TE OGH 1983/4/26 4Ob545/83

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Veröffentlicht am 26.04.1983
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Norm

ABGB §164a

Kopf

SZ 56/71

Spruch

Auch die Möglichkeit, die Vermutung der Vaterschaft durch eine erst nach dem Anerkenntnis durchführbare erbbiologisch-anthropologische Untersuchung zu entkräften, ist ein tauglicher Anfechtungsgrund nach § 164a ABGB

Die einjährige Notfrist des § 164a Abs. 2 ABGB beginnt nicht vor der vollständigen Ausbildung aller Ähnlichkeitsmerkmale der zu untersuchenden Personen

OGH 26. 4. 1983, 4 Ob 545/83 (LG Salzburg 32 R 83/83; BG Zell am See 3 C 2/80)

Text

Mit der am 8. 1. 1980 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß sein am 19. 7. 1974 abgegebenes Anerkenntnis der Vaterschaft zum beklagten Kind Erwin N, geboren am 29. 11. 1973, rechtsunwirksam und das Kind kein leibliches Kind des Klägers sei. Er habe am 19. 7. 1974 vor dem Jugendamt Zell am See die Vaterschaft anerkannt. Diesem Anerkenntnis sei ein Rechtsstreit beim Bezirksgericht Taxenbach zur Feststellung seiner außerehelichen Vaterschaft vorausgegangen, der jedoch nicht weitergeführt worden sei, weil der Kläger den Kostenvorschuß für die Durchführung eines serologischen Gutachtens nicht erlegt habe. Der Kläger habe seit jeher schwerwiegende Zweifel an seiner Vaterschaft zum beklagten Kind gehabt, sei ihm doch später bekannt geworden, daß die Mutter des Kindes auch mit anderen Männern geschlechtlich verkehrt habe. Überdies sei der Kläger in jenem Zeitraum, innerhalb dessen die größte Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis gegeben war, in Haft gewesen. Das Kind habe sich seit seiner Geburt auf verschiedenen Pflegeplätzen befunden; der Kläger habe es nie zu Gesicht bekommen, wenn man von einem kurzen zufälligen Zusammentreffen absehe. Nach einer in letzter Zeit erfolgten Begegnung mit dem Kind habe der Kläger feststellen müssen, daß nach dessen äußerer Erscheinung Merkmale vorhanden seien, die ihn als Vater offensichtlich ausschlössen. Der Kläger berief sich zum Beweis seiner Nichtvaterschaft auf den Sachbefund durch Einholung eines serologischen und eines erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens; er beantragte ferner die Einholung eines Tragzeitgutachtens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest: Die Vaterschaft des Klägers zum Beklagten kann ungeachtet der Untersuchung 19 serologischer Systeme nicht ausgeschlossen werden. Sie ist vielmehr mit einem Grad von 97% Wahrscheinlichkeit "sehr wahrscheinlich". Unter Berücksichtigung der letzten vorgeburtlichen Regel der Mutter Josefine N (22. 2. bis 25. 2. 1973) liegt das Konzeptionsoptimum zwischen dem 5. 3. 1973 und dem 9. 3. 1973 mit Spitze am 7. 3. 1973. In dieser Zeit war der Kläger entgegen seiner Behauptung nicht in Haft. Der Kläger könne nicht bestreiten, mit der Mutter Josefine N geschlechtlich verkehrt zu haben, wenn er nicht gerade im Gefängnis angehalten gewesen sei. Den Antrag auf Einholung eines erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens habe der Kläger im Verlauf des Verfahrens zurückgenommen. Streng genommen sei damit der Klage bereits der Boden entzogen, da sowohl das Blutgruppengutachten als auch die Berechnung des vermutlichen Zeugungszeitpunktes weit früher als ein Jahr vor der Klagseinbringung zur Verfügung gestanden wären.

Über Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht wies darauf hin, daß der Kläger seinen Antrag auf Einholung eines erbbiologischanthropologischen Gutachtens nie zurückgezogen habe. Eine Verfristung sei nicht eingetreten. Die Rechtsprechung vertrete zu § 534 Abs. 2 Z 4 ZPO den Standpunkt, daß dann, wenn eine Wiederaufnahmsklage auf eine erbbiologisch-anthropologische Untersuchung gestützt werde, von einer Versäumung der Einmonatsfrist in der Regel nicht gesprochen werden könne, weil die Ansicht der medizinischen Wissenschaft, wann eine solche Untersuchung frühestens vorgenommen werden könne, schwanke. Das beklagte Kind sei ein Jahr vor Klagseinbringung knapp fünf Jahre alt gewesen. Es könne daher nicht von vornherein gesagt werden, daß sich die Ahnlichkeitsmerkmale oder sonstigen biologischen Merkmale des Kindes bereits so weit entwickelt gehabt hätten, daß eine frühere Untersuchung gleich verläßliche Resultate gebracht hätte wie eine solche ab dem 8. 1. 1979. Überdies habe der Vater in der Klage ausgeführt, daß er das Kind praktisch nie zu Gesicht bekommen und erst bei einer Begegnung in der letzten Zeit festgestellt habe, daß es ihm nicht ähnlich sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des beklagten Kindes nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, daß der Kläger seinen Antrag auf Einholung eines erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens nicht zurückgezogen, sondern vielmehr ausdrücklich aufrecht erhalten hat. Das beklagte Kind meint allerdings, die Klage sei verspätet eingebracht worden, weil es im Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits sechs Jahre alt gewesen sei und eine erbbiologisch-anthropologische Untersuchung bereits ab dem dritten Lebensjahr mit Erfolg vorgenommen werden könne. Dem kann nicht beigepflichtet werden:

Gemäß § 164a Abs. 1 Z 2 ABGB hat das Gericht die Rechtsunwirksamkeit des Anerkenntnisses auf Klage des Anerkennenden gegen das Kind festzustellen, wenn solche Umstände vorliegen, die die Vermutung seiner Vaterschaft entkräften (§ 163 Abs. 2) und die er zur Zeit der Anerkennung nicht gekannt hat. Gemäß § 164a Abs. 2 ABGB ist die Klage bei sonstigen Ausschluß binnen Jahresfrist nach Entdeckung der im Abs. 1 Z 2 genannten Umstände zu erheben. Mit der Bestimmung des § 164a Abs. 1 Z 2 ABGB sollte im wesentlichen die Anfechtung des Anerkenntnisses wegen neuer Tatsachen und Beweise ermöglicht und dem Anerkennenden dieselbe Anfechtungsmöglichkeit eröffnet werden wie demjenigen, dessen Vaterschaft urteilsmäßig festgestellt wurde (6 Blg.NR 12. GP; SZ 48/14; EFSlg. 33 590; 1 Ob 787/82). Die Materialien betonen in diesem Zusammenhang, daß eine Rechtsungleichheit zwischen der Stellung desjenigen, der die Vaterschaft anerkannt hat, und demjenigen, dessen Vaterschaft durch Urteil festgestellt wurde, nicht gerechtfertigt sei. Wenngleich daher § 164a Abs. 1 Z 2 ABGB nur von Umständen spricht, welche die Vermutung der Vaterschaft entkräften und die der Kläger zur Zeit der Anerkennung nicht gekannt hat, während § 530 Abs. 1 Z 7 ZPO die Wiederaufnahmsklage auch zuläßt, wenn die Partei neue Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, muß doch auch die Möglichkeit, die Vaterschaft durch eine erst nach erfolgtem Anerkenntnis mit Erfolg durchführbaren erbbiologischanthropologischen Untersuchung zu entkräften, als tauglicher Anfechtungsgrund nach § 164 ABGB anerkannt werden. Auch die Entscheidung des OGH EvBl. 1983/1 geht davon aus, daß grundsätzlich die nach erfolgtem Anerkenntnis eingetretene Möglichkeit, durch ein erbbiologisch-anthropologisches Gutachten die Vermutung der Vaterschaft zu entkräften, einen Anfechtungsgrund gemäß § 164a ABGB bildet (vgl. auch Pichler in Rummel, ABGB Rdz. 3 zu § 164a; SZ 48/14).

Es ist nun zwar richtig, daß der OGH in der Entscheidung EvBl. 1983/1

en Standpunkt vertreten hat, die Frist des § 164a Abs. 2 ABGB beginne ab dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem ein Gutachten dieser Art mit Aussicht auf Erfolg eingeholt werden könne; die Klage sei dann verfristet, wenn das Kind im Zeitpunkt der Einbringung der Klage bereits nahezu neun Jahre alt war, weil bereits bei einem wesentlich jüngeren Alter ein solches Gutachten brauchbare Ergebnisse bringen könne. Diese Ansicht kann jedoch nicht uneingeschränkt aufrecht erhalten werden. Lehre und ständige Rechtsprechung vertreten zu der ähnlichen Bestimmung des § 534 Abs. 2 Z 4 ZPO die Auffassung, für den Beweis durch erbbiologisch-anthropologische Untersuchung beginne die Notfrist nicht zu laufen, bevor nicht alle Ähnlichkeitsmerkmale der zu untersuchenden Personen voll ausgebildet sind (Fasching IV 531 f.; SZ 22/71; EvBl. 1953/542; EFSlg. 32 114, 36 813 ua.). Es wurde daher etwa in der Entscheidung EFSlg. 27 878 bei einem Kind im Alter von 8 1/2 Jahren und in der Entscheidung 1 Ob 284/58 bei einem solchen von 8 3/4 Jahren die Auffassung vertreten, es könne nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die Ähnlichkeitsmerkmale bereits vor Erreichung dieses Alters vollständig ausgebildet waren. Auch könne vom Kläger nicht verlangt werden, daß er von Jahr zu Jahr einen medizinischen Sachverständigen in dieser Richtung befragt. Ebenso sei nicht vorauszusehen gewesen, ob sich nicht die Merkmale noch verstärken und damit die Erfolgsaussichten vergrößern könnten.

Diese Erwägungen treffen aber auch für die Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses gemäß § 164a ABGB zu. Die Befristung der Klagemöglichkeit durch § 164a Abs. 2 ABGB ist der Bestimmung des § 530 Abs. 1 Z 7 ZPO nachgebildet (6 BlgNR 12. GP). Wenn der Beklagte darauf verweist, daß bereits ab dem dritten Lebensjahr die erbbiologisch-anthropologische Untersuchung an einem Kind mit Erfolg vorgenommen werden könne, so mag dies zutreffen. Damit ist aber noch keineswegs gesagt, daß in diesem Alter allgemein bereits alle Ähnlichkeitsmerkmale so voll ausgebildet sind, daß ein zuverlässiges Ergebnis der Untersuchung zu erwarten ist. Es kann daher im vorliegenden Fall auch nicht gesagt werden, daß beim Beklagten vor dem 8. 1. 1979 (damals war der Beklagte knapp fünf Jahre alt) die Ähnlichkeitsmerkmale voll ausgeprägt waren, und, selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, daß der Kläger davon Kenntnis hatte. Damit erweist sich aber der Einwand, die Klage sei verspätet überreicht worden, als nicht zutreffend.

Soweit der Rekurs meint, bereits durch das eingeholte serologische Gutachten sei eindeutig erwiesen, daß der Kläger der Vater des beklagten Kindes sei, kann darauf verwiesen werden, daß nach ständiger Rechtsprechung die erbbiologisch-anthropologische Begutachtung grundsätzlich ein geeignetes Beweismittel zur Widerlegung der Rechtsvermutung des § 163 ABGB ist (EFSlg. 34 525, 33 577 ua.). Wenn aber das Berufungsgericht die Auffassung vertritt, es bedürfe zur Entscheidung der Frage, ob dem Kläger der Beweis der Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft gemäß § 163 Abs. 2 ABGB gelungen ist, noch der Einholung weiterer Beweise, kann dem der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten.

Anmerkung

Z56071

Schlagworte

erbbiologisch-anthropologische Untersuchung, Beginn der Notfrist des, § 164a Abs. 2 ABGB, erbbiologisch-anthropologische Untersuchung, Möglichkeit der - nach, Vaterschaftsanerkenntnis: Anfechtungsgrund nach § 164a ABGB, Untersuchung, erbbiologisch- anthropologische, s., erbbiologisch-anthropologische Untersuchung, Vaterschaftsanerkenntnis, Beginn der Notfrist des § 164a Abs. 2 ABGB, bei erbbiologisch-anthropologischer Untersuchung, Vaterschaftsanerkenntnis, Möglichkeit der, erbbiologisch- anthropologischen Untersuchung nach -: Anfechtungsgrund, nach § 164a ABGB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0040OB00545.83.0426.000

Dokumentnummer

JJT_19830426_OGH0002_0040OB00545_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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