TE OGH 1982/4/21 11Os22/82

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Veröffentlicht am 21.04.1982
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. April 1982 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Pollak als Schriftführers in der Strafsache gegen Dipl. Ing. Dr. Otto A wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach dem § 269 Abs 1

StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengerichtes vom 13. Oktober 1981, GZ 24 Vr 3.027/81-28, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Sprung und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Hauptmann, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25. April 1941 geborene Steuerberater Dipl. Ing. Dr. Otto A des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach dem § 269 Abs 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und des Verbrechens der versuchten Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt nach den § 15, 12, 302 Abs 1 StGB (Punkt 2 des Urteilssatzes) schuldig erkannt.

Dem Angeklagten liegt zur Last, am 31. Dezember 1979 in St. Anton am Arlberg als Kfz-Lenker den Gendarmeriebeamten Bruno B mit Gewalt, nämlich 'durch Anfahren' mit dem PKW und 'Mitschleifen' über eine Strecke von etwa 10 m, sodaß der Beamte zum Wegspringen genötigt war, an der überprüfung seiner Fahrzeugpapiere, der Durchführung eines Alkoholtests und dem Abziehen des Zündschlüssels zwecks Vereitelung der Weiterfahrt gehindert (Punkt 1) und im Anschluß an diesen Vorfall mit dem Vorsatz, den Staat an seinem Recht auf Verfolgung und Bestrafung alkoholisierter Kraftfahrzeuglenker zu schädigen, versucht zu haben, den Gendarmeriebeamten Nikolaus C durch die Hingabe einer Tausendschillingnote unter gleichzeitiger Erklärung 'Schaut' s das Geld ist für euer korrektes Einschreiten und damit ihr gegen mich keine Anzeige macht, das läßt sich doch auch so regeln' zum wissentlichen Mißbrauch seiner Befugnis zur Vornahme von Amtsgeschäften namens des Bundes in Vollziehung der Gesetze durch Verschweigung des Vorfalls zu Punkt 1 - gemeint: zur Unterlassung der Anzeige - zu bestimmen (Punkt 2).

Der Schuldspruch wird in beiden Punkten vom Angeklagten mit einer auf die Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1

StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Der zunächst zu der Konstatierung des Zeitpunktes, zu welchem der Gendarmeriebeamte Bruno B in das Innere des vom Angeklagten gelenkten Personenkraftwagens griff, um den Zündschlüssel abzuziehen, behauptete Begründungsmangel betrifft keine entscheidende Tatsache; entgegen der Auffassung des Nichtigkeitswerbers kommt es nicht darauf an, ob der (vergebliche) Griff des Beamten nach dem Zündschlüssel vor oder während des Anfahrens des Wagens stattfand. Selbst wenn der Beamte erst nach dem Anfahren den Versuch unternommen haben sollte, den Angeklagten am weiteren Betrieb seines Kraftfahrzeuges zu hindern, stellt das vom Erstgericht als erwiesen angenommene Verhalten des Angeklagten, der die Bemühungen des Beamten bemerkt hatte und dennoch sein Fahrzeug immer mehr beschleunigte, um den Gendarmen 'abzuschütteln' (S 164), eine auf Verhinderung der Amtshandlung abzielende Gewaltausübung gegen den Beamten dar.

Als mit dem Akteninhalt nicht im Einklang stehend und überdies unzureichend begründet bezeichnet der Beschwerdeführer ferner die Urteilsannahme, wonach der Gendarmeriebeamte B etwa 10 m 'mitgeschliffen' wurde und weist darauf hin, daß dieser Beamte nach seiner eigenen Aussage (S 150) nur zeitweise 'mitgeschliffen' worden, zeitweise aber auf dem Trittbrett gestanden und nach den Angaben seines Kollegen, des Zeugen Nikolaus C (S 151), 'mitgesprungen' sei. Zudem spreche nach Ansicht des Beschwerdeführers auch die weitere Behauptung des Zeugen B, nicht zu Fall gekommen zu sein, gegen die erwähnte Urteilsfeststellung; denn ein Mitschleifen des sich nur mit einer Hand am Fahrzeug festhaltenden, mit der anderen Hand aber nach dem Zündschlüssel ins Wageninnere greifenden Beamten hätte zwangsläufig zu einem Sturz führen müssen.

Auch in diesem Belang ist die Mängelrüge nicht stichhaltig: Der im Urteilssatz nur in geraffter Form wiedergegebene Vorgang wird in der Urteilsbegründung ausführlich und genau geschildert. Nach diesen Sachverhaltsfeststellungen aber, die mit den zitierten Zeugenaussagen in Einklang zu bringen sind, wurde der Gendarmeriebeamte Bruno B teils vom Fahrzeug des Angeklagten auf der schneeglatten Fahrbahn mitgezogen, teils machte er selbst einige Schritte (lief also mit) bzw stand auf dem Trittbrett des Wagens (S 164). Mit diesem Sachverhalt lassen sich die Annahme, daß B ins Innere des anfahrenden Personenkraftwagens langte, und der Umstand, daß er bei dem Vorfall nicht stürzte, ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze vereinbaren. Zudem bleibt es - wie bereits dargelegt - in Anbetracht der Urteilsfeststellung, wonach der Angeklagte durch Beschleunigen seines Fahrzeugs den sich am Wagen anklammernden Beamten abzuschütteln (und dadurch zur Abstandnahme von seiner Amtshandlung zu zwingen) suchte, unerheblich, ob der Zeuge B hiebei über die gesamte Strecke von etwa 10 m mit den Füßen auf der schneeglatten Fahrbahn schleifend mitgezogen wurde oder einen Teil dieser Distanz mitlaufend oder auf dem Trittbrett stehend zurücklegte.

