TE OGH 1978/7/13 6Ob671/78

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Veröffentlicht am 13.07.1978
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Norm

ABGB §364 Abs2
ABGB §364a

Kopf

SZ 51/114

Spruch

Ein nachbarrechtlicher Unterlassungsanspruch steht dann zu, wenn von einer behördlich genehmigten Anlage feste Körper größeren Umfangs eindringen

OGH 13. Juli 1978, 6 Ob 671/78 (OLG Wien 7 R 176, 177/77; KG St, Pölten 4 Cg 132/76)

Text

Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 368 KG W, auf deren Parzelle 5/1 sein Wohnhaus steht. Auf den Nachbargrundstücken betreibt die beklagte Partei einen Sägewerksbetrieb.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger zuletzt 1. die beklagte Partei schuldig zu erkennen, Tätigkeiten zu unterlassen, a) die zu einer Ablagerung fester Stoffe auf der Liegenschaft des Klägers führen und b) die dazu führen, daß sich gasförmige Stoffe auf seinem Grundstück niederschlagen sowie 2. die beklagte Partei schuldig zu erkennen, dem Kläger 100 000 S zu bezahlen.

Der Kläger stützte dieses Begehren im wesentlichen darauf, daß die beklagte Partei Eigentümer der an sein Grundstück angrenzenden Liegenschaften EZ 22 und 280 KG W sei und dort einen gewerbebehördlich nicht genehmigten Sägewerksbetrieb führe, wodurch Immissionen auf das Grundstück des Klägers in Form einer unzumutbaren und das ortsübliche Maß übersteigenden Lärmentwicklung, Rauchbelästigung und Ablagerung verkohlter Sägespäne und Schmutzteilchen verursacht würden. Entgegen dem behördlichen Verbot, die Anlage vor anstandsloser Überprüfung in Betrieb zu nehmen, betreibe die beklagte Partei ihr Unternehmen in der gleichen störenden Weise weiter, ohne die ihr aufgetragenen Vorkehrungen zu treffen. Die andauernde Lärmbelästigung habe beim Kläger psychische Schädigungen (Überreizung, Schlaflosigkeit, Nervosität und ähnliches) hervorgerufen, für deren Abgeltung der begehrte Betrag von 100 000 S angemessen sei.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wendete im wesentlichen ein, daß es sich bei dem von ihr betriebenen Sägewerk um eine behördlich genehmigte Anlage im Sinne des § 364a ABGB handle, so daß dem Kläger ein Unterlassungsanspruch nicht zustehe. Im übrigen überstiegen die von ihrem Betrieb ausgehenden Immissionen nicht das ortsübliche Maß. Auch der begehrte Betrag von 100 000 S aus dem Titel der "nervlichen Gesundheitsstörung" komme dem Kläger nicht zu, weil die von ihm behaupteten Beeinträchtigungen nicht gegeben bzw. von der beklagten Partei nicht zu vertreten seien. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung des Klägers keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Unterlassungsbegehrens 60 000 S übersteigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kläger bestreitet in seiner Rechtsrüge nicht mehr, daß es sich bei dem Sägewerksbetrieb der beklagten Partei um eine behördlich genehmigte Anlage im Sinne des § 364a ABGB handelt. Er versucht jedoch darzutun, daß es sich bei den von ihm vorgelegten vom Betrieb der beklagten Partei auf seine Liegenschaft gelangten Hobelspänen nicht um Einwirkungen der im § 364 Abs. 2 ABGB bezeichneten Art, sondern um feste Körper größeren Umfanges gehandelt habe, deren Einwirkung auf sein Grundstück der auch nach der Vorschrift des § 364a ABGB nicht zu dulden verpflichtet sei.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Richtig ist, daß sich nach Lehre und Rechtsprechung die Bestimmung des § 364a ABGB nur auf Einwirkungen der im § 364 Abs. 2 ABGB bezeichneten Art bezieht, daß also der Gründeigentümer keine Möglichkeit hat, sich gegen eine von einer benachbarten behördlich genehmigten Anlage ausgehenden Einwirkung der im § 364 Abs. 2 ABGB bezeichneten Art mit Unterlassungsklage zur Wehr zu setzen, daß ihm aber ein solcher Unterlassungsanspruch auch gegen von einer solchen Anlage ausgehende Beeinträchtigungen zusteht, wenn es sich um das Eindringen fester Körper größeren Umfanges handelt (Klang in Klang[2]II, 170; Ehrenzweig System[2]I/2, 132; SZ 14/224; EvBl. 1939/525; SZ 44/22; 6 Ob 673/77).

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein von einer Liegenschaft auf ein in der Nähe liegendes Grundstück gelangter fester Körper den im § 364 Abs. 2 ABGB bezeichneten Immissionen gleichgehalten werden kann, kann es entgegen der in der Revision des Klägers vertretenen Meinung, nicht auf die Beschaffenheit des beeinträchtigten Grundstückes ankommen. Im übrigen ist die in der Revision aufgestellte Behauptung, daß vom Sägewerksbetrieb der beklagten Partei Hobelspäne in solchem Ausmaß auf die Liegenschaft des Klägers gelangt wären, daß sie einige hundert Quadratmeter Wiese und die Wasserfläche des Schwimmbeckens in einer einige Zentimeter hohen Schicht bedeckt hätten, eine im "Revisionsverfahren unzulässige Neuerung.

In Lehre und Rechtsprechung (s. die oben zitierte Literatur und Judikatur) wurde im wesentlichen nur das Abgrenzungskriterium entwickelt, daß ein fester Körper, um den im § 364 Abs. 2 ABGB beispielsweise aufgezählten Immissionen gleichgestellt werden zu können, nicht größeren Umfanges sein dürfe bzw. von äußerst geringem Umfang sein müsse. Die Anwendung dieser Abgrenzungskriterien mag im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Zieht man aber den Zweck der Bestimmung des § 364a ABGB in Betracht, der letztlich darin liegt, den Gründeigentümer im öffentlichen Interesse und im Interesse der Volkswirtschaft auch zur Duldung einer das ortsübliche Maß übersteigenden Immission zu verpflichten, wenn ein behördlich genehmigter Gewerbebetrieb ohne derartige Immissionen nicht geführt werden kann, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß ein fester Körper dann den im § 364 Abs. 2 ABGB beispielsweise aufgezählten sogenannten "Imponderabilien" gleichgehalten werden kann, wenn es sich um einen verhältnismäßig kleinen Körper handelt, dessen völlige Fernhaltung vom beeinträchtigten Grundstück auch bei ordnungsgemäßem Betrieb der behördlich genehmigten Anlage tatsächlich unmöglich ist (ähnlich Staudinger, Kommentar[11] III/1, 422 zu § 906 BGB, der das Vorbild zur Bestimmung des § 364 Abs. 2 ABGB gab).

Diese Kriterien treffen aber auch für die vom Kläger vorgelegten Hobelspäne zu. Selbst wenn diese also vom Betrieb der beklagten Partei auf das Grundstück des Klägers gelangt wären, könnte daraus der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die beklagte Partei zufolge der Vorschrift des § 364a ABGB nicht abgeleitet werden.

Mit Recht haben daher die Vorinstanzen das Unterlassungsbegehren des Klägers abgewiesen.

Bezüglich der Abweisung des Zahlungsbegehrens des Klägers wird in der Revision nichts ausgeführt. Bei dem dem beeinträchtigten Gründeigentümer im § 364a ABGB eingeräumten Ersatzanspruch handelt es sich um keinen Schadenersatzanspruch ex delicto, sondern um einen aus dem Gesetz entspringenden dem Anspruch auf Entschädigung wegen Enteignung verwandten Ausgleichsanspruch, den Gegenwert für die dem Anrainer auferlegte Eigentumsbeschränkung (Klang in Klang[2] II, 176). Die vom Kläger allein behauptete gesundheitliche (psychische) Beeinträchtigung seiner Person, auf die er sein Zahlungsbegehren stützte, hat mit diesem Ausgleichsanspruch im Sinne des § 364a ABGB überhaupt nichts zu tun. Die Voraussetzungen für den Zuspruch eines Schmerzengeldes im Sinne des § 1325 ABGB,namlich eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung an seinem Körper durch die beklagte Partei, hat der Kläger nicht einmal behauptet. Auch das Zahlungsbegehren des Klägers wurde daher ohne Rechtsirrtum abgewiesen.

Anmerkung

Z51114

Schlagworte

nachbarrechtlicher Unterlassungsanspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0060OB00671.78.0713.000

Dokumentnummer

JJT_19780713_OGH0002_0060OB00671_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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