TE OGH 1986/7/3 8Ob539/86

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Veröffentlicht am 03.07.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Zehetner und Dr.Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert S***, Büchsenmachermeister, Klagenfurterstraße 14, 9170 Ferlach, vertreten durch Dr.Rudolf Gürtler und Dr.Friedrich Halzl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei G*** DER B*** in Ferlach, registrierte Genossenschaft m.b.H., Waagplatz 6, 9170 Ferlach, vertreten durch Dr.Otfried Fresacher, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung (S 200.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 4. Dezember 1985, GZ 4 R 213/85-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 13. August 1985, GZ 18 Cg 11/85-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.360,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 669,15, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 1.1.1983 Mitglied der beklagten Genossenschaft. Nach § 3 der Satzung der Beklagten kann ein Mitglied aus der Genossenschaft ausgeschlossen werden:

a) Wenn es den satzungsgemäßen Verpflichtungen nicht nachkommt, insbesondere, wenn es mehr als 6 Monate mit der Einzahlung des Geschäftsanteiles im Rückstand ist, b) überhaupt, wenn sich sein Verhalten mit den Interessen der Genossenschaft nicht vereinbaren läßt, c) wenn es zahlungsunfähig geworden, insbesondere, wenn über sein Vermögen das Ausgleichs- oder Konkursverfahren eröffnet ist, d) wenn der Mitgliedschaft in einer anderen Genossenschaft, deren Geschäftsbetrieb in der Hautpsache dieselben Gegenstände umfaßt, e) wenn die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Aufnahme in die Genossenschaft nicht vorhanden waren oder nicht mehr vorhanden sind und f) infolge einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechens oder eines aus gewinnsüchtigen Motiven begangenen Deliktes.

Die Ausschließung erfolgt zum Schluß des Geschäftsjahres durch Beschluß des Vorstandes und des Aufsichtsrates, nachdem dem Mitglied Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu der beabsichtigten Ausschließung zu äußern. Der Beschluß der Ausschließung ist dem Mitglied durch den Vorstand sofort mittels eingeschriebenen Briefes mitzuteilen.

Von dem Zeitpunkt der Absendung des Schreibens an kann das ausgeschlossene Mitglied weder Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates sein noch an Generalversammlungen teilnehmen noch weiter die Einrichtungen der Genossenschaft benützen. Mit Schreiben der Beklagten vom 4.12.1984 (Beilage A) wurde dem Kläger mitgeteilt, daß in der gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und des Aufsichtsrates der Beklagten vom 4.12.1984 in getrennter Abstimmung einstimmig der Absichtsbeschluß gefaßt worden sei, ihn wegen seines Verhaltens nach § 3 Abs b aus der Genossenschaft auszuschließen. Der Kläger habe die Möglichkeit, sich bei der am 11.12.1984 um 11 Uhr im Büro der Genossenschaft stattfindenden gemeinsamen Sitzung zu der beabsichtigten Ausschließung zu äußern. Die Beiziehung eines Rechtsbeistandes sei ausgeschlossen. Mit Schreiben vom 10.12.1984 an die Beklagte (Beilage B) bestätigte der Kläger den Erhalt ihres Schreibens vom 4.12.1984. Er erklärte unter anderem, sich nicht bewußt zu sein, irgendein Verhalten gesetzt zu haben, das seinen Ausschluß rechtfertigen könnte. Im Schreiben der Beklagten vom 4.12.1984 seien keine konkreten Gründe angegeben, welches Verhalten ihm konkret als Ausschlußgrund vorgeworfen werde. Der Kläger sei daher außerstande, hiezu konkret Stellung zu nehmen. Der Kläger ersuchte, von seiner Ausschließung Abstand zu nehmen und bat um Verständnis dafür, daß er sich lieber schriftlich äußere als persönlich zu der Besprechung vom 11.12.1984 zu kommen. Er befürchte, daß seine Anwesenheit bei dieser Besprechung Emotionen auslösen könnte; es sei daher für eine sachliche Beratung günstiger, wenn er persönlich nicht anwesend sei und nur seine schriftliche Äußerung vorliege.

