TE OGH 1986/7/17 13Os97/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.1986
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juli 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Müller (Berichterstatter), Dr.Schneider, Dr.Felzmann und Dr.Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Steinberger als Schriftführers in der Strafsache gegen Gottfried K*** wegen des Verbrechens des Mords nach § 75 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 23.April 1986, GZ 11 Vr 4210/84-123, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr.Rzeszut, und des Verteidigers Dr.Zenz, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die Strafe auf 10 (zehn) Jahre herabgesetzt.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der taubstumme Pensionist Gottfried K*** wurde des Verbrechens des Mords nach § 75 StGB. schuldig erkannt, weil er am 17. November 1980 in Graz Josefa K*** durch mehrere Hiebe mit einem Schlagring gegen Mund und Kinn und durch zwei Messerstiche in die linke Halsseite und einen Messerstich gegen die linke Brustseite vorsätzlich getötet hat.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte aus § 345 Abs 1 Z. 4 und 5 StPO. mit Nichtigkeitsbeschwerde.

Eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte (Z. 5) erblickt der Angeklagte in der Abweisung seines Antrags auf Einholung eines allgemein medizinischen und neurologischen Gutachtens eines bis dato nicht mit der Sache befaßt gewesenen Sachverständigen zum Beweis dafür, daß er prozeß- und verhandlungsunfähig sei, wie sich aus seinem Verhalten ergebe (Band V S. 12; er verweist dazu auf EvBl 1977/254 und - offensichtlich verfehlt - auf 1973/357). Das Gericht hat ohnehin zwei psychiatrische Sachverständige beigezogen. Beide, OSR. Dr. Richard Z*** und OA. Dr. Ernst M***, haben sogleich nach dieser Antragstellung und auch in weiterer Folge der Hauptverhandlung mit eingehender Begründung die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten derzeit noch (was eine zeitliche Fixierung, keine Unsicherheit der Begutachtung bedeutet) bejaht (Band V S. 12 f., 119, 124, 127, 129, 131 f.). In seinem abweislichen Zwischenerkenntnis bezog sich der Schwurgerichtshof nicht nur auf diese Begutachtung, sondern auch auf die eigenen Wahrnehmungen, wozu es, von der Beschwerde eigens releviert, u.a. wörtlich heißt: "allfällige neue Schutzbehauptungen des Angeklagten bilden keinen ausreichenden Grund für die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen" (Band V S. 24, 25). Dieser Argumentation ist beizupflichten, wenn auch die Qualifizierung der Verantwortung des Angeklagten durch den Schwurgerichtshof als Schutzbehauptungen in diesem Zusammenhang besser unterblieben wäre. Eine "vorgreifende Beweiswürdigung" kann darin aber schon deshalb nicht erblickt werden, weil den Geschwornen durch die auf § 11 StGB. abgestellte Zusatzfrage IV die eigenständige Beurteilung der Zurechnungs(un)fähigkeit des Angeklagten unbenommen blieb (die Zusatzfrage wurde einhellig verneint). Daß das Zwischenerkenntnis nicht sogleich auf die Antragstellung folgte, verschlägt nichts, weil der Schwurgerichtshof sich ja bei seiner Entscheidung auch auf seine, einen gewissen Beobachtungszeitraum erfordernde eigene Wahrnehmung über das Verhalten des Angeklagten stützen wollte. Die als "krasser Widerspruch" aufgezeigten Bekundungen des Sachverständigen OA. Dr. M***, daß der Angeklagte einerseits zurechnungsfähig und einsichtig sei und auch dieser Einsicht gemäß handeln konnte (Band V S. 131), andererseits aber wegen seines mangelnden Urteilsvermögens in Zukunft mit weiteren strafbaren Handlungen gerechnet werden müsse (Band V S. 132), liegt in Wahrheit nicht vor. Hat sich der Sachverständige - wie sich aus dem Kontext ergibt - im ersten Fall doch nur zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten, im zweiten hingegen zur Prognose geäußert und diese mit dem als mangelndes Urteilsvermögen umschriebenen Unvermögen, sich künftighin, einer besseren Einsicht gehorchend, wohl zu verhalten, negativ erstellt. Es wäre dem Verteidiger des Angeklagten freigestanden, vom Sachverständigen hiezu nähere Aufklärung zu verlangen. Die aufgezeigte Ungereimtheit in der Begutachtung war jedenfalls nicht Veranlassung zu dem schon zuvor gestellten und abgewiesenen Antrag. Daß aber beide Sachverständige schon im Vorverfahren beigezogen waren, steht ihrer Betrauung mit der Erstattung von Gutachten auch in der Hauptverhandlung nicht hindernd entgegen (§§ 248 Abs 1, 308 Abs 1 StPO.; Mayerhofer-Rieder 2 ENr. 2 zu § 248 StPO.; 13 Os 64/86). Des weiteren greift die Beschwerde auf, daß der taubstumme Angeklagte zwar während der Hauptverhandlung ununterbrochen zugegen gewesen sei, ihm jedoch wesentliche Teile der im Verfahren abgelegten Zeugenaussagen nicht übersetzt worden wären, obwohl ihn sein Gebrechen daran gehindert habe, der Verhandlung (insbesondere ab dem Beweisverfahren) zu folgen. Das aber habe zu einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte geführt und angesichts des Verstoßes gegen § 250 StPO. eine Nichtigkeit (Z. 4) bewirkt.

Die Vorschrift des § 250 (§ 308 Abs 1) StPO., daß der Angeklagte von allem in Kenntnis zu setzen ist, was in der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit vorgenommen wurde, bezieht sich indes nur darauf, daß der Vorsitzende den Angeklagten während der Abhörung eines Zeugen oder Mitangeklagten aus dem Sitzungssaal abtreten ließ, was hier, wie die Beschwerde selbst einräumt, nicht der Fall war. Sollte der Verteidiger des Angeklagten der Meinung gewesen sein, daß dieser zeitweilig der Beweisaufnahme ohne Übersetzung nicht zu folgen vermochte, wäre es auch hier seine Sache gewesen, eine entsprechende Übersetzung zu beantragen und sich so gegebenenfalls eine Verfahrensrüge im Sinn des § 345 Abs 1 Z. 5 StPO. zu sichern. Die in der Beschwerde zitierte Entscheidung SSt. 46/74 unterstreicht bloß den notwendigen Zusammenhang zwischen der im § 250 Abs 1 StPO. geforderten Mitteilung an den Angeklagten und dessen Verhandlungsfähigkeit, die jedoch, wie dargetan, hier nicht in Zweifel steht (siehe oben; insoweit ist auch aus EvBl 1977/254 für ihn nichts zu gewinnen, wo es um die Beteiligungsfähigkeit eines Verhandlungsunfähigen geht). Wurden doch dem durch zahlreiche Verhandlungspausen (Band V, S. 8, 14, 24, 65, 75, 105, 107, 126) geschonten Angeklagten immer wieder Vorhalte gemacht, wozu noch kommt, daß er sogar ohne die (hier einwandfrei funktionierende; Band V, S. 3, 129) Hilfe eines Dolmetsch sich mit anderen zu verständigen vermag (Band V, S. 29, 73, 113 ff.). Schließlich ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, daß die von ihm (statt § 250 StPO.) möglicherweise gemeinte Vorschrift des § 248 Abs 4 StPO. (§ 308 Abs 1 StPO.) im Katalog des § 345 Abs 1 Z. 4 StPO. nicht aufgezählt und darum im Nichtigkeitsverfahren nicht relevierbar ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB. eine Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren, wobei erschwerend sein einschlägig belastetes Vorleben, mildernd seine Verstandesschwäche und seine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit waren. Überdies ordnete es gemäß § 21 Abs 2 StGB. seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe an. Dies zu Recht.

Grundlage für die Bemessung der Strafe ist allemal die Schuld des Täters (§ 32 Abs 1 StGB.). Der Angeklagte ist unbescholten (siehe § 1 Abs 4 TilgG. 1972; vgl. grundsätzlich LSK. 1977/228). Es war daher verfehlt, ihm ein einschlägig belastetes Vorleben als erschwerend anzurechnen. Das im Zeitpunkt der Urteilsfällung mehr als fünf Jahre währende Zurückliegen der Tat verdient gleichfalls Berücksichtigung, wenn auch bei einem Mord nicht in demselben Maß wie bei einem weniger gravierenden Delikt. Vor allem aber steht hier das eine Realitätsbewältigung gewiß stark behindernde Gebrechen des Angeklagten, das ihn naturgemäß weitgehend von der Umwelt isoliert, im Vordergrund und damit die gegenüber der Norm stark reduzierte Schuldfähigkeit des Angeklagten. Grundsätzlich ist zwar auch bei Mord eine außerordentliche Strafmilderung nicht ausgeschlossen, wenn die im § 41 StGB. hiefür normierten Voraussetzungen gegeben sind. Zweifellos überwiegen in diesem Fall die Milderungsgründe beträchtlich; die vom Gesetz geforderte Prognose künftigen Wohlverhaltens kann allerdings nicht erstellt werden. Daß der im 74. Lebensjahr stehende Täter auch bei Verhängung einer das gesetzliche Mindestmaß unterschreitenden Freiheitsstrafe keine weiteren strafbaren Handlungen mehr begehen wird, wird, von der Strafhaft abgesehen, hier nämlich lediglich durch die seiner Gefährlichkeit wirksam begegnende Anstaltsunterbringung gewährleistet. Eine Freiheitsstrafe an der Untergrenze des anzuwendenden Strafsatzes wird allerdings dem durch seine Persönlichkeitsstruktur stark reduzierten Verschulden des Angeklagten noch gerecht, dessen Gefährlichkeit nur, soweit sie verschuldet war (§ 32 Abs 3 StGB.), also sehr eingeschränkt, das Strafmaß mitbestimmt, im übrigen aber durch die Maßnahme (§ 21 Abs 2 StGB.) abgefangen wird.

Anmerkung

E08849

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0130OS00097.86.0717.000

Dokumentnummer

JJT_19860717_OGH0002_0130OS00097_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten