Norm
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1Kopf
SZ 48/64
Spruch
Unfälle, die sich aus dem Einsatz der Betriebskraft von Starkstrom beim Verschub von Zügen mittels elektrischer Lokomotiven ereignen, sind als solche beim Betrieb einer Eisenbahn im Sinne des § 1 EKHG zu beurteilen
OGH 5. Juni 1975, 2 Ob 355/74 (OLG Graz 4 R 110/74; KG Leoben 18 Cg 440/73)
Text
Am 21. Dezember 1971 um 22.15 Uhr wurde der bei der Klägerin unfallversicherte Kaufmann Meinhard R im Bereich des von der Beklagten (ÖBB) betriebenen Bahnhofes M getötet, als er nach Entladung eines der Beklagten gehörigen Tankwaggons mit Heizöl, dessen Empfänger er war, beim Verschließen des Deckels des Tankwaggons in den Stromkreis der Oberleitung geriet.
Die Klägerin begehrt unter Berufung auf § 332 ASVG die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz der von ihr den Hinterbliebenen nach dem Getöteten geleisteten Rentenzahlungen in der Höhe von 24.393.40 S samt den gesetzlichen Zinsen und den Feststellungsausspruch, daß ihr die Beklagte für alle künftigen Pflichtaufwendungen an die Hinterbliebenen nach Meinhard R, nämlich an die Witwe Margarete R und an die Waisenkinder minderjährige Ursula und minderjährige Martin R, hafte, soweit im Ersatzanspruch der Hinterbliebenen aus dem tödlichen Unfall ein Deckungsfonds gegeben ist.
Der tödliche Unfall, behauptet die Klägerin, sei darauf zurückzuführen, daß Bedienstete der Beklagten während der Entladearbeiten schuldhaft die Fahrleitung unter Strom setzten, ohne davon den mit der Entladung des Waggons befaßten Meinhard R zu verständigen. Der Unfall hätte in Anbetracht der geringen Größe des Bahnhofes, bei auch nur ganz geringer Aufmerksamkeit der dort Bediensteten, vermieden werden können. Die Beklagte hafte für den Schaden aus dem tödlichen Unfall gemäß § 1313a ABGB für das Verschulden ihrer Dienstnehmer, da sie zu dem Getöteten in einem Vertragsverhältnis gestanden sei, aber ohne Rücksicht auf dieses auch gemäß § 1315 ABGB, da sie sich untüchtiger Besorgungsgehilfen bedient habe, und endlich auch nach § 1a Reichshaftpflichtgesetz und nach dem EKHG, da sich der Unfall beim Betrieb der Eisenbahn ereignete, denn die Fahrleitung sei unter Strom gesetzt worden, um mit einer Zugsgarnitur auf das Verschubgeleise fahren zu können. Ein Mitverschulden des Getöteten sei auszuschließen, da er darauf vertrauen durfte, daß während der Verladearbeiten die Fahrleitung nicht unter Strom steht.
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und im wesentlichen eingewendet, Meinhard R habe außerhalb der im Bahnhof öffentlich angeschlagenen Ladezeit ohne Kenntnis und Zustimmung der Beklagten eigenmächtig die Entladung des Kesselwagens mit Heizöl vorgenommen; er habe sich nicht um die dort befindliche und beleuchtete Signalscheibe gekümmert, welche mittels eines roten Blitzpfeiles und der Aufschrift "Eingeschaltet" deutlich sichtbar anzeigte, daß sich die Fahrleitung unter Strom befindet. Nachweisbar sei jedoch dem Verunglückten in seiner Eigenschaft als Bestandnehmer einer Bahnfläche in S die Vorschrift des Anhanges zur DVA 40, Heft 2, bekanntgemacht worden, in welcher auf die Gefahren des Bahnbetriebes auf Ladegleisen hingewiesen wird. Die Bediensteten der Beklagten auf dem Bahnhof M seien bei der Einschaltung des Stromes zur Fahrleitung des Ladegleises mit jeder gebotenen Sorgfalt vorgegangen, konnten jedoch mit dem Verhalten des Verunglückten nicht rechnen. Der Unfall sei nach den Bestimmungen des EKHG zu beurteilen, da er sich beim Betrieb der Eisenbahn ereignete; § 1a Reichshaftpflichtgesetz sei nicht anzuwenden. Das Verhalten des Verunglückten, das zu dem Unfall führte, stelle sich im übrigen als Fall höherer Gewalt dar, da mit einem so kraß gegen jede Vernunft verstoßenden Verhalten nicht gerechnet werden konnte und deshalb auch keine Abwendungsmöglichkeit bestanden habe.
Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen und im wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt:
Die Gleisanlage des Bahnhofes M besteht aus 4 Hauptgleisen und 2 als Ladegleisen ausgebildeten Nebengleisen. Das südlich gelegene Ladegleis, auf dem sich der tödliche Unfall des Kaufmannes Meinhard R ereignete, zweigt 50 m südlich des Aufnahmegebäudes vom Hauptgleis bei einer von Hand stellbaren Weiche ab und ist durch zwei Lichtanlagen beleuchtet, die sich in 57 m (die erste) und 139 m (die zweite) Entfernung vom Aufnahmegebäude befinden; die erste Lampe, eine sogenannte Peitschenlampe, besteht aus 2 Leuchtstoffröhren zu je 40 Watt in 7 bis 8 m Höhe über dem Erdboden und ist an einem Fahrleitungsmast angebracht. 40 m südlich davon steht ein Leitungsmast neben dem südlichen Ladegleis, der mit jener Schaltvorrichtung versehen ist, durch deren Betätigung die Fahrleitung über diesem Ladegleis mit Strom versorgt werden kann (sogenannter Ladegleisschalter). Die Einschaltung der Ladegleisfahrleitung in den Stromkreis geschieht durch Benützung eines Schlüssels und Betätigung des Schalthebels. Über dieser Schaltanlage befindet sich in rund 7.5 m Höhe über dem Erdboden der Schaltanzeiger, der auf einer weiß gestrichenen Scheibe mit einem Durchmesser von 810 mm die schwarze Aufschrift "eingeschaltet" und daneben einen rot markierten Blitzpfeil enthält. Bei eingeschalteter Fahrleitung ist der Schaltanzeiger - in senkrechter Lage - gut sichtbar. Eine eigene Beleuchtung weist der Schaltanzeiger nicht auf, er ist jedoch für jemanden, der seinen Standort zwischen den beiden oben angeführten Lichtanlagen einnimmt, unmißverständlich zu sehen. Auf der Höhe der Schaltanlage ist zwischen den Tragseilen und dem Fahrdraht auf Hängedrähten eine 60 x 25 cm große Warntafel mit der Aufschrift "Ladearbeiten auf offenem Waggon nur bei ausgeschalteter Fahrleitung zulässig" angebracht; der auf dieser Tafel außerdem befindliche rote Blitzpfeil ist ausgewaschen und springt nicht mehr ins Auge.
Meinhard R hat am 4. November 1970 am Bahnhof S eine 87.60 m2 große Bahngrundfläche zum Gebrauch als Heizöltanklager von der Beklagten in Bestand genommen und wurde aus diesem Anlaß über die Gefahren der Hochspannung der Fahrleitung und über die Bedeutung der Schaltanzeiger unterrichtet; dabei wurde ihm auch das bezügliche Merkblatt zum Schutz gegen die Gefahren des Bahnbetriebes der ÖBB ausgefolgt.
Am 21. Dezember 1971 um 9 Uhr traf ein mit Heizöl für den Empfänger Meinhard R beladener Waggon am Bahnhof M ein. Der von der Ankunft des Gutes verständigte Empfänger Meinhard R erschien noch am selben Tag gegen 16 Uhr am Bahnhof, bezahlte die Fracht und nahm vom Fahrdienstleiter Erich A den Frachtbrief entgegen, ohne eine Erklärung abzugeben, wann er das Gut entladen werde. In der folgenden Tageszeit sind zwischen 16.30 Uhr und 21.43 Uhr insgesamt 14 Züge durch das Bahnhofgelände gefahren, wobei sich jeweils der Fahrdienstleiter Erich A auf den Vorplatz der Fahrdienstleitung begab und die vorbeifahrenden Züge beobachtete; dazwischen hielt sich Erich A in der Fahrdienstleitung auf. Nach Einbruch der Dunkelheit wurden die Lichtanlagen des Bahnhofes eingeschaltet, die bis zum Einlangen des letzten haltenden Personenzuges um 20.33 Uhr brannten. Im Warteraum des Bahnhofes und an der Güterabfertigungsstelle des Bahnhofes sind deutlich sichtbar die Dienststunden der Güterabfertigung angeschlagen: Montag bis Freitag
7.30 Uhr bis 12.00 Uhr und 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr.
Außerhalb der festgesetzten Ladezeiten begann Meinhard R in den Abendstunden des 21. Dezember 1971 ohne Kenntnis und ohne Zustimmung des Fahrdienstleiters mit dem Entladen des auf der Höhe der angeführten Warntafel (d. i. 115 m südlich der Fahrdienstleitung) stehenden Kesselwaggons. Er stellte dabei seinen Tankwagen parallel zum Kesselwaggon auf dem Vorplatz ab und pumpte bei laufendem Motor seines Fahrzeuges mit Hilfe eines Abfüllschlauches von rund 4 m Länge und 8 bis 10 cm Durchmesser, der an der dem Vorplatz zugekehrten Seite an dem Kesselwaggon angeschlossen war, das Öl in seinen Tankwagen. Das Füllen seines Tankwagens mit jeweils 8.000 bis 10.000 l Öl beanspruchte 30 bis 45 Minuten. Mit gefülltem Tankwagen fuhr Meinhard R zu dem zirka 1 km vom Bahnhof entfernten Sägewerk Z; dort wurde der Tankwagen entleert. Für eine Fuhre benötigte Meinhard R rund eine und eine halbe Stunde. Vor dem ersten Entladen des Tankwaggons mußte Meinhard R an der der Fahrdienstleitung zugekehrten Seite des Kesselwaggons über die Aufstiegleiter auf das Plateau hinaufsteigen, um den sogenannten Domdeckel zu öffnen. Zwischen der Podiumsplattform des Kesselwaggons und dem Fahrdraht befand sich dabei ein Abstand von 1.96 m. Beim Öffnen des Domdeckels stand der Fahrdraht über dem Waggon nicht unter Strom. Meinhard R ließ den Domdeckel offen und bestieg nach dem dritten Entlademanöver den Waggon, um in den Kessel zu blicken; dabei sah er, daß noch rund 1000 l Öl in dem Kessel waren.
Um 21.43 Uhr traf der Bezirksgüterzug 4293 am Bahnhof M ein. Danach begab sich der Zugsführer Alois R in die Fahrdienstleitung und besprach dort mit dem Fahrdienstleiter das Verschubprogramm. Bei dieser Gelegenheit wurden die beiden Leuchten an dem südlichen Verschubgleis wieder eingeschaltet. Der Fahrdienstleiter erteilte dem Zugsführer die Erlaubnis mit dem Verschub nach der Durchfahrt des Zuges TS 191 zu beginnen und händigte ihm den Schlüssel für den Ladegleisschalter aus. Während der Durchfahrt des Zuges TS 191 begab sich der Zugsführer mit den anderen Schaffnern von der Fahrdienstleitung in südliche Richtung und besprach mit ihnen das Verschubprogramm. Nach der Durchfahrt des Zuges TS 191, das war um 22.00 Uhr, betätigte der Zugsführer den Ladegleisschalter und setzte damit die Fahrleitung über dem südlichen Ladegleis, auf dem der Kesselwaggon mit dem für Meinhard R bestimmten Heizöl stand, unter Strom. Der Schaltanzeiger zeigte an, daß die Fahrleitung unter Strom steht. Der Zugsführer ging an dem Kesselwaggon vorbei, ohne den an der gegenüberliegenden Seite des Waggons angeschlossenen Abfüllschlauch zu bemerken, obwohl er diesen hätte sehen können, in südlicher Richtung bis zu dem rund 400 m vom Aufnahmegebäude entfernten Stellwerk. Dort wurden die für M bestimmten Waggons des Bezirksgüterzuges 4293 ausgereiht. Dabei hatte der Zugsführer keine Sicht auf den Kesselwaggon mit dem für Meinhard R bestimmten Heizöl. Kurz nach 22.00 Uhr traf der bei Meinhard R beschäftigte Kraftfahrer Rudolf S mit seinem Personenkraftwagen am Vorplatz vor dem südlichen Ladegleis auf der Höhe des Kesselwaggons ein, stellte den Motor des Fahrzeuges ab und schaltete dessen Beleuchtung aus. Gleich darauf kam Meinhard R mit seinem Tankwagen angefahren und stellte ihn am Vorplatz parallel zum Kesselwaggon in zirka 1.5 m Abstand so auf, daß die Scheinwerfer des Tankwagens in nördlicher Richtung gerichtet waren. Das Bahnhofgelände war zu dieser Zeit beleuchtet und es brannten auch die beiden an dem Abstellgleis gelegenen Lichtanlagen. Meinhard R ließ das Standlicht seines Tankwagens eingeschaltet. Der Schaltanzeiger an dem Mast mit dem Ladegleisschalter zeigte an, daß die Fahrleitung unter Strom steht. Bei eingeschaltetem Motor des Tankwagens pumpte Meinhard R in 10 bis 15 Minuten das restliche Öl aus dem Kesselwaggon in seinen Tankwagen und unterhielt sich dabei mit Rudolf S. Nach Beendigung des Abfüllens bestieg Meinhard R, ohne auf den Schaltanzeiger zu achten, den Kesselwaggon, um den Domdeckel zu schließen. Zu dieser Zeit war auch der Verschub des Bezirksgüterzuges 4293 beendet und der Zugsführer bemerkte nun das eingeschaltete Standlicht des Tankwagens. Er eilte auf den Tankwagen zu, um allenfalls dort befindliche Personen darauf aufmerksam zu machen, daß der Strom eingeschaltet ist, aber als er sich noch rund 50 m von dem Kesselwaggon entfernt befand, geriet Meinhard R auf der Podiumsplattform des Kesselwaggons beim Schließen des Domdeckels in den Stromkreis der 15.000-Volt-Leitung und wurde dadurch getötet. Der Zugsführer, der den Stromüberschlag sehen und hören konnte, lief sogleich zum Ladegleisschalter und schaltete den Strom ab. Der sogleich von ihm verständigte Fahrdienstleiter holte fernmündlich den Arzt und die Rettung herbei.
In der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhalts kam das Erstgericht zu dem Ergebnis, daß der tödliche Unfall ausschließlich auf das grob schuldhafte Verhalten des Verunglückten zurückzuführen sei und das Zugs- und Bahnhofspersonal der Beklagten sich nicht vorschriftswidrig verhalten habe. Meinhard R habe ohne Kenntnis und ohne Einwilligung des Fahrdienstleiters des Bahnhofes M außerhalb der gut sichtbar angeschlagenen Güterabfertigungszeit eigenmächtig Entladearbeiten durchgeführt und dabei nicht beachtet, daß nach der Stellung des Schaltanzeigers der Fahrleitungsdraht über dem Ladegleis unter elektrischem Strom stand. Dem für den Verschub auf dem Bahnhofsgelände verantwortlichen Fahrdienstleiter könne eine Nachlässigkeit nicht angelastet werden, denn er habe keine Kenntnis davon gehabt, daß Meinhard R außerhalb der festgesetzten Entladezeit den Kesselwaggon entleert. Zur Zeit der Übergabe des Schlüssels für den Ladegleisschalter an den Zugsführer Alois R - kurz vor 22.00 Uhr - habe sich weder Meinhard R noch sein Tankfahrzeug am Vorplatz vor dem Abstellgleis befunden, so daß kein Anlaß bestand, den Fahrdraht über dem Ladegleis nicht unter Strom zu setzen. Selbst wenn R den am Kesselwaggon angeschlossenen Abfüllschlauch gesehen hätte, wäre bloß deshalb nicht schon mit der Einschaltung des Stromes zum Fahrdraht über dem Ladegleis eine Gefahr verbunden gewesen, da der Kesselwaggon vom Verschub nicht berührt wurde und nachweislich kein Mensch im Bereich des Kesselwaggons zu sehen gewesen sei.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Erstgerichtes blieb ohne Erfolg. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes, übernahm dessen Sachverhaltsfeststellungen und kam im wesentlichen zu folgenden rechtlichen Schlüssen:
Der Unfall geschah beim Entladen eines Eisenbahnwaggons durch die eingeschaltete Eisenbahnfahrleitung und sei daher als Unfall beim Betrieb einer Eisenbahn anzusehen. Es komme daher das EKHG und nicht das durch § 22 Abs. 1 Z. 1 EKHG in diesem Bereich aufgehobene Reichshaftpflichtgesetz zur Anwendung. Demnach hafte die Beklagte für den Unfall des Kaufmannes Meinhard R, wenn nicht ein Haftungsausschluß im Sinne des § 9 EKHG gegeben sei. Gemäß § 9 Abs. 2 EKHG gelte als ein die Ersatzpflicht ausschließendes unabwendbares Ereignis im Sinne des Abs. 1 leg. cit. insbesondere ein solches, das auf das Verhalten des Geschädigten zurückzuführen ist, wenn sowohl der Betriebsunternehmer als auch die mit dessen Willen beim Betrieb tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben und der Unfall nicht unmittelbar auf die durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist.
