TE OGH 1982/9/22 6Ob693/82

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.1982
beobachten
merken

Norm

ABGB §601
ABGB §722

Kopf

SZ 55/136

Spruch

Wer sich auf eine verstümmelte schriftliche letztwillige Anordnung beruft, hat zu beweisen, daß der erhalten gebliebene Urkundeninhalt den vollständigen letzten Willen des Erblassers darstellt

OGH 22. September 1982, 6 Ob 693/82 (OLG Wien 11 R 63/82; KG Wr. Neustadt, 2 Cg 165/79)

Text

Hubert G ist am 17. April 1978 gestorben. Die Klägerin ist eine Stieftochter des Erblassers. Sie hat auf Grund seiner letztwilligen Verfügung vom 28. 4. 1970 zum gesamten Nachlaß die unbedingte Erbserklärung abgegeben. Die Beklagte ist die Witwe des Erblassers. Sie hat auf Grund einer - von ihr selbst mit 27. 11. 1977 datierten - letztwilligen Verfügung des Erblassers ebenfalls zum gesamten Nachlaß die unbedingte Erbserklärung abgegeben. Das Abhandlungsgericht hat bestimmt, daß die Stieftochter gegen die Witwe zur Entkräftung des von dieser geltend gemachten Erbrechtstitels den Rechtsweg als Klägerin anzutreten habe.

Die Klägerin begehrte mit ihrer Erbrechtsklage die Feststellung der Unwirksamkeit des mit 27. November 1977 datierten Testamentes. Dazu behauptete sie in erster Linie eine auf geistigen und körperlichen Abbau beruhende Testierunfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der - tatsächlichen - Urkundenerrichtung, die - entgegen der fremdhändigen Datierung - erst während des Spitalsaufenthaltes vom 13. 3. bis 17. 4. 1978 (das ist der Todestag) erfolgt sei. In der Datierung des Schriftstückes durch eine fremde Hand erblickte die Klägerin eine Formunwirksamkeit der letztwilligen Verfügung. Sie bestritt im Verlauf des Rechtsstreites die Echtheit der mit 27. 11. 1977 datierten Urkunde schlechthin. Letztlich behauptete die Klägerin eine nach dem Gelegenheitsverhältnis nur der Beklagten zurechenbare Verfälschung der mit 27. 11. 1977 rückdatierten Urkunde durch Abtrennung eines - nicht mehr rekonstruierbaren - Textteiles am oberen Rand der Urkunde. Diese Handlungsweise habe die Beklagte nach Ansicht der Klägerin auch erbsunwürdig gemacht.

Die Beklagte behauptete, der Erblasser habe die strittige Verfügung am 27. 11. 1977 (dem Tag der 67. Wiederkehr ihres eigenen Geburtstages) in voller Testierfähigkeit selbst geschrieben und unterschrieben; lediglich die Tagesdatierung stamme von ihrer Hand, sie sei aber richtig. Sie habe das vom Erblasser stammende Schriftstück in dessen Auftrag am 24. 3. 1978 bei einem öffentlichen Notar hinterlegt. Eine Angestellte dieses Notars habe am genannten Tag den oberen Rand der Urkunde mittels Schere abgetrennt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte fogenden Sachverhalt fest:

Der Erblasser war am 20. 7. 1977 in sein 80. Lebensjahr getreten. Am 13. 3. 1978 wurde er in stationäre Krankenhauspflege aufgenommen. Auch noch in den letzten Lebenstagen war er trotz körperlichen Verfalles bei klarem Verstand. Die umstrittene letztwillige Erklärung schrieb und unterschrieb der Erblasser eigenhändig. Niemand führte ihm dabei die Hand. Bei der Abfassung der Urkunde ist der Erblasser wiederholt an die Grenze seiner Schreibfähigkeit geraten. Die Schrift ist sehr unregelmäßig und greisenhaft zittrig. Der logische Ablauf des Textes ist mehrere Male unterbrochen. Den Schlußsatz: "Alles gehört meiner GattinÜ" setzte der Erblasser erst nach der Unterfertigung des übrigen Textes auf die Urkunde. Es ist nicht auszuschließen, daß der Erblasser seine letztwillige Verfügung auf Drängen der Beklagten errichtete. Die Textstelle: "Ja alles andere ist ungültig" läßt darauf schließen. Ebenso der Satz: "Ich kann nicht mehr schreiben", aus dem eine gewisse Auflehnung gegen das Drängen einer anderen Person erkennbar ist. Die Tagesdatierung "27. 11. 1977" wurde von fremder Hand auf das Schriftstück gesetzt. Der Erblasser verfaßte die Urkunde zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 27. 11. und 24. 3. 1978. Die Vermutung liegt nahe, daß der Erblasser den Aufsatz erst später, als die fremdhändige Datierung anzeigt, wahrscheinlich erst nach seiner Spitalseinlieferung vom 13. 3. 1978, geschrieben hat. Am 24. 3. 1978 hinterlegte die Beklagte das Schriftstück bei einem öffentlichen Notar. Der Erblasser benützte als Schriftträger ein stärkeres Papierblatt mit einer Breite von 209 mm. Diese Breite entspricht dem Format DIN-A 4. Nach der erfolgten Beschriftung wurde vom oberen Teil des Blattes ein vermutlich 55 bis 62 mm breiter Streifen abgeschnitten. Dabei müssen auch Textteile entfernt worden sein. Unterhalb der Schnittlinie sind auf der Resturkunde das Wort "gehört" und Buchstaben eines weiteren Wortes zu erkennen. Die Beklagte steht in einem nicht zur völligen Gewißheit verdichteten Verdacht, die Urkunde verstümmelt zu haben. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß der Erblasser selbst den nun fehlenden Streifen von dem Schriftstück abgeschnitten hat. Gesprächsweise erwähnte der Erblasser gegenüber seiner Schwester und gegenüber anderen Personen, daß nach seinem Tod die Beklagte alles bekommen solle.