Zum Schuldspruch wegen versuchter Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt wird die Mängelrüge vom Angeklagten sinngemäß dahin ausgeführt, daß weder der von den Gendarmeriebeamten bekundete Wortlaut seiner öußerungen noch sein Bildungsgrad zwingend darauf schließen ließen, er habe es für gewiß erachtet, daß die Unterlassung der Anzeige durch die Gendarmeriebeamten einen Mißbrauch ihrer Befugnisse darstelle. Die entscheidende Feststellung des Erstgerichtes zur subjektiven Tatseite der versuchten Bestimmung zum Amtsmißbrauch sei daher unzureichend begründet. Ein Mangel der behaupteten Art läge in diesem Zusammenhang indessen nur dann vor, wenn die vom Erstgericht verwerteten Verfahrensergebnisse einen Schluß auf die als erwiesen angenommenen Tatsachen überhaupt nicht zuließen oder die Schlußfolgerungen so weit hergeholt erschienen, daß der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar wäre. Hievon kann im gegenständlichen Fall nicht die Rede sein, stützte sich das Erstgericht ohne Verstoß gegen die Denkgesetze doch darauf, daß eine - nach dem allgemeinen Informationsstand - schon bei einem durchschnittlich gebildeten Kfz-Lenker nicht anzunehmende Unkenntnis der (gesetzlichen) Unzulässigkeit (§ 100 Abs 5 StVO) der Einhebung von (geringfügigen) Geldstrafen mit Organstrafverfügung (§ 50 VStG) im Fall des Lenkens eines Kraftfahrzeuges im alkoholisierten Zustand bei einer Person höheren Bildungsgrades, mag es sich auch um einen juristischen Laien handeln, noch weniger glaubhaft ist (S 167 f). Auch die öußerungen des - nach seiner Verantwortung wiederholt über die bestehende Rechtslage belehrten - Angeklagten ließen nach den Zeugenaussagen der Gendarmeriebeamten (er wolle ihnen 'etwas Gutes tun' und sich 'erkenntlich zeigen') - wie das Erstgericht zutreffend erkannte - ein Vorhaben, mit der ausdrücklich angebotenen Tausendschillingnote eine Strafe (in Form eines bloßen Organstrafmandats) zu begleichen, in keiner Weise erkennen. Daß der Angeklagte trotz des Gewichtes des Unrechts seines Verhaltens der (im Hinblick auf § 100 Abs 5 StVO gleichfalls) irrigen Ansicht der Möglichkeit einer völligen Sanktionslosigkeit (Absehen von der Strafe seitens der einschreitenden Organe nach dem § 21 VStG) gewesen sei, war nach seiner Verantwortung nicht indiziert, sodaß es näherer diesbezüglicher Erörterungen im Ersturteil nicht bedurfte.

Soweit der Angeklagte in Ausführung des Nichtigkeitsgrundes nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO die Erfüllung des im § 269 Abs 1 StGB normierten Tatbestandsmerkmals der Gewalt durch bloßes Wegfahren vom neben ihm stehenden Beamten bestreitet, geht er nicht von den Urteilsfeststellungen aus, wonach er den Gendarmen in der Folge durch Beschleunigung seines Fahrzeuges abzuschütteln suchte, wobei er sich der Bemühungen des Beamten, den Zündschlüssel abzuziehen, bewußt war (S 164). Insoweit bringt er den angerufenen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund daher nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Im übrigen ist in der Frage des Gewaltbegriffes in übereinstimmung mit der Fachliteratur (vgl ua Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB2, § 74 StGB RN 24, § 269 StGB, RN 12, Foregger-Serini2

Anm zu § 74 Z 5 StGB) davon auszugehen, daß auch nach dem § 269 StGB die Entfaltung physischer Kraft in einer an sich zur überwindung einer tatsächlichen oder nur erwarteten Gegenwirkung geeigneten Intensität hinreicht. Im vorliegenden Fall des gezielten Einsatzes der Beschleunigung eines Personenkraftwagens kam es aber nicht nur zur Anwendung einer erheblichen Kraft, sondern ersichtlich auch zur Herbeiführung einer - vom Beschwerdeführer unter Berufung auf die Ausführungen Schwaighofers in ÖJZ 1981, 124 als wesentlich erachteten - konkreten beträchtlichen körperlichen Gefahr für den Gendarmeriebeamten.

