TE Vfgh Erkenntnis 2008/3/5 V48/07

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Veröffentlicht am 05.03.2008
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
FahrverbotsV des Magistrats der Stadt Wien vom 16.03.94 betr ein Verbot des Befahrens des Unteren Schreiberweges in Wien 19.
StVO 1960 §43 Abs1 litb

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der Festlegung eines Fahrverbotes auf einem Weg inWien mangels Durchführung eines Ermittlungsverfahrens für diegebotene Interessenabwägung vor Verordnungserlassung

Spruch

Die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 46, vom 16. März 1994, Z MA 46-V19-297/94, mit der das Befahren des Unteren Schreiberweges im Bereich Muckenthalerweg und Parkplatz Krapfenwaldlbad in Wien 19. mit Fahrzeugen aller Art, ausgenommen Fahrzeuge der Anrainer und deren Lieferanten sowie Radfahrer, verboten wird, war gesetzwidrig.

Die Wiener Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 46, hat

am 16. März 1994 eine Verordnung folgenden Inhalts erlassen:

"Verordnung

Gemäß §43 Abs1 litb werden folgende in der bezughabenden Niederschrift (Aktenvermerk) vom 14.3.1994 festgehaltenen Verkehrsbeschränkungen, Ge- und Verbote in Verbindung mit §94 b StVO (Bezirksverwaltungsbehörde) verordnet:

...

b) Das Befahren des Unteren Schreiberweg[s] im Bereich zwischen Muckenthalerweg und Parkplatz Krapfenwaldlbad in Wien 19., ist mit Fahrzeugen aller Art verboten, ausgenommen Fahrzeuge der Anrainer und deren Lieferanten sowie Radfahrer.

Beiliegender PLAN-AKTSTÜCK ist ein wesentlicher Bestandteil der Verordnung.

..."

Mit Verordnung des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 46, vom 2. Mai 2007 wurde die angefochtene Verordnung aufgehoben.

2. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im Folgenden: UVS) ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Döbling, vom 21. November 2006 anhängig. Der Berufungswerber wurde schuldig erkannt, am 25. Juni 2006 um 11.50 Uhr in Wien 19., Unterer Schreiberweg, als Lenker eines näher bezeichneten KFZ das Verbotszeichen "Einfahrt verboten in beiden Richtungen ausgenommen Radfahrer, Fahrzeuge der Anrainer und deren Lieferanten" nicht beachtet zu haben.

3. Aus Anlass dieses Berufungsverfahrens entstanden beim UVS Zweifel ob der Gesetzmäßigkeit der vorliegenden Verordnung, weshalb er gemäß Art129a Abs3 iVm Art89 Abs2 B-VG den beim Verfassungsgerichtshof zu V48/07 protokollierten Antrag stellte. Begründend führt der UVS aus, dass dem Verordnungsakt nicht zu entnehmen sei, ob die Erforderlichkeit des Fahrverbotes in einem Ermittlungsverfahren festgestellt worden sei. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, welche besonderen tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Unteren Schreiberweg vorherrschen würden, die eine dauernde Verkehrsbeschränkung unter Heranziehung der in §43 StVO 1960 angeführten Gründe rechtfertigen würde.

4. Der Magistrat der Stadt Wien legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der er ausführt, dass die Verordnung auf Initiative der Magistratsabteilung 48 auf Grund der winterlichen Betreuungspflicht erlassen worden sei. Die geringe Fahrbahnbreite habe die Verkehrsmaßnahme erforderlich gemacht, weil der Weg weder einem Begegnungsverkehr mit Fahrzeugen gefahrlos ermöglicht noch Fußgängern ein gefahrloses Fortkommen erlaubt habe.

5. Die Wiener Landesregierung erstattete keine Äußerung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit erwogen:

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).

Da die Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 B-VG und Art129a Abs3 iVm Art89 Abs2 und 3 B-VG zulässig.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache erwogen:

1. §43 Abs1 litb StVO 1960 sieht die Erlassung dauernder oder vorübergehender Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung vor, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert.

Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte (vgl. VfSlg. 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.573/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder -verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche ein Fahrverbot in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen die Verhängung eines Fahrverbotes gebieten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer Verordnung gemäß §43 StVO 1960 die im einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993, 17.573/2005).

Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung "der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. VfSlg. 12.485/1990, 16.805/2003).

2. Es ist weder aus dem Verordnungsakt ersichtlich noch wird in der Äußerung des Magistrats der Stadt Wien behauptet, dass die Erforderlichkeit der vorliegenden Verordnung in einem Ermittlungsverfahren festgestellt wurde. Der bloße Hinweis in der Verhandlungsschrift vom 14. März 1994, dass die Teilnehmer der Verhandlung der Erlassung der Verordnung einhellig zugestimmt hätten, bietet keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, welche besonderen tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Unteren Schreiberweg vorherrschen, die diesen Straßenzug von anderen derart unterscheidet, dass ein Fahrverbot für Fahrzeuge aller Art, ausgenommen Fahrzeuge der Anrainer und deren Lieferanten sowie Radfahrer, gerechtfertigt wäre. Der Magistrat der Stadt Wien hat es somit unterlassen, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen.

Daran ändert auch die Stellungnahme des Magistrats der Stadt Wien vom 14. August 2007 nichts, wonach die Verkehrsmaßnahme auf Grund der geringen Fahrbahnbreite, welche weder einen gefahrlosen Begegnungsverkehr mit Fahrzeugen noch mit Fußgängern erlaube.

Das Ermittlungsverfahren dient dem Zweck, eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der -verhältnisse sowie eine sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, zu ermöglichen, damit die Behörde auf dieser Grundlage die gemäß §43 StVO 1960 vor Verordnungserlassung gebotene Interessenabwägung zwischen den Interessen an der Verkehrsbeschränkung und dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße vornehmen kann. Das versäumte Ermittlungsverfahren kann auch nicht nach Verordnungserlassung nachgeholt werden. Die nachträglich vom Magistrat der Stadt Wien vorgenommene Rechtfertigung vermag die Gesetzwidrigkeit der Verordnung nicht zu beseitigen, zumal ein Fall, in dem die für die Beschränkung sprechenden Gründe evident waren, hier nicht vorliegt (vgl. bereits VfSlg. 15.643/1999, 16.805/2003, 17.573/2005).

3. Da die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 46, vom 16. März 1994 nicht mehr in Kraft ist, hat sich der Verfassungsgerichtshof auf den Ausspruch zu beschränken, dass die Verordnung gesetzwidrig war.

Die Verpflichtung zur Kundmachung dieser Feststellung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Fahrverbot, Verordnungserlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:V48.2007

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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