TE OGH 1986/7/3 12Os94/86 (12Os95/86)

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Veröffentlicht am 03.07.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juli 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Krenn als Schriftführer in der Strafsache gegen Ernst G*** und Anton H*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 (bei Anton H*** auch § 88 Abs. 4 erster Fall) StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Wels und des Kreisgerichtes Wels vom 10.Juni 1985, GZ 4 U 2195/84-16 und vom 13.November 1985, AZ 22 Bl 278/85, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Kodek als Vertreter der Generalprokuratur, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 10.Juni 1985, GZ 4 U 2195/84-16, betreffend den Schuldspruch und Strafausspruch des Ernst G*** und das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 13.November 1985, AZ 22 Bl 278/85, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs. 1 StGB iVm § 6 StGB. Das Urteil des Bezirksgerichtes Wels, welches in Ansehung des Anton H*** unberührt bleibt, wird in dem Ernst G*** betreffenden Schuldspruch und Strafausspruch aufgehoben, das Urteil des Kreisgerichtes Wels wird zur Gänze aufgehoben.

Gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO wird in der Sache selbst erkannt:

Ernst G*** wird von der Anklage, am 19.September 1984 in Gunskirchen als Lenker des PKWs Audi 80 mit dem Kennzeichen O 414.802 durch Einfahrt von der Grünbachtal-Bezirksstraße nach links in die Bundesstraße 1 ohne Beachtung des Vorranges des auf der Bundesstraße von links kommenden von Anton H*** gelenkten PKWs einen Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge herbeigeführt, dabei den Anton H***, welcher eine Brustkorbprellung mit Stauchungen im Halsbereich, eine Kontusion des rechten Ohrlabyrinths, eine Zerrung der Halswirbelsäule, Blutunterlaufungen am rechten Arm sowie Hautabschürfungen im Halsbereich, am rechten Knie, an der linken Hüfte und am rechten Ellbogen, erlitt, fahrlässig am Körper verletzt zu haben und dadurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB begangen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 10.Juni 1985, GZ 4 U 2195/84-16, wurden Ernst G*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB und Anton H*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB schuldig erkannt und hiefür zu Geldstrafen verurteilt.

Der Schuldspruch des Ernst G*** beruhte auf folgenden wesentlichen Urteilsannahmen:

Ernst G*** lenkte am 19.September 1984 im Gemeindegebiet von Gunskirchen seinen PKW Marke Audi 80 (polizeiliches Kennzeichen O 414.802) auf der Grünbachtal-Bezirksstraße, von welcher er nach links auf die bevorrangte Bundesstraße 1 abbiegen wollte. Er hielt sein Fahrzeug dem vor der Kreuzung angebrachten Vorschriftszeichen "HALT" sowie der bestehenden Bodenmarkierung gemäß an und beobachtete den Querverkehr. In der Annahme, noch vor einem auf der Bundesstraße 1 (von links) kommenden, von Anton H*** mit absolut überhöhter Geschwindigkeit gelenkten PKW den Einbiegevorgang durchführen zu können, fuhr Ernst G*** in die Kreuzung ein, konnte jedoch seinen PKW nicht richtig beschleunigen, sodaß es zu einem Zusammenstoß kam, bei welchem beide Lenker Verletzungen davontrugen.

Am 12.September 1984 - eine Woche vor dem Unfall - hatte Ernst G*** seinen PKW wegen aufgetretener Beschleunigungsstörungen von der Audi-Kundendienst-Kraftfahrzeugwerkstätte Wilhelm R*** in Thalheim überprüfen und reparieren lassen. Danach funktionierte das Fahrzeug einige Tage einwandfrei, ließ sich aber dann erneut nicht gehörig beschleunigen. Am 17.September 1984 wurde daher in der Fachwerkstätte abermals eine Reparatur vorgenommen, die zunächst erfolglos blieb, weil der Wagen gleich bei der Abholung denselben Mangel aufwies. Nach neuerlicher Befassung der Fachwerkstätte noch an diesem Tag traten bis zum Unfall bei Beschleunigung des Fahrzeuges keine Schwierigkeiten mehr auf.

Zum Unfallsgeschehen stellte das Bezirksgericht Wels fest, daß am PKW des Ernst G*** bei Einfahrt in die Kreuzung ein abermaliger Beschleunigungsdefekt aufgetreten war, der den Zusammenstoß verursacht hatte, weil das Fahrzeug mit normalem Beschleunigungsvermögen den für den PKW des Anton H*** bestimmten Fahrstreifen der Bundesstraße zeitgerecht verlassen haben würde.

Bei rechtlicher Beurteilung dieses Sachverhaltes gelangte das Gericht zur Auffassung, daß Ernst G*** die Verletzung des Vorranges des Anton H*** fahrlässig bewirkt habe, weil er angesichts des wiederholt aufgetretenen technischen Mangels und der geringen Effizienz der Reparaturen mit einer abermaligen Beschleunigungsstörung zu rechnen und seine Fahrweise darauf einzustellen gehabt hätte.

