TE OGH 1981/12/22 9Os179/81

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Veröffentlicht am 22.12.1981
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger, Dr. Horak und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schlögl als Schriftführer in der Strafsache gegen Abdel Mohsin Mahmud A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 30.September 1981, GZ. 20 b Vr 4480/81-57, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 21-jährige sudanesische Staatsbürger Abdel Mohsin Mahmud A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB. und des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 StGB. schuldig erkannt und hiefür zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat er am 23.April 1981 in Wien 1. Angela C dadurch, daß er sie zuerst bewußtlos schlug und dann mit einem Messer mehrmals ins Herz stach, vorsätzlich getötet, und 2. der Genannten mit der zu 1. bezeichneten Gewalt gegen ihre Person unter Verwendung eines Messers mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm, sohin unter Verwendung einer Waffe, 48.500 S mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Die Geschwornen hatten lediglich eine Hauptfrage (1) wegen Verbrechens des Mordes und eine Hauptfrage (2) wegen Verbrechens des versuchten schweren Raubes zu beantworten;

weitere Fragen waren ihnen nicht gestellt worden. Sie haben die Hauptfrage 1 (nach Mord) stimmenmehrheitlich (7 Ja-Stimmen gegen 1 Nein-Stimme) und die Hauptfrage 2

(nach versuchtem schweren Raub) stimmeneinhellig bejaht. Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z. 6 des § 345 Abs 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung.

In Ausführung des geltendgemachten Nichtigkeitsgrundes bringt er vor, er habe sich in der Hauptverhandlung zwar schuldig bekannt, in der Folge sich aber dahin verantwortet, daß er sich nur deshalb in die Wohnung der Angela C begeben habe, um dort Geld zu stehlen, ohne sich über die Art der Tatverübung weitere Gedanken zu machen. In der Wohnung sei es zunächst zu einer wörtlichen Auseinandersetzung mit C gekommen; als ihn die Frau am Hals erfaßt habe, sei er in eine Paniksituation geraten und habe die Frau ins Gesicht geschlagen, damit sie ihn loslasse, worauf sie ihn nur noch fester umklammert habe. Ohne zu wissen was er tue habe er vermutlich noch stärker zugeschlagen. Dann habe die Frau ihn schließlich losgelassen und mit stechendem Blick angesehen, worauf er ein auf dem Tisch liegendes Messer genommen und damit auf die Frau losgestochen habe. Im Moment dieser Stiche und auch schon bei den Schlägen habe er weder an das Geld gedacht noch mit der Möglichkeit gerechnet, die Frau zu töten, sondern sie nur mit dem Messer bedrohen oder schlagen wollen, damit sie ihn nicht mehr anschaue.

Rechtliche Beurteilung

Diese seine Darstellung finde auch in den Gutachten der psychiatrischen und psychologischen Sachverständigen Deckung, die ihm eine Kurzschlußreaktion bzw. eine heftige Gemütsbewegung zur Tatzeit eingeräumt hätten und davon ausgegangen seien, daß bei ihm in psychisch belastenden Situationen, die er nicht bewältigen könne, eine Tendenz bestehe, in Panik zu geraten, die zu impulsiven affektiven Reaktionen führe. Als (für die Tatverübung) wesentlicher Umstand komme hinzu, daß er unbedingt wollte, seine damals schon schwanger gewesene Freundin und jetzige Ehefrau solle das Kind zur Welt bringen (und es nicht, wie von ihr erwogen, aus Geldmangel abtreiben lassen).

Auf Grund seiner Verantwortung hinsichtlich der subjektiven Tatseite hätten daher Eventualfragen in Richtung Totschlag, absichtlicher schwerer Körperverletzung und Körperverletzung mit tödlichem Ausgang sowie in Richtung Diebstahl gestellt werden müssen. Diesen Ausführungen kann zum überwiegenden Teil Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Der Beschwerdeführer hat zwar vor der Sicherheitsbehörde (S. 44 d. A.) und vor dem Untersuchungsrichter (S. 75 d.A.) ausdrücklich zugegeben, daß er Angela C berauben wollte; in der Hauptverhandlung hat er jedoch, nachdem er sich eingangs noch schuldig bekannt hatte (S. 445 d.A.), dieses Geständnis nicht aufrecht erhalten, sondern behauptet, er habe Angela C nur bestehlen wollen (S. 449, 453 d.A.). Einen Tötungsvorsatz hat er niemals ausdrücklich zugegeben (S. 44 ff., 73 ff., 455 d.A.).

Gemäß § 314 Abs 1 StPO. sind Eventualfragen dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht werden, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das bezügliche Tatsachenvorbringen glaubwürdig ist oder nicht - darüber haben allein die Geschwornen durch ihren Wahrspruch zu befinden -, sondern nur darauf, daß im Zuge des Beweisverfahrens überhaupt entsprechende Tatsachen vorgebracht worden sind (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO. Nr. 49 und 50

zu § 345 Z. 6). Der Schwurgerichtshof darf daher die Stellung von Eventualfragen nicht bloß deshalb unterlassen, weil er der Überzeugung ist, daß sich die vorgebrachte Tatsache nicht zugetragen hat (EvBl 1978/119;

1967/468), ist doch - wie gesagt - die Beweiswürdigung ausschließlich den Geschwornen vorbehalten, denen durch die Stellung von Eventualfragen eine echte Alternative zur Hauptfrage geboten werden soll, wenn auch nur ein Teil des Beweismaterials in der Hauptverhandlung auf eine andere Tatgestaltung konkret hindeutet (EvBl 1969/228).

