TE OGH 1986/5/15 13Os6/86

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Veröffentlicht am 15.05.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider, Dr. Lachner und Dr. Brustbauer (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Jagschitz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz H*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 2 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 4. November 1985, GZ. 20 h Vr 5778/85-52, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Pflaum, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 6. Februar 1948 geborene Franz H*** wurde des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 87 Abs. 1 und 2, zweiter Fall, StGB. schuldig erkannt. Er hat am 15. Mai 1985 in Wien seinem Bruder Anton H*** durch einen Bruststich mit einem Küchenmesser eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, wobei die Tat den Tod des Anton H*** zur Folge hatte.

Der Schuldspruch beruht auf dem Wahrspruch der Geschwornen, welche die anklagekonforme Hauptfrage (1) nach Mord und eine Eventualfrage (2) nach Totschlag verneint, die nächste Eventualfrage

(3) nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (unter der Einschränkung: "nicht Herzstich, sondern Bruststich") aber bejaht haben. Zusatzfragen nach Zurechnungsunfähigkeit, nach Notwehr oder Notwehrexzeß aus asthenischem Affekt und nach Putativnotwehr (6, 8 und 10) wurden mit "Nein" beantwortet. Weitere Schuldfragen in Richtung Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (4), fahrlässiger Tötung (5, 9 und 11) und Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (7) ließen die Geschwornen entsprechend den im Fragenschema auf ihre vorausgegangenen Antworten abstellenden Anweisungen unbeantwortet. Diese Fragen wären in das Urteil nicht aufzunehmen gewesen (LSK. 1981/46).

Franz H*** bekämpft den Schuldspruch mit einer auf § 345 Abs. 1 Z. 6 und 8 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die behaupteten Verletzungen von Vorschriften über die Fragestellung (Z. 6) sind nicht gegeben.

Von unzureichender Individualisierung der Tat in der bejahten Eventualfrage 3 (absichtliche schwere Körperverletzung mit Todesfolge) wegen Unklarheit, welche Verletzung von der Täterabsicht umfaßt war, kann keine Rede sein, weil dem Wortlaut der Frage eindeutig zu entnehmen ist, daß auf die absichtliche Zufügung eines Herzstichs abgestellt wird. Ferner läßt die Formulierung auch keinen Zweifel daran, daß die Fragestellung klären soll, ob der Angeklagte bei dieser Stichführung mit der Absicht gehandelt hat, einen schweren Verletzungserfolg herbeizuführen. Was die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang versuchte Deutung des Wahrspruchs als Verneinung eines Herzstichs anlangt, haben die Geschwornen mit der eingeschränkten Bejahung der Eventualfrage 3 ("nicht Herz- sondern Bruststich" - § 330 Abs. 2 StPO.) keine dem Frageinhalt fremde Verletzung konstatiert, sondern lediglich ihren aus der Niederschrift (§ 331 Abs. 3 StPO.) erkennbaren Erwägungen Ausdruck verliehen, wonach der Angeklagte bei der Zufügung tödlicher innerer Verletzungen - darunter einer Durchbohrung des Herzbeutels - mit einem wuchtigen Stich in die rechte Brustseite nicht gerade auf das Herz des Opfers gezielt hat.

Die Eventualfrage 4 hat keinenwegs "(vorsätzliche) leichte Körperverletzung" zum Gegenstand, sondern Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs. 1, 86 StGB.). Die vom Beschwerdeführer vermißte Eventualfrage nach "vorsätzlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge" war nicht zu stellen, weil für die Subsumtion der verschuldete, tödliche Enderfolg (§ 86 StGB.) und nicht ein allfälliger tätergewollter Zwischenerfolg (§ 84 Abs. 1 StGB.) maßgebend ist (LSK. 1975/230), wobei der tödliche Ausgang fahrlässig (§ 7 Abs. 2 StGB.) herbeigeführt sein muß.

In der Eventualfrage 4 konnte die Anführung des Vorsatzes unterbleiben, weil die kraft Gesetzes subintelligierte innere Tatseite (§ 7 Abs. 1 StGB.) in die Fragestellung nicht aufgenommen werden muß; anders nur, wenn der Tatbestand eine besondere (§ 5 Abs. 2 oder 3 StGB.) Vorsatzform verlangt (SSt. 46/49 u.a.). Im übrigen vermögen angebliche Mängel der Rechtsbelehrung (über die subjektive Tatseite) einen Verstoß gegen die Bestimmungen über die Abfassung des Fragenprogramms (§§ 312 bis 317 StPO) nicht zu bewirken.

Gemäß § 317 Abs. 2 StPO. bleibt die Reihenfolge der Fragen der Beurteilung des Schwurgerichtshofs überlassen, welcher sie unter Berücksichtigung des Zwecks festzusetzen hat, einen der wahren Meinung der Geschwornen entsprechenden und für die Sachentscheidung brauchbaren Wahrspruch zu erzielen. Demgemäß enthält das Gesetz keine Regelung, wonach Zusatzfragen nach Rechtfertigungsgründen vor jenen nach Schuldausschließungsgründen zu stellen wären. Aus der vorgereihten Position der die Zurechnungsunfähigkeit betreffenden Frage 6 im Schema gegenüber jenen in Richtung Notwehr, Notwehrexzeß aus asthenischem Affekt sowie Putativnotwehr (8 und 10) kann darum keine Unrichtigkeit der Fragestellung abgeleitet werden. Im übrigen rechtfertigt allein die Notwehr; Notwehrexzeß aus asthenischem Affekt und Putativnotwehr könnten den Täter nur entschuldigen. Die weiters gerügte Anleitung der Geschwornen, die Zusatzfragen 8 und 10 nur bei Verneinung der Zusatzfrage 7 zu beantworten, entspricht einer Belehrung über das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander (§ 321 Abs. 2 StPO.), sodaß der Beschwerdeführer hier inhaltlich Nichtigkeit nach § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO. geltend macht. Dazu ist zu bemerken, daß die Bejahung einer der Schuldfragen 1 bis 5 nach der Bejahung der Zusatzfrage 6 (Zurechnungsunfähigkeit) zu keinem Schuldspruch wegen der konstatierten Tat mehr führen konnte, weshalb kein Verfahrensinteresse des Angeklagten an der weiteren Prüfung bestanden hätte, inwieweit er eben bei der betreffenden Tat in tatsächlicher oder vermeintlicher Notwehr gehandelt hat. Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Einwände gegen die Eventualfragen 3 und 4 auf seine Verantwortung zurückkommt, daß er den tödlichen Messerstich nur bei der Abwehr eines von Anton H*** ebenfalls mit einem Messer unternommenen Angriffs geführt habe und von ihm nur eine Hand- oder Armverletzung beabsichtigt gewesen sei, zeigt er keine Unrichtigkeit der betreffenden Fragen auf. Er verweist damit auf ein Tatsachenvorbringen in der Bedeutung des § 313 StPO., dem der Schwurgerichtshof ohnehin mittels der Zusatzfrage 8 nach Notwehr Rechnung getragen hat. Ebensowenig stichhaltig ist es, daß diese Einlassung des Angeklagten Grundlage für Zusatzfragen nach entschuldigendem Notstand (§ 10 Abs. 1 StGB.) oder nach Putativnotstand geboten hätte. Diese Darstellung lief nämlich keineswegs auf eine Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens gegenüber dem Angreifer hinaus, sondern allein auf die Behauptung rechtmäßiger Verteidigung (Notwehr) gegen den rechtswidrigen Angriff eines anderen.

Die Vorwürfe gegen die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung (Z. 8) erweisen sich gleichermaßen als unbegründet. Zum Teil wird versucht, der Belehrung einen Inhalt zu unterstellen, den sie in Wahrheit nicht einmal andeutungsweise aufweist. So ist es aktenwidrig, daß der bedingte Vorsatz allein mit dem "Inkaufnehmen" der Tatbildverwirklichung durch den Täter erklärt wird; daß zur Eventualfrage 4 das Vorsatzerfordernis in einer seine Entbehrlichkeit nahelegenden Weise erörtert wird; daß die Belehrung zu den Eventualfragen 5, 9 und 11 die Zuordnung der Begriffe "wollen" und "sich abfinden" (§ 5 Abs. 1 StGB.) in Frage stellt; schließlich, daß zur Erklärung des Begriffs der Absichtlichkeit ein Beispielsfall verwendet und dafür auch noch eine absichtliche schwere Körperverletzung herangezogen wird.

Ohne aktenmäßige Deckung und daher jeder weiteren argumentativen Auseinandersetzung entrückt bleibt auch der Einwand, daß die Niederschrift der Geschwornen falsche Rechtsauffassungen betreffend den Vorsatz und die initiative Notwehr erkennen lasse. Zu Unrecht wird ferner die Erläuterung der in Betracht kommenden Spielarten des Vorsatzes bemängelt, welche in der Rechtsbelehrung ohnehin zutreffend dargelegt werden. Abgesehen davon, daß Erörterungen der unterschiedlichen Akzentuierung der Wissens- und Willenskomponenten bei den einzelnen Intensitätsstufen des Vorsatzes für die Information der Geschwornen hier gar nicht geboten und daher mit Recht unterblieben sind, erscheint der Beschwerdepunkt auch sonst nicht nachvollziehbar: So bleibt es unerfindlich, inwiefern durch den Gebrauch des Ausdrucks "wollen" die Wissenskomponente ins Spiel gebracht worden sein soll.

Der allgemeine Hinweis auf die Möglichkeit, aus der Tathandlung Rückschlüsse auf eine allfällige Erfolgsvorstellung des Täters zu ziehen und solcherart Aufschluß über das Vorliegen eines dolus eventualis oder einer bewußten Fahrlässigkeit zu gewinnen, gehört zwar nicht in die Rechtsbelehrung, sondern als Hervorhebung einer für die Beantwortung entscheidenden Tatsache in die anschließende Besprechung (§ 323 Abs. 2 StPO.). Eine solche Vorwegnahme eines Besprechungsthemas bewirkt jedoch weder eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung noch enthält sie eine Abwägung der Verantwortung des Angeklagten oder der Beweismittel, sodaß die vom Beschwerdeführer reklamierte Einflußnahme auf die Beweiswürdigung der Geschwornen nicht ersichtlich ist.

Gleiches gilt für den an zwei Stellen mit dem Begriff der fahrlässigen Tötung verknüpften Hinweis "wie bei einem Verkehrsunfall" sowie für die beispielhafte Charakterisierung eines unmittelbar drohenden Angriffs ("etwa wenn ein Angreifer seine Waffe in Anschlag bringt"), wodurch ersichtlich nur dem Auffassungsvermögen der Laienrichter entgegengekommen werden sollte. Bei unbefangener Betrachtung geht von diesen Passagen keine suggestive Wirkung aus, welche die Entscheidung der Geschwornen zum Nachteil der Angeklagten beeinflussen konnte.

Mit dem zur Notwehr gegebenen Hinweis, daß die Rechtswidrigkeit des Angriffs "speziell im Sinne des Tatbildes sein" muß, wird nach dem Sinnzusammenhang die Subsumierbarkeit der Angriffshandlung gar nicht angesprochen, weshalb das diesbezügliche Beschwerdevorbringen ins Leere geht. Ebenso versagt der nicht substantiierte Einwand, daß die mit der ständigen Judikatur übereinstimmenden Erklärungen zur initiativen Notwehr (siehe Mayerhofer-Rieder 2 E. 33 zu § 3 StGB.) unrichtig seien. Endlich ist es unzutreffend, daß die Spruchpraxis einen Rechtssatz oder auch nur einen gültigen Erfahrungswert entwickelt habe, welcher Blutalkoholgehalt zu einer vollen Berauschung führt. Bei Darlegung der rechtlichen Merkmale dieses Zustands war folglich auf einen Umstand dieser Art nicht einzugehen. Der abschließende generelle Vorwurf einer zur Unrichtigkeit führenden Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung entbehrt erneut einer deutlichen und bestimmten Bezeichnung des Umstands, der die behauptete Nichtigkeit bewirken soll.

Die Beschwerde war daher zu verwerfen.

Ihr Schicksal teilt die Berufung des Angeklagten, mit der er, unter Hinweis auf § 41 StGB. eine massive Reduktion der Strafe und deren bedingte Nachsicht anstrebt.

Das Geschwornengericht verhängte nach § 87 Abs. 2 StGB. (höherer Strafsatz) eine siebenjährige Freiheitsstrafe und wertete dabei als erschwerend die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen; als mildernd nannte es das reumütige Geständnis vor der Polizei, die nicht auszuschließende Provokation durch das Opfer, die Primitivität des Angeklagten in Verbindung mit den psychischen Funktionsbeeinträchtigungen und seine wohl schon etwas krankhafte Alkoholabhängigkeit.

Einen wirklichen oder vermeintlichen Angriff des Opfers auf den Angeklagten haben die Geschwornen ausdrücklich verneint. Daß aber die Tat sonst unter Umständen begangen worden ist, die (wenigstens) einem Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund nahekommen, ist nicht zu objektivieren. Eine mögliche Provokation durch das Opfer wurde ohnehin als mildernd gewertet.

Zu einer Geringschätzung der neun einschlägigen Vorstrafen allein deshalb, weil sie auf familiären Auseinandersetzungen beruhten, besteht kein Anlaß, hatte doch die nunmehrige Tötung des Bruders in eben einer solchen Auseinandersetzung ihren Ursprung. Die zahlreichen Vorstrafen zeichnen den Angeklagten als Gewalttäter aus und werden selbst unter Berücksichtigung der sonstigen Tatumstände durch die bloß zahlenmäßig prävalierenden Milderungsgründe keineswegs ausgeglichen oder gar überwogen (siehe § 41 StGB: "beträchtlich"). Die vom Geschwornengericht in der unteren Hälfte des Strafrahmens (fünf bis zehn Jahre) geschöpfte Unrechtsfolge ist durchaus tat- und tätergerecht.

Damit entfällt vermöge gesetzlicher Anordnung die Erledigung des Berufungsantrags auf bedingte Strafnachsicht (§ 43 StGB.).

Anmerkung

E08487

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0130OS00006.86.0515.000

Dokumentnummer

JJT_19860515_OGH0002_0130OS00006_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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