An der gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und des Aufsichtsrates der Beklagten am 11.12.1984 nahmen der Obmann des Vorstandes Josef H***, die Vorstandsmitglieder Ludwig B***, Karl H***

und Josef K***, der Vorsitzende des Aufsichtsrates Johann M***, die Mitglieder des Aufsichtsrates Johann F***, Wilfried G*** und Walter O*** sowie die delegierten Aufsichtsräte des Betriebsrates Simon J*** und Franz K*** teil.

In getrennter Abstimmung des Vorstandes und des Aufsichtsrates stimmten alle diese Personen für den Ausschluß des Klägers aus der Genossenschaft.

Mit Schreiben der Beklagten vom 11.12.1984 (Beilage C) wurde dem Kläger mitgeteilt, daß in der am 11.12.1984 stattgefundenen gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und des Aufsichtsrates der Beschluß gefaßt worden sei, ihn nach § 3 Abs b aus der Genossenschaft auszuschließen. Seine diffamierenden Äußerungen über den Vorstandsobmann, den gesamten Vorstand und über den Aufsichtsrat sowie über andere Genossenschaftsmitglieder seien unvereinbar mit einer weiteren Mitgliedschaft. Seit seiner Aufnahme in die Genossenschaft sei unter den Mitgliedern Beunruhigung, Unsicherheit und Unbehagen im Zusammenleben miteinander aufgetreten. Von dem Zeitpunkt der Absendung dieses Schreibens an könne der Kläger laut Satzung weder an den Generalversammlungen teilnehmen noch weiter die Einrichtungen der Genossenschaft benützen.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit dieses Aussschlusses im wesentlichen mit der Begründung, daß ihm keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich zu der beabsichtigten Ausschließung zu äußern und daß ihm zu Unrecht die Beiziehung eines Rechtsbeistandes bei Teilnahme an der Sitzung vom 11.12.1984 verweigert worden sei. Auch im Schreiben der Beklagten vom 11.12.1984 seien die ihm zur Last gelegten Ausschließungsgründe nicht hinlänglich präzisiert worden. Im übrigen habe der Kläger kein Verhalten gesetzt, das als Ausschlußgrund zu werten sei. Allfällige Äußerungen des Klägers in Bezug auf Funktionäre und Mitglieder der Beklagten seien als zulässige Kritik aufzufassen, wobei der Kläger sich möglicherweise in jugendlichem Ungestüm in der Form vergriffen habe.

Die Beklagte wendete im wesentlichen ein, daß der Kläger sehr wohl Ausschlußgründe gesetzt habe. Er habe sich schon kurze Zeit nach Erlangung der Mitgliedschaft bei der Beklagten wiederholt in der Öffentlichkeit abfällig über sie und ihre Organe geäußert; so habe er im Sommer 1983 gesagt, daß er die Beklagte beim Finanzamt und bei der Staatsanwaltschaft anzeigen werde, weil Basküle verschwunden seien. Auf Grund dieser Äußerungen des Klägers hätten Ermittlungen und eine Betriebsprüfung der Finanzbehörden bei der Beklagten stattgefunden, die zu einer steuerlichen Belastung der Beklagten und ihrer Mitglieder geführt hätten. Anfang 1984 habe sich der Kläger gegenüber Josef J*** geäußert: "Wir Jungen müssen zusammenhalten. Ihr habt keine Ahnung, was der H*** mit seinem Vorstand dreht." Zu dieser Zeit habe der Kläger mit Bezug auf eine Privatanklage, die er gegen den Obmann der Beklagten Josef H***

