef B liefern müsse. Er hätte es bei Richtigkeit seines Standpunktes insbesondere ablehnen können, sich selbst mit der Konkurrenzfirma Josef B ins Einvernehmen zu setzen und die jeweilige Zustimmung zu Lieferungen zu erbitten. Tatsächlich hat der Beklagte zunächst auch eine Bestellung ohne Rücksicht auf den Vertrag der klagenden Partei mit der Firma Josef B getätigt, dann aber einfach keine weiteren Bestellungen mehr aufgegeben, sondern sich nach anderen Bezugsquellen umgesehen. Der Lieferungsauftrag vom 12. Feber 1971 wurde von der klagenden Partei durchgeführt. Für seinen weiteren Bedarf hat der Beklagte von der klagenden Partei aber gar nicht verlangt, mit ihm weiterhin zu kontrahieren. Es ist aber ausgeschlossen, von der klagenden Partei Schadenersatz wegen Verletzung einer Kontrahierungspflicht zu beanspruchen, wenn eine solche Verletzung tatsächlich schon allein deswegen nie stattgefunden hat, weil die Auslieferung auf Grund der Bestellung vom 12. Feber 1971, den Lieferungsbedingungen entsprechend, wie sie schon vor Abschluß der Vereinbarung mit der Firma Josef B bestanden hatten, erfolgte und der Beklagte weitere Vertragsabschlüsse gar nicht begehrte. Der Beklagte hat damit die klagende Partei gar nicht in die Lage gebracht, eventuell schuldhaft durch Nichtabschluß eines Vertrages trotz angeblich bestehenden Kontrahierungszwanges zu handeln. Der Beklagte hatte aber keineswegs das Recht, ohne solches schuldhaftes Verhalten der klagenden Partei seinen Betrieb sozusagen auf deren Rechnung umzustellen. Schon allein aus diesem Grund können Schadenersatzansprüche des Beklagten nicht bestehen. Auf die Frage, ob der Exklusivvertrag überhaupt sittenwidrig und unlauterer Wettbewerb und daher nichtig war, muß unter diesen Umständen gar nicht mehr eingegangen werden.

Anmerkung

Z46054

Schlagworte

Gute Sitten, Nichtkontrahierung, Verstoß gegen -, Nichtkontrahierung, Schadenersatz, Nichtkontrahierung, Verstoß gegen gute Sitten, Schadenersatz, Nichtkontrahierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1973:0010OB00071.73.0523.000

Dokumentnummer

JJT_19730523_OGH0002_0010OB00071_7300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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