Das Erstgericht folgerte in rechtlicher Beurteilung: Die strittige letztwillige Verfügung sei ungeachtet der von fremder Hand beigefügten Zeitdatierung als eigenhändiges Testament des Erblassers formgültig errichtet worden. Der Erblasser sei auch in der für die Errichtung seiner letztwilligen Verfügung in Betracht kommenden Zeit (27. 11. 1977 bis 24. 3. 1978) in seinen geistigen Kräften nie derart herabgesetzt gewesen, daß ihm nicht bewußt gewesen wäre, welchen Inhalt und welche Bedeutung seine Anordnung als letztwillige Verfügung habe. Mehrfache Ausführungen des Erblassers bewiesen, daß die schriftlich niedergelegte Anordnung seinem wahren Willen entsprochen haben. Die nachträgliche Verstümmelung der Urkunde tue der Gültigkeit der Verfügung keinen Abbruch, weil der erhalten gebliebene Rest einen Text enthält, der für sich allein bestehen könne.

Das auf Feststellung der Ungültigkeit der mit 27. 11. 1977 datierten letztwilligen Verfügung gerichtete Begehren sei daher nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteige.

Es erwog zur Beschneidung der Testamentsurkunde: Aus den Bestimmungen der §§ 721 und 722 ABGB ergebe sich, daß nur die in der erstgenannten Gesetzesstelle angeführten schwerwiegenden Beschädigungen der Urkunde oder des Textes auf einen stillschweigenden Widerruf schließen ließen; wer Rechte aus einer beschädigten Urkunde geltend mache, dem obliege der Beweis, daß die Beschädigung auf einem Zufall beruhte; es stelle sich dazu die Frage, wie die Beweislast verteilt sei, wenn die Verletzung der Urkunde nicht von der im § 721 ABGB bezeichneten Art sei und der erhalten gebliebene Rest der Urkunde als solcher den Formerfordernissen einer gültigen letztwilligen Erklärung genüge und dem Inhalt nach eine vollständige letztwillige Verfügung enthalte. Diese Frage sei nach dem Grundsatz des favor testamenti zu lösen. Liege kein Anhaltspunkt vor, wem die Verletzung der Urkunde zuzurechnen sei, könne insbesondere nicht ausgeschlossen werden, daß sie der Erblasser selbst bewirkt habe, sollte diesem nicht das Risiko einer Unwirksamkeit seiner - erhalten gebliebenen restlichen - Verfügung angelastet werden. Die Vermutung des § 721 ABGB sei bei einer teilweisen Vernichtung des Schriftsatzes nur auf den entfernten, nicht auch auf den erhalten gebliebenen Text zu beziehen, die in § 722 ABGB angeordnete Beweislast treffe nur den, der sich auf den Inhalt des nicht erhalten gebliebenen Urkundenteiles berufe. In Ansehung der erhalten gebliebenen Rumpfurkunde sei entscheidend, ob sie für sich betrachtet allen Erfordernissen einer letztwilligen Verfügung gerecht werde. Im anhängigen Rechtsstreit, in dem nach dem Klagebegehren nur die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung Streitgegenstand sei, sei die von der Klägerin geltend gemachte Erbunwürdigkeit der Beklagten unerheblich. Im Falle einer der Beklagten zuzurechnenden Urkundenbeschneidung in einer in § 542 ABGB erwähnten Absicht läge kein Fall des § 723 ABGB, daher lebte auch das ausdrücklich widerrufene frühere Testament, auf das sich die Klägerin berufe, keinesfalls wieder auf, was letztlich bedeutete, daß nicht die Klägerin, sondern die gesetzlichen Erben (des Erblassers) berufen erschienen. Aus diesem Grund wäre die Klägerin zur Geltendmachung der behaupteten Erbunwürdigkeit der Beklagten nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die von der Rechtsmittelwerberin eingewendete Erbunwürdigkeit der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen für den anhängigen Rechtsstreit unerheblich. Bedeutsam ist nur der mit der Behauptung der Verfälschung durch die Beklagte eingewendete und auch festgestellte Umstand, daß die Urkunde mit der letztwilligen Verfügung des Erblassers nicht mehr in dem zur Zeit der Testamentserrichtung bestandenen Umfang erhalten, sondern am oberen Rand unter Abtrennung eines nicht festgestellten Textes beschnitten ist. Dazu hat das Berufungsgericht zutreffend die Frage aufgegriffen, wem der Beweis obliege, daß ein erheblicher Inhalt der Urkunde abgetrennt worden sei, welchen Inhalt der abgetrennte Text hatte sowie wer auf welche Weise die Abtrennung des nun fehlenden Urkundenteiles bewirkte.

Dem Gedanken, dem in den Grenzen der Testierfreiheit bekundeten letzten Willen des Erblassers so weit wie möglich zum Durchbruch zu verhelfen, sollen nicht zuletzt auch die für letztwillige Verfügungen aufgestellten Formvorschriften dienen. Wenn daher auch die Beobachtung der Formvorschriften unter die Unwirksamkeitssanktion des § 601 ABGB gestellt ist, ist im Zweifelsfall dennoch eine Ausrichtung am dargestellten Zweck der Formstrenge geboten.

Aus der Regel des § 722 ABGB ist abzuleiten, daß eine einmal formgültig erklärte schriftliche letztwillige Verfügung auch bei völligem Verlust der Urkunde ihre Rechtswirksamkeit behalten kann, wen nur erweisbar ist, daß der Beseitigung der Urkunde nicht ein Willensakt des Erblassers selbst zugrunde lag, der gemäß § 721 ABGB auszulegen wäre, sowie welchen (wesentlichen) Inhalt die letztwillige Verfügung besaß. Als wesentlich muß dabei alles angesehen werden, was die konkrete letztwillige Anordnung charakterisierte. Ein nur teilweise rekonstruierbarer Inhalt der letztwilligen Erklärung birgt die Gefahr einer wesentlichen Verfälschung der Absicht des Erblassers. Daß bei teilweiser Vernichtung der Urkunde der Inhalt des erhaltenen Restes, für sich betrachtet, eine vollständige Verfügung beinhalte, reicht daher noch nicht hin. Als markantes Beispiel sei nur der Fall einer Nacherbschaft erwähnt: Die Erbeinsetzung ist als solche auch ohne fideikommissarische Substitution eine vollständige letztwillige Anordnung, im konkreten Fall mag sie aber ohne die Nacherbschaft den als untrennbare Einheit anzusehenden Willen des Erblassers darüber, wer letzten Endes in den Genuß seines Nachlasses kommen solle, arg verfälschen.

Wer sich auf eine verstümmelte schriftliche letztwillige Anordnung beruft, hat daher zu beweisen, daß der erhalten gebliebene Urkundeninhalt den vollständigen letzten Willen des Erblassers in Ansehung der strittig gewordenen Anordnung darstellt.

Dieser Beweis ist der Beklagten ungeachtet der gegen sie sprechenden Verdachtsmomente, die Urkunde aus welchen Gründen immer am oberen Rand beschnitten zu haben, insofern gelungen, als die zur Zeit der Testamentserrichtung vorhanden gewesene Absicht des Erblassers, letztwillig in einer Weise zu verfügen, daß die Beklagte (als seine Witwe) "alles erbe", auf Grund von Zeugenaussagen festgestellt wurde. Damit ist erwiesen, daß im nun fehlenden Text der Urkunde keine die Erbseinsetzung der Beklagten einschränkende Anordnung enthalten war. Dies allein ist im anhängigen Rechtsstreit von Belang.

Anmerkung

Z55136

Schlagworte

Anordnung, letztwillige, s. a. Testament letzter Wille, s. a. Testament Testament, Beweislast bei verstümmelter letztwilliger Anordnung Verfügung, letztwillige, s. a. Testament

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0060OB00693.82.0922.000

Dokumentnummer

JJT_19820922_OGH0002_0060OB00693_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten