TE OGH 1982/3/17 1Ob555/82

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.03.1982
beobachten
merken

Norm

ABGB §1041
ABGB §1435

Kopf

SZ 55/37

Spruch

Die Verwertung der Kundenkartei eines einzustellenden Unternehmens durch Belieferung der darin verzeichneten Kunden kann, wenn darüber keine vertragliche Beziehung zustandekam, einen Anspruch nach § 1041 ABGB rechtfertigen

OGH 17. März 1982, 1 Ob 555/82 (OLG Wien 1 R 221/81; HG Wien 21 Cg 661/79)

Text

Die Beklagte schuldet dem Kläger aus Warenlieferungen den Betrag von 156 346.39 S, dessen Bezahlung der Kläger begehrt. Gegen die Klagsforderung bis zu deren Höhe wendete die Beklagte aufrechnungsweise eine Gegekorderung von 283 200 S ein. Nach einer in Gegenwart ihres Ehemannes Carl K stattgefundenen Inventur ihres Geschäftes und Warenlagers sei es zu einer Einigung mit dem Kläger gekommen, daß er das gesamte Unternehmen kaufe. In Erfüllung dieser Vereinbarung habe der Kläger die Kundenkartei, den Kundenstock, die Geschäftsschlüssel und das Warenlager übernommen. Der Wert des Kundenstockes betrage 100 000 S, der des Warenlagers 140 000 S; zuzüglich der Umsatzsteuer ergebe dies die Gegenforderung. Ihr Vorbringen "präzisierend" behauptete die Beklagte in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 21. 9. 1981, der Kläger habe ihren Kundenstock übernommen, ihr stehe deshalb ein angemessenes Entgelt von 100 000 S zu. Diese Forderung werde aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung eingewendet.

Das Erstgericht stellte fest, daß die Klagsforderung mit 156 346.39 S zu Recht, die Gegenforderung dagegen nicht zu Recht bestehe; es erkannte demgemäß im Sinne des Klagebegehrens.

Es stellte fest, daß sich der Kläger an den dem Unternehmen der Beklagten gelieferten Eisenwaren das Eigentum vorbehalten hätte. Im Laufe des Jahres 1978 habe die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit allmählich eingestellt. Sie habe dem Kläger zur Tilgung ihrer Verbindlichkeiten den Kauf des Unternehmens vorgeschlagen. Im Anschluß an eine Inventur des Warenlagers im Juli 1978, die der Kläger mit dem Gatten der Beklagten vorgenommen hatte, um sich über den Lagerbestand ein Bild zu machen, sei es noch vor dem 31. 10. 1978 zur gänzlichen Einstellung des Geschäftsbetriebes gekommen. Dem Kläger sei zur Orientierung über den Kundenstock der Beklagten deren Kundenkartei übergeben worden, die er nach etwa 14 Tagen zurückgestellt habe. Dem Kläger seien auch die Geschäftsschlüssel kurzfristig ausgehändigt worden. Er habe dem Warenlager die unter seinem Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren im Werte von 35 965.57 S entnommen und anschließend die Schlüssel wieder zurückgegeben. Zu einer Willenseinigung der Streitteile über den Preis des Unternehmens und dessen Übergabe an den Kläger sei es nicht gekommen. Das Unternehmen sei auch nicht tatsächlich an den Kläger übergeben worden. Der Kläger habe auf den ihm übermittelten Vertragsentwurf überhaupt nicht reagiert. Er habe es abgelehnt, das Geschäftslokal und das Warenlager zu übernehmen. Von seiner Forderung in Höhe von ursprünglich 192 311.46 S habe er den Gegenwert der von ihm dem Warenlager der Beklagten entnommenen Waren in Höhe von 35 965.57 S in Abzug gebracht.

Das Erstgericht wies das Vorbringen der Beklagten vom 21. 9. 1981 über die Übernahme des Kundenstockes durch den Kläger und die hiefür angebotenen Beweise nach den §§ 179 Abs. 1 und 275 Abs. 2 ZPO wegen Verschleppungsabsicht zurück. Im übrigen verneinte es das Bestehen einer Gegenforderung mit der Begründung, daß eine Willenseinigung der Parteien über den Kauf des Unternehmens nicht zustandegekommen sei. Keine der Handlungen des Klägers lasse den Schluß auf eine schlüssige Willenserklärung nach § 863 ABGB zu. Seine Teilnahme an der Inventur und seine Einsichtnahme in die Kundenkartei seien seinem Bestreben entsprungen gewesen, sich über den möglichen Kaufgegenstand zu unterrichten. Die Warenentnahme stelle die bloße Zurücknahme der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Sachen dar.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Zu der von der Beklagten bekämpften Zurückweisung ihres Vorbringens und ihrer Beweisanbote nach § 179 Abs. 1 ZPO vertrat das Berufungsgericht die Meinung, daß es aus rechtlichen Gründen nicht darauf ankomme, ob die Beklagte in Verschleppungsabsicht gehandelt habe. Im übrigen verneinte das Berufungsgericht das Vorliegen von Verfahrensmängeln und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich. Es billigte auch dessen Rechtsansicht. Bei Beurteilung der Handlungen des Klägers seien genügend vernünftige Gründe vorhanden, daran zu zweifeln, daß dieser das Unternehmen oder auch nur den Kundenstock der Beklagten gekauft habe. Die Rücknahme eines Teiles der Ware von einem Käufer, der selbst einräume, zahlungsunfähig zu sein, rechtfertige auch bei Verkauf ohne Eigentumsvorbehalt nicht die Annahme, der Verkäufer wolle das gesamte Unternehmen erwerben. Die Übernahme der Kundenkartei sowie des Geschäftsschlüssels sei zwanglos aus dem verständlichen Interesse des Klägers zu erklären, sich über die Lage des ihm zum Kauf angebotenen Unternehmens zu informieren. Darauf, ob der Kläger sich den Kundenstock der Beklagten unrechtmäßig angeeignet habe, komme es nicht an. Da die Beklagte ihr Unternehmen eingestellt habe, hätte ihr der Kläger durch Belieferung ihrer ehemaligen Kunden keinen Schaden zufügen können. Für die Beklagte sei es ohne wirtschaftliche Bedeutung, ob der Kläger oder ein anderer Unternehmer an ihre Stelle getreten sei.

