TE OGH 1987/11/19 12Os130/87

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Veröffentlicht am 19.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.November 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Thoma als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karl Johann W*** wegen des Verbrechens der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 28.Juli 1987, GZ 19 Vr 1924/86-43, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Glaser zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 5.September 1960 geborene Karl Johann W*** des Verbrechens der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB (Punkt A/a/ des Urteilssatzes), des Verbrechens des Zwanges zur Unzucht nach § 203 Abs. 1 StGB (Punkt A/b/), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB (Punkt B/) und des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB (Punkt C/) schuldig erkannt. Inhaltlich des Schuldspruches hat der Angeklagte am 20.Juli 1985 in Jesolo (Italien) A/ Anita H*** mit Gewalt gegen ihre Person, indem er ihr wiederholt mehrere heftige Ohrfeigen versetzte, sie an den Haaren riß, ihr die Nase zuhielt, sie würgte, sie bei der Scheide zwickte und ihr den rechten Arm umdrehte, sowie durch gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, indem er wiederholt äußerte, er werde sie umbringen, wenn sie nicht das mache, was er wolle, widerstandsunfähig gemacht und in diesem Zustand a/ zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht,

b/ zur Unzucht mißbraucht, indem er sein Glied in ihren After einführte;

B/ den Reisepaß der Anita H***, mithin eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis der darin beurkundeten Tatsachen gebraucht werde;

C/ dadurch, daß er deren Reisegepäck samt Kleidungsstücken in unbekanntem Wert sowie einen Bargeldbetrag von ungefähr 120.000 italienischer Lire wegwarf, Anita H*** geschädigt, indem er fremde bewegliche Sachen aus deren Gewahrsam dauernd entzog, ohne die Sachen sich oder einem Dritten zuzueignen.

Der Angeklagte Karl Johann W*** bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5, 9 lit. a und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte im Sinn des erstgenannten Nichtigkeitsgrundes erblickt der Beschwerdeführer in der Abweisung des Antrages, durch Erhebungen der italienischen Polizeibehörde zu klären, daß die Straße nahe dem Hotel N*** in Jesolo am 20.Juli 1985 ab 20.00 Uhr von Personenkraftwagen wegen eines Fahrverbotes nicht benützt werden durfte, sowie wegen aufgestellter Blumentröge und anderer Hindernisse auch gar nicht benützt werden konnte. Dieses Beweisbegehren zielte ersichtlich darauf ab, die Aussage des Zeugen Ewald K*** zu widerlegen, er habe damals gegen 23.00 Uhr den Personenkraftwagen des Angeklagten dort vorbeifahren gesehen (S 50, 152 f). Da jedoch das Schöffengericht aus jenen vom Zeugen K*** in der Hauptverhandlung nicht aufrecht erhaltenen Angaben (S 7 des Hauptverhandlungsprotokolls vom 28.Juli 1987; in Ansehung der beiden beim Akt befindlichen Hauptverhandlungsprotokolle ist eine Doppeljournalisierung unterlaufen) keinerlei für den Angeklagten nachteilige Schlüsse abgeleitet hat, sondern vielmehr durchaus auch von der Möglichkeit ausgegangen ist, daß der Wagen des Angeklagten zur fraglichen Zeit nicht auf dem betreffenden Straßenstück gefahren war (S 312), erfolgte die Lösung der dem Antrag zugrunde liegenden Beweisfrage ohnedies im Sinn des Beschwerdeführers, weshalb durch Ablehnung der begehrten Beweisaufnahme seine Verteidigungsinteressen nicht beeinträchtigt worden sind. Zum Nachweis dafür jedoch, daß der Angeklagte sich damals mit seinem Fahrzeug nicht in der Nähe des Tatortes aufgehalten hat, wäre die angestrebte Beweisführung dem Beschwerdestandpunkt zuwider von vornherein ungeeignet gewesen, weil aus der Unmöglichkeit einer Wahrnehmung des Personenkraftwagens auf der betreffenden, gegebenenfalls gesperrten Verkehrsfläche keineswegs die unterbliebene Benützung anderer, im Nahbereich des Tatorts gelegener Straßen gefolgert werden könnte.

Auch die gegen die Annahme der Täterschaft des Beschwerdeführers ankämpfende Mängelrüge (Z 5) hält einer Überprüfung nicht stand. Das Erstgericht ging im Rahmen der angefochtenen Urteilsbegründung von dem auf verschiedene Verfahrensergebnisse gestützten Schluß aus, daß die dem Schuldspruch zugrunde liegende Aggression gegen die Zeugin Anita H*** im Personenkraftwagen des Angeklagten ihren Ausgang genommen hat, wobei die Tatverübung durch den Angeklagten aus der Beschreibung des Täters durch die Zeugin abgeleitet wurde. Dabei hat die Tatsacheninstanz die Frage, ob im Tatzeitpunkt allenfalls eine andere Person das betreffende Fahrzeug benützt haben könnte, durchaus geprüft, eine derartige Möglichkeit jedoch in Anbetracht widersprüchlicher Angaben des Angeklagten zu diesem Punkt und auch zum späteren Verbleib des als Beweismittel bedeutsamen Wagens ausgeschlossen. Diese Urteilserwägungen schließen ohnehin die in der Beschwerde geforderte Erörterung der Verantwortung des Angeklagten in sich und beruhen zudem auf logisch und empirisch unbedenklichen Erwägungen, weshalb die diesbezügliche Behauptung unvollständiger und unzureichender Begründung versagt.

Ebensowenig trifft es zu, daß die als Indiz für die Identität des vom Täter verwendeten Personenkraftwagens mit jenem des Angeklagten gewerteten Angaben der Zeugin Anita H*** über das anläßlich der Gewaltakte erfolgte Herausdrücken der Windschutzscheibe aus der Halterung - eine nach der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung bei seinem Fahrzeug vorgelegene Beschädigung - vom Erstgericht nur unzureichend erörtert worden seien. Denn mit der Darstellung, daß das Glas bei dieser Gelegenheit nicht "zersplittert" sei, hat die Zeugin keineswegs ausgeschlossen, daß die Windschutzscheibe damals Sprünge davongetragen haben konnte, weshalb Verfahrensergebnisse in Richtung derartiger Schäden nicht gegen die beschriebene Lösung der Scheibenhalterung sprechen. Demgemäß liegen in diesem Zusammenhang keine der erstgerichtlichen Schlußfolgerung zuwiderlaufenden und daher gesondert zu würdigenden Beweisergebnisse vor. Gleiches gilt für die Angaben der Zeugin Anita H*** über ihre Schwierigkeiten bei der Täterbeschreibung und bei der Schätzung der Körpergröße einer nur in sitzender und liegender Position wahrgenommenen Person sowie über die ihr von einer Kriminalbeamtin bei dieser Beschreibung durch Fragen nach entsprechenden Körpermerkmalen geleistete Hilfe. All diese Umstände sprechen nämlich nicht gegen die Verläßlichkeit und Glaubwürdigkeit der Zeugin, welche den Angeklagten ohnehin nicht als Täter identifiziert, sondern nur ein diesbezügliches Wahrscheinlichkeitsurteil abgegeben hat. Der insoweit relativierende Inhalt dieser Zeugenaussage ist vom Schöffengericht durchaus in den Kreis der Urteilserwägungen einbezogen worden (S 316 f), weshalb von dem in der Beschwerde eingewendeten Übergehen dieses Verfahrensumstandes keine Rede sein kann. Als in gleicher Weise unbegründet erweist sich der Vorwurf unterbliebener Bedachtnahme darauf, daß die als Agnoszierungsmerkmal in Betracht kommenden Tätowierungen des Angeklagten von der Zeugin Anita H*** nicht erwähnt worden sind. Auch dieser Gesichtspunkt wurde nämlich bei der Urteilsfällung erwogen und mit plausiblen Überlegungen für ungeeignet befunden, den Angeklagten zu entlasten (S 315 f). In der Rechtsrüge (Z 9 lit. a) wendet sich der Beschwerdeführer zunächst gegen den Schuldspruch wegen dauernder Sachentziehung und argumentiert, daß die Zeugin Anita H*** sich anläßlich ihrer Flucht nach erlittenem sexuellen Mißbrauch von ihrem im Personenkraftwagen zurückgebliebenen Reisegepäck entfernt und diese Sachen nicht so verlassen habe, "wie man derartige Gegenstände üblicherweise zurückzulassen pflege, womit die Zeugin aber den Gewahrsam daran aufgegeben habe und die Gegenstände sich im Tatzeitpunkt im alleinigen Gewahrsam des Beschwerdeführers befanden. Der Beschwerdeführer habe die Sachen somit nicht aus dem Gewahrsam eines anderen entzogen, sodaß das Tatbild des § 135 Abs. 1 StGB nicht erfüllt sei.

