TE OGH 1985/3/19 11Os25/85

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Veröffentlicht am 19.03.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.März 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kohlegger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard A wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 13.Dezember 1984, GZ 20 Vr 2.353/84-54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Berufung des Angeklagten wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 26.August 1961 geborene Gerhard A des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (1) und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 StGB (2) schuldig erkannt. Darnach tötete er am 11.Juli 1984 in Innsbruck die Rosa B durch wuchtige Hammerschläge gegen den Kopf, durch Würgen und durch Zufügen zahlreicher Messerstiche vorsätzlich (1) und stahl ihr anschließend einen Geldbetrag von 100 S und eine Armbanduhr (2). Die Geschwornen bejahten einstimmig die an sie im Sinn der Mordanklage gestellte Hauptfrage 1, verneinten die in Richtung des Anklagevorwurfes wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 StGB gestellte Hauptfrage 2 im Stimmenverhältnis 7 :

1 und bejahten dann im selben Stimmenverhältnis die hiezu gestellte Eventualfrage nach dem Vergehen des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 StGB Den Antrag des Verteidigers, den Geschwornen eine Zusatzfrage nach dem Schuldausschließungsgrund des § 11 StGB zu stellen, lehnte der Schwurgerichtshof mit der Begründung ab, diese Frage sei nicht indiziert (S 195/II).

Gegen diese Schuldsprüche wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Z 5, 6, 8 und 9 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er schwergewichtig die Beeinträchtigung seiner Verteidigung durch Ablehnung der auf den Nachweis seiner Unzurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt abzielenden Beweisanträge (Z 5) und die Weigerung des Schwurgerichtshofes, eine Zusatzfrage in diese Richtung zu stellen (Z 6), rügt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerdeeinwand der Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung schlägt durch.

Gemäß § 313 StPO sind Fragen nach einem Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die - falls sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden. Ein 'Vorbringen' von Tatsachen im Sinn dieser Gesetzesstelle liegt vor, wenn im Beweisverfahren - nicht bloß in einem Parteienantrag - konkrete Umstände behauptet werden oder sonst hervorkommen, die einen Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund begründen könnten (Mayerhofer-Rieder 2 , E 13 ff zu § 313 StPO). Zur Stellung einer Zusatzfrage in Richtung des § 11 StGB ist der Schwurgerichtshof demnach nur verpflichtet, wenn die vorgebrachten Tatsachen - ihre Richtigkeit vorausgesetzt - die Strafbarkeit ausschließen würden. Der Schwurgerichtshof hat somit vorweg aus rechtlicher Sicht zu prüfen, ob die behaupteten Tatmodalitäten überhaupt die Bedeutung haben können, die Strafbarkeit auszuschließen oder aufzuheben, und für den Fall der rechtlichen Erheblichkeit der vorgebrachten Tatsachen eine entsprechende Zusatzfrage an die Geschwornen zu richten (Mayerhofer-Rieder 2 , E 25, 26, 27, 30 zu § 313 StPO; 13 Os 79/77 uva). In diesem Strafverfahren standen die Tathandlungen des Angeklagten und der gesamte Tatablauf nie in Frage, weil Gerhard A, dem die volle Bedeutung seiner Tat vorerst gar nicht zum Bewußtsein kam, der mit seinen Bekannten darüber offen sprach und sie zum Tatort brachte, dort sofort verhaftet wurde und selbst bei seiner ersten psychiatrischen Untersuchung etwa zehn Stunden nach der Tat noch den Eindruck erweckte, sich der Tragweite seiner Handlung nicht bewußt zu sein (S 375, 433, 435, 441/I), diesbezüglich voll geständig war. Er konnte allerdings in keiner Phase der strafgerichtlichen Untersuchung eine psychologisch nachvollziehbare Motivation für seine auch ihm unverständliche Bluttat an einer ihm sympathischen alten Frau angeben und behauptete demgemäß auch, keine vorgefaßte Tötungsabsicht gehabt und in einer Art Kurzschlußhandlung spontan gehandelt zu haben (S 25, 45, 397/I und S 167, 170/II). Er habe auch bei dem ähnlichen, dem Vorurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. März 1984, GZ 26 Vr 4507/83-27, zugrundeliegenden und zu einer Verurteilung wegen §§ 83, 84, 107 StGB führenden Vorfall mit einer anderen Frau nicht gewußt, wie es über ihn gekommen sei (S 160/II). In der Hauptverhandlung wurde vom Verteidiger zur Aufhellung des auch für den psychiatrischen Sachverständigen im auffälligen Gegensatz zu vergleichbaren Affekttätern stehenden Verhaltens des Gerhard A (S 435/I) auf den Umstand hingewiesen, daß bei beiden Angriffen auf bekannte Frauen Vollmond herrschte (S 162/II) und daß auch andere Familienmitglieder unter dem Einfluß von Alkohol zur Zeit des Vollmondes zu unmotivierten Aggressionsausbrüchen neigen. Zur Überprüfung dieses Vorbringens vernahm das Gericht 'zum Beweise der Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten' zum Tatzeitpunkt (S 181/II) Verwandte AS (Cousin und Cousine sowie deren Lebensgefährten) als Zeugen, die auch tatsächlich bestätigten, daß sie bei Vollmond und gleichzeitigem Alkoholgenuß 'Anfälle' hatten, bei denen sie gegen ihre Umgebung gewalttätig wurden, sich aber später an nichts mehr erinnern konnten (S 180 - 183/II). Der hierauf nach der Erläuterung seines bereits schriftlich erstatteten Gutachtens (ON 26/I) auch zu diesem Vorbringen befragte psychiatrische Sachverständige vermeinte, daß beim Angeklagten eine tiefgreifende Neurose vorliege, geopsychologische Einflüsse auf den Menschen grundsätzlich möglich seien, daß die behauptete 'Mondsucht' aber keinen Krankheitswert im eigentlichen Sinn und damit auch keinen Einfluß auf die seiner Meinung nach eindeutig zu bejahende Zurechnungsfähigkeit gehabt habe (S 185 - 198/II).