eingebracht habe, zu diesem gesagt: "Die Leute, die Ihnen jetzt in den Arsch hineinkriechen, werden vor Gericht alle umfallen". Zum Büchsenmacher Gernot S*** habe der Kläger gesagt: "Alle Ferlacher Büchsenmacher haben braune Hemdkrägen, weil sie dem A*** in den Arsch hineinkriechen". Gegenüber Wilfried G*** habe sich der Kläger geäußert: "Der Aufsichtsrat getraut sich gegen den Vorstand nichts zu unternehmen, weil die Aufsichtsratmitglieder Schulden bei der Genossenschaft haben. Ich brauche die Genossenschaft nicht. Man kann die Gewehre bei anderen Büchsenmachern (= Mitgliedern) nicht kaufen. Die fallen sowieso auseinander". Der Kläger habe gegen den Obmann der Beklagten Josef H*** die Privatanklage erhoben, weil dieser ihm unterstellt habe, die Genossenschaft beim Finanzamt angezeigt und eine Betriebsprüfung veranlaßt zu haben; H*** sei rechtskräftig freigesprochen worden.

Auf Grund dieses Verhaltens sei der Kläger nach § 3 lit b der Satzung mit Recht aus der Genossenschaft ausgeschlossen worden, weil sich dieses Verhalten mit den Interessen der Genossenschaft nicht vereinbaren lasse. Dabei sei das satzungsgemäße Verfahren eingehalten worden. Dem Kläger sei Gelegenheit gegeben worden, sich zum beabsichtigten Ausschluß zu äußern. Von den in der Klagebeantwortung angeführten Ausschlußgründen habe der Kläger schon vor dieser Aufforderung Kenntnis gehabt. Mit seinem Schreiben vom 10.12.1984 habe der Kläger von der ihm eingeräumten Äußerungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Der letztlich gefaßte Beschluß auf Ausschluß des Klägers aus der beklagten Genossenschaft entspreche formell und materiell der Satzung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte neben dem bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch fest, daß Josef H***, der Obmann des Vorstandes der Beklagten, mit Urteil des BG Ferlach vom 20.8.1984

von der Anklage, er habe Anfang 1984 in Ferlach den Kläger gegenüber Walter O*** und anderen Personen durch die Äußerung, der Kläger habe die Beklagte beim Finanzamt angezeigt und damit die Durchführung einer finanzamtlichen Betriebsprüfung verursacht, eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt, das geeignet sei, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und habe hiedurch das Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Ausschluß des Klägers aus der beklagten Genossenschaft formell nicht rechtsgültig sei. Die Beklagte habe es unterlassen, in ihrem Schreiben vom 4.12.1984 konkrete Ausschließungsgründe zu nennen, also anzuführen, welches Verhalten des Klägers sich mit den Interessen der Beklagten nicht vereinbaren lasse. Die Beklagte habe dem Kläger nicht bekanntgegeben, welches bestimmte Verhalten zu seinem Ausschluß führen solle. Es sei daher auch eine entsprechende Äußerung des Klägers zu der beabsichtigten Ausschließung nicht möglich gewesen, worauf der Kläger auch in seinem Schreiben an die Beklagte vom 10.12.1984 hingewiesen habe.

Das in der Satzung festgelegte Recht des Klägers, sich zu der beabsichtigten Ausschließung äußern zu können, sei von der Beklagten unzulässig eingeschränkt worden. Die Möglichkeit zur Äußerung hätte nicht auf die gemeinsame Sitzung des Vorstandes und des Aufsichtsrates der Beklagten am 11.12.1984 eingeschränkt werden dürfen. Nach dem Wortlaut der Satzung sei Zeitpunkt, Art und Ort der Äußerung dem Mitglied, dessen Ausschließung beabsichtigt sei, überlassen. Die Äußerungsmöglichkeit des Klägers sei nicht nur auf die erwähnte Sitzung eingeschränkt worden, sondern es sei dem Kläger auch verboten worden, einen Rechtsbeistand beizuziehen. Unter diesen Umständen habe die Ausschließung des Klägers nicht wirksam werden können.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes, rechtlich im wesentlichen aus, die Ausschließung eines Genossenschaftsmitgliedes sei auf Anfechtung des Betroffenen vom Gericht sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht zu prüfen. Dabei sei wegen der mit einer Ausschließung möglicherweise verbundenen vermögensrechtlichen Nachteile auch in formeller Hinsicht ein strenger Maßstab anzulegen. Nach der Satzung der Beklagten sei dem Mitglied Gelegenheit zu geben, sich zu einer beabsichtigten Ausschließung zu äußern. Solle die Äußerung einen Sinn haben, müsse dem Mitglied bekanntgegeben werden, welche Gründe die Absicht zur Ausschließung hervorgerufen hätten. Ohne diese Bekanntgabe könne sich die Äußerung nur auf schon allgemein bekannte Differenzen, die möglicherweise als Ausschließungsgründe herangezogen werden könnten, beschränken und der Betroffene laufe Gefahr, die dann wirklich zur Ausschließung führenden Sachverhalte nicht zu behandeln. Würden die konkret der Ausschließung zugrundezulegenden Sachverhalte dem Betroffenen vor seiner Ausschließung nicht mitgeteilt, dann sei ihm eben keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.

Der in einzelnen oberstgerichtlichen Entscheidungen ausgedrückten Meinung, daß das rechtliche Gehör durch die Anfechtbarkeit der Ausschließung vor Gericht jedenfalls gewährleistet sei und daher, wenn die Satzung dies nicht ausdrücklich vorsehe, dem Auszuschließenden die Ausschließungsgründe nicht mitgeteilt werden müßten, könne nicht gefolgt werden. Diese Ansicht sei damit begründet worden, daß es auf die vorherige Mitteilung nicht ankäme, weil ohnedies auch noch andere, nicht mitgeteilte Sachverhalte der Ausschließungsbegründung zugrundegelegt werden könnten, ja sogar bei der Ausschließungsberatung und -abstimmung noch gar nicht bekannte ausschließungswürdige Sachverhalte nachträglich zur Begründung herangezogen werden könnten. Das möge zutreffen, schließe aber nicht aus, daß bei Mitteilung der bekannten und der Ausschließung vorhergesehenerweise zu unterlegenden Sachverhaltes seitens des Betroffenen eine Äußerung abgegeben werden könne, die geeignet sei, das Abstimmungsverhalten zu beeinflussen. Durch Verlagerung der Verfahrensformalitäten (rechtliches Gehör) in das gerichtliche Verfahren könne dem Betroffenen eine Instanz entzogen werden, die bei Kenntnis einer sachlichen Äußerung zu den mitgeteilten Ausschließungssachverhalten eventuell anders entschieden hätte. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, daß der Kläger zur Sitzung erscheinen und sich dort nach Anhörung der Vorwürfe äußern hätte können. Nach der Satzung der Beklagten sei für die Äußerung keine bestimmte Form vorgesehen. Sie könne also mündlich oder schriftlich erfolgen. Wenn die Beklagte den Kläger durch Nichtanführung der Ausschlußgründe in ihrer Mitteilung vom 4.12.1984 zum Erscheinen und zur mündlichen Stellungnahme nötigen habe wollen, habe sie einmal gegen die Satzung verstoßen, weil sie dem Kläger die Wahl des Äußerungsmittels genommen habe. Zum anderen habe sie durch den ebenfalls satzungswidrigen Beisatz, daß die Beiziehung eines Rechtsbeistandes ausgeschlossen sei, den Kläger wegen der bei ihm gegen eine unmittelbare Konfrontation bestehenden Bedenken zur schriftlichen Äußerung gedrängt. Daß der Kläger, wäre die Beiziehung eines Rechtsbeistandes seitens der Beklagten nicht ausgeschlossen worden, zur Sitzung mit Rechtsbeistand erschienen wäre oder sich dort von seinem Rechtsbeistand hätte vertreten lassen, könne nicht ausgeschlossen werden. Es wäre dies auch zulässig gewesen, da es jedem Genossenschaftsmitglied im Verkehr mit den Genossenschaftsorganen grundsätzlich freistehe, sich eines geeigneten Sprechers zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes zu bedienen. So habe der Kläger aber gewärtigen müssen, daß, erschiene er im Vertrauen auf sein Recht zur Sitzung mit seinem Rechtsbeistand, dieser nicht zugelassen werde. Der Kläger sei somit gegen die Satzung in seinen Äußerungsmöglichkeiten eingeschränkt worden. Dies könne durchaus von Einfluß auf die Entscheidungsfindung gewesen sein. Ein Gegenbeweis sei nicht zulässig, würde er doch darauf hinauslaufen, daß die Ausschließung des Klägers ungeachtet des Inhaltes seiner Äußerung schon vor der Sitzung festgestanden wäre. Ein solcher Ausschließungsvorgang wäre jedenfalls satzungswidrig gewesen.

Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes sei somit zutreffend. Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß es zum Teil von der Rechtsprechung des OGH abgewichen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung im Sinne des § 503 Abs 2 ZPO mit dem Antrag, "a) das angefochtene Urteil und allenfalls das Urteil des Erstgerichtes aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht oder an das Erstgericht zurückzuverweisen, b) das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen." Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der vom Kläger in seiner Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht zulässig, weil, wie noch darzustellen sein wird, in der Frage, ob im genossenschaftsinternen Ausschlußverfahren dem Auszuschließenden im Rahmen des ihm einzuräumenden rechtlichen Gehörs die Ausschließungsgründe bekanntzugeben sind, widersprüchliche Entscheidungen des OGH vorliegen. Es handelt sich hier um eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO.

In der Sache selbst ist die Revision der Beklagten aber nicht berechtigt.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß das Gericht auf Klage eines Genossenschafters dessen durch die Genossenschaft verfügten Ausschluß sowohl in formeller als auch in materieller Beziehung zu überprüfen hat (SZ 3/104; SZ 8/71; SZ 28/243; SZ 42/163 ua.).

Der OGH hat in der in SZ 28/243 veröffentlichten Entscheidung (nach der Sachverhaltsdarstellung enthielt die Satzung der Genossenschaft die Bestimmung, daß dem Genossenschafter Gelegenheit zu geben ist, sich zu der beabsichtigten Ausschließung zu äußern) die Rechtsansicht vertreten, daß das dem Auszuschließenden zu gewährende rechtliche Gehör dadurch gewährleistet sei, daß er im Anfechtungsprozeß zu Wort komme und dem Gericht gegenüber sein Verhalten zu rechtfertigen in der Lage sei; die Unterlassung der Bekanntgabe der Ausschlußgründe im genossenschaftsinternen Ausschlußverfahren begründe daher keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die gleiche Rechtsansicht wurde in der in SZ 30/30 veröffentlichten oberstgerichtlichen Entscheidung vertreten (ob in diesem Fall die Satzung der Genossenschaft irgendeine das Ausschlußverfahren betreffende Verfahrensbestimmung enthielt, ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen). Hingegen vertrat der OGH in der in HS-ErgBd./124 veröffentlichten Entscheidung (hier enthielt die Satzung der Genossenschaft für das vorgesehene genossenschaftsinterne Berufungsverfahren die Vorschrift, daß dem Ausgeschlossenen die Möglichkeit zu geben sei, sich zu der Ausschließung zu äußern) die Rechtsansicht, daß das dem Genossenschafter in der Satzung eingeräumte rechtliche Gehör nur dann gewahrt sei, wenn ihm die Möglichkeit geboten werde, zu konkretisierten und substantiierten Anschuldigungen Stellung zu nehmen. Geschehe dies nicht, dann werde dem Ausgeschlossenen nicht die Möglichkeit gegeben, sich zur Ausschließung entsprechend zu äußern.