In Ausführung der Rechtsrüge nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO zum Schuldspruch wegen versuchter Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt vermeint der Angeklagte, wegen der seiner Ansicht nach unzureichenden Begründung der Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite dieses Deliktes (Wissentlichkeit) nicht von den hiezu vom Erstgericht getroffenen Annahmen ausgehen zu müssen. Solcherart bringt er aber den genannten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung, die nur in einem Vergleich des gesamten Urteilssachverhaltes mit den darauf angewendeten strafgesetzlichen Bestimmungen bestehen darf. Unter dem Gesichtspunkt des § 281 Abs 1 Z 10 StPO macht der Angeklagte schließlich einen Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius geltend. Seiner Ansicht nach ist seine Verurteilung zu Punkt 2 des Urteilssatzes wegen versuchter Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt deshalb nicht zulässig, weil das Verbrechen nach dem § 302 Abs 1 StGB mit strengerer Strafe bedroht ist als das Vergehen nach dem § 307 Z 1 StGB, dessen er mit dem nur von ihm selbst angefochtenen Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. Jänner 1981 (ON 12) im ersten Rechtsgang schuldig erkannt worden war.

Auch diese Rechtsrüge versagt.

Zum zweiten Rechtsgang - nunmehr vor dem Schöffengericht - kam es infolge Aufhebung des erwähnten Urteils vom 22. Jänner 1981 wegen Unzuständigkeit des Einzelrichters für die Verhandlung und Entscheidung über das bezeichnete Vergehen (§ 13 Abs 2 Z 2 StPO) durch das Erkenntnis des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 1. Juli 1981, 3 Bs 210/81, aus Anlaß der vom Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe erhobenen Berufung (ON 19). Das Oberlandesgericht überschritt hiebei zwar seine durch die Bestimmungen der § 489 Abs 1 und 477 Abs 1 StPO auf die amtswegige Wahrnehmung materieller Nichtigkeitsgründe beschränkte Kompetenz, doch gereichte dieser Verstoß dem Angeklagten an sich zum Vorteil (vgl insbesondere die Entscheidung des OGH vom 25. Jänner 1978, 10 Os 3/78). Auch die Geltung des Verbotes der reformatio in peius für den zweiten Rechtsgang wird hievon nicht berührt, weil die einschlägigen Prozeßvorschriften (§ 489 Abs 1, 477 Abs 2 bzw 293 Abs 3, 290 Abs 2 StPO) nicht auf die formelle Gesetzmäßigkeit der kassatorischen Rechtsmittelentscheidung, sondern nur darauf abstellen, ob das Ersturteil ausschließlich zugunsten des Angeklagten angefochten wurde.

Der Ansicht des Nichtigkeitswerbers zuwider hindert dieses Verbot nach der herrschenden Auffassung nicht, den Angeklagten im zweiten Rechtsgang einer mit strengerer Strafe bedrohten Tat schuldig zu erkennen. Einer gegenteiligen - extensiven - Auslegung des ausschließlich auf die Strenge der Strafsanktion - und nicht auf andere, nur bei Vernachlässigung der zunächst rechtsirrigen Gesetzesanwendung allenfalls erblickbare Nachteile (vgl Liebscher, JBl 1959, 624) - abstellenden Wortlauts der § 290 Abs 2 und 477 Abs 2 StPO stehen schon im Hinblick auf die Gestaltung der Beweisaufnahme das grundsätzliche Erfordernis einer richtigen rechtlichen Beurteilung, sowie die durch § 262 StPO dem Gericht allgemein auferlegte Pflicht gegenüber, das Urteil nach eigener rechtlicher überzeugung zu schöpfen (Mayerhofer-Rieder II/2 EGr 24 bis 27 zu § 293 StPO; vgl Roeder, Lehrbuch des österreichischen Strafverfahrensrechtes2 S 275; Bertel 161). Mithin stellt die im zweiten Rechtsgang vorgenommene Beurteilung des Tatverhaltens zu Punkt 2

des Urteilssatzes nach den § 15, 12, 302 Abs 1 StGB statt - wie im ersten Rechtsgang - nach dem § 307 Z 1 StGB keinen Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius dar und bewirkt auch keine Urteilsnichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 10 StPO; in Anbetracht der Verhängung einer gegenüber dem Ersturteil infolge der kürzeren Dauer der Probezeit milderen Sanktion liegt aber auch keine Nichtigkeit nach der Z 11 leg cit vor, welche Anlaß zu einem Vorgehen nach dem § 290 Abs 1 StPO bieten könnte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher als unbegründet zu verwerfen.

Seine Berufung war zurückzuweisen, weil er weder bei der Anmeldung noch in einer Ausführung des Rechtsmittels ausdrücklich erklärte, durch welche Punkte des Erkenntnisses er sich beschwert finde (§ 294 Abs 2 und 4, 296

Abs 2 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E03677

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0110OS00022.82.0421.000

Dokumentnummer

JJT_19820421_OGH0002_0110OS00022_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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