TE OGH 1976/9/21 5Ob624/76

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Veröffentlicht am 21.09.1976
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Norm

ZPO §477 Abs1 Z3
ZPO §577

Kopf

SZ 49/112

Spruch

Ein die Bestellung einer sachkundigen Person zur Feststellung und fachlichen Begutachtung von Tatsachen vorsehender Schiedsgutachtervertrag ist kein Schiedsvertrag und begrundet nicht die sachliche Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts

OGH 21. September 1976, 5 Ob 624/76 (OLG Linz 4 R 25/76; LG Linz 3 Cg 224/75)

Text

Der Kläger führte über Auftrag der beklagten Partei Baumeisterarbeiten für die Hauptschule R durch. In der schriftlichen Vereinbarung der Streitteile ist auch eine Schiedsklausel enthalten, wonach bei Auftreten von Differenzen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer während der Bauausführung oder Gewährleistungsfrist diese vor Anrufung eines ordentlichen Gerichtes durch ein Schiedsgericht entschieden werden sollen. Die Parteien hätten zu diesem Zweck je einen sachkundigen Schiedsrichter und diese einen Obmann zu wählen. Diese Bestimmung sollte jedoch nur die rein technischen Belange betreffen; hinsichtlich der rein rechtlichen Fragen sollte für beide Teile der Gerichtsweg offenbleiben.

Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage auf Grund der Teilschlußrechnung Nr. 6 vom 14. Juli 1972 einen Restbetrag, zuletzt 23 316.99 S samt Anhang, welcher am 15. November 1972 zur Zahlung fällig gewesen sei.

Die beklagte Partei erhob unter Hinweis auf die angeführte Schiedsklausel die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit. Darüber hinaus beantragte sie Klagsabweisung, weil dem Kläger aus der Teilschlußrechnung Nr. 6 nur 719 692.06 S gebührten und dieser Betrag unter Abzug eines Skontos und eines noch nicht zur Zahlung fälligen Haftrücklasses bereits bezahlt worden sei. Davonabgesehen sei der Klagsbetrag aber mangels Legung der Schlußrechnung vereinbarungsgemäß noch nicht zur Zahlung fällig. Demgegenüber verwies die klagende Partei darauf, daß die Schiedsklausel mangels ausreichender Unterscheidung zwischen rechtlichen und technischen Belangen nicht hinlänglich bestimmt und überdies auf die Bauausführungs- und Gewährleistungsfrist zeitlich beschränkt sei.

Das Erstgericht gab nach abgesonderter Verhandlung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit statt und wies die Klage als unzulässig zurück. Nach den Klagsbehauptungen sei die Bezahlung von diversen Baumeisterarbeiten strittig. Es handle sich also um sachliche bzw. technische Fragen der Bauführung. Die Erörterung von Baumeisterarbeiten sei daher nicht als rechtliche, sondern als technische Frage zu qualifizieren und werde sohin von der zwischen den Streitteilen getroffenen Schiedsvereinbarung erfaßt. Überdies sei bei mehreren gleichwertigen Auslegungsmöglichkeiten derjenigen der Vorzug zu geben, die die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung begünstige.

Das Rekursgericht gab dem Rekurse der klagenden Partei Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß die von der beklagten Partei erhobene Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes verworfen und dem Erstgerichte aufgetragen werde, das Verfahren unter Abstandnahme von diesem Zurückweisungsgrunde fortzusetzen. Das Rekursgericht beurteilte die getroffene Vereinbarung, weil sie lediglich die rein technischen Belange umfasse, als Schiedsgutachtervertrag. Nach den beiderseitigen Parteienbehauptungen sei aber im vorliegenden Rechtsstreit nicht nur der Umfang der vom Kläger erbrachten Leistungen, sondern auch die Frage ihrer Fälligkeit und die Frage, ob der Kläger die erbrachten Leistungen überhaupt zu erbringen hatte und daraus einen Entgeltanspruch habe, zu beurteilen. Die damit gegebenen Rechtsfragen stunden mit den zu untersuchenden Tatfragen in untrennbarem Zusammenhang. Es sei aber nicht möglich, einzelne Fragen aus dem Komplex eines Rechtsstreites auszuscheiden und diese einem Schiedsgericht vorzubehalten. Die im Hinblick auf die zu lösenden Rechtsfragen gegebene sachliche Zuständigkeit des angerufenen ordentlichen Gerichtes erstrecke sich daher auf den ganzen Rechtsstreit. Es könne daher aus dem geschlossenen Schiedsvertrag eine sachliche Unzuständigkeit des Prozeßgerichtes, wie sie durch einen Schiedsvertrag im engeren Sinn regelmäßig begrundet werde, nicht abgeleitet werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse der beklagten Partei, den er als zulässig erachtete, weil sich § 45 JN nur auf Fälle strittiger gesetzlicher Zuständigkeit, nicht aber auch auf die strittige Vereinbarung eines Schiedsgerichtes bezieht (vgl. EvBl. 1957/338; EvBl. 1961/204), nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie das Rekursgericht zutreffend unter Hinweis auf das Schrifttum und die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dargetan hat, besteht das wesentliche Merkmal eines Schiedsgerichtes im Sinne des § 577 Abs. 1 ZPO darin, daß die Schiedsrichter ähnlich einem Richter durch die Subsumtion festzustellender Tatsachen unter eine Rechtsnorm eine Entscheidung zu fällen haben (vgl. SZ 42/53; Fasching IV, 711 f.). Demgegenüber enthält ein Schiedsgutachtervertrag die Vereinbarung, daß eine oder mehrere Personen zur Feststellung einzelner Tatbestandselemente oder einzelner Tatsachen zu bestellen ist (Fasching, 712). Für die Abgrenzung der beiden Vertragstypen ist nicht die von den Parteien gewählte Bezeichnung maßgeblich, sondern ausschließlich die dem Dritten übertragene Aufgabe. Insoweit nun im vorliegenden Fall die Klärung von Differenzen über die rein technischen Belange einem "Schiedsgericht" übertragen wurde, könnte die Entscheidung über ein nur auf diese Aufgabe selbst begrenztes Begehren vom staatlichen Gericht nicht mit Erfolg beantragt werden. Da das entscheidende praktische Abgrenzungskriterium der Parteienvereinbarung eindeutig entnommen werden kann, kann es entgegen der Auffassung des Erstgerichtes und der Revisionsrekurswerberin gar nicht darum gehen, zufolge des Vorliegens zweier gleichwertiger Auslegungsergebnisse des Wortlautes der Erklärung derjenigen den Vorzug zu geben, die die Gültigkeit des Schiedsvertrages favorisieren würde (Fasching, 733).

Es mag nun zutreffen, daß es zweckmäßig gewesen wäre, wenn die strittigen technischen Belange, die nach dem Revisionsrekursvorbringen einem großen Teil der zwischen den Parteien bestehenden Differenzen über die von der klagenden Partei für die beklagte Partei durchgeführten Bauarbeiten darstellen, vereinbarungsgemäß vor Beschreitung des Gerichtsweges außergerichtlich geklärt worden wären. In prozessualer Hinsicht kann aber der bezüglich der rein technischen Belange vorliegende Schiedsgutachtervertrag keine prozeßhindernde Wirkung äußern und nicht die unter Umgehung der aus dieser Vereinbarung resultierenden Verpflichtungen erfolgte Einleitung des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten die Sachentscheidung des Gerichtes hindern (vgl. Fasching, 714). Inwieweit das Gericht durch die Ergebnisse eines der Vereinbarung entsprechend eingeholten Schiedsgutachtens bei seiner Wahrheitsfindung und Tatsachenfeststellung beschränkt worden wäre, kann bei der gegebenen Sachlage außer Betracht bleiben.

Anmerkung

Z49112

Schlagworte

Schiedsgutachtervertrag ist kein Schiedsvertrag und begrundet nicht die, sachliche Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1976:0050OB00624.76.0921.000

Dokumentnummer

JJT_19760921_OGH0002_0050OB00624_7600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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