TE OGH 1988/5/18 3Ob521/87

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Veröffentlicht am 18.05.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Dr.Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Franz S***, praktischer Arzt, Friedrich Hebbel Gasse 4, 8010 Graz, vertreten durch Dr.Siegfried L***, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Dr.Helene S***, praktische Ärztin, Gentzgasse 109, 1180 Wien, vertreten durch Dr.Franz G***, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 240.000,-- sA, infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 26.Jänner 1987, GZ 4 R 448/86-47, womit das Urteil des Bezirkgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 18.Juli 1986, GZ 28 C 107/85-41, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Rekursen beider Teile wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei auch die mit S 30.956,65 (darin an Barauslagen S 10.000,-- und Umsatzsteuer S 1.905,15) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte überließ ihre Arztordination in Graz, Friedrich Hebbel Gasse 4, im Jahr 1984 dem Kläger, der dort seither seine ärztliche Praxis ausübt. Der Kläger bezahlte der Beklagten am 1. Juli 1984 auf den vereinbarten Betrag von S 400.000,-- zuzüglich S 80.000,-- Umsatzsteuer nur S 360.000,--. Der Beklagten wurde auch S 80.000,-- an Umsatzsteuer durch eine Umbuchung gutgeschrieben. Mit der am 7.Februar 1985 erhobenen Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung von S 240.000,--, weil die Vereinbarung, daß der Kläger der Beklagten für die Überlassung der Arztordination samt Einrichtung und Patientenkartei S 400.000,-- zuzüglich S 80.000,-- Umsatzsteuer bezahle, nach § 27 MRG insoweit ungültig und verboten sei, als die Vormieterin keine gleichwertige Gegenleistung erbrachte. Die dem Kläger überlassenen Fahrnisse seien höchstens S 120.000,-- wert. Er fordere daher nach § 27 Abs. 3 MRG die Mehrzahlung von S 240.000,-- zurück.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der mit S 400.000,-- zuzüglich der Umsatzsteuer vereinbarte Betrag sei das Entgelt für die Veräußerung des Unternehmens als Gesamtsache gewesen. Es handle sich nicht um eine unzulässige Ablöse für die Aufgabe des Mietrechts oder sonst eine verbotene Vereinbarung nach § 27 MRG.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest:

Die Beklagte übernahm mit 1.Jänner 1979 die Ordinationsräume in einem Mietgegenstand des Hauses Friedrich Hebbel Gasse 4 in Graz, bezahlte an ihren Vormieter S 310.000,-- Ablöse und war bis zum 1. Juli 1984 Mieterin der Ordinationsräumlichkeit, wo sie an durchschnittlich 10 Wochenstunden als praktische Ärztin ordinierte und bei steigenden Honorareingängen zuletzt S 126.000,-- Jahresgewinn erziehlte. Sie hatte im Quartal 300 bis 400 Gebietskrankenkassenpatienten. Vor Aufnahme ihrer Praxis mußte die Beklagte Adaptierungsarbeiten vornehmen lassen.

Der Kläger übernahm die Ordination mit Einrichtungsgegenständen, die damals einen Zeitwert von rund S 104.000,-- hatten, und die Patientenkartei und nahm auf der Planstelle der Gebietskrankenkasse, die nun ihm zur Verfügung steht, seinen Betrieb der ärztlichen Praxis auf. Die Beklagte übersiedelte nach Wien. Der Wert der Investitionen hat bei der Übergabe an den Kläger rund S 172.000,--, der Firmenwert S 12.000,-- und der Wert des immateriellen Wirtschaftsgutes (Räume und Lage) S 100.000,-- betragen. Auf Grund dieser Feststellungen kam das Erstgericht zu dem Ergebnis seiner rechtlichen Beurteilung, daß keine "verbotene Ablöse" im Sinne des § 27 MRG vorliege, sondern der für das Unternehmen als Gesamtsache vereinbarte Kaufpreis angemessen sei, weil er mit S 400.000,-- nur wenig über dem mit rund S 382.000,-- ermittelten Wert des lebenden Unternehmens liege. Die Arztordination sei als organisatiorische Einheit ein Unternehmen. Eine Aufgliederung des Unternehmenswertes in die einzelnen Bestandteile sei abzulehnen. Es sei nicht das Mietrecht, sondern die Gesamtsache veräußert worden. Es liege auch kein Mißverhältnis im Sinne des § 934 ABGB vor. Ein Rückforderungsanspruch des Klägers bestehe nicht. Das Berufungsgericht hob über Berufung des Klägers das Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Das Berufungsgericht übernahm die vom Kläger bekämpften Tatsachenfeststellungen als unbedenklich und ging bei seiner rechtlichen Beurteilung von diesem Sachverhalt aus: Für seine Zahlung habe der Kläger als Gegenleistung die Einrichtungsgegenstände im Wert von S 104.293,--, die Aufwendungen von S 172.420,42, den Firmenwert von S 12.000,-- und die "immateriellen Wirtschaftsgüter" im Wert von S 100.000,-- als Gegenleistung erhalten. Dafür, daß die Beklagte auf ihre Planstelle als Vertragsarzt der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte verzichtete und diese Planstelle an den Kläger übergeben wurde, könne ebensowenig ein Geldwert angesetzt werden, wie für die Überlassung der Kartei und der Befunde der Patienten. Wenn auch nach den Grundsätzen der Betriebswirtschaftslehre der Wert des Mietrechtes und des Standortes als immaterielles Anlagevermögen in den Sachwert des Unternehmens einzubeziehen sei, so sei doch nach § 27 Abs. 1 Z 1 MRG ein Vertrag, wonach der neue Mieter dem früheren Mieter dafür etwas zu leisten hat, daß der frühere Mieter den Mietgegenstand aufgibt, ungültig und verboten. Daß der Mietgegenstand, in welchem die Artzordination eingerichtet ist, vom Geltungsbereich des MRG ausgenommen sei, habe niemand behauptet. Es sei daher die Vereinbarung der Streitteile soweit ungültig und verboten, als der Kläger der Beklagten für die Überlassung des Mietrechts eine Ablöse zu entrichten habe. Dagegen könne die Leistung nicht zurückgefordert werden, der eine gleichwertige Gegenleistung der Beklagten gegenüberstehe, also die Einrichtung, die Investitionen und der Firmenwert (zusammen S 288.713,42 ohne Umsatzsteuer). Ob der Kläger von seiner Mehrleistung (= S 71.286,58) etwas zurückfordern könne, hänge davon ab, ob der Beklagten der Ersatz der Auslagen gebühre (§ 27 Abs. 1 Z 1 MRG), die sie zur Übersiedlung und zur Beschaffung eines gleichartigen Ersatzes aufwenden mußte. Die Beklagte habe in erster Instanz vorgebracht, daß sie dem Anspruch auf Rückforderung des Geleisteten ihre Übersiedlungskosten und den Aufwand für die Beschaffung der Räume für ihre Ordination in Wien entgegenhalten könne, sie habe aber die Höhe dieser Kosten nicht angegeben und keine Beweise angeboten. Obwohl die Abweisung eines Teilbetrages (= S 168.713,42) berechtigt sei, müsse von der Bestätigung als Teilurteil Abstand genommen werden. Es sei unzweckmäßig, vor Feststellung, mit welchem Betrag die zu Gunsten des Klägers umgebuchte Umsatzsteuer von S 80.000,-- als Zahlung anzurechnen sei, das Teilurteil zu fällen. Der Frage, ob ein Entgelt für die Überlassung des Standortes einer Arztordination als unzulässige Ablöse des Mietrechts nach § 27 MRG zu werten sei, komme über den Einzelfall hinaus die erhebliche Bedeutung nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zu.

Den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes bekämpfen beide Parteien mit dem nach § 519 Abs. 1 Z 3 und Abs. 2 ZPO zulässigen Rekurs. Die Rechtsmittel sind im Ergebnis auch berechtigt, weil die Streitsache zur Entscheidung reif und daher über die Rekurse durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen ist.

Der Kläger wendet sich gegen den Auftrag des Berufungsgerichtes, die Beklagte zu ergänzendem Vorbringen zu den Kosten der Übersiedlung und der Ersatzbeschaffung anzuleiten und diese Frage mit den Parteien zu erörtern, weil die Beklagte nicht behauptet habe, daß ihr Kosten für die Übersiedlung oder Beschaffung von Ersatzräumlichkeiten entstanden; er beharrt weiter auch darauf, daß die Beklagte keine anrechenbaren Gegenleistungen für den Teilbetrag von S 240.000,-- der geleisteten Zahlung erbracht habe. Die Beklagte zielt darauf ab, daß in der Sache selbst die erstgerichtliche Abweisung des Klagebegehrens wieder hergestellt werde, weil sie ihr Unternehmen zu einem angemessenen Preis an den Kläger veräußert habe und eine Zerlegung in Einzelwerte nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger hatte für die Überlassung der Arztordination S 400.000,-- und die Umsatzsteuer zu leisten und damit einen Kaufpreis für das von der Beklagten an ihn veräußerte Unternehmen. Die Vorinstanzen haben richtig erkannt, daß eine bis zur Übergabe wenn auch nur mit 10 Ordinationsstunden in der Woche betriebene ärztliche Praxis als selbständige, organisierte Erwerbsgelegenheit ein Unternehmen bildet, das zu den Gesamtsachen gezählt wird (Koziol-Welser, Grundriß7 II 15 mwH). Als Unternehmen gilt auch eine freiberufliche Tätigkeit (Zingher MG18 108), so auch die eines Arztes oder Rechtsanwalts (EvBl 1969/408 = ImmZ 1970, 10). Der Wert des Unternehmens wird nicht durch seine einzelnen Bestandteile bestimmt, sondern auch durch nicht faßbare Elemente wie die Besonderheit der Lage, das Vertrauen der Vertragspartner und die davon abhängige Verdienstmöglichkeit (SZ 45/123; SZ 52/117); bei der Arztpraxis kommt allerdings der Person des Arztes und den in ihn gesetzten Erwartungen eine besondere Bedeutung zu, ihr Wechsel kann eine Ausweitung oder Einschränkung des Unternehmensumfanges mit sich bringen. Bei der entgeltlichen Übertragung des Unternehmens "Arztpraxis" liegt nach Inkrafttreten des Mietrechtsgesetzes ein Fall des § 12 Abs. 3 MRG vor, so daß die Hauptmietrechte am Mietgegenstand, der hier offenbar auch nicht teilweise als Wohnung, sondern nur als Geschäftsräumlichkeit Verwendung fand (§ 16 Abs. 1 Z 1 MRG), samt der Verpflichtung zur Zahlung des Mietzinses auf den Unternehmenserwerber übergegangen sind. Der Vermieter konnte allerdings die Erhöhung des Hauptmietzinses auf den für den Mietgegenstand nach Größe, Art, Beschaffenheit, Lage, Ausstattungs- und Erhaltungszustand angemessenen Betrag begehren, wenn der bisherige Hauptmietzins niedriger war. Einer Zustimmung des Vermieters bedurfte der Mietrechtsübergang nicht (§ 12 Abs. 3 MRG). Nach dem den § 17 Abs. 1 lit. a erster Halbsatz MG gleichlautend übernehmenden § 27 Abs. 1 Z 1 erster Halbsatz MRG sind Vereinbarungen ungültig und verboten, wonach der neue Mieter dafür, daß der frühere Mieter den Mietgegenstand aufgibt oder sonst ohne gleichwertige Gegenleistung dem Vermieter, dem früheren Mieter oder einem anderen etwas zu leisten hat. Verpönt sind also Vereinbarungen, wonach der neue Mieter dem früheren Mieter (oder einem anderen) für die bloße Aufgabe der Mietrechte oder sonst ohne gleichwertige Gegenleistung (des früheren Mieters) Leistungen zu erbringen hat (vgl. Ohmeyer in JBl 1931, 493 f; Swoboda, Kommentar zum Mietengesetz2, 168, Würth in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 227 MRG; MietSlg. 28.273 ua). Wesentlich ist, daß die Leistung in Ausnutzung des Vermögens- und Seltenheitswertes des Mietrechtes gefordert und gegeben wird (Ohmeyer aaO), daß eine (annähernd) gleichwertige Gegenleistung des früheren Mieters fehlt (Würth aaO). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat sich vom Kläger nicht eine Leistung für die Aufgabe ihrer Mietrechte oder sonst ohne gleichwertige Gegenleistung versprechen und (teilweise) geben lassen. Die Parteien haben vielmehr einen Kaufpreis für die als Gesamtsache im weiteren Sinn (Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 302) anzusehende Arztordination ausgehandelt und ohne Zergliederung auf die einzelnen meist gar nicht faßbaren Bestandteile des Unternehmens vereinbart. Der Beklagten ist beizupflichten, daß bei der Veräußerung des Unternehmens die spätere Zerstückelung des Kaufpreises und die Herauslösung eines auf die Überlassung der Mietrechte entfallenden Teils nicht stattzufinden hat. Wird ein Unternehmen in einem Mietgegenstand betrieben, so gehören auch die Mietrechte zum Unternehmen, und der Gesetzgeber setzt im § 12 Abs. 3 MRG als selbstverständlich voraus, daß mit der Veräußerung des Unternehmens auch die mit diesem verbundenen Mietrechte auf den Erwerber, der das Unternehmen im Bestandgegenstand weiterführt, übergehen. Damit können auch die Mietrechte im Kaufpreis Niederschlag finden, wenn nicht nur geradezu zum Schein eine Unternehmensveräußerung vorgeschützt wird und in Wahrheit nur eine Übertragung der Mietrechte beabsichtigt ist, so daß § 12 Abs. 3 MRG nicht anzuwenden und eine verbotene Vereinbarung nach § 27 Abs. 1 Z 1 MRG anzunehmen ist. Davon kann aber nicht die Rede sein, wenn die Beklagte wegen ihrer Übersiedlung nach Wien ihre Arztordination mit der Einrichtung, den von ihr zur Adaptierung getätigten Aufwendungen und der Patientenkartei entgeltlich auf den Kläger übertragen hat, und nach dem erhobenen Sachverhalt ihre Gegenleistungen dem vereinbarten Kaufpreis nahekommen (vgl. MietSlg. 16.270).

In dieser Unternehmensveräußerung kann daher eine nach § 27 Abs. 1 Z 1 MRG verbotene und unwirksame Ablösevereinbarung nicht erblickt werden, so daß dem Kläger kein Rückforderungsanspruch zusteht.

Die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichtes über den Rekurs beider Teile gegen den Aufhebungsbeschluß führt zur Kostenersatzpflicht des Klägers auch im Rechtsmittelverfahren (§§ 41 und 50 ZPO).

Anmerkung

E14146

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0030OB00521.87.0518.000

Dokumentnummer

JJT_19880518_OGH0002_0030OB00521_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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