Im vorliegenden Fall ist nicht zu erörtern, was rechtens wäre, wenn die Satzung der Beklagte keine Bestimmung über ein dem auszuschließenden Mitglied im genossenschaftsinternen Ausschließungsverfahren einzuräumendes rechtliches Gehör enthielte (siehe dazu Lang-Weidmüller, Genossenschaftsgesetz 31 756 f). Die Satzung der Beklagten enthält in ihrem § 3 eine diesbezügliche Anordnung, nämlich die, daß dem Mitglied (vor der Beschlußfassung durch Vorstand und Aufsichtsrat) die Möglichkeit zu geben ist, sich zu der beabsichtigten Ausschließung zu äußern.

Der erkennende Senat vermag dem aus den beiden ersterwähnten oberstgerichtlichen Entscheidungen ableitbaren Gedanken, daß unter diesen Umständen in der Ausschließung des Klägers aus der beklagten Genossenschaft ohne Bekanntgabe der konkreten Ausschlußgründe kein Verstoß gegen die Bestimmungen der Satzung zu erblicken sei, weil der Kläger die Möglichkeit hatte, im nunmehr anhängigen gerichtlichen Verfahren zu den ihm nunmehr bekanntgegebenen Ausschlußgründen Stellung zu nehmen, nicht zu folgen. Er schließt sich vielmehr aus folgenden Gründen der in der letztgenannten oberstgerichtlichen Entscheidung getroffenen rechtlichen Beurteilung an:

Genossenschaften sind bei der Regelung der Bedingungen für die Ausschließung eines Genossenschafters (§ 5 Z 4 GenG) autonom. Enthält die Satzung Ausschließungsgründe und Verfahrensbestimmungen über den Ausschluß, dann ist die Genossenschaft daran gebunden. Die Handhabung eines in die Rechte der Genossenschafter so tief einschneidenden Rechtsbehelfes, wie ihn die Ausschließung aus der Genossenschaft bildet, steht unter dem Grundsatz von Treu und Glauben (1 Ob 164/63; RZ 1975/25).

Wird in der Satzung dem auszuschließenden Genossenschafter die Möglichkeit eingeräumt, sich vor der Entscheidung der berufenen Organe zu der beabsichtigten Ausschließung zu äußern, dann wird damit unter diesen Gesichtspunkten diesen Organen die Pflicht auferlegt, dem Auszuschließenden rechtliches Gehör zu geben. Die Äußerung des Auszuschließenden kann keine andere Funktion als die haben, die Entscheidung der berufenen Organe im Sinne einer gerechten Würdigung der gegen den Auszuschließenden vorliegenden Anschuldigungen zu beeinflussen. Einen solchen Einfluß kann die Äußerung aber nur dann haben, wenn dem Auszuschließenden konkrete Anschuldigungen vorgehalten werden. Geschieht dies nicht, dann ist dem Auszuschließenden nicht die Möglichkeit geboten worden, sich entsprechend zur Ausschließung zu äußern und dann ist er in dem ihm zustehenden rechtlichen Gehör verletzt.

Es ist sicher richtig, daß der ausgeschlossene Genossenschafter im Rechtsstreit über die Wirksamkeit des Ausschlusses das Vorliegen von Ausschlußgründen mit Erfolg bestreiten kann; dies ändert aber nichts an der Relevanz in der Satzung für das genossenschaftsinterne Ausschlußverfahren enthaltener Verfahrensbestimmungen, weil nicht von vornherein gesagt werden kann, daß die Verletzung derartiger Verfahrensbestimmungen durch die berufenen Organe der Genossenschaft für die von ihnen getroffene Entscheidung jedenfalls bedeutungslos wäre. Es muß vielmehr, wenn das dem Genossenschafter in der Satzung eingeräumte Äußerungsrecht nicht zur leeren Formalität herabgewürdigt werden soll, davon ausgegangen werden, daß seine Bedeutung eben darin liegt, die dem entscheidungsbefugten Organ zur Verfügung stehende Entscheidungsgrundlage zu verbreitern, dem Auszuschließenden Gelegenheit zu geben, auf konkrete Vorwürfe konkret zu entgegnen und damit die Entscheidung des berufenen Organes der Genossenschaft in einer Weise zu beeinflussen, die allenfalls einen späteren Rechtsstreit überflüssig macht. Es ist eben - im besonderen unter Bedachtnahme auf die im vorliegenden Fall gegebene Satzungsbestimmung, daß der Ausgeschlossene vom Zeitpunkt der Absendung des die Ausschließung mitteilenden Schreibens durch den Vorstand an seiner Rechte aus der Mitgliedschaft verlustig wird und die Einrichtungen der Genossenschaft nicht mehr weiterbenützen darf - nicht dasselbe, ob ein Mitglied durch die Organe der Genossenschaft erst gar nicht ausgeschlossen wird oder ob sich dann in einem späteren Rechtsstreit die Unwirksamkeit eines derartigen Ausschlusses herausstellt.

Unter diesen Umständen kommt der erkennende Senat zu dem Ergebnis, daß durch die festgestellte Vorgangsweise der Beklagten das dem Kläger im § 3 der Satzung eingeräumte Äußerungsrecht dadurch verletzt wurde, daß im Schreiben der Beklagten vom 4.12.1984 dem Kläger die konkreten Umstände, die zum Anlaß seines beabsichtigten Ausschlusses genommen werden sollten, nicht mitgeteilt wurden. Denn damit wurde dem Kläger die Möglichkeit genommen, zu derartigen konkreten Vorwürfen auch konkret Stellung zu nehmen. Die in diesem Schreiben enthaltene Mitteilung an den Kläger, er habe die Möglichkeit, sich bei der am 11.12.1984 stattfindenden Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat zu der beabsichtigten Ausschließung zu äußern, vermag die erforderliche Bekanntgabe der konkreten Ausschlußgründe nicht zu ersetzen. Denn zunächst kann (mangels anderer Anordnung der Satzung) der Auszuschließende grundsätzlich selbst entscheiden, ob und in welcher Form er sich rechtfertigen will, ob schriftlich oder im Rahmen einer mündlichen Aussprache (vgl. Lang-Weidmüller aaO § 68 Rzd 30); eine Einschränkung des dem Kläger eingeräumten Äußerungsrechtes auf eine mündliche Aussprache im Rahmen der für den 11.12.1984 anberaumten Sitzung war durch die Satzung nicht gedeckt. Im übrigen mußte eine dem Auszuschließenden eingeräumte Äußerungsmöglichkeit so beschaffen sein, daß er in der Lage war, seine Stellungnahme sachgerecht vorzubereiten (vgl. Lang-Weidmüller aaO § 68 Rdz 28); dies trifft aber für den Kläger dann nicht zu, wenn er erst in der Sitzung am 11.12.1984 die tatsächlich gegen ihn geltend gemachten Ausschlußgründe erfahren hätte und ohne jede Vorbereitung dazu Stellung hätte nehmen müssen. Schon aus diesen Gründen ist die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, daß der Ausschluß des Klägers aus der beklagten Genossenschaft wegen eines formellen Verstoßes, nämlich der Verletzung des dem Kläger satzungsgemäß zustehenden rechtlichen Gehörs, unwirksam ist, zutreffend. Auf die weitere Frage, ob der Kläger nicht auch dadurch in dem ihm zustehenden rechtlichen Gehör verletzt wurde, daß ihm die Beiziehung eines Rechtsbeistandes für den Fall seiner Teilnahme an der Sitzung vom 11.12.1984 verboten wurde, braucht nicht mehr eingegangen zu werden.

Der Revision der Beklagten mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E08631

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00539.86.0703.000

Dokumentnummer

JJT_19860703_OGH0002_0080OB00539_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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