TE OGH 1983/6/23 7Ob523/83

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Veröffentlicht am 23.06.1983
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Norm

ABGB §481
ABGB §1500
EO §150

Kopf

SZ 56/105

Spruch

Nicht verbücherte offenkundige Dienstbarkeiten, die nicht durch Ersitzung erworben wurden, sind gegenüber dem Ersteher einer zwangsversteigerten Liegenschaft wirkungslos

OGH 23. 6. 1983, 7 Ob 523/83 (LGZ Graz 4 R 399/82; BGZ Graz 3 C 1029/81)

Text

Robert L war Alleineigentümer der Liegenschaften EZ 172 und 464 KG G. Die Liegenschaft EZ 172 besteht aus den Grundstücken 226/7 Wiese und 227/5 Garten, die Liegenschaft EZ 464 aus den Grundstücken 226/3 Weide und 226/8 Wald. Auf dem Grundstück 226/3 Weide steht das Wohnhaus R 7. Die Zufahrt zu diesem Wohnhaus führt über die Grundstücke 227/5 und 226/7 jeweils an deren Rand. Über das Vermögen des Robert L wurde der Konkurs eröffnet. Beide Liegenschaften wurden im Verfahren 9 E 60/79 des BGZ Graz versteigert. Nach der dort erliegenden Beschreibung erfolgt die Zufahrt zur Liegenschaft EZ 464 über den über die Grundstücke 227/5 und 226/7 führenden Weg, der als Privatweg des Verpflichteten bezeichnet wird. In den Versteigerungsbedingungen ist von diesem Weg keine Rede. Bei der Versteigerungstagsatzung vom 10. 11. 1980 erstand der Kläger die Liegenschaft EZ 172, die Beklagte die Liegenschaft EZ 464. Nach einem handschriftlichen Vermerk des Exekutionsrichters wurde der Beklagten vor der Erteilung des Zuschlags nochmals Rechtsbelehrung hinsichtlich des mangelnden, grundbücherlich nicht einverleibten Zufahrtsrechtes zu der von ihr ersteigerten Liegenschaft erteilt; sie wurde nochmals darauf hingewiesen, daß die Zufahrt nach dem Gutachten des Sachverständigen nur über die Grundstücke der EZ 172 (226/7 und 227/5) möglich sei. Nach diesem Vermerk erklärte die Beklagte, daß dieser Umstand ihr bekannt sei, dies mache nichts, sie werde sich schon mit dem Ersteher der EZ 172 einigen. - Die Beklagte benützt für sich und die Leute, die das ihr gehörige Haus R 7 bewohnen oder dieses Haus aufsuchen, den erwähnten Privatweg als Zufahrt, obwohl dies seitens des Klägers verboten wurde.

Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, das Befahren des über die Grundstücke 227/5 Garten und 226/7 verlaufenden Weges sofort zu unterlassen. Er bringt vor, der Beklagten sei im Zeitpunkt der Ersteigerung ihrer Liegenschaft bekannt gewesen, daß zu dieser kein Weg führe; der Kläger habe die außergerichtliche Einräumung eines Wegerechtes abgelehnt. Die Beklagte habe den über die Liegenschaft des Klägers führenden Weg trotz Abmahnung benützt.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und wendet ein, es handle sich bei dem genannten Weg um die einzig mögliche Zufahrt zu dem von ihr ersteigerten Objekt mit dem Haus R 7; es liege insoweit eine offenkundige Dienstbarkeit vor. Der Kläger habe nicht auf den Grundbuchsstand vertrauen können und sein Objekt keineswegs lastenfrei erworben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Ansicht, daß der Beklagten eine Dienstbarkeit des Fahrweges nicht zustehe, sodaß sie sich dem Wegbenützungsverbot des Klägers beugen müsse.