Der Unfall sei auf das Verhalten des Verunglückten zurückzuführen. Darin, daß er ohne vorherige Zustimmung der Eisenbahn entgegen der Vorschrift des § 54 Abs. 2 EVO außerhalb der Dienststunden zur Nachtzeit Entladearbeiten durchführte, sich unter Mißachtung der ihm zuteil gewordenen Unterweisung über die Gefahren der Hochspannung der Fahrleitung und der Bedeutung des Schaltanzeigers durch Besteigen des Kesselwaggons der Fahrleitung näherte, ohne auf den in der Nähe befindlichen Schaltanzeiger zu achten, liege ein schweres Eigenverschulden des Verunglückten.
Da entsprechende Behauptungen nicht aufgestellt worden seien und sich aus der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte für eine derartige Annahme ergeben, sei auszuschließen, daß der Unfall auf eine durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist.
Es sei daher nur zu prüfen, ob die beim Betrieb tätigen Eisenbahnbediensteten jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben, die nach ständiger Rechtsprechung eine über das normale Maß hinausgehende, erhöhte sein müsse. Eine Verletzung dieser Sorgfaltspflicht durch die Bahnbediensteten der Beklagten sei jedoch zu verneinen. Diese mußten von vornherein nicht damit rechnen, daß Meinhard R nach 22.00 Uhr, also außerhalb der Ladezeiten, den Kesselwaggon entladen und auf den Waggon steigen werde. Weder der Fahrdienstleiter noch der Zugführer haben die Ladetätigkeit des Verunglückten wahrgenommen, und sie mußten sie auch bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht wahrnehmen. Es wurde im vorliegenden Falle auch die Bestimmung des § 159 der Bedienungsvorschrift für die Leitungsanlagen der elektrisch betriebenen Haupt-, Neben- und Anschlußbahnen für Verkehrsbedienstete und Lokomotivmannschaften (EL 52) beachtet, wonach vor Einschalten von Ladegleisschalter der hiefür zuständige Schaltbefugte die Zustimmung des für die Ladegeschäfte verantwortlichen Bediensteten einholen muß; diese darf erst erteilt werden, wenn alle Ladearbeiten eingestellt sind und sich niemand im Gefahrenbereich der Leitung befindet. Personen, die sich noch auf dem Ladeplatz befinden, sind von der beabsichtigten Einschaltung zu verständigen und zu warnen. Unmittelbar vor und bei dem Einschalten der Fahrleitung seien keine Ladearbeiten im Gange gewesen, und es habe sich auch niemand im Gefahrenbereich der Fahrleitung befunden. Es sei davon auszugehen, daß die Eisenbahnbediensteten der Beklagten beim Einschalten der Fahrleitung jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG beachtet haben. Die Voraussetzungen für den Haftungsausschluß nach § 9 EKHG seien daher gegeben. Selbst wenn § 1a RHG zur Anwendung käme, wäre damit für die Klägerin nichts gewonnen, weil auch nach dieser Gesetzesstelle der Verunglückte die Folgen eines von ihm allein verschuldeten Unfalles allein zu tragen habe.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Für die Beantwortung der Frage, ob Meinhard R durch den am 21. Dezember 1971 beim Entladen eines Kesselwaggons erlittenen Unfall "beim Betrieb einer Eisenbahn" im Sinne des § 1 EKHG getötet wurde und ob deshalb die Beklagte für den daraus entstandenen Schaden nach den Vorschriften des EKHG haftet, ist wesentliche Voraussetzung, daß zwischen jener Gefährlichkeit, die den Gesetzgeber zur Anordnung der strengen Haftung ohne Verschulden bewog, und dem eingetretenen Schaden ein Zusammenhang besteht (vgl. Koziol, Der Begriff "beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges" in der Festschrift für H. Hämmerle, 203). Ist diese Frage zu bejahen, dann muß nach dem unzweideutigen Wortlaut des § 22 Abs. 1 Z. 1 EKHG die Anwendbarkeit der Vorschriften des RHG ausgeschlossen werden (vgl. Edlbacher in ÖJZ 1959, 310).
Der Begriff des Betriebes einer Eisenbahn erfaßt die technischen Vorgänge des Eisenbahnbetriebes (so auch Geigel, Der Haftpflichtprozeß[15], 607 und Veit in MGA 24 a[3], 16), zu denen auch das Zusammen- oder Auseinanderrangieren der Eisenbahnzüge und alle sonstigen Vorgänge zu zählen sind, welche die Beförderung vorbereiten oder sich an sie anschließen, wenn sie mit den dem Eisenbahnbetrieb eigentümlichen Gefahren verbunden sind (vgl. Geigel, 607). Es sind deshalb auch die bei diesen Vorgängen auftretenden Wirkungen aus dem Einsatz der Betriebskraft, wie etwa des Starkstromes einer elektrischen Bahn, dem Betriebsbereich zuzurechnen (Geigel, 607; Böhmer, Das RHG, 10). Unfälle, die sich aus dem Einsatz der Betriebskraft elektrischen Starkstroms beim Verschub von Zügen mittels elektrischer Lokomotiven ereignen, sind daher als solche beim Betrieb einer Eisenbahn im Sinne des § 1 EKHG zu beurteilen (vgl. Geigel, 607 und 611; Böhmer, 10; Entscheidung Nr. 3 zu § 1 EKHG in MGA 24 a[3] II B).
Bei dem Unfall im Bereich des Bahnhofes M am 21. Dezember 1971, bei dem Meinhard R während der Entladearbeiten an einem Kesselwaggon durch die Einwirkungen des zu Verschubarbeiten eingeschalteten elektrischen Starkstromes von der Oberleitung her getötet wurde, handelte es sich demnach um einen solchen "beim Betrieb einer Eisenbahn" im Sinne des § 1 EKHG wie auch das Berufungsgericht richtig erkannt hat, denn es besteht zwischen diesem Unfall und der Gefährlichkeit des Eisenbahnbetriebes mittels elektrischen Starkstromes der vom Gesetzgeber geforderte Zusammenhang.
Zum Ausschluß ihrer im EKHG normierten strengen Erfolgshaftung hat sich die Beklagte auf das alleinige Verschulden des Verunglückten an dem Unfall und darauf berufen, daß ihre Bediensteten bei der Einschaltung des elektrischen Stromes zur Fahrleitung mit jeder gebotenen Sorgfalt vorgegangen seien; das Verhalten des Getöteten stelle sich als Fall höherer Gewalt dar.
