TE OGH 1987/11/25 8Ob621/87

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Veröffentlicht am 25.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lucia S***, Haushalt, Wien 7.,

Kirchengasse 7, vertreten durch Dr. Herbert Grün, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Martha M***, Pensionistin, Wien 8., Maria Treugasse 5/8/9, 2.) Karl-Heinz M***, Baumeister, Wien 19., Silvaraweg 9/36, und 3.) Ingrid O***, Haushalt, Wien 8., Maria Treugasse 5/8/9, sämtliche vertreten durch Dr. Eduard Lenz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 168.297,44 s.A. infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 9. April 1987, GZ 3 R 214/86-41, womit der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 27. März 1987, GZ 3 R 214/86-40 berichtigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichtes, womit es seinen Beschluß vom 27. März 1987, 3 R 214/86-40, berichtigte, wird aufgehoben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegen die Beklagten zu je 1/3 mit dem Betrag von S 112.198,29 s.A. statt und wies ein entsprechendes Mehrbegehren von S 56.099,15 s.A. ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten zunächst Folge, hob das erstgerichtliche Urteil in seinem zusprechenden Teil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Dem Berufungsgericht war die Verspätung der Berufung der Beklagten nicht aufgefallen; es war von der objektiv unrichtigen Voraussetzung der Rechtzeitigkeit der Berufung ausgegangen. Die Aufklärung dieses Irrtums erfolgte durch einen Hinweis des Klagevertreters nach Abgabe des Aktes mit der Urschrift der Berufungsentscheidung an die Geschäftsstelle zur Ausfertigung, aber noch vor Durchführung derselben.

Das Gericht zweiter Instanz faßte daraufhin einen Berichtigungsbeschluß dahin, daß es die Berufung der Beklagten als verspätet zurückwies. Es vertrat die Auffassung, daß offenbare Unrichtigkeiten einer gerichtlichen Entscheidung gemäß § 419 Abs 1 ZPO jederzeit zu berichtigen seien. Umstände, die vom Entscheidungswillen des Gerichtes nicht umfaßt waren und eine offenbare Unrichtigkeit bewirken, seien berichtigungsfähig. Da das Berufungsgericht über die Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung nicht (auch nicht schlüssig) absprechen wollte, sondern nur zufolge eines (Tatsachen-)irrtums bei seiner Beratung von der Rechtzeitigkeit der Berufung ausging, sei die getroffene Entscheidung dahin zu berichtigen gewesen, daß die verspätete Berufung gemäß § 495 ZPO zurückgewiesen wird.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs der Beklagten; sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und stützen sich darauf, daß der entscheidende Senat des Berufungsgerichtes mit der Abgabe seines Erkenntnisses an die Geschäftsabteilung an seine eigene Entscheidung bereits unabänderlich gebunden war.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist a) zulässig und b) im Ergebnis berechtigt.

a) Der Berichtigungsbeschluß des Berufungsgerichtes ist inhaltlich dahin determiniert, daß die Berufung der Beklagten als verspätet zurückgewiesen wurde. Er leitet seine Anfechtbarkeit daher aus seiner spruchgemäßen Erledigung insoweit ab, als auch für Rekurse gegen Beschlüsse des Berufungsgerichtes nicht nur die Beschränkungen des § 519 ZPO, sondern auch die Rekursbeschränkungen des § 528 Abs 1 ZPO in der Fassung der Zivilverfahrens-Novelle gelten. Gegen die - wenn auch in Form eines Berichtigungsbeschlusses erfolgte - Zurückweisung der Berufung aus formellen Gründen ist daher der Rekurs gemäß §§ 519 Abs 1 Z 1 und 528 Abs 1 Z 5 ZPO dann zulässig, wenn der Streitwert des Beschwerdegegenstandes

S 15.000,-- übersteigt (Petrasch, Das neue Revisions-(Rekurs-)Recht ÖJZ 1983, 203; 4 Ob 386/83; 8 Ob 13/87 ua). Dies ist hier der Fall, weil der Streitwert des vorliegenden Beschwerdegegenstandes

S 112.198,29 s.A. beträgt.

b) Nach § 416 Abs 1 ZPO wird das Urteil den Parteien gegenüber grundsätzlich, von den hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen nach Abs 3 leg.cit. abgesehen, erst mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung wirksam. Das Gericht ist jedoch nach § 416 Abs 2 ZPO an seine Entscheidung gebunden, sobald dieselbe verkündet oder im Falle des § 415 ZPO in schriftlicher Abfassung zur Ausfertigung abgegeben wurde. Das Berufungsgericht war daher nach der Abgabe des Aktes mit der ursprünglich eine meritorische Erledigung enthaltenden Urschrift der Berufungsentscheidung an die Geschäftsstelle zur Ausfertigung an seine Entscheidung gebunden. Damit allein wäre aber noch nicht eine Berechtigung seiner Entscheidung im Sinne des § 419 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen:

Gemäß § 419 Abs 1 ZPO kann das Gericht, das das Urteil gefällt hat, jederzeit Schreib- und Rechnungsfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten im Urteil oder dessen Ausfertigungen oder Abweichungen der Ausfertigung von der gefällten Entscheidung berichtigen. Wie sich schon aus der Verwendung des Wortes "jederzeit" ergibt, ist eine derartige Berichtigung selbst nach eingetretener Rechtskraft des Urteils möglich. Sie hat ihre theoretische Grundlage in der Tatsache, daß der materielle Gehalt der Entscheidung durch den Entscheidungswillen des Gerichtes bestimmt wird (Fasching, Komm. zu den ZP-Gesetzen III, 807; 8 Ob 35/85 ua). Die offenbare Unrichtigkeit, welche einer Berichtigung im Sinne des § 419 Abs 1 ZPO zugänglich ist, darf jedoch nur die Wiedergabe des zur Zeit der Entscheidung bestehenden Entscheidungswillens des erkennenden Richters nach außen betreffen (EvBl 1958/84; JBl 1969, 41; 6 Ob 569/79; 4 Ob 358-365/83; 8 Ob 35/85 uva; Fasching, aaO, 809; Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht, 290), es muß sich also um eine Diskrepanz zwischen Gewolltem und Erklärtem handeln (Petschek-Stagel, Der österreichische Zivilprozeß, 214). Der Irrtum muß sich aus dem ganzen Zusammenhang für das Gericht und die Parteien in dem Sinn ohne weiteres ergeben, daß schon nach dem Inhalt der Entscheidung offenkundig ist, daß das, was ausgesprochen wurde, dem Willen des Gerichtes zur Zeit der Fällung der Entscheidung nicht entsprochen hat (Fasching, aaO, 810; JBl 1979, 38; 8 Ob 35/85 ua). Ein derartiger Fall liegt aber hier nicht vor. Das Berufungsgericht verweist selbst darauf, daß ihm die Verspätung der Berufung der Beklagten nicht aufgefallen war; demgemäß hat es in der Sache selbst - die Rechtzeitigkeit der Berufung, wenn auch irrtümlich, voraussetzend - erkannt, der Berufung der Beklagten Folge gegeben, das erstgerichtliche Urteil im klagestattgebenden Teil aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Dieser Entscheidungswille des Berufungsgerichtes zum Zeitpunkt der Entscheidung deckte sich aber völlig mit dem im bezogenen Aufhebungsbeschluß zum Ausdruck kommenden Wortlaut und Sinn. Erst im nachhinein wurde der Irrtum erkannt und auf die ständige Rechtsprechung Bedacht genommen, wonach infolge Zustellung der Entscheidung in den Gerichtsferien der Lauf der Berufungsfrist nicht am 23. September, sondern schon am 22. September 1986 geendet hatte. Eine Berichtigung des vorgehenden Aufhebungsbeschlusses aus dem nachträglich entdeckten Irrtum war jedoch aus den dargelegten Gründen nicht mehr möglich.

Dem Rekurs der Beklagten war somit Folge zu geben und der angefochtene Beschluß wie im Spruch zu beheben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E12618

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00621.87.1125.000

Dokumentnummer

JJT_19871125_OGH0002_0080OB00621_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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