TE OGH 1988/2/25 7Ob518/88

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Veröffentlicht am 25.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renate G***, geb. W***, geboren am 29. Juli 1942 in Waidhofen an der Ybbs, Geschäftsfrau, Reinsberg 11, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und Dr. Hans Pucher, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei Hermann G***, geboren am 28. Dezember 1937 in Pernthon, Angestellter, Reinsberg 11, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. Oktober 1987, GZ. 14 R 191/87-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 7. April 1987, GZ. 2 Cg 371/86-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien haben am 18.5.1961 geheiratet. Es war beiderseits die erste Ehe, der die Kinder Hermann, geboren am 26.10.1962, und Günther, geboren am 16.1.1971, entstammen. Beide Teile sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war in Reinsberg.

Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Sie wirft ihm Vernachlässigung der Familie, Alkoholmißbrauch und Mißhandlungen vor.

Der Beklagte bestreitet die ihm angelasteten Eheverfehlungen und stellte für den Fall der Scheidung einen Mitschuldantrag. Die Klägerin komme immer wieder spät abends nach Hause, sie habe ihn beschimpft und geohrfeigt und verweigere die ehelichen Pflichten. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Alleinverschulden des Ehemannes. Nach seinen Feststellungen haben sich die Streitteile schon ca. 1 bis 2 Jahre vor der Eheschließung gekannt. Schon damals hat der Beklagte übermäßig viel Alkohol getrunken. Sein Alkoholkonsum war aber zu dieser Zeit noch nicht so arg wie dann während der Ehe. Die Klägerin hoffte, daß sich der Beklagte nach der Eheschließung bessern werde, weil er in bescheidenen Verhältnissen lebte und kein richtiges Zuhause hatte. Diese Hoffnungen haben sich aber nicht erfüllt. Der Beklagte trank weiterhin übermäßig Alkohol, und zwar vorerst hauptsächlich Bier und Rum. Im Jahre 1981 wurde der übermäßige Alkoholkonsum des Beklagten auch amtlich bekannt. Da der Beklagte zu diesem Zeitpunkt Schulbusfahrer war, wurden aus den Kreisen der Bevölkerung Bedenken bei der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs geäußert. Am 15.3.1982 unterzog sich der Beklagte freiwillig einer Entwöhnungskur. Die Aufnahmediagnose lautete auf chronischen Alkoholismus. Am 23.4.1982 wurde der Beklagte als gebessert entlassen. Es wurde ihm für die Folgezeit absolute Alkoholabstinenz verordnet. Die Besserung dauerte aber nur etwa 2 Monate, dann begann der Beklagte wieder zu trinken. Er trinkt seither hauptsächlich Bier und Gespritzte, oftmals kommt er auf 10 Flaschen Bier pro Tag. In letzter Zeit nimmt der Beklagte noch zusätzlich kleine Schnapsfläschchen aus dem Lebensmittelgeschäft der Klägerin und trinkt sie aus.

Im Jahre 1981 wurde dem Beklagten die Berechtigung zum Lenken von Schulbussen entzogen. Damals hatte der jüngere Sohn der Streitteile wahrgenommen, daß der Beklagte oft noch gegen 22 Uhr im Schulbus seinen Rausch ausschlief. Die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B wurde dem Beklagten im November 1981 durch Befristung auf 3 Monate und gegen Vorlage eines psychiatrischen Facharztbefundes einschließlich Leberfunktionsproben eingeschränkt.

Die Befristung wurde verlängert, derzeit besteht eine Befristung bis 24.4.1987. Zu Beginn des Verwaltungsverfahrens wurde der Beklagte von Prim. Dr. H*** untersucht, wobei dieser festhielt, daß unter anderem deutliche Anhaltspunkte für einen Intentionstremor und eine Polyneuropathie bestanden, die Leberfunktionsproben pathologisch waren und die Reaktionsfähigkeit außerhalb der Norm lag. Dr. H*** gelangte zu dem Ergebnis, daß der Beklagte nicht in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken. Dieses Zustandsbild blieb mit gewissen Schwankungen bis jetzt im wesentlichen gleich. Nach einem Bericht der Dr. K***, die die Untersuchungen des Beklagten derzeit durchführt, vom 19.2.1987

