TE OGH 1981/10/20 10Os161/81

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Veröffentlicht am 20.10.1981
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Oktober 1981

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Gerstberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Franz A und einen anderen wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB. über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Einzelrichters des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 19.Februar 1981, GZ. 12 a E Vr 1484/80-8, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ. 12 a E Vr 1484/80 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt gegen Franz A und Franz B wegen §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB. verletzen die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung durch den Einzelrichter sowie die nachfolgende Fällung des (Sach-) Urteils vom 19.Februar 1981, GZ. 12 a E Vr 1484/80-8, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 13 Abs 2 Z. 1 (485 Abs 1 Z. 2, 488 Z. 6) StPO.

Dieses Urteil wird aufgehoben, die Unzuständigkeit des Einzelrichters ausgesprochen und dem Erstgericht aufgetragen, dem Gesetz gemäß vorzugehen.

Die Angeklagten werden mit ihren Berufungen (wegen Nichtigkeit) auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 30.Jänner 1937 geborene, insbesondere wegen Aggressionsdelikten (mehrfach) vorbestrafte Franz A wurde unter anderem mit den (im Verhältnis des § 265 StPO. a. F. zueinanderstehenden) Urteilen des Bezirksgerichtes Wr. Neustadt vom 9.Februar 1971, GZ. 5 a U 74/71-7, (in Verbindung mit der Entscheidung des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 10.September 1971, ON. 11) und vom 15.Februar 1972, GZ. 5 a U 2353/70-26, - im ersten Fall ausschließlich und im zweiten außer einer anderen strafbaren Handlung - jeweils der Übertretung der vorsätzlichen und bei Raufhändeln vorkommenden körperlichen Beschädigung nach § 411 StG. schuldig erkannt und zu Freiheitsstrafen (von einem Monat bzw. drei Wochen) verurteilt; diese Strafen verbüßte er vom 28.Jänner bis 28.Februar 1972 bzw. vom 28.Februar bis 21.März 1973 (vgl. ON. 16 und 41 a der bezeichneten Vorstrafakten). Hierauf wurde er mit den (gleichfalls im Verhältnis des § 265 StPO. a.F. zueinander stehenden) Urteilen des Kreisgerichtes Wr. Neustadt vom 17.September 1974, GZ. 10 c E Vr 885/73-25, wegen des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit durch gefährliche Drohung nach § 99 StG. und des Landesgerichtes Eisenstadt vom 21.Oktober 1974, GZ. 7 b E Vr 583/74-5, wegen des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung nach §§ 152, 155 lit b StG. zu jeweils vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die (in unmittelbarer Aufeinanderfolge) vom 7.Mai 1975 bis 7.Jänner 1976 vollzogen wurden (vgl. ON. 39 und 16 der beiden zuletzt zitierten Akten).

Ungeachtet dieser - wegen auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB.) beruhender Straftaten - vollzogenen Vorstrafen wurde Franz A neuerlich (einschlägig) straffällig; ein Einzelrichter des Kreisgerichtes Wr. Neustadt sprach ihn und Franz B (auf Grund des von der Staatsanwaltschaft gemäß § 483 f. StPO. eingebrachten Strafantrages vom 7.November 1980) am 19.Februar 1981 zur GZ. 12 a E Vr 1484/80-8, des am 14.Oktober 1980

(von Franz A demnach noch vor Ablauf der im § 39 Abs 2 StGB. normierten Rückfallsverjährungsfrist) in Wr. Neustadt im bewußten und gewollten Zusammenwirken begangenen Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB. schuldig und verhängte hiefür Freiheitsstrafen (von sechs bzw. vier Monaten). Über ihre gegen dieses Urteil angemeldeten, jedoch nicht ausgeführten Berufungen wegen Nichtigkeit wurde vom Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht noch nicht entschieden. Ein Verteidiger stand den Beschuldigten im bisherigen Verfahren nicht zur Seite.

Rechtliche Beurteilung

Die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung sowie die Fällung eines Sachurteils durch den Einzelrichter stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 13 Abs 2 Z. 1 StPO. obliegt die Hauptverhandlung und Urteilsfällung wegen der dem Gerichtshof erster Instanz zugewiesenen strafbaren Handlungen dem Schöffengericht, wenn eine Freiheitsstrafe angedroht ist, deren Höchstmaß drei Jahre, in den Fällen des § 129 Z. 1

bis 3 StGB. aber fünf Jahre übersteigt. Auf die Veränderung der Strafdrohungen durch § 39 StGB. ist dabei Bedacht zu nehmen (§ 8 Abs 3 StPO.; vgl. dazu auch EvBl 1975/268 =

verstärkter Senat).

Die Strafdrohung des § 84 Abs 1 StGB. reicht bis zu drei Jahren. Gemäß § 39 StGB. kann das Höchstmaß um die Hälfte überschritten werden, wenn der Täter schon zweimal wegen Taten, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, diese Strafen wenigstens zum Teil, wenn auch nur durch Anrechnung einer Vorhaft, verbüßt hat und nach Vollendung des 18. Lebensjahres neuerlich aus der gleichen schädlichen Neigung eine strafbare Handlung begeht.

Diese Voraussetzungen lagen im gegebenen Fall vor:

Der Beschuldigte war am 14.Oktober 1980 bereits 43 Jahre alt und hatte schon (mehr als) zwei Freiheitsstrafen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Straftaten verbüßt. Die nach § 8 Abs 3 StPO. maßgebliche Strafdrohung reichte daher bis zu 4 1/2 Jahren Freiheitsstrafe, sodaß zur Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung das Schöffengericht zuständig gewesen wäre. Demzufolge hätte der Einzelrichter - anstatt eine Hauptverhandlung anzuordnen - von vornherein gemäß § 485 Abs 1 Z. 2 StPO. die Entscheidung der Ratskammer über seine Unzuständigkeit herbeiführen müssen. Keinesfalls durfte er in der Hauptverhandlung ein Sachurteil fällen;

vielmehr war er (dort) verbunden, gemäß § 488 Z. 6 StPO. (mit Urteil) seine Unzuständigkeit auszusprechen. Eine allfällige Ausscheidung des Verfahrens gegen Franz B, bei dem die Voraussetzungen des § 39 StGB. nicht vorliegen, war dem Einzelrichter schon darum verwehrt, weil nach der Vorschrift des § 56 StPO. das jeweils höher organisierte Gericht (vorliegend also der Schöffensenat) zur gleichzeitigen Durchführung des Strafverfahrens gegen alle an derselben strafbaren Handlung beteiligten Personen berufen ist, dem allein dann eine etwaige Verfügung i.S. des § 57 StPO. zukommt.

Da die leugnenden Beschuldigten in der Hauptverhandlung nicht durch einen Verteidiger vertreten waren, gereichte ihnen die gesetzwidrige Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter schon deshalb zum Nachteil;

im Verfahren vor dem Schöffengericht hätte nämlich Pflichtverteidigung (§ 41 Abs 3 StPO.) bestanden.

In Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs 2 StPO. erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren sohin die aufgezeigten Gesetzesverletzungen festzustellen und nach § 292 letzter Satz StPO. wie im Spruch zu beheben.

Im Sinn des § 486 Abs 2 StPO. wird es dem Ankläger obliegen, die zur Einleitung des gesetzlichen Verfahrens erforderlichen Anträge zu stellen.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E03416

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1981:0100OS00161.81.1020.000

Dokumentnummer

JJT_19811020_OGH0002_0100OS00161_8100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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