Der Angeklagte Ernst G*** bekämpfte diesen Schuldspruch und den Strafausspruch mittels Berufung wegen Nichtigkeit Schuld und Strafe, die vom Kreisgericht Wels jedoch mit Urteil vom 13. November 1985, AZ 22 Bl 278/85 (ON 25), als unbegründet zurückgewiesen wurde. Auch das Berufungsgericht lastete dem Angeklagten als Sorgfaltsverstoß an, der Wartepflicht als benachrangter Verkehrsteilnehmer nicht unter Einkalkulation eines möglichen Beschleunigungsdefektes nachgekommen zu sein. Dabei wurde dem Sinne nach erwogen, daß das anfängliche einwandfreie Funktionieren des PKW nach der dritten Reparatur für die Vorhersehbarkeit eines möglichen neuerlichen Ausfalls ohne Bedeutung gewesen sei, weil auch nach der ersten Reparatur längere Zeit keine Störung aufgetreten war.

Die Urteile des Bezirksgerichtes Wels und des Kreisgerichtes Wels stehen zufolge Überspannung der strafgesetzlichen Sorgfaltspflicht mit § 6 StGB nicht im Einklang. Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht läßt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, daß er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht.

Das Gesetz überträgt dem Kraftfahrzeuglenker die Obsorge für die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeuges, ohne im einzelnen die erforderlichen Maßnahmen zu determinieren. Mit der Befassung einer befugten Fachwerkstätte zur Behebung eines technischen Gebrechens kommt der Kraftfahrzeuglenker seiner der Sicherheit des Straßenverkehrs dienenden Sorgfaltspflicht ausreichend nach (ZVR 1967/42). Dies gilt auch dann, wenn eine Reparatur mißlingt und ein neuer Reparaturauftrag gegeben oder allenfalls Gewährleistung des Unternehmers in Anspruch genommen werden muß. Unter solchen Umständen wird zwar ein gewissenhafter und sorgfäliger Kraftfahrer - dessen hypothetisches Verhalten den Maßstab für die anzuwendende Sorgfalt bildet (siehe Burgstaller im WK Rz 38 zu § 6 und die dort zitierte Literatur) - bei Überprüfung des Fahrzeuges (§ 102 Abs. 1 KFG) der sachgerechten Mängelbehebung besonderes Augenmerk schenken, doch liegt es im Wesen zahlreicher Reparaturen, daß deren Gelingen ohne spezielles und von einem Kraftfahrzeuglenker nicht gefordertes Fachwissen nur an Hand der momentanen klaglosen Funktion des betroffenen Bereiches kontrolliert werden kann. Daher stellt es bei diesen Gegebenheiten im allgemeinen keinen Sorgfaltsverstoß dar, wenn sich ein Kraftfahrer auf die Dauerhaftigkeit der Behebung eines Defekts durch eine Fachwerkstätte verläßt, soweit nicht besondere Umstände des Einzelfalles - zB ein vom Kraftfahrzeugmechaniker erklärter Vorbehalt oder wahrnehmbare Auffälligkeiten beim Kraftfahrzeug - auf ein Fehlschlagen der Arbeit hinweisen; zwei vorangegangene und erfolglos gebliebene Reparaturversuche sind für sich allein aber noch kein ausreichendes Indiz für ein neuerliches Auftreten des Mangels nach augenscheinlich gelungener nochmaliger Reparatur.

Rechtliche Beurteilung

Da im vorliegenden Fall kein konkret auf das unbehobene Gebrechen hindeutender Sachverhalt konstatiert wurde ein solcher nach der Aktenlage auch gar nicht konstatiert werden konnte, muß Ernst G*** zugebilligt werden, daß er ohne Sorgfaltsverletzung von einem nunmehr wieder eiwandfreien Beschleunigungsvermögen seines PKWs ausgehen durfte und einen diesbezüglichen Defekt nicht in seine Fahrweise einzukalkulieren brauchte. Nur am Rande sei bemerkt, daß ein allen Belangen der Verkehrssicherheit gerecht werdender Betrieb eines PKWs unter ständiger Erwartung des Ausfalls des Beschleunigungsvermögens praktisch kaum denkbar wäre. Im Zusammenhang mit der unfallskausalen Vorrangverletzung kann jedenfalls darin, daß Ernst G*** die Möglichkeit eines neuerlichen Auftretens des Gebrechens während der Fahrt vernachlässigte, eine Fahrlässigkeitsschuld nicht erblickt werden. Ferner kann dem Genannten nach den vom Berufungsgericht übernommenen Urteilsfeststellungen des Bezirksgerichtes Wels das Einfahren in die Kreuzung an sich nicht als fahrtechnischer Fehler angelastet werden, weil er bei normaler Beschleunigung seines Fahrzeuges den Vorrangberechtigten weder zum Bremsen, noch zum Ablenken genötigt haben würde, weshalb ihm auch insoweit kein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten zur Last liegt.

Auf Grund der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E08836

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0120OS00094.86.0703.000

Dokumentnummer

JJT_19860703_OGH0002_0120OS00094_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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