dürfte der Beklagte derzeit weitgehend abstinent sein. Unter dem Verhalten des Beklagten litt das Familienleben. Der jüngere Sohn der Streitteile zog, als er noch die 3.Hauptschulklasse besuchte, zu seinen Großeltern. Der Beklagte hat die Klägerin vor Jahren mißhandelt und geschlagen. Er warf Tische um. Die Klägerin mußte oft ihre Freundin zur Unterstützung holen. Derzeit mißhandelt der Beklagte die Klägerin nicht mehr. Aufgrund seines Alkoholkonsums ist er aber spätestens ab Mittag unverträglich und gereizt. Kleinigkeiten reichen aus, um Streitigkeiten vom Zaun zu brechen. Als Anlaß dient dem Beklagten das Geschäft, das Essen, das Wäschewaschen, die Person der Schwiegertochter und dgl. Im Jahre 1981 hat der Beklagte einen Teller samt dem darauf befindlichen Essen gegen die Wand geschleudert, weil ihm daran irgend etwas nicht gepaßt hat. Im Jahre 1986 hat er aus demselben Grund ein Jausenbrett samt dem darauf befindlichen Speck gegen die Klägerin geschleudert, wobei deren Brille zerbrach, das Jausenbrett in den Kamin flog und der Speck an der Wand kleben blieb. Kürzlich hat die Klägerin dem Beklagten zum Nachtmahl eine gebratene Stelze gereicht, die auf einer Seite schon abgegessen war. Da die Stelze so auf dem Teller lag, daß das Fleisch unten und der Knochen oben war, fragte der Beklagte, ob er denn ein Hund sei, daß er den Knochen fressen müsse. Der Beklagte ist beim Essen sehr heikel, sodaß die Klägerin oft sechsmal in der Woche für ihn eigens kochen muß. Im Zuge der Streitigkeiten beschimpfte der Beklagte die Klägerin mit Ausdrücken wie Hure, Kanaille und Drecksau. Als die Klägerin im November 1986 bei einem Begräbnis Nachtwache hielt und erst gegen 20,30 Uhr nach Hause kam, empfing sie der Beklagte mit den Worten Hure, Kanaille, Praterhure. Die Klägerin versucht, diesen ständigen Auseinandersetzungen dadurch zu entgehen, daß sie etwa zweimal in der Woche Zuflucht bei ihrer Mutter oder ihrem jüngeren Sohn und dessen Ehefrau sucht. Bei diesen Besuchen, die oft bis 22 Uhr, gelegentlich auch bis 1 Uhr dauern, weint sich die Klägerin aus. Obwohl die Klägerin immer um saubere Wäsche bemüht ist und dem Beklagten auch immer saubere Wäsche in ausreichendem Maß zur Verfügung steht, streitet der Beklagte einerseits immer wieder mit der Klägerin darüber, wechselt aber andererseits die Wäsche zu wenig oft. Nach dem Empfinden der Klägerin sollte er sich auch öfter waschen. Beim Alkoholmißbrauch des Beklagten handelt es sich um einen Dauerzustand, wobei der Beklagte aber nicht im eigentlichen Sinn betrunken ist. Seit ca. einem Vierteljahr haben die Streitteile keinen sexuellen Kontakt mehr. Ursache hiefür sind die Beschimpfungen der Klägerin. Wenn der Beklagte die Klägerin auf das gröbste beschimpft hatte und kurze Zeit später den Wunsch nach einem Verkehr äußerte, lehnte die Klägerin ab, weil sie dies als unzumutbar empfand. Vor etwa 3 Wochen ist die Klägerin aus dem ehelichen Schlafzimmer ausgezogen. Auf die Vorwürfe und Beschimpfungen des Beklagten reagierte die Klägerin dadurch, daß sie ihn als teppert und als Trottel bezeichnete. Sie hat den Beklagten aber nie mißhandelt oder ihm Ohrfeigen gegeben. In der letzten Zeit wurde der Klägerin das Verhalten des Beklagten zuviel. Sie konnte den Geruch des Beklagten aufgrund seiner mangelnden Hygiene, sein dauerndes Husten, die Streitigkeiten und Beschimpfungen nicht länger ertragen und zog daher aus dem Schlafzimmer aus. Sie ist nicht gewillt, die Ehe mit dem Beklagten fortzusetzen.

