TE OGH 1988/3/1 11Ns2/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.03.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.März 1988 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Horak, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Legradi als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rudolf D*** und Gerlinde M*** wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 2 StGB u.e.a.D. über den Antrag des Rudolf D*** auf Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem § 2 Abs. 1 lit. a und b StEG wegen seiner strafgerichtlichen Anhaltung im Verfahren 31 Vr 317/87 des Landesgerichtes Innsbruck nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Für die von Rudolf D*** in der Zeit vom 2.Februar 1987,

11.30 Uhr, bis 7.Mai 1987, 10.15 Uhr, erlittene strafgerichtliche Anhaltung im Verfahren 31 Vr 317/87 des Landesgerichtes Innsbruck liegen die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches nach dem § 2 Abs. 1 lit. a StEG nicht vor.

Zur (neuerlichen) Entscheidung über den Antrag des Rudolf D*** auf Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem § 2 Abs. 1 lit. b StEG werden die Akten dem Landesgericht Innsbruck zugemittelt.

Text

Gründe:

Das Landesgericht Innsbruck beschloß am 27.Jänner 1987 die Einleitung der Voruntersuchung gegen Gerlinde M*** und Rudolf D*** wegen der Verbrechen des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 2 StGB und des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 3 StGB. Die Genannten standen im Verdacht, zwischen 28.Oktober 1986 und 15.Jänner 1987 zwei vinkulierte Sparbücher des am 13.Jänner 1987 verstorbenen Richard K***, welche Gerlinde M*** widerrechtlich in ihren

Gewahrsam gebracht habe, in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken betrügerisch realisiert und dadurch Richard K*** bzw. seine Verlassenschaft, allenfalls die B*** F*** T*** U*** V***, um insgesamt 2,042.305,70 S geschädigt zu haben.

Da der Aufenthalt des Rudolf D*** unbekannt war, erließ das Landesgericht Innsbruck gegen den Genannten aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr einen Haftbefehl (ON 11). Auf Grund dieses Haftbefehls wurde Rudolf D*** am 2. Februar 1987, 21.30 Uhr, verhaftet (ON 17). Mit Beschluß vom 4. Februar 1987 verhängte das Landesgericht Innsbruck über Rudolf D*** gemäß dem § 180 Abs. 2 Z 1, 2 und 3 lit. b StPO die Untersuchungshaft (ON 19). Auf Grund eines Enthaftungsantrages (u.a.) des Beschuldigten Rudolf D*** entschied die Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck am 11.März 1987 (ON 31), daß die Untersuchungshaft über Rudolf D*** aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach dem § 180 Abs. 2 Z 1 und 3 lit. b und c StPO fortzudauern habe. Der gegen diesen Beschluß von Rudolf D*** erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 31.März 1987 keine Folge (ON 40). Die über Rudolf D*** verhängte Untersuchungshaft wurde erst auf Grund eines neuerlichen Antrages gegen gelindere Mittel nach dem § 180 Abs. 5 StPO und Leistung einer Sicherheit nach dem § 190 StPO aufgehoben und der Genannte am 7.Mai 1987, 10.15 Uhr, enthaftet (ON 18 und 54).

Die strafgerichtliche Anhaltung der Gerlinde M*** währte vom 27.Jänner 1987, 6.30 Uhr, bis 12.März 1987, 16.45 Uhr. Am 24.August 1987 gab die Staatsanwaltschaft Innsbruck die Erklärung ab (Seite 3 W dA u. V.Bogens), daß kein Grund zur weiteren Verfolgung der Beschuldigten Gerlinde M*** und Rudolf D*** gefunden werde (§ 109 StPO). Gleichzeitig beantragte die Anklagebehörde gemäß dem § 6 Abs. 1 StEG die Feststellung, daß ein Ersatzanspruch der beiden Beschuldigten für ihre durch die strafgerichtliche Anhaltung allenfalls eingetretenen vermögensrechtlichen Nachteile nicht bestehe, weil der Verdacht, daß die Genannten strafbare Handlungen begangen haben, nicht zur Gänze entkräftet worden (§ 2 Abs. 1 lit. b StEG) und der Ersatzanspruch auch deshalb ausgeschlossen sei, weil die beiden Beschuldigten den die Anhaltung begründenden Verdacht vorsätzlich herbeigeführt hätten (§ 3 lit. a StEG).

Am 25.September 1987 beantragte (ON 74) Rudolf D*** festzustellen, daß ihm eine Haftentschädigung zustehe, weil bei ihm "von allem Anfang an" kein dringender Tatverdacht bestanden habe bzw. dieser entkräftet worden sei, so daß die Voraussetzungen für eine Haftentschädigung nach dem § 2 Abs. 1 lit. b StEG gegeben seien. Ausschließungsgründe im Sinn des § 3 StEG lägen nicht vor. Mit Beschluß vom 4.November 1987 sprach hierauf die Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck aus (ON 80), daß u.a. Rudolf D*** für die durch seine strafgerichtliche Anhaltung entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile ein Anspruch auf Ersatz gegen den Bund gemäß dem § 2 Abs. 1 lit. b StEG nicht zustehe, weil der bestehende Tatverdacht nicht vollkommen entkräftet worden sei. Das Oberlandesgericht Innsbruck gab mit Beschluß vom 22. Dezember 1987 (ON 83) der Beschwerde des Rudolf D*** gegen diesen Beschluß der Ratskammer Folge, verfügte die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich Rudolf D*** und trug dem Erstgericht auf, die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den Antrag des Rudolf D*** auf Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem § 2 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 StEG vorzulegen.

In der Begründung seiner Entscheidung wies das Oberlandesgericht Innsbruck darauf hin, daß Rudolf D*** seinen Entschädigungsantrag (ON 74) und auch seine Beschwerde (ON 82) inhaltlich eindeutig damit begründet habe, daß die Untersuchungshaft bei ihm ohne Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes von der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck verhängt und vom Oberlandesgericht Innsbruck verlängert worden sei. Damit behaupte er der Sache nach nicht nur eine gesetzwidrige Anhaltung, sondern auch eine gesetzwidrige Verlängerung einer strafgerichtlichen Anhaltung gemäß dem § 2 Abs. 1 lit. a StEG. Über einen solchen Antrag habe jedoch gemäß dem § 6 Abs. 1, erster Satz, StEG der Oberste Gerichtshof in erster (und letzter) Instanz zu erkennen. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, daß der inhaltlich auf § 2 Abs. 1 lit. a StEG gestützte Antrag "formell den Anspruchsgrund des § 2 Abs. 1 lit. b StEG geltend macht".

Dem Auftrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof kam das Landesgericht Innsbruck mit Übersendungsnote vom 5.Jänner 1988 nach.

Rechtliche Beurteilung

Der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichtes Innsbruck über die sich aus seinem Beschluß vom 31.März 1987 (ON 40) über die Verlängerung der vom Landesgericht Innsbruck angeordneten Untersuchungshaft ergebende Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofes ist beizutreten (vgl. 11 Os 112/86, 12 Ns 2/87 u.a.). Eine gesetzwidrige Anordnung oder Verlängerung der Untersuchungshaft des Rudolf D*** ist jedoch nicht gegeben. Es kann im Ergebnis nicht mit Grund gesagt werden, daß das Landesgericht Innsbruck bzw. das Oberlandesgericht Innsbruck die Haft ohne gesetzliche Grundlage oder gegen eine zwingende gesetzliche Anordnung (§ 193 Abs. 2 StPO) verhängt oder aufrecht erhalten (verlängert) hätten.

Die Anordnung oder Verlängerung einer strafgerichtlichen Anhaltung ist nicht gesetzwidrig, wenn während der Haft sowohl ein dringender Tatverdacht - der Begehung irgendeiner gerichtlich strafbaren Handlung - bestand und ein entsprechender Haftgrund vorlag. Dabei ist auf den Erhebungsstand im Zeitpunkt der Beschlußfassung (über die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung der Haft) abzustellen (vgl. NRsp. 1988/11).

Die Bankbeamtin Gerlinde M*** hatte im Laufe des Verfahrens u.a. behauptet, der 94-jährige, sehbehinderte, langjährige Bankkunde Richard K*** habe ihr die beiden verfahrensgegenständlichen Sparbücher geschenkt. Doch sprachen - wie das Landesgericht und das Oberlandesgericht Innsbruck (vgl. ON 31, 40, 83) richtig erkannten -, eine Reihe von Indizien gegen diese Verantwortung. Schon nach der Persönlichkeit des verstorbenen Richard K*** (wie sie von Ing. Anton F***, Mag. Richard B***, Martha P*** und Rosa S*** vor der Polizei

beschrieben wurde) war es äußerst unwahrscheinlich, daß Richard K*** die beträchtlichen Vermögenswerte ohne jeden

ersichtlichen gewichtigen Grund und ohne sich darüber Aufzeichnungen zu machen, Gerlinde M*** geschenkt hätte. Dazu kam noch, daß sich Gerlinde M*** in hohem Maße dadurch verdächtig gemacht hatte, daß sie gegenüber dem Erben Ing. Anton F*** zunächst Ausflüchte über das Verschwinden der Sparbücher suchte und selbst ihrem Vorgesetzten in der Bank und sogar den vernehmenden Polizeibeamten gegenüber lange Zeit den Besitz dieser Sparbücher hartnäckig leugnete. Ein solches Verhalten legte den Verdacht nahe, daß Gerlinde M*** auf unredliche Weise in den Besitz der Sparbücher gekommen war.

Auch die von dem arbeits- und - entgegen seiner

Behauptung - vermögenslosen (vgl. den Bericht der PolDion Innsbruck vom 17.2.87, ON 23) sowie verschuldeten Lebensgefährten der Gerlinde M***, dem einschlägig vorbestraften (vgl. S 77) Rudolf D*** im Einverständnis mit Gerlinde M*** veranlaßte Auflösung eines der beiden Sparbücher bei der B*** F*** T*** U*** V*** in Innsbruck am Tag der Beerdigung des verstorbenen Richard K***, und zwar nicht durch ihn selbst, sondern durch zwei (nicht näher informierte) Angestellte einer B***-Filiale in Innsbruck (S 81 ff) und seine dieser Auflösung vorangegangenen, zugegebenermaßen unwahren Angaben gegenüber einem weiteren Beamten dieser Bankfiliale (Zeuge Leonhard T***, S 167 f) vermochten nicht nur - als weitere mögliche Verschleierungsaktionen - diesen Verdacht gegen Gerlinde M*** zu nähren, sondern vor allem auch den der Mittäterschaft des Rudolf D*** zu begründen; dies umsomehr, als neben dem als auffällig rasch deutbaren ("plötzlicher großzügiger Lebensstil", S 84) gemeinsamen Verbrauch des aus dem ersten aufgelösten Sparbuch stammenden Guthabens von 488.000 S innerhalb von nur ca. einem Monat (vgl. u.a. S 104), das Guthaben aus dem zweiten Sparbuch in der Folge u.a. auf mehrere anonyme Sparbücher und Bankschließfächer in der B*** F*** T*** U*** V*** aufgeteilt wurde (vgl. u.a. die Seiten 84, 106, 172) und Rudolf D*** sich kurz darauf mit von Gerlinde M*** zur Verfügung gestellten Geldern ins Ausland begab. Da sich Rudolf D*** überdies nach seiner Rückkehr hinsichtlich der Verwendung der verfahrensgegenständlichen Geldbeträge in Widersprüche mit den Angaben der Gerlinde M*** verwickelte (vgl. S 169, 193 ff), war entgegen den Behauptungen in seinem "Antrag auf Haftentschädigung" (ON 74) und in seiner Beschwerde (ON 82) sowohl im Zeitpunkt der Haftverhängung als auch der Verhängung der Haft ein dringender Tatverdacht im Sinne einer höheren Wahrscheinlichkeit indiziert, daß er die u.a. ihm angelasteten Straftaten auch tatsächlich verübt hatte.

Daß die Anordnung und die Fortsetzung der Haft rechtfertigende Haftgründe nicht vorlagen, wurde von Rudolf D*** in seinen die Frage der Haftentschädigung betreffenden Schriftsätzen nicht behauptet und ist der Aktenlage auch nicht zu entnehmen. Mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen nach dem § 2 Abs. 1 lit. a StEG war daher spruchgemäß zu entscheiden. Ob Rudolf D*** für die durch seine strafgerichtliche Anhaltung allenfalls entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile ein Anspruch auf Ersatz gegen den Bund gemäß § 2 Abs. 1 lit. b StEG zusteht, weil der dargelegte Tatverdacht in der Folge "entkräftet" wurde, wird die Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck (neuerlich) zu prüfen haben (§ 6 Abs. 2 StEG). Die Auffassung des Oberlandesgerichtes Innsbruck, daß sich Rudolf D*** nur "formell" auf den Anspruchsgrund des § 2 Abs. 1 lit. b StEG berufen habe, ist weder durch den Wortlaut des Antrages (vgl. dagegen S 388 unten) noch den der Beschwerde (vgl. S 422, 423) gedeckt.

Anmerkung

E13449

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0110NS00002.88.0301.000

Dokumentnummer

JJT_19880301_OGH0002_0110NS00002_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten