TE OGH 1978/4/27 6Ob604/78

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Veröffentlicht am 27.04.1978
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Norm

Verfahrenshilfegesetz .
ZPO §68 Abs1
ZPO §68 Abs2
ZPO §68 Abs4
ZPO §73 Abs2
ZPO §464

Kopf

SZ 51/59

Spruch

Die in Lauf gesetzte Berufungsfrist wird durch den bei Gericht eingelangten Antrag des Verfahrenshelfers, die bewilligte Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären, unterbrochen

OGH 27. April 1978, 6 Ob 604/78 (LG Linz 14 R 12/78; BG Perg C 427/77)

Text

Das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichtes vom 9. Dezember 1977 wurde der Beklagten, die im vorangegangenen Verfahren nicht anwaltlich vertreten war, am 16. Dezember 1977 zugestellt. Am 29. Dezember 1977 brachte die Beklagte beim Erstgericht einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe samt Vermögensbekenntnis ein. Mit Beschluß vom 12. Jänner 1978 bewilligte das Erstgericht der Beklagten die Verfahrenshilfe in vollem Umfang. Mit Bescheid deroberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 16. Jänner 1978 wurde Rechtsanwalt Dr. F Sch. zum Verfahrenshelfer bestellt. Das ZP-Formblatt 4 und eine Ausfertigung des Ersturteils wurden dem Verfahrenshelfer am 20. Jänner 1978 zugestellt. Mit Beschluß vom 3. Feber 1978 wies das Erstgericht den am 26. Jänner 1978 eingelangten Antrag des Verfahrenshelfers, die der Beklagten bewilligte Verfahrenshilfe wegen völliger Aussichtlosigkeit einer Berufung für erloschen zu erklären, ab. Nachdem ihm dieser Beschluß am 6. Feber 1978 zugestellt worden war, gab der Verfahrenshelfer am 7. Feber 1978 namens der Beklagten die Berufung gegen das Ersturteil zur Post.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß wies das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten aus nachstehenden Gründen als verspätet zurück:

Gemäß § 68 Abs. 1 bzw. 2 ZPO könne auch der zur Verfahrenshilfe bestellte Rechtsanwalt den Antrag stellen, die Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären bzw. zu entziehen. Die Zustellung des Beschlusses, womit das Gericht die Verfahrenshilfe für erloschen erkläre oder entziehe, an den Rechtsanwalt unterbreche den Lauf der Frist zur Beantwortung der Klage bzw. zur Erhebung von Rechtsmitteln gegen andere Entscheidungen des Gerichtes bis zum Eintritt der Rechtskraft des genannten Beschlusses (§ 68 Abs. 4 ZPO). Habe eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei innerhalb der Berufungsfrist die Beigebung eines Rechtsanwaltes beantragt, so beginne für sie die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn. Werde der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwaltes abgewiesen, so beginne die Berufungsfrist mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses (§ 464 Abs. 3 ZPO).

Hier sei zu prüfen, ob die Berufungsfrist in sinngemäßer Anwendung des § 464 Abs. 3 ZPO auch dann unterbrochen werde, wenn der zur Verfahrenshilfe bestellte Rechtsanwalt nach Zustellung des Urteils an ihn innerhalb der Rechtsmittelfrist einen Antrag auf Entziehung der Verfahrenshilfe oder auf Ausspruch ihres Erlöschens gemäß § 68 Abs. 1 oder 2 ZPO stelle. Der OGH habe dies unter Zugrundelegung der früheren Rechtslage (Art. XXXIII EGZPO) in der Entscheidung JBl. 1958, 209 bejaht. Fasching (Kommentar, Erg.-Bd. 55) weise hingegen darauf hin, daß der Wortlaut des § 68 Abs. 4 ZPO den bestellten Rechtsanwalt ausdrücklich verpflichte, bis zur Rechtskraft des Entziehungs- oder Erlöschensbeschlusses weiterhin für die Partei zu handeln, so daß kein Raum für eine analoge Anwendung des § 464 Abs. 3 ZPO bleibe. Wollte man selbst in dem hier genannten Fall die Unterbrechung bejahen, dann müßte § 464 Abs. 3 ZPO sinngemäß in allen Fällen angewendet werden, in denen während des Laufes der Rechtsmittelfrist die bisher innegehabte Verfahrenshilfe entzogen oder für erloschen erklärt werde. Da aber eine, wenn auch gleichzeitig mit dem Urteil ausgesprochene Entscheidung, mit der die Verfahrenshilfe für erloschen erklärt oder entzogen werde, frühestens zugleich mit dem Urteil selbst in Rechtskraft erwachse, treffe den solange gültig bestellten Rechtsanwalt bis dahin die Pflicht zur Erhebung der Berufung. Eine Unterbrechung der Berufungsfrist trete daher nicht ein. Eine Pflichtenkollision sei beim Verfahrenshelfer im vorliegenden Fall umso weniger anzunehmen, als der Anwalt ausdrücklich zur Verfassung einer Berufung gegen das angefochtene Urteil bestellt worden sei, wobei das Erstgericht bereits verpflichtet gewesen sei zu prüfen, ob die weitere Rechtsverteidigung durch die Beklagte offenbar mutwillig oder aussichtslos sei. Mit der Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwaltes habe das Erstgericht die Aussichtslosigkeit oder Mutwilligkeit verneint, so daß für den zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt keinerlei Notwendigkeit bestanden habe, einen Antrag nach § 68 Abs. 1 oder 2 ZPO zu stellen. Wie die in der Folge ausgeführte Berufung beweise, habe es der Beklagten auch nicht an einem entsprechenden Berufungsgrund gemangelt. Ob diese Berufung nunmehr aussichtslos sei, könne dahingestellt bleiben.

Da das ZP-Formblatt 4 und die Urteilsausfertigung dem Verfahrenshelfer am 20. Jänner 1978 zugestellt worden seien, habe die Berufungsfrist am 3. Feber 1978 geendet. Die erst am 7. Feber 1978 zur Post gegebene Berufung sei daher verspätet.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht die Fortsetzung des Berufungsverfahrens auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der OGH hat bereits in seiner vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung JBl. 1958, 209 (ebenso 6 Ob 191, 233/60), auf deren Begründung zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, zur Rechtslage vor dem Verfahrenshilfegesetz ausgesprochen, daß die Berufungsfrist dann, wenn die für das Berufungsverfahren bestellte Armenvertreter innerhalb der Berufungsfrist einen Antrag auf Enthebung nach Art. XXXIII EGZPO stellt, bis zur Entscheidung über den Enthebungsantrag unterbrochen wird. Die Absicht des Gesetzgebers, eine Beeinträchtigung der Rechte der armen Partei durch die Behandlung der Armenrechtsfrage zu vermeiden, müsse nämlich selbst dann zur sinngemäßen Anwendung der Bestimmungen der §§ 68 Abs. 3 und 73 Abs. 2 ZPO (in der damaligen Fassung) führen wenn für das Berufungsverfahren bereits ein Armenvertreter bestellt worden sei, weil der Enthebungsantrag immerhin die Frage aufwerfe, ob die Berufung für die arme Partei auf Grund des Armenrechtes zu erheben sei.

Diese Erwägungen haben nach Auffassung des OGH auch für die durch das Verfahrenshilfegesetz geschaffene derzeitige Rechtslage zu gelten. Das Verfahrenshilfegesetz behielt die Grundgedanken der Bestimmungen der §§ 68 Abs. 3 und 73 Abs. 2 ZPO (alte Fassung) bei und strebte in den §§ 68 Abs. 4 und 73 Abs. 2 ZPO (neue Fassung) lediglich eine klarere Regelung in Anlehnung an § 464 Abs. 3 ZPO an; die Befugnis des Armenvertreters, gemäß Art. XXXIII EGZPO seine Enthebung zu beantragen, ging in dem weitergehenden Recht des Verfahrenshelfers auf, gemäß § 68 Abs. 1 oder 2 ZPO zu beantragen, daß die Verfahrenshilfe für erloschen erklärt oder entzogen werde (Regierungsvorlage zum Verfahrenshilfegesetz: 846 BlgNR, XIII. GP, S. 13 ff., EB. 631 zu §§ 68 und 73 ZPO). Gegenüber dem - wie gerade der gegenständliche Fall zeigt - auch heute noch aktuellen Schutzzweck der Normen der §§ 68 Abs. 4, 73 Abs. 2 und 464 Abs. 3 ZPO haben die von Fasching - schon auf Grund der Rechtslage vor dem Verfahrenshilfegesetz geäußerten (Kommentar IV, 52) - Bedenken (siehe nunmehr Erg.-Bd. 55) in den Hintergrund zu treten.

Wurde aber die gegenständlichenfalls gemäß § 464 Abs. 3 ZPO mit der Zustellung des Bestellungsbescheides und der Urteilsausfertigung an den Verfahrenshelfer am 20. Jänner 1978 in Lauf gesetzte Berufungsfrist durch den am 26. Jänner 1978 eingelangten Antrag des Verfahrenshelfers, die der Beklagten bewilligte Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären, unterbrochen, dann ist die nach Zustellung des diesen Antrag abweisenden Beschlusses des Erstgerichtes an den Verfahrenshelfer am 6. Feber 1978 erfolgte Postaufgabe der Berufung am. Es war daher dem Rekurs Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

Z51059

Schlagworte

Berufungsfrist, Unterbrechung durch Antrag des Verfahrenshelfers

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0060OB00604.78.0427.000

Dokumentnummer

JJT_19780427_OGH0002_0060OB00604_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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