Vorliegend hat der Beschwerdeführer in bezug auf den Vorwurf des Raubes durch die Behauptung, er habe nur eine Sachwegnahme ohne Gewalt (und ohne Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben), sohin einen Diebstahl begehen wollen, während der Gewaltanwendung gegen Angela C aber gar nicht mehr an das Geld gedacht (S. 453 d. A.), in der Hauptverhandlung - abweichend von seiner Darstellung im Vorverfahren - sein auf Wegnahme des Geldes abzielendes Verhalten bloß als (gegebenenfalls versuchten) Diebstahl dargestellt. Um auch dieser (neuen) Verantwortung, die ein Vorbringen in der Bedeutung des § 314 Abs 1

StPO. darstellt, Rechnung zu tragen, wäre es daher erforderlich gewesen, eine Eventualfrage nach (versuchtem) schwerem Diebstahl zu stellen.

Aber auch in bezug auf die dem Beschwerdeführer als Mord angelastete Tötung der Angela C war, wie die Beschwerde im Ergebnis mit Recht rügt, die Stellung von Eventualfragen indiziert: Der Beschwerdeführer hat nämlich eine auch nur bedingt vorsätzliche Tötung der C niemals zugegeben, sondern sich damit verantwortet, auf die Frau nur deshalb eingestochen zu haben, um zu verhindern, daß sie ihn weiter anstarre (S. 45, 74, 451 d.A.), ohne mit ihrem Tod gerechnet zu haben; er habe sie mit dem Messer nur bedrohen oder schlagen wollen (S. 455 d.A.).

Diese Darstellung des Angeklagten hätte aber - unbeschadet der Frage ihrer Glaubwürdigkeit, die bei Erstellung des Fragenschemas außer Betracht zu bleiben hat - zur Stellung von Eventualfragen Anlaß geboten, und zwar in Richtung der absichtlichen schweren Körperverletzung mit Todesfolge (§ 87 Abs 1 und 2 StGB.), der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 /Abs 1 oder 2 /, 86 StGB.), aber auch - die Annahme bloß fahrlässiger Herbeiführung des Todes der Angela C beim Raub im Zuge eines ansonsten nach §§ 83, 86 oder § 87 StGB. zu beurteilenden Verhaltens vorausgesetzt - einer Beurteilung der Tat als Raub mit Todesfolge.

Da der Schwurgerichtshof die in Rede stehenden Eventualfragen nicht gestellt hat, wiewohl sie nach Lage des Falles zu stellen gewesen wären, ist insoweit der Nichtigkeitsgrund der Z. 6 des § 345 Abs 1 StPO. gegeben;

daran ändert nichts, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung eine darauf abzielende Ergänzung des Fragenschemas nicht beantragt hat (SSt. 22/41 u.a.).

Soweit der Beschwerdeführer allerdings auch eine Eventualfrage in Richtung § 76 StGB. für indiziert hält, so ist ihm zu erwidern, daß die vorsätzliche Tötung eines Menschen nur dann als Totschlag beurteilt werden kann, wenn der Täter sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen hat lassen. Allgemein begreiflich ist aber eine (heftige) Gemütsbewegung nur dann, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlaß und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, d.h. wenn ein Durchschnittsmensch sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls in eine solche Gemütsverfassung geraten, was (unter anderem) voraussetzt, daß die Ursache der Gemütsbewegung sittlich verständlich ist (vgl. Foregger-Serini MKK.2 146;

Leukauf-Steininger, Kommentar2 RN. 5 und 6 zu § 76). An einer solchen allgemeinen Begreiflichkeit der Gemütsbewegung des Angeklagten - der angibt, lediglich durch die Attacke der von ihm als Opfer des angeblich nur beabsichtigten Diebstahls ausersehenen alten Frau und deren stechenden Blick in Panik geraten zu sein - mangelt es aber. Die Stellung einer Eventualfrage in Richtung Totschlag war daher - ausgehend von der derzeitigen Aktenlage - aus rechtlichen Gründen nicht geboten.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war jedoch aus den oben dargelegten Gründen Folge zu geben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 349 Abs 1 StPO.).

Im zweiten Rechtsgang wird den Geschwornen - im Sinne der obigen Ausführungen - neben den beiden Hauptfragen nach den Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB.) und des (versuchten) schweren Raubes (§§ 15, 142 Abs 1, 143 StGB.) für den Fall der Bejahung letzterer Hauptfrage bei gleichzeitiger Verneinung der auf Mord lautenden Hauptfrage eventualiter eine Zusatzfrage (§ 316 StPO.) nach dem Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung des höchsten Strafsatzes des § 143 StGB. (Tod eines Menschen als Folge der beim Raub angewendeten Gewalt) zu stellen sein. Für den Fall der Verneinung auch dieser Eventualzusatzfrage wären weiters Eventualfragen in Richtung absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 87 Abs 1 und 2 StGB.) sowie Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 /Abs 1 oder 2 /, 86 StGB.) zu stellen. Schließlich wird den Geschwornen für den Fall einer Verneinung der auf das Verbrechen des versuchten schweren Raubes gerichteten Hauptfrage auch eine Eventualfrage in Richtung des Vergehens des (gegebenenfalls versuchten) schweren Diebstahls nach §§ (15), 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z. 4 StGB. zu stellen sein.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die über seine Nichtigkeitsbeschwerde getroffene Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E03490

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1981:0090OS00179.81.1222.000

Dokumentnummer

JJT_19811222_OGH0002_0090OS00179_8100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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