Über Revision der Beklagten hob der Oberste Gerichtshof insoweit, als festgestellt wurde, daß die Gegenforderung der beklagten Partei auch in der Höhe von 100 000 S samt Anhang nicht zu Recht bestehe, und die beklagte Partei daher zur Bezahlung weiterer 100 000 S samt Anhang verurteilt wurde, sowie im Kostenpunkt das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Grundsätzlich dürfen die Parteien bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung neue Tatsachenbehauptungen aufstellen und neue Beweise anbieten (§ 179 Abs. 1 ZPO). Ein solches Vorbringen einschließlich der Beweisanträge kann jedoch vom Gericht zurückgewiesen werden, wenn es verspätet, dh. zu einem Zeitpunkt, in dem es längst hätte erstattet sein können, in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen, erfolgt und die geeignet ist, die Erledigung des Prozesses erheblich zu verzögern. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Einzelfall unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu beurteilen (Fasching II 851). Die Zurückweisung erfolgt mit Beschluß, gegen den ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig ist (§ 186 Abs. 2 ZPO). Ein nach § 179 Abs. 1 ZPO ergangener Zurückweisungsbeschluß des Erstgerichtes kann nur bis und spätestens gleichzeitig mit der Berufung angefochten werden. Wird der Zurückweisungsbeschluß des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht bestätigt, ist die Frage abschließend beurteilt;

eine Anfechtung des Berufungsurteiles unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist ausgeschlossen (RZ 1968, 54;

EvBl. 1964/165 uva.; Fasching aaO 854 f.).

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht seinen nach dem § 179 Abs. 1 ZPO gefaßten Beschluß in das Urteil aufgenommen, ohne dies im Spruch zum Ausdruck zu bringen. Es befaßte sich wegen Zurückweisung des neuen Vorbringens nicht mit der materiellen Beurteilung der neu vorgebrachten Umstände. Das Berufungsgericht war dann nicht berechtigt, ohne vorherige abschließende Erledigung der prozessualen Frage sich mit der materiellrechtlichen Frage der Berechtigung des neu geltend gemachten Anspruches zu befassen und wegen deren Verneinung auf die vom Erstgericht angenommene Verschleppungsabsicht nicht einzugehen. Dieser Mangel des Berufungsverfahrens wird deswegen wesentlich, weil das neue Vorbringen bei Zulassung ganz oder teilweise berechtigt sein könnte.

Die Meinung der Berufungsgerichtes, daß der Beklagten aus der Belieferung ihrer ehemaligen Kunden durch den Kläger kein Schaden entstanden sein könne, geht nämlich an der entscheidenden Frage vorbei. Feststeht, daß dem Kläger die Kundenkartei der Beklagten übergeben worden war. Eine Kundenkartei stellt einen selbständigen wirtschaftlichen Wert dar, beinhaltet sie doch ein Verzeichnis potentieller Geschäftspartner; sie ist ein Nachweis möglicher Geschäftsabschlüsse und kann gerade für denjenigen von Wert sein, der eine Liste von Kunden eines einzustellenden Unternehmens erhält. Wer eine fremde Sache ohne Rechtsgrund zu seinem Nutzen verwendet, muß dem Eigentümer ein angemessenes Entgelt zahlen (§ 1041 ABGB; SZ 26/195 uva.). Der Begriff Sache ist dabei im weitesten Sinn zu verstehen, so daß darunter alle Arten von wirtschaftlichen Werten, auch Geschäftsunterlagen, fallen (vgl. SZ 49/63; JBl. 1956, 473, welche Entscheidung allerdings an § 1435 ABGB anknüpft; Stanzl in Klang[2] IV/1, 917). Zu ersetzen hat der Bereicherte den Wert des ihm zugeflossenen Nutzens. Nicht erforderlich ist, daß dem Eigentümer ein Schaden entstanden ist (Stanzl aaO 920; vgl. Koziol - Welser[5] I 326). Die Verwertung einer Kundenkartei durch Belieferung der darin verzeichneten Kunden kann daher einen Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB rechtfertigen, dessen Höhe mit Hilfe eines Sachverständigen, allenfalls nach § 273 ZPO, auszumitteln ist.

Anmerkung

Z55037

Schlagworte

Kundenkartei, Anspruch für Verwertung, Unternehmen, Verwertung der Kundenkartei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0010OB00555.82.0317.000

Dokumentnummer

JJT_19820317_OGH0002_0010OB00555_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten