TE OGH 1978/11/14 9Os158/78

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Veröffentlicht am 14.11.1978
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Der Oberste Gerichtshof hat am 14. November 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sailer als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef A wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 29. März 1978, GZ. 4 U 3/77-29, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Strasser, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 29. März 1978, GZ. 4 U 3/77-29, mit dem - bei gleichzeitigem Vorliegen eines unerledigten Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil dieses Gerichtes vom 28. Juni 1977, GZ. 4 U 3/77-19, '1.) der Antrag des Josef A auf Wiedereinsetzung zur Erhebung eines Einspruches (gegen dasselbe Urteil) abgewiesen, und 2.) der Einspruch als verspätet zurückgewiesen' wurde, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der § 364 Abs. 1 und 2, 427 Abs. 3 (447) StPO Gemäß § 292 StPO werden dieser Beschluß und alle darauf beruhenden Verfügungen aufgehoben und es wird im Umfang dieser Aufhebung die Erneuerung des Verfahrens entsprechend dem Gesetze angeordnet.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 28. Juni 1977, GZ. 4 U 3/77-19, wurde der am 22. August 1924

geborene Gelegenheitsarbeiter Josef A, dem die an die Adresse Heimstättenhof 18, 4053 Haid/Ansfelden gerichtete Vorladung zur Hauptverhandlung durch postamtliche Hinterlegung am 1. Juni 1977 (nach Aufforderung zur Anwesenheit vom 31. Mai 1977) zugestellt worden war (Rückschein und angeschlossenes, nicht behobenes Kuvert: S. 3 e), in seiner Abwesenheit (§ 459 StPO) des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, weil er in der Zeit von Mai 1976 bis Juni 1977, ausgenommen die Monate August und Oktober 1976 sowie Februar 1977, seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem am 7. April 1959 geborenen außerehelichen Sohn Adolf B gröblich verletzt und dadurch bewirkt hatte, daß dessen Unterhalt ohne Hilfe von dritter Seite gefährdet gewesen wäre. Dieses Urteil wurde dem Angeklagten an die bereits erwähnte Adresse zu eigenen Handen zugestellt und am 13.September 1977 beim Postamt Haid hinterlegt, nachdem er der anläßlich des ersten Zustellversuches am 12.September 1977 hinterlassenen Aufforderung zur Anwesenheit am 13.September 1977 nicht Folge geleistet hatte (Rückschein S.3 g).

Auch der Gerichtsbrief mit der Urteilsausfertigung wurde vom Angeklagten nicht behoben und langte am 5.Oktober 1977 an das Bezirksgericht Linz-Land zurück (siehe das in den Akten nicht einjournalisierte, dem Antrags- und Verfügungsbogen angeschlossene Kuvert).

Das Bezirksgericht Linz-Land erließ hierauf am 28.Oktober 1977 die Endverfügung, einschließlich der Strafvollzugsanordnung und der Aufforderung an den Verurteilten zum Strafantritt (ON 21), welch' letztere dem Verurteilten am 4.November 1977 ebenfalls durch Hinterlegung zugestellt wurde (Rückschein S.106).

In seinem am 11.November 1977 vor dem Bezirksgericht Linz-Land zu Protokoll gegebenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Anmeldung der Berufung und des Einspruches gegen das in seiner Abwesenheit gefällte Urteil behauptete der Verurteilte u.a., er sei zur Hauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden, habe weder die Vorladung noch eine Aufforderung (zur Anwesenheit) oder eine Hinterlegungsanzeige betreffend die Vorladung zur Hauptverhandlung erhalten und sei im September 1977 (Urteilszustellung: 13. September 1977) 'etwa 4 bis 5 Wochen' nicht an der Zustelladresse Haid, Heimstättenhof 18, anwesend gewesen.

Gleichzeitig beantragte der Verurteilte die (neuerliche) Zustellung einer Urteilsausfertigung an ihn und meldete gegen das Urteil Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (ON 22). Nach Durchführung von Erhebungen zur Frage der Anwesenheit des Verurteilten am Zustellungsort zu den Zustellungszeiten (vgl. ON 23, 24 und 26 bis 28) wies das Bezirksgericht Linz-Land mit Beschluß vom 29. März 1978 den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruches ab und diesen selbst als verspätet zurück. Dieser Beschluß, welcher dem Verurteilten am 7. April 1978 zu eigenen Handen zugestellt wurde, ist in Rechtskraft erwachsen (ON 29).

Nunmehr legte das Bezirksgericht Linz-Land die Akten zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Berufung dem - zuständigen - Landesgericht Linz vor, das diesen bisher noch nicht erledigt hat. II./ Der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 29.März 1978, GZ 4 U 3/77-29, mit welchem über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist abweislich entschieden und der Einspruch als verspätet zurückgewiesen wurde, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 364 Abs.1 und 2 (§ 447) StPO ist zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels gegen ein Urteil das Gericht zuständig, das zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufen ist (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/3 Nr.15 zu § 364 StPO; 11 Os 31,32/70; Lohsing-Serini 537 f). Zu den Rechtsmitteln im Sinne dieser Gesetzesstelle zählt (vgl. KH 1017 = Gebert-Pallin-Pfeiffer III/3 Nr.16

zu § 364 StPO; Lohsing-Serini 537 f) auch der Einspruch gegen ein in Abwesenheit des Angeklagten gefälltes Urteil (§ 427 Abs.1 und 3, 459 bzw. 478 StPO, über welchen, wenn es sich um ein Urteil des Gerichtshofes handelt, grundsätzlich der Gerichtshof zweiter Instanz (§ 427 Abs.3 StPO), wenn der Einspruch aber gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes gerichtet ist, dieses selbst (§ 478 Abs.2 StPO) zu entscheiden hat. Für das Gerichtshofverfahren ergibt sich aus § 427 Abs.3 StPO die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes zur Entscheidung (auch) über den Einspruch für den Fall einer durch den Einspruchswerber oder von anderer Seite ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde (siehe neuerlich Gebert-Pallin-Pfeiffer, III/3 Nr.13 zu § 364 StPO; ebenso 12 Os 101/72). Gemäß diesen Zuständigkeitsvorschriften des § 364

Abs.1 und 2 StPO (in Ansehung der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag) und des § 427 Abs.3 StPO (hinsichtlich zusammentreffender Einsprüche und Nichtigkeitsbeschwerden) ist auch zur Entscheidung über kumulierte Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zum Einspruch gegen ein in Abwesenheit gefälltes Urteil und gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung (Ausführung) einer dagegen gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung allein jenes Gericht zuständig, das auch über die Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung zu erkennen hat (12 Os 159-161/73;

KH 1017). Dies gilt auch für das bezirksgerichtliche Verfahren, wenn - wie vorliegend - der Wiedereinsetzungsantrag sowohl den Einspruch als auch die damit zulässigerweise verbundene (EvBl.1970/188) Berufungsanmeldung (§ 478 Abs.1 und 2 StPO) betrifft. In diesem Fall muß in sinngemäßer Anwendung des § 427 Abs.3 StPO nach § 364 Abs.1 und 2 StPO die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag in der einen und in der anderen Richtung dem Berufungsgericht vorbehalten bleiben (Lohsing-Serini 538).

Deshalb wäre auch vorliegend zur Entscheidung über den kumulierten Wiedereinsetzungsantrag nicht das Bezirksgericht Linz-Land (als gemäß dem § 478 Abs.2 StPO an sich für die Einspruchsentscheidung zuständiges Gericht), sondern das Landesgericht Linz als Berufungsgericht zuständig gewesen. Der gegenteilige Vorgang (Trennung des Wiedereinsetzungsbegehrens in zwei Teile zur abgesonderten Erledigung jedes dieser Teile des Begehrens durch verschiedene Gerichte) verstieß sowohl gegen die formellen Bestimmungen der § 364 Abs.1 und 2, 427 Abs.3 (447) StPO als auch gegen die Natur der Sache. Denn ein solches Verfahren könnte dahin führen, daß auf Grund derselben zur Begründung des Restitutionsbegehrens angeführten Tatsachen zwei einander widersprechende Entscheidungen der verschiedenen mit dieser Sache befaßten Gerichte ergehen (KH 1017).

Diese Gesetzesverletzung gereicht dem Angeklagten zum Nachteil im Sinne des § 292 StPO, weil er durch den aufgezeigten Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften seinem gesetzlichen Richter, nämlich dem Landesgericht Linz, entzogen wurde, an dessen Stelle das sachlich unzuständige Bezirksgericht Linz-Land entschieden hat (vgl. auch 9 Os 155/75).

Es war daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs.2 StPO erhobenen begründeten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Sinne des letzten Satzes des § 292 StPO spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E01604

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0090OS00158.78.1114.000

Dokumentnummer

JJT_19781114_OGH0002_0090OS00158_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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