Nach den Feststellungen der Untergerichte besteht in der Tat kein Zweifel daran, daß der tödliche Unfall auf das Verhalten des Verunglückten zurückzuführen ist. § 54 Abs. 2 EVO 1967 verlangt für die Abnahme von Gütern außerhalb der Dienststunden der Güterabfertigungsstelle die vorherige Zustimmung der Eisenbahn. Meinhard R hat nach den Feststellungen der Untergerichte außerhalb der am Bahnhof M festgesetzten und kundgemachten Dienststunden der Güterabfertigungsstelle Entladearbeiten an dem Kesselwaggon durchgeführt, ohne überhaupt mit dem Fahrdienstleiter oder dem Personal der Güterabfertigungsstelle Verbindung aufgenommen zu haben. Das aber ist jedenfalls, selbst bei Durchführung von Entladearbeiten innerhalb der festgesetzten Dienststunden der Güterabfertigungsstelle, erforderlich. Darüber hinaus hat er trotz Belehrung durch die Beklagte, die ihm mittels Aushändigung eines Exemplares des Merkblattes zum Schutze gegen die Gefahren des Bahnbetriebes (Anlage 1 zur DV A 40 Heft 2) zuteil geworden war, in gefährlicher Nähe der Fahrleitung die hochgelegene Plattform des Kesselwaggons betreten, um den Domdeckel zu schließen, obwohl dies ausdrücklich verboten ist. (1/3.3 und 3.4 des genannten Merkblattes). Er hat überdies nicht auf den Stand des Schaltanzeigers über dem Ladegleisschalter geachtet, als er unzulässigerweise die Plattform des Kesselwaggons bestieg (1/3.13 des Merkblattes).
Meinhard R hat damit in grob fahrlässiger Weise auf eigene Gefahr gehandelt. Freilich schließt dieses "unechte" Handeln auf eigene Gefahr allein noch nicht die Ersatzpflicht der Beklagten aus, weil diese einer Gefährdungshaftung entspringt und ihr die Selbstgefährdung des Geschädigten nach dem Normzweck nicht schädlich sein soll (in diesem Sinne Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I, 201). Sie wäre aber wohl geeignet, durch hinzutretende subjektive Vorwurfselemente die Haftung des Schädigers nach § 7 Abs. 1 EKHG § 1304 ABGB einzuschränken und möglicherweise sogar aufzuheben (derselbe, 201).
Der Beklagten ist indessen der Beweis gelungen, daß ihre Bahnbediensteten jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben und der Unfall nicht unmittelbar auf die durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres ausgelöste Betriebsgefahr zurückzuführen ist (§ 9 Abs. 2 EKHG).
Da die Bediensteten der Beklagten keine Kenntnis von den außerhalb der für den Bahnhof festgelegten Dienststunden der Güterabfertigungsstelle vorgenommenen Entladearbeiten des Kaufmannes Meinhard R hatten und nach der Aktenlage mit einem solchen Verhalten des Genannten auch gar nicht rechnen konnten, besteht kein Anlaß, ihnen im vorliegenden Fall eine gesteigerte, über das normale Maß hinausreichende Aufmerksamkeit zuzusinnen. Es genügt vielmehr, daß sie alle einschlägigen Vorschriften genau beobachtet haben. Das war, wie sich aus den umfangreichen Feststellungen der Untergerichte ergibt, in ausreichendem Maß der Fall. Der Ladegleisschalter wurde erst dann eingeschaltet, als die Verschubarbeiten begannen und Gewißheit bestand, daß keine Ladearbeiten durchgeführt werden und sich niemand im Gefahrenbereich der Leitungen befindet (88 und 159 der Bedienungsvorschrift für die Leitungsanlagen der elektrisch betriebenen Haupt-, Neben- und Anschlußbahnen für Verkehrsbedienstete und Lokomotivmannschaften, EL 52).
Insoweit die Revisionswerberin davon ausgeht, daß der Fahrdienstleiter und der Zugsführer der Verschubgarnitur die Ladetätigkeit des Verunglückten geduldet haben und ihnen diese Tätigkeit nicht entgangen sein könne, entfernt sie sich in unzulässigerweise von dem allein zur rechtlichen Beurteilung stehenden Sachverhalt, wie ihn die Untergerichte festgestellt haben.
Aus den dargelegten rechtlichen Erwägungen konnte der Revision der Klägerin kein Erfolg zukommen.
Anmerkung
Z48064Schlagworte
Eisenbahn, Unfälle, die sich aus dem Einsatz der Betriebskraft, von, Starkstrom beim Versuch mittels elektrischer Lokomotiven ereignen, sind, solche beim Betrieb einer -, Unfälle, die sich aus dem Einsatz, der Betriebskraft von Starkstrom beim, Verschub mittels elektrischer Lokomotiven ereignen, sind solche beim, Betriebe einer EisenbahnEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1975:0020OB00355.74.0605.000Dokumentnummer
JJT_19750605_OGH0002_0020OB00355_7400000_000