TE OGH 1983/3/9 1Ob544/83

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Veröffentlicht am 09.03.1983
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Norm

ZPO §228

Kopf

SZ 56/38

Spruch

Haben sich schadensträchtige Vorfälle, durch die konkreter Schaden eintreten konnte, bereits ereignet und können sie sich leicht wiederholen, ist eine Klage auf Feststellung der Haftung für künftige Schäden zulässig, auch wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist

OGH 9. 3. 1983, 1 Ob 544/83 (LG Klagenfurt 1 R 359/82; BG Klagenfurt 5 C 1346/79)

Text

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer des Hauses Klagenfurt, K-Straße 16. Das beklagte Bauunternehmen wurde von den Eigentümern des Nachbarhauses K-Straße 14 mit der Vornahme umfangreicher Umbauarbeiten betraut, die Ende 1976 begonnen wurden.

Die Kläger behaupten, daß durch die Arbeiten an der Nachbarliegenschaft an ihrem Haus schwere Schäden wie Sprünge im Mauerwerk und Verformungen von Mauern entstanden seien; für diese Schäden habe die beklagte Partei wegen schuldhafter unsachgemäßer Durchführung der Arbeiten zu haften. Die Schäden seien in ihrem Gesamtausmaß noch nicht absehbar. Ergänzend brachten die Kläger vor, die beklagte Partei habe an der hofseitigen Feuermauer der Nachbarliegenschaft Heraklith(porenverschluß)platten (im folgenden nur "Heraklithplatten") so mangelhaft befestigt, "daß mehrere Platten auf das Dach des Hauses der Kläger herabfallen und Schäden verursachen".

Die Kläger begehren die Feststellung, daß ihnen die beklagte Partei für alle Schäden hafte, die durch die von ihr auf der Liegenschaft K-Straße 14 durchgeführten Bauarbeiten entstanden sind und noch entstehen werden.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, alle Umbauarbeiten seien fachgemäß durchgeführt worden. Das Feststellungsbegehren sei nicht zulässig, weil die Kläger schon mit Leistungsklage vorgehen könnten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte im wesentlichen fest: In den Räumen des Hauses der Kläger, das sich in einem schlechten Bauzustand befunden habe, seien bereits vor Baubeginn eine Vielzahl alter Mauerrisse vorhanden gewesen. Durch die Bauarbeiten der beklagten Partei seien lediglich kleine Risse entstanden und bereits vorhandene Haarrisse etwas vergrößert worden. Dies stelle keine Beeinträchtigung der Standsicherheit und Dauerhaftigkeit des Objektes dar. Die Bauarbeiten seien fachgemäß ausgeführt und ordnungsgemäß geleitet und überwacht worden. Die beklagte Partei habe insbesondere eine Feuermauer verstärken lassen. Auch wenn diese Arbeit mit anderen Baumethoden durchgeführt worden wäre, wäre eine geringe Rißbildung und Verbreiterung vorhandener Risse im Bereich der Verankerung der Feuermauer nicht vermieden worden. Unsachgemäß sei jedoch die Anbringung von Heraklithplatten in der Größe von 2m x 0.5m x 3.5cm an der hofseitigen Feuermauer der Liegenschaft K-Straße 16 gewesen. Diese Platten hätten sich "aufgeschlüsselt" (gerollt), weil die Heraklithnägel, mit denen sie befestigt worden seien, unfachgemäß nachträglich abgeschnitten worden seien. Gegen Ende des Sommers 1981 seien zwei Platten auf das Blechdach des Hauses der Kläger gefallen. Auch viele andere, bereits aufgewölbte Platten drohten herunterzufallen. Eine sichtbare Beschädigung durch die zwei heruntergefallenen Platten habe nicht festgestellt werden können, doch weise das Blechdach der Kläger mehrere kreisrunde Löcher mit einem Durchmesser von einigen Millimetern auf. Wegen der Wucht des Aufpralles dieser 26 kg schweren Platten sei eine Beschädigung des Blechdaches bei Ablösen weiterer Platten nicht auszuschließen.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß die beklagte Partei für das Entstehen von Haarrissen und kleinere Rißverbreiterungen im Hause der Kläger mangels eines Verschuldens bei der Bauführung nicht hafte. Wohl aber hafte die beklagte Partei für Schäden aus der unsachgemäßen Anbringung der Heraklithplatten, die den Klägern durch zwei herabgefallene Platten "verursacht wurden bzw. durch weitere herabfallende Platten in Zukunft noch verursacht würden". Dem Feststellungsbegehren sei daher stattzugeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es sprach aus, daß die beklagte Partei den Klägern für alle künftigen Schäden hafte, die ihnen durch die von der beklagten Partei an der Südmauer des Hauses K-Straße 14 mangelhaft befestigten Heraklithplatten entstehen, und wies das Mehrbegehren, daß die beklagte Partei den Klägern für alle (übrigen) Schäden zu haften habe, die ihnen aus den durchgeführten Bauarbeiten auf der Liegenschaft K-Straße 16 entstanden sind und entstehen werden, ab. Es sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes 2000 S übersteigt.

Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß die Kläger die beklagte Partei nur aus dem Titel des Verschuldens in Anspruch nehmen könnten und nach den Behauptungen der Klage auch nur aus diesem Rechtsgrund belangt hätten. Eine Haftung für alle Schäden aus der Bauführung komme damit nicht in Betracht, weil die beklagte Partei die Bauarbeiten mit Ausnahme der Anbringung der Heraklithplatten fachgerecht ausgeführt habe. Eine Feststellung der Haftung für bereits entstandene Schäden komme auch deshalb nicht in Frage, weil diese mit Leistungsklage geltend zu machen wären. Wenngleich die Lehre den Standpunkt vertrete, daß die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden an und für sich unzulässig sei, sei die Rechtsprechung, einem praktischen Bedürfnis folgend, von dieser strengen Auffassung abgerückt und habe solche Klagen unter der Voraussetzung zugelassen, daß bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung bereits ein Schaden eingetreten sei und die Möglichkeit künftiger weiterer Schäden aus dem bereits eingetretenen Schadensereignis nicht ausgeschlossen werden könne. Im vorliegenden Fall stehe fest, daß bereits Platten im Gewicht von je 26 kg auf das Blechdach des Hauses der Kläger gefallen seien. Mögen die dadurch verursachten Schäden auch nicht nennenswert sein, so könne doch nicht von einer bloß theoretischen Möglichkeit eines Schadenseintrittes durch weitere herabfallende Platten gesprochen werden. Der Zuspruch eines Minus sei auch bei Feststellungsbegehren zulässig. Die Einwendung der beklagten Partei, die Kläger hätten gegen sie mit einer auf ordnungsgemäße Wiederherstellung der mangelhaft angebrachten Platten gerichteten Leistungsklage vorgehen können, sei verfehlt, da ein solches Begehren mangels Durchsetzbarkeit zum Scheitern verurteilt wäre. Die beklagte Partei sei ohne Duldung des Gründeigentümers nicht berechtigt, irgendwelche Maßnahmen auf fremden Grund zu ergreifen.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Mit der Rechtsrüge macht die beklagte Partei geltend, daß ein durch das Herabfallen von zwei Platten verursachter Schaden nicht festgestellt werden konnte. Die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden setze aber voraus, daß ein Schaden bereits eingetreten sei. Der Revisionswerberin ist zuzugeben, daß das Berufungsgericht insofern von den erstgerichtlichen Feststellungen abwich, als es seiner rechtlichen Beurteilung die Annahme zugrunde legte, durch das Herabfallen der Platten sei ein Schaden, wenn auch in nicht nennenswertem Ausmaß, entstanden, weil dies nicht festgestellt werden konnte. Auch die Feststellung, daß das Blechdach des Hauses der Kläger mehrere kleine Löcher aufweist, besagt nichts, weil die Verursachung dieser Löcher durch die herabgefallenen Platten ebenfalls nicht festgestellt wurde. Das Feststellungsbegehren der Kläger erweist sich aber dennoch als berechtigt. Der OGH hat allerdings in Übereinstimmung mit der Lehre (Fasching III 63 f.) mehrmals ausgesprochen, daß die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden voraussetze, daß zumindest bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung ein Schaden eingetreten ist (JBl. 1973, 87; 5 Ob 28/82 ua.). Diese Ansicht wurde von Fasching damit begrundet, daß vor Eintritt eines Schadens wegen Fehlens eines Tatbestandsmerkmales überhaupt kein festzustellendes Rechtsverhältnis iS des § 228 ZPO bestehe und daher die Feststellung der Schadenersatzpflicht aus einem drohenden künftigen Schadensfall auf die im Gesetz nicht gedeckte abgesonderte Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale hinauslaufe. Die Rechtsprechung hat aber dennoch bei Bestehen eines rechtlichen Interesses Klagen auf Feststellung künftiger Ersatzpflichten auch unabhängig davon zugelassen, ob schon gegenwärtig ein mit Klage verfolgbarer Schadenersatzanspruch gegeben ist (JBl. 1976, 315; ÖBl. 1978, 37). Ein Interesse an einer Feststellungsklage ist schon dann gegeben, wenn durch die Klarstellung der Rechtsverhältnisse künftige Streitigkeiten vermieden werden (EvBl. 1969/411). Die Feststellungsklage dient nicht nur dem Ausschluß der Gefahr der Verjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Gründe nach (JBl. 1976, 315 mwN; ähnlich JBl. 1979, 602; vgl. SZ 41/153). Solche Klagen wurden insbesondere zugelassen, wenn die Ersatzpflicht des Schädigers (zB bei Tötung eines subsidiär Unterhaltspflichtigen) noch eine "bedingte" war (vgl. ZfRV 1981, 24 mwN), da auch dann schon ein "Rechtsverhältnis" iS des § 228 ZPO besteht. Zwar rechtfertigt nicht schon jedes schuldhafte Verhalten, das die Möglichkeit eines künftigen Schadenseintrittes in sich birgt, eine Feststellungsklage; haben sich aber schadensträchtige Vorfälle, durch die konkreter Schaden eintreten konnte, bereits ereignet und können sie sich leicht wiederholen, ist das Feststellungsinteresse zu bejahen, auch wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist. Die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden kann sich zwar notwendigerweise nur auf die Feststellung des rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens des Beklagten, nicht aber auf die Feststellung eines Schadens und des Bestehens eines Kausalzusammenhanges beziehen, doch gilt dies für jedes Feststellungsurteil über die Ersatzpflicht für künftige Schäden. Im vorliegenden Fall sind bereits zwei 26 kg schwere Platten auf das Dach des Hauses der Kläger gestürzt. Daß kein feststellbarer Schaden entstanden ist, muß als reiner Zufall angesehen werden, der sich kaum wiederholen wird. Mit dem Herabstürzen weiterer Platten ist zu rechnen. Wegen der Wucht des Sturzes ist es wahrscheinlich, daß dann ein Schaden entstehen wird. Unter diesen Umständen muß ein Feststellungsinteresse der Kläger bejaht werden.

Verfehlt ist die Einwendung der beklagten Partei, daß die Kläger bereits mit Leistungsklage vorgehen könnten. Welche Rechtsbehelfe den Klägern mangels eines vertraglichen Verhältnisses zur beklagten Partei zur Verfügung stunden, um auf die Beseitigung der oben erwähnten Gefahrenlage zu dingen, bedarf keiner Erörterung. Die Kläger sind nicht zu eigenem Handeln verpflichtet, sondern können bei Eintritt des Schadens Ersatz begehren. Wenn die Kläger vorsorglich die Feststellung der künftigen Schadenersatzpflicht der beklagten Partei anstreben, ist nur zu prüfen, ob sie bereits jetzt eine dieser Feststellungsklage entsprechende Leistungsklage, also eine Schadenersatzklage, erheben könnten. Diese Leistungsklage steht ihnen aber mangels eines Schadenseintrittes noch nicht zu. Die Feststellungsklage wird daher nicht durch die Möglichkeit einer den gleichen Rechtsschutzeffekt erzielenden Leistungsklage (vgl. JBl. 1980, 31; 1968, 206) verdrängt.

Die Kläger meinen, ihrem Feststellungsbegehren wäre auch, was bereits entstandene Schäden betrifft, Folge zu geben gewesen. Die Revisionswerber übersehen aber, daß die beklagte Partei für das Entstehen kleinerer Risse und die Verbreiterung vorhandener Mauerrisse mangels eines Verschuldens überhaupt nicht haftet und aus dem Herabfallen von Heraklithplatten noch kein Schaden entstanden ist.

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, ist auch bei Feststellungsklagen der Zuspruch eines Minus zulässig (JBl. 1960, 154; JBl. 1957, 132; JBl. 1956, 563; Fasching III 75). Eine Überschreitung des § 405 ZPO liegt nicht vor, wenn entweder ein quantitativ geringerer Umfang des Rechtes, dessen Feststellung begehrt wird, urteilsmäßig festgestellt wird oder aber anstelle des begehrten Rechtes ein qualitativ geringeres Recht festgestellt wird, das aber begrifflich in dem Recht oder Rechtsverhältnis, dessen Feststellung begehrt wird, zur Gänze seine Deckung findet (Arb. 10 027; 1 Ob 108/72 ua.; Fasching aaO 650 f.). Die Feststellung der Ersatzpflicht für ganz bestimmt bezeichnete Schäden aus einer Bauführung ist gegenüber der Feststellung der Ersatzpflicht für alle Schäden aus dieser Bauführung ein Minus.

Anmerkung

Z56038

Schlagworte

Feststellungsklage bei derzeit nicht feststellbarem Schaden, Schadenersatz, Feststellungsklage bei derzeit nicht feststellbaren, Schaden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0010OB00544.83.0309.000

Dokumentnummer

JJT_19830309_OGH0002_0010OB00544_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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