TE OGH 1979/6/13 10Os87/79

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Veröffentlicht am 13.06.1979
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Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Juni 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek, in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Harbich sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Ackerl als Schriftführer in der zunächst beim Bezirksgericht Spittal/Drau unter dem AZ U 69/79 und sodann beim Bezirksgericht Imst unter dem AZ U 100/79 geführten Strafsache gegen Christian A wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung sowie gegen Renate B wegen des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 Z 1 und Z 2 StGB über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen die gemeinsame Verfahrensführung gegen beide Beschuldigten und gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 19. Februar 1979, AZ U 69/79, S 3, betreffend die Abtretung der Strafsache gemäß § 33 JGG an das Bezirksgericht Imst, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Strasser, zu Recht erkannt:

Spruch

In der obigen Strafsache wurde das Gesetz verletzt, und zwar 1) durch die gemeinsame Führung des Strafverfahrens gegen Christian A wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs 1 StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung und gegen Renate B wegen des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 Z 1 und Z 2 StGB, in der Bestimmung des § 56 Abs 1

StPO, 2) durch den Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 19. Februar 1979 (S 3 der Akten U 69/79 /= U 100/79 des Bezirksgerichtes Imst/), betreffend die Abtretung der Strafsache gemäß § 33 JGG an das Bezirksgericht Imst in der Bestimmung des § 33

JGG.

Der vorgenannte Beschluß wird aufgehoben und es werden die - gegen beide Beschuldigten getrennt zu führenden - Strafsachen einerseits gemäß § 51 Abs 2 StPO und andererseits gemäß § 33 JGG an das jeweils örtlich zuständige Bezirksgericht Spittal/Drau verwiesen. Mit ihren (hiedurch gegenstandslos gewordenen) Delegierungsanträgen werden Christian A und Renate B auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

I./ Aus den, dem Obersten Gerichtshof (AZ 10 Nds 71/79) zur Entscheidung über die Anträge der Beschuldigten Christian A und Renate B auf Delegierung der Strafsache an das Bezirksgericht Spittal/Drau vorgelegten Akten U 100/79 des Bezirksgerichtes Imst ergibt sich folgender Sachverhalt:

Am 9. Jänner 1979 langte beim Bezirksgericht Spittal/Drau eine Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos Greifenburg gegen 1. den am 27. Juli 1956 geborenen Bäcker Christian A und 2. die am 27. März 1961 geborene, sohin zur Zeit der Einleitung des Strafverfahrens noch jugendliche Wäscherin Renate B wegen 'Gelddiebstahls' ein, worin dem Christian A der am 26. Dezember 1978 zum Nachteil des Alois C in Amlach, Gemeinde Greifenburg, verübte Diebstahl einer Geldtasche mit etwa 1.040 S Bargeld vorgeworfen und Renate B der Verhehlung des Diebsgutes durch Verstecken der Geldtasche im Hause des Bestohlenen, nachfolgenden Verbrauch von rund 540 S zusammen mit Christian A sowie Verbergen einer Fünfhundertschillingnote am folgenden Tag (unter der Wäsche am Körper) verdächtigt wird. Beide Beschuldigten waren zur Zeit der Anzeige in Pusarnitz bei Spittal/Drau wohnhaft (S. 5 und 9).

Auf Grund dieses Sachverhaltes beantragte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt beim Bezirksgericht Spittal/Drau die Bestrafung des Christian A wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs 1 StGB und der Renate B wegen des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 Z 1 und 2 StGB.

Vom Bezirksgericht Spittal/Drau veranlaßte ergänzende Erhebungen ergaben, daß die Eltern der in der Zwischenzeit nach Seeboden verzogenen Beschuldigten Renate B, nämlich Arthur und Lotte B, ihren Wohnsitz in Oberdorf, 6473 Wenns in Tirol hatten (ON 4). Das Bezirksgericht Spittal/Drau, welches mittlerweile am 24. Jänner 1979 das zu seinem AZ U 83/79 gegen Christian A wegen Verdachtes des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB anhängige Verfahren - ersichtlich gemäß § 56 Abs 1 StPO - einbezogen hatte (ON 3), trat daraufhin mit Beschluß vom 19. Februar 1979 das gesamte Verfahren gegen Christian A und Renate B gemäß § 33 JGG an das Bezirksgericht Imst ab (S. 3).

Entsprechend dem Ersuchen dieses Gerichtes wurden Renate B und Christian A am 14. März 1979 vom Bezirksgericht Spittal/Drau im Rechtshilfeweg als 'Beschuldigte' vernommen; beide beantragten unter Hinweis auf ihren im Sprengel des Bezirksgerichtes Spittal/Drau gelegenen Wohnsitz (in Seeboden bzw. Pusarnitz) die Zuweisung der Strafsache an das Bezirksgericht Spittal/Drau (ON 5, S. 35, ON 6, S. 38).

Diesen Delegierungsanträgen stimmte der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Imst am 28. März 1979 zu (S. 3).

Nachdem zufolge Auftragserteilung durch das Oberlandesgericht Innsbruck vom 10. April 1979 (ON 10) das Bezirksgericht Imst am 19. bzw. 20. April 1979 Äußerungen der Eltern der Renate B zu deren Delegierungsantrag eingeholt hatte (ON 11 und 12), wurden die Akten U 100/79 des Bezirksgerichtes Imst dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die Delegierungsanträge vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

II./ § 62 StPO hat zur Voraussetzung, daß eine zu delegierende Strafsache bei einem zuständigen Gericht anhängig ist, was vorliegend für das Bezirksgericht Imst jedoch nicht zutrifft. Der Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 19. Februar 1979, S. 3 (womit das Strafverfahren gegen Christian A und Renate B gemäß § 33 JGG an das Bezirksgericht Imst abgetreten wurde) steht nämlich mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach § 33 JGG ist für das Verfahren in Jugendstrafsachen (primär) das Gericht, das die Vormundschaft über den Beschuldigten führt, örtlich zuständig. Fehlt es (zugleich) an der sachlichen Zuständigkeit (dieses Gerichts) oder steht der Beschuldigte nicht unter Vormundschaft (oder Pflegschaft - vgl. Leukauf-Steininger, Nebengesetze S. 170, JGG § 33 Rechtsprechung Pkt. 3; 9 Nds 147/76), so ist nach dem Gesetzeswortlaut das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Beschuldigte zur Zeit der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz oder - in Ermangelung eines solchen - seinen Aufenthalt (SSt 35/34) hat. Dabei ist als Wohnsitz im Sinne dieser Gesetzesstelle stets nur der (vom jugendlichen Beschwerdeführer gewählte) tatsächliche (eigene) Wohnsitz (und nie ein abgeleiteter gemäß § 71 JN), mithin jener Ort anzusehen, an dem sich der Jugendliche selbst faktisch bleibend niedergelassen hatte (so bereits - im Ergebnis Kadecka, Das österreichische Jugendgerichtsgesetz, S. 138, und - sinngemäß - Piska, ÖJZ 1959 S. 568 Anm. 3).

Wie vom Obersten Gerichtshof erhoben, ist und war beim Bezirksgericht Imst weder ein Vormundschafts- noch ein Pflegschaftsverfahren gegen die zur Einleitung des Strafverfahrens noch jugendliche Beschuldigte Renate B anhängig. Demnach fehlt es an einem die Abtretung des Strafverfahrens an das Bezirksgericht Imst durch das Bezirksgericht Spittal/Drau rechtfertigenden Kompetenztatbestand nach § 33

JGG. Dieser Bestimmung gemäß war das Bezirksgericht Spittal/ Drau infolge des bei Einleitung des Strafverfahrens in seinem Sprengel gelegenen Wohnsitzes der jugendlichen Beschuldigten örtlich zuständig. Das Bezirksgericht Imst hingegen ist in Ansehung beider Beschuldigten örtlich unzuständig;

ein von ihm gefälltes Urteil wäre nichtig im Sinne des § 468 Abs 1 Z 1 StPO

Somit verbietet sich eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über die gegenständlichen Delegierungsanträge. Das Delegierungsverfahren ist zur Sanierung der unterlaufenen Gesetzesverletzungen, welche sich zum Nachteil der Beschuldigten auswirken können, ungeeignet.

Es ist aber vorliegend nicht nur gegen § 33 JGG verstoßen worden, sondern es widerspricht (zunächst) auch die bisherige gemeinsame Verfahrensführung gegen beide Beschuldigte mangels objektiver Konnexität im Sinne der §§ 55

und 56 Abs 1 StPO dem Gesetz.

Aus dem Grunde einer solchen Konnexität ist nach der letzteren Vorschrift nur das Verfahren gegen alle an derselben strafbaren Handlung beteiligte Personen gemeinsam zu führen und es begründet gemäß § 55 StPO (in der durch Art I Z 16 des StrafprozeßanpassungsG BGBl. Nr. 423/1974

geänderten und nunmehr völlig eindeutigen Fassung) die Zuständigkeit des Gerichtes für den unmittelbaren Täter auch die Zuständigkeit für die anderen im Sinne des § 12 StGB Beteiligten aber auch (anders als § 55 StPO a. F., der die 'Teilnehmer' und damit beispielsweise beim Diebstahl die Hehler miteinbezog) nur für diese. Der Hehler ist solcherart nicht an derselben Tat wie der Dieb beteiligt und es besteht daher im Verhältnis zu jenem als Vortäter keine objektive Konnexität (Foregger-Serini, StPO2, S 77 Erl. zu § 55 StPO; Loebenstein, ÖJZ 1975 S 224). Demnach gilt für die örtliche Zuständigkeit in Ansehung des erwachsenen Beschuldigten Christian A die Bestimmung des § 51 StPO

Da der Tatort im Sprengel des Bezirksgerichtes Spittal/Drau gelegen ist, war dieses Gericht, welches außerdem das Fehlen der Voraussetzungen nach §§ 55 und 56 Abs 1 StPO zu beachten gehabt hätte, gemäß § 51 Abs 1 StPO von vornherein für diesen Beschuldigten örtlich zuständig.

Schließlich läuft der erwähnte Auftrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 10. April 1979 und die daraufhin vom Bezirksgericht Imst verfügte Einholung von Äußerungen der Eltern der Beschuldigten Renate B - wie bloß der Vollständigkeit halber noch am Rande vermerkt sei - ebenfalls dem Gesetz zuwider, weil in Jugendstrafsachen die §§ 38 bis 41 JGG und somit auch die - das Recht des gesetzlichen Vertreters auf Mitwirkung (am Verfahren) regelnde -

Vorschrift des § 39 nur auf Beschuldigte (Angeklagte) Anwendung finden, die im Zeitpunkt der in Betracht kommenden Prozeßhandlung noch 'Jugendliche' im Sinne der Begriffsbestimmung des § 1 Z 2 JGG sind (SSt 42/51 ua), Renate B aber das 18. Lebensjahr schon am 27. März 1979 vollendet hatte.

Da diese zuletzt aufgezeigte Gesetzesverletzung keinen unmittelbaren Nachteil für die Beschuldigte B nach sich zog, kann es mit deren Feststellung sein Bewenden haben.

Im übrigen aber war über die von der Generalprokuratur gemäß § 33 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Sinne des letzten Satzes des § 292

StPO spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E02108

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0100OS00087.79.0613.000

Dokumentnummer

JJT_19790613_OGH0002_0100OS00087_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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