Diese Rüge ist verfehlt, weil nach den Begleitumständen des konkreten Falls ein Gewahrsamsverlust der Anita H*** nicht anzunehmen ist. Unter Gewahrsam ist ein faktisch-normatives, einer schematischen Erfassung entzogenes Herrschaftsverhältnis zu verstehen, welches einen von der Verkehrsauffassung bestimmten fallbezogenen Wirksamkeitsbereich hat und für einen Außenstehenden nicht bloß als eine räumliche Beziehung, sondern vielmehr als eine auf sozialen Gepflogenheiten beruhende Verbundenheit von Sache und Person erkennbar ist (Roeder in ÖJZ 1966, S 373 ff, insbesondere S 375; Leukauf-Steininger, StGB2, RN 15 f zu § 127; SSt. 42/58; ÖJZ-LSK 1979/91). Eine greifbare Nähe des Gewahrsamsträgers zur betreffenden Sache ist dafür nicht unbedingt erforderlich; vielmehr werden auch Fälle abgeschwächter Sachherrschaft als sogenannter gelockerter Gewahrsam erfaßt (Kienapfel, BT II, RN 59 f zu § 127). So bleibt nach der Verkehrsauffassung bei einem durch äußere Umstände - wie einem verbrecherischen Angriff - erzwungenen kurzfristigen Zurücklassen von Gegenständen an einem dem Besitzer bekannten Ort das faktische Naheverhältnis zu diesen Sachen noch aufrecht, weshalb in der Flucht der Anita H*** zur nahegelegenen Straße, um dort Hilfe zu finden, eine Aufgabe des Gewahrsams an ihrem Reisegepäck nicht zu erblicken ist (vgl. hiezu insb. 13 Os 2/87 zu einem gleichgelagerten Sachverhalt). Ebenso verfehlt sind die Beschwerdeeinwände gegen den Schuldspruch wegen Zwanges zur Unzucht, in welchem Zusammenhang der Angeklagte ziffernmäßig die Nichtigkeitsgründe der Z 9 lit. a und 10 - inhaltlich auch jenen nach Z 9 lit. b - des § 281 Abs. 1 StPO geltend macht.

Soweit die Beschwerde reklamiert, daß eine ganze Reihe der dem Opfer zugefügten sexuellen Mißbrauchshandlungen schon durch den Schuldspruch wegen Notzucht erfaßt und als Begleiterscheinungen dieses Deliktes keiner weiteren selbständigen Subsumtion mehr zugänglich seien, verkennt sie den Inhalt des bekämpften Schuldspruches, bezieht sich dieser doch nach dem klaren Wortlaut des Urteilstenors ohnehin nur auf den zusätzlich erzwungenen Analverkehr und kein anderes Geschehen, sodaß alle auf andere Gewaltakte abstellenden Beschwerdeausführungen von vornherein ins Leere gehen. Daß in den Entscheidungsgründen auch von der versuchten Erzwingung eines Oralverkehrs und an anderer Stelle vom Gelingen dieses Vorhabens die Rede ist (S 301 f, 318) hat im Schuldspruch keinen Niederschlag gefunden, weshalb dem Angeklagten schon mangels einer für ihn nachteiligen und prozessual zu beseitigenden Auswirkung dieser Urteilspassage eine diesbezügliche Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde verwehrt ist (Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr. 93, 94 und 94 a zu § 260; ENr. 8 zu § 280). Dies gilt auch für den Einwand, das Erstgericht sei zu Unrecht von einem qualifizierten Zwang zur Unzucht wegen damit verbundener schwerer Körperverletzung des Opfers (§ 203 Abs. 2 erster Fall StGB) ausgegangen, weil weder Tenor noch Gründe des angefochtenen Urteils einen derartigen Ausspruch enthalten; wohl ist der Beschwerde einzuräumen, daß im Urteil im Zuge der Strafzumessungserwägungen rechtsirrig (und ohne nähere Begründung) davon die Rede ist, die Strafdrohungen für die beiden verübten Sexualdelikte (Notzucht und Zwang zur Unzucht) seien gleich hoch; jedoch bietet dieses Versehen angesichts des rechtsrichtigen Schuld- und Strafausspruchs, der allein maßgebend ist, keine Grundlage für eine prozeßordnungsmäßige Beschwerdeführung (Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr. 10 zu § 280).

Fehl geht schließlich auch die Behauptung, es liege keine Tatvollendung vor und der Angeklagte sei vom versuchten Zwang zur Unzucht freiwillig zurückgetreten. Denn vollendet ist ein Mißbrauch zur Unzucht dann, wenn zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörende Körperpartien des Täters oder des Opfers mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige und sexualbezogene Berührung gebracht werden (Leukauf-Steininger, StGB2, RN 5 zu § 203), wie dies dem Urteilssachverhalt zufolge bei dem vom Angeklagten unternommenen Analverkehr der Fall gewesen ist, wobei es unerheblich bleibt, daß er sein Glied nur bis ungefähr zur Hälfte eingeführt hat und das Opfer danach weggezuckt ist.

Die mithin zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Karl Johann W*** war daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 201 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Bei der Strafbemessung wertete das Gericht als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit zwei Vergehen, die einschlägigen Vorstrafen und insbesonders die "äußerst brutale und selbst für eine Notzuchtstat ungewöhnlich massive Vorgangsweise", die beim Tatopfer noch während der Hauptverhandlung erkennbare psychische Nachwirkungen hinterließ, als mildernd hingegen keinen Umstand.

Mit ihren gegen diesen Strafausspruch ergriffenen Berufungen streben der Angeklagte eine Herabsetzung, die Staatsanwaltschaft demgegenüber eine Erhöung der verhängten Freiheitsstrafe an. Keiner der Berufungen kommt Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe vollzählig und dem Gewicht nach zutreffend gewürdigt und dabei zu Recht der außergewöhnlichen Intensität des tatgegenständlichen Gewaltexzesses ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. In Anbetracht der nachhaltigen Peinigung des Tatopfers, die vorliegend das mit einer Tatbestandsverwirklichung nach § 201 Abs. 1; 203 Abs. 1 StGB regelmäßig verbundene Maß weit überstieg, bleibt es dem Berufungsstandpunkt des Angeklagten zuwider ohne Belang, daß seine letzte Verurteilung wegen personsbezogener Gewaltausübung auf das Jahr 1978 zurückgeht und seit den in Rede stehenden Tathandlungen mehr als zwei Jahre vergangen sind.

Da die besonderen Tatmodalitäten, die die Staatsanwaltschaft zur Begründung ihres Antrags auf Straferhöhung ins Treffen führt, bei der Strafbemessung ohnedies entsprechende Berücksichtigung gefunden haben, war insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Anmerkung

E12458

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0120OS00130.87.1119.000

Dokumentnummer

JJT_19871119_OGH0002_0120OS00130_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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