Das Berufungsgericht gab der Berufung statt und sprach aus, daß der von der Stattgebung der Berufung betroffene Wert des Streitgegenstandes 2000 S übersteigt. Es erachtete den genauen Inhalt der der Beklagten vom Exekutionsrichter erteilten Rechtsbelehrung als für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht bedeutsam und legte im übrigen die Feststellungen des Erstgerichtes seiner Entscheidung zugrunde. Die Zufahrt zu dem Haus R 7 sei nur über den etwa 3.5 m breiten Privatweg möglich, der über die EZ 172 KG G führe. Der Weg habe daher schon vor der Versteigerung der beiden Liegenschaften offenkundig dazu gedient, die Liegenschaft EZ 464 KG G zu erreichen und zu dem auf dieser befindlichen Haus zu gehen und zu fahren sowie Personen und Wirtschaftsgüter dorthin und von dort weg zu transportieren. Die Einräumung einer Servitut an der EZ 172 KG G zugunsten der Liegenschaft EZ 464 KG G sei aber nicht zulässig gewesen, da beide Liegenschaften demselben Eigentümer gehört hätten. Erst seit dem Zeitpunkt der Versteigerung bestehe nicht mehr Eigentümeridentität. Zwar könne nach § 481 Abs. 1 ABGB das dingliche Recht der Dienstbarkeit an Gegenständen, die in den öffentlichen Büchern eingetragen seien, nur durch Eintragung in diese erworben werden. Es gebe jedoch Ausnahmen vom starren Eintragungsprinzip dort, wo das Festhalten daran der Vernunft, der Treue im Verkehr und dem in § 1295 Abs. 2 ABGB ausgesprochenen Grundsatz widerstreiten würde. Eine solche Ausnahme sei bei Veräußerungen zweier demselben Eigentümer gehöriger Grundstücke, von denen das eine durch eine vorhandene offenkundige Anlage tatsächlich dem anderen diene, an zwei verschiedene Personen zu machen. In einem derartigen Fall entstehe auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit. Dies gelte sowohl für die vertragliche als auch die exekutive Veräußerung der beiden Liegenschaften. Durch die Beschreibung und Schätzung der Liegenschaften im Exekutionsverfahren habe dem Kläger bekannt sein müssen, daß die von ihm nicht erworbene Liegenschaft EZ 464 nur auf dem über die von ihm erworbene Liegenschaft EZ 172 führenden Weg erreichbar sei und daß daher diese Liegenschaft der Liegenschaft der Beklagten diene, gleichgültig, ob er die Liegenschaften vorher besichtigt habe oder nicht. Da die Dienstbarkeit unmittelbar durch die Übertragungsakte entstanden sei, habe der Inhalt der Belehrung der Beklagten durch den Exekutionsrichter weder einen Einfluß auf das Entstehen, noch auf den Umfang der Servitut. Da die Servitut erst durch die Teilung der beiden bisher demselben Eigentümer gehörenden Liegenschaften entstanden sei, könne sich der Kläger nicht darauf berufen, daß nicht verbücherte Dienstbarkeiten einem Ersteher gegenüber wirkungslos blieben. Der Beklagten stehe sohin die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes zu. Der Kläger sei deshalb nicht berechtigt, ihr die Benützung des Weges zu verbieten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das Ersturteil her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist richtig, daß im Schrifttum die Ansicht vertreten wird (aM Koziol - Welser, Grundriß[6] II 132), das Eintragungsprinzip des § 481 Abs. 1 ABGB werde bei den "offenkundigen" Dienstbarkeiten durchbrochen. Wer einen gültigen Titel - auch die Ersitzung - besitzt, ist trotz Nichtverbücherung geschützt, wenn sichtbare Anlagen auf dem dienenden Grund das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (Petrasch in Rummel, ABGB, Rdz. 2 zu § 481). Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß es bei der Teilung oder dem Auseinanderfallen des bisher gleichen Eigentums an zwei Liegenschaften zur unmittelbaren Entstehung "offenkundiger" Dienstbarkeiten kommt, wenn ein Grundstück offenbar dem anderen dient (Petrasch aaO, Rdz. 2 zu § 480). Die Frage allerdings, ob eine offenkundige, aber nicht verbücherte (Grund-)Dienstbarkeit (eine persönliche Dienstbarkeit kann nicht offenkundig sein) auch bei einer Zwangsversteigerung gegenüber dem Erwerber der dienenden Liegenschaft wirksam ist, wird entgegen der Darstellung des Berufungsgerichtes weder in der Lehre noch auch in der Rechtsprechung einheitlich behandelt. Heller - Berger - Stix, Exekutionsordnung[4] 1306 (ihnen folgend die Entscheidung SZ 50/120) vertreten unter Hinweis auf die Bestimmungen von § 150 Abs. 1 und § 170 Z 5 EO die Meinung, eine nicht verbücherte, wenn auch offenkundige Dienstbarkeit sei bei der Zwangsversteigerung gegenüber dem Ersteher wirkungslos, wenn sie nicht bis zur Versteigerung gegen den Verpflichteten mit der Klage zur Geltendmachung der Dienstbarkeit durchgesetzt und exekutiv oder durch eine freiwillig ausgestellte Erklärung des Verpflichteten verbüchert wurde. Andere Lehrmeinungen schränken diese strenge Ansicht ein. So vertritt Klang in Klang[2] VI 588 die Meinung, daß offenkundige Dienstbarkeiten auch gegenüber dem Ersteher in der Zwangsversteigerung in der Weise wirksam bleiben, daß er sie, wenn er die Ersitzung vollenden ließ, weiter dulden muß, und wenn die Ersitzung zur Zeit des Zuschlages schon vollendet war, nach Maßgabe ihres Ranges übernehmen muß, wobei sich dieser Rang nach dem Zeitpunkt der Vollendung der Ersitzung richtet. In ähnlicher Weise führt Gschnitzer, Sachenrecht 154 f. aus, daß (entsprechend der Regelung in § 150 Abs. 1 EO) der Ersteher dem betreibenden Gläubiger vorgehende Dienstbarkeiten ohne Anrechnung auf das Meistbot übernehmen muß. Bei offenkundigen Dienstbarkeiten müsse der Berechtigte ihr höheres Alter und ihren besseren Rang beweisen. Im gleichen Sinn vertritt auch Ehrenzweig[2] I/2 die Ansicht, daß (zwar) die ersessenen (nicht verbücherten) offenkundigen Dienstbarkeiten im Fall der Zwangsversteigerung nicht erlöschen (344 f.), aber doch allen bücherlichen Rechten nachstehen, solange nicht ihr höheres Alter nachgewiesen ist (356).

In der Rechtsprechung findet sich außer der bereits genannten SZ 50/120 an einschlägigen Entscheidungen im wesentlichen nur die Entscheidung GlUNF 7483, wonach ersessene, nicht verbücherte, aber dem Ersteher bekanntgegebene Dienstbarkeiten bei der Zwangsversteigerung zu übernehmen seien. Die von Petrasch in Rummel, ABGB, Rdz. 2 zu § 481, erwähnte Entscheidung SZ 36/92 behandelt die Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft (§ 352 EO).

Daß der Standpunkt der Beklagten zum Scheitern verurteilt ist, wenn man der Meinung von Heller - Berger - Stix aaO sowie der Entscheidung SZ 50/120 folgt, bedarf keiner weiteren Erörterung. Denn es ist unbestritten, daß die strittige Dienstbarkeit nicht verbüchert ist. Aber auch die oben wiedergegebenen Ausführungen von Klang, Gschnitzer und Ehrenzweig sprechen gegen die Beklagte. Denn nach diesen Lehrmeinungen, denen der erkennende Senat sich anschließt, werden offenkundige nicht verbücherte Servituten nur dann, wenn sie bereits ersessen sind - wobei wegen des Erfordernisses des besseren Ranges in der Regel eine bereits längere Zeit zurückliegende Vollendung der Ersitzung notwendig sein wird - bei einer Zwangsversteigerung vom Ersteher zu übernehmen sein. Eine ersessene Servitut, bei der der Berechtigte ihr "höheres Alter" und ihren "besseren Rang" nachweisen könnte, liegt jedoch nicht vor. Die gegenständliche Dienstbarkeit ist erst durch das Auseinanderfallen des bisher gleichen Eigentums an den Liegenschaften EZ 172 und 464 KG G unmittelbar entstanden. Sie könnte daher, folgt man den zitierten Lehrmeinungen, nur in diesem Rang berücksichtigt werden. Aus dem Zwangsversteigerungsakt 9 E 60/79 des BGZ Graz ergibt sich aber, daß das für die (vom Kläger ersteigerte) Liegenschaft EZ 172 KG G erzielte Meistbot zur Befriedigung der (der Beklagten rangmäßig vorgehenden) Gläubiger bei weitem nicht ausgereicht hat. Die Beklagte kann sich schließlich auch nicht auf die Entscheidung GlUNF 7483 stützen, da diese ersessene Dienstbarkeiten behandelt.

Es erweist sich damit, daß der Beklagten die von ihr in Anspruch genommene Servitut keinesfalls zusteht, sodaß sich auch eine Stellungnahme zu den dargelegten Ansichten erübrigt. Der Kläger ist daher berechtigt, der Beklagten die Benützung des strittigen Weges zu verbieten.

Anmerkung

Z56105

Schlagworte

Dienstbarkeit, nicht verbücherte aber offenkundige - bei Zwangsversteigerung Ersteher, s. a. Liegenschaftsexekution Liegenschaftsexekution, nicht verbücherte, offenkundige Dienstbarkeiten: Wirkung gegen Ersteher Servitut, s. a. Dienstbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0070OB00523.83.0623.000

Dokumentnummer

JJT_19830623_OGH0002_0070OB00523_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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