Nach der Ansicht des Erstgerichtes verletze derjenige Ehegatte, der mißbräuchlich Alkohol konsumiere, insbesondere dadurch, daß er in alkoholisiertem Zustand zu Streitsucht neige und den anderen Ehegatten beschimpfe, die Pflicht zur anständigen Begegnung. Übermäßiger Alkoholkonsum, der zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Ehegatten, zu Beschimpfungen und anderen Exzessen führe, sei eine schwere Eheverfehlung. Der Beklagte habe durch seinen mißbräuchlichen Alkoholkonsum die Ehe unheilbar zerrüttet. Sein Mitschuldantrag sei nicht berechtigt. Bei den abendlichen Besuchen der Klägerin handle es sich nur um Familienbesuche, die überdies durch das Verhalten des Beklagten veranlaßt worden seien. Die vereinzelten Beschimpfungen des Beklagten seien nur eine gerechtfertigte Reaktion auf die vorangegangenen schweren Eheverfehlungen des Beklagten. Desgleichen könne der Klägerin die Verweigerung des Geschlechtsverkehrs nicht als Eheverfehlung angelastet werden. Da der Beklagte fast täglich alkoholisiert sei, liege ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen seinen Eheverfehlungen und der Verweigerung des Geschlechtsverkehrs durch die Klägerin vor. Es sei gerechtfertigt, daß sie den Geschlechtsverkehr verweigere, wenn sie kurze Zeit vor einem solchen Verlangen des Beklagten von diesem auf das gröblichste beschimpft worden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und teilte auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Eine Alkoholsucht erreiche nur dann den Grad einer geistigen Störung im Sinne des § 50 EheG, wenn sie trotz zumutbarer Anstrengungen vom Betroffenen nicht mehr beherrscht werden könne und daher die Einsicht in die Ehewidrigkeit des Verhaltens oder die Fähigkeit zu einem einwandfreien Verhalten erheblich beeinträchtigt sei. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hätte der Beklagte behaupten und beweisen müssen. Nach dem erwiesenen Sachverhalt habe die Alkoholsucht des Beklagten keinen solchen Grad erreicht. Da der Beklagte nicht nur nach der Entwöhnungskur, sondern auch im Zuge des Führerscheinentzugsverfahrens bis in die jüngste Zeit in der Lage gewesen sei, sein süchtiges Verhalten zeitweise willentlich zu steuern, sei ihm der Alkoholmißbrauch als Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG anzulasten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Beklagten ist nicht gerechtfertigt.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

Daß der Alkoholmißbrauch und die darauf beruhenden schweren Beschimpfungen des anderen Ehegatten schwere Eheverfehlungen darstellen, entspricht der ständigen Rechtsprechung (EFSlg. 43.610, 33.904, 31.650, 24.983; 1 Ob 512/82 uva). Dies wird von der Revision auch nicht in Frage gestellt. Unerheblich ist, daß der Klägerin die Neigung des Beklagten zum Alkoholmißbrauch schon bei der Eheschließung bekannt war, denn jeder Ehegatte darf vom anderen erwarten, daß dieser Neigungen, die ein gedeihliches Zusammenleben stören, unterdrückt (7 Ob 541/85; 7 Ob 242, 243/74 ua). Da ein fortgesetztes ehewidriges Verhalten als Einheit aufzufassen ist und daher der sich seit der Eheschließung steigernde Alkoholkonsum des Beklagten als ein dauerndes Fehlverhalten angesehen werden muß, kann auch von einer Verfristung nach § 57 Abs.1 EheG keine Rede sein (EFSlg. 48.812).

Richtig ist, daß unter geistiger Störung im Sinne des § 50 EheG nicht nur Geisteskrankheiten minderen Grades, sondern auch nervöse Störungen (Psychoneurosen, Zwangsneurosen) geistige Anomalien und schwere Trunksucht zu verstehen sind (EFSlg. 41.219; Pichler in Rummel ABGB Rz 2 zu § 50 EheG; Hoffmann-Stephan, EheG2 502; Godin, Ehegesetz2 184). Die Trunksucht muß jedoch einen solchen Grad erreicht haben, daß sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Willensbildung und -kontrolle führt (EFSlg. 41.219; Pichler aaO). Wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist aus dem erwiesenen Sachverhalt das Vorliegen einer solchen Trunksucht beim Beklagten nicht ableitbar. Da der Untersuchungsgrundsatz im Ehescheidungsverfahren nicht gilt (Fasching LB Rz 2340, 2355), wäre es, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, Sache des Beklagten gewesen, einen solchen Grad der Trunksucht zu behaupten und zu beweisen, der die obgenannten Voraussetzungen erfüllt. Dieser Beweis wurde aber nicht einmal angetreten.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E13602

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00518.88.0225.000

Dokumentnummer

JJT_19880225_OGH0002_0070OB00518_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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