Im Lichte aller in der Hauptverhandlung umfänglich erörterten auffälligen Verhaltensweisen des Angeklagten, der einerseits kein ausreichendes Motiv für seine sinnlose Bluttat erkennen ließ und auch nach der Tat ein apathisches Verhalten an den Tag legte, bekamen jedenfalls auch die Beweisergebnisse über allfällige anlagebedingte oder/und mit einer 'Mondsucht' zusammenhängende Persönlichkeitsanomalien soweit Gewicht, daß die Frage, ob der weder geisteskranke noch geistesschwache Gerhard A zum Tatzeitpunkt auf Grund einer, einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung gleichwertigen seelischen Störung unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 11 StGB), nicht isoliert aus rechtlicher Sicht vorweg verneint werden durfte. Vielmehr ist die vorgelagerte Entscheidung der Beweisfrage, ob, wodurch und in welchem Ausmaß der Angeklagte zum Tatzeitpunkt psychisch beeinträchtigt war, ausschließlich Aufgabe der Geschwornen, die erst auf dieser Tatsachenbasis die Rechtsfrage der Zurechnungsfähigkeit beurteilen können. Sie werden aber vom Schwurgerichtshof darüber zu belehren sein, daß es an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nur dann mangeln könnte, wenn die (auf Grund aller Beweisergebnisse, vor allem durch Sachverständigengutachten zu überprüfende) Behauptung des Beschwerdeführers zuträfe, seine intellektuelle Sphäre sei so weit gestört gewesen, daß seine Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit aufgehoben oder wenigstens entscheidend eingeschränkt war (vgl hiezu SSt 44/28, 47/44). Der Schwurgerichtshof verletzte daher durch seine Weigerung, eine Zusatzfrage in Richtung § 11 StGB zu stellen, die Vorschrift des § 313 StPO und verwirklichte dadurch den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs. 1 Z 6 StPO

Da bereits diese Nichtigkeit die Aufhebung des Wahrspruchs der Geschwornen und des darauf beruhenden Schuldspruchs und die Zurückweisung der Sache an das Erstgericht zur Folge haben mußte (§§ 344, 285 e StPO), erübrigte es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Die vom Angeklagten nach der Urteilsverkündung ohne jede sachliche Konkretisierung angemeldete (S 196/II), auch schriftlich nicht ausgeführte (S 224/II unten) Berufung war zurückzuweisen (§§ 344, 346, 294

Abs. 4 StPO).

Anmerkung

E05367

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0110OS00025.85.0319.000

Dokumentnummer

JJT_19850319_OGH0002_0110OS00025_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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