TE OGH 1988/9/7 3Ob523/88

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Veröffentlicht am 07.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Mario S***, Schüler, Wien 22,

Rennbahnweg 27/16/18, vertreten durch den Vater Josef S***, Angestellter, ebendort wohnhaft, dieser vertreten durch Dr. Peter Rudeck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Walter S***, Angestellter, Wien 22, Rennbahnweg 27/44/16, vertreten durch Dr. Romeo Nowak, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlichen S 180.000,-- sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 22. Dezember 1987, GZ 12 R 243/87-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Juli 1987, GZ 13 Cg 50/86-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es unter Einbeziehung der rechtskräftig gewordenen teilweisen Abweisung des Klagebegehrens zu lauten hat:

"1.) Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger (= früher Erstkläger)

S 100.000,-- samt 4 % aus S 32.000,-- vom 15. Februar 1986 bis 13. Mai 1987 und aus S 100.000,-- seit 14. Mai 1987 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2.) Es wird festgestellt, daß der Beklagte dem Kläger für alle zukünftigen Folgen aus dem Vorfall vom 31. Dezember 1984 haftet.

3.) Das Klagemehrbegehren, der Beklagte sei schuldig, dem Kläger weitere S 100.000,-- samt 4 % Zinsen seit 14. Mai 1987 und 4 % Zinsen aus S 32.000,-- auch für die Zeit vom 10. bis 14. Februar 1986 zu bezahlen, sowie auf Feststellung der Haftpflicht des Beklagten für sämtliche Folgen des Vorfalls vom 31. Dezember 1984 wird abgewiesen."

Der Beklagte ist ferner schuldig, dem Kläger die mit S 19.903,17 (darin S 1.011,03 Umsatzsteuer und S 8.342,29 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 9.466,10 (darin S 857,10 Umsatzsteuer und S 38,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 15.657,85 (darin S 514,35 Umsatzsteuer und S 10.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte gab am 31. Dezember 1984 gegen Mitternacht in seiner Wohnung aus Anlaß des Silvesterabends etwa fünf Schüsse aus seinem Revolver ab. Einer der Kugeln drang durch das Fenster zum Kinderzimmer einer anderen Wohnung und schlug 50 cm über dem darin stehenden Bett ein, in dem der damals sechsjährige Kläger schlief. Der Beklagte wurde rechtskräftig wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB verurteilt, weil er durch das geschilderte Verhalten eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit des Klägers herbeiführte. Der Kläger begehrt vom Beklagten zuletzt die Bezahlung eines Schmerzensgeldes von S 200.000,-- sA und außerdem die Feststellung, daß der Beklagte für alle Folgen aus dem Vorfall vom 31. Dezember 1984 zu haften habe. Der Vorfall habe bei ihm einen schweren Schock, eine psychoreaktive Krise und nach wie vor anhaltende Angstzustände verursacht.

Der Beklagte bestritt, daß sein Verhalten für psychische Schäden des Klägers kausal gewesen sei. Allfällige psychische Schäden des Klägers könnten nur dadurch hervorgerufen worden sein, daß ihn sein Vater oder dessen Ehegattin den Vorfall in einer pädagogisch und psychologisch nicht vertretbaren Art und Weise zur Kenntnis gebracht hätten und die Beschwerden des Klägers somit nicht durch das Einschlagen des Projektils, sondern durch die Verhaltensweise anderer Personen verursacht worden seien.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit S 180.000,-- sA und dem Feststellungsbegehren statt und wies das auf Bezahlung von weiteren S 20.000,-- sA gerichtete Leistungsmehrbegehren ab. Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch folgendes fest:

Beim Kläger finden sich seit dem Vorfall von Silvester 1984 im Bereich der Emotionalität und Sozialisation deutliche Hinweise einer intrapsychischen Irritation. Im Vordergrund des Bereiches der Emotionalität steht Angstsymptomatik. Seine Ängste und Befürchtungen entbehren nicht ihres realen Hintergrundes. Er hat konkrete Ängste vor Bedrohung und Gewalt sowie existenzielle Befürchtungen, die nicht der Normentwicklung eines Kindes entsprechen. Im Sozialisationsbereich weist er unübliche, nicht dem Leben entsprechende Verhaltensweisen auf. Er bedarf einer über das übliche Maß hinausgehenden Betreuung, er kann und darf nicht alleine gelassen werden und er reagiert auf Versuche von Training (gemeint wohl: Trennung) mit Panikreaktionen. Solche Panikreaktionen gehen mit vegetativ körperlicher Symptomatik, wie Schlafstörungen, Herzjagen, vermehrtem Schwitzen und Magen- und Darmsymptomen, einher. Diese Zustände sind beim Kläger gegeben und werden von ihm nicht agraviert. Auslöser seiner seelischen Irritation war nicht das unmittelbare Geschehen des Schusses, sondern erst die am nächsten Tag durchgeführten Spurensicherungen und Einvernahmen durch die Beamten wie auch Befragungen durch Journalisten haben den Kläger traumatisiert. Es besteht aus seiner Bearbeitungs- und Verarbeitungsmöglichkeit ein medizinisch kausaler Zusammenhang zwischen dem Geschehen und der nachfolgend notwendigen Aufdeckung. Bei dem Ereignis handelt es sich um eine akute pathologische Erlebnisreaktion. Der Irritationszustand ist bis zum heutigen Tag nicht abgeklungen. Im Rahmen der seelischen Irritationen können gerafft drei Tage starke, 31 Tage mittelstarke und insgesamt 180 Tage leichte Schmerzen angenommen werden.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß das Verhalten des Beklagten für die seelischen Leiden des Klägers kausal gewesen sei, wenngleich der Kläger möglicherweise nicht schon durch den Schuß irritiert worden sei; es seien aber die Befragung nach dem Auffinden des Projektils und die Verarbeitung des Sachverhaltes dem Beklagten zuzurechnen. Als Schmerzensgeld seien S 180.000,-- angemessen.

Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung des Beklagten das Urteil des Erstgerichtes im Sinn der vollständigen Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt. Schmerzengeld sei nur im Zusammenhang mit einer Körperverletzung zu bezahlen. Eine bloß seelische Alteration oder Irritation, die sich als Folge einer psychischen Beeinträchtigung darstelle, sei keine Körperverletzung und es sei für solche rein seelische Nachteile Schmerzengeld nicht zu bezahlen. In dem hier zu entscheidenden Fall sei auf Grund des gemäß § 281 a ZPO ergänzten Sachverhaltes davon auszugehen, daß der Kläger den vom Beklagten abgegebenen Schuß nicht wahrgenommen und die mit dem Eindringen des Projektils in die Mauer verbundene Gefahr nicht zu erkennen vermocht habe. Zu einem unmittelbar durch den Schuß ausgelösten Schockerlebnis sei es daher nicht gekommen. Es hätten aber auch die nachfolgenden Ereignisse im Zusammenhang mit der Aufklärung und der journalistischen Aufbereitung des Vorfalles keine Körperverletzung des Klägers bewirkt, fehle es doch an greifbaren Anzeichen einer Nerven-, Geistes- oder Gemütskrankheit oder einer anderen gleichwertigen psychischen Störung. Die beim Kläger anzutreffende Angstsymptomatik sei eine rein intrapsychische Irritation, weshalb der Beklagte Schmerzengeld nicht zu bezahlen und für allenfalls in Zukunft auftretende Schäden nicht einzustehen habe. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der vollständigen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Zu den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit wird ausgeführt, daß das Berufungsgericht bei der rechtlichen Beurteilung nicht von dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt ausgegangen sei. Mit diesen Ausführungen werden die angeführten Revisionsgründe daher nicht geltend gemacht, sondern es sind auch sie der Rechtsrüge zuzuordnen, weshalb hierauf im folgenden Bedacht genommen wird. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß Schmerzengeld gemäß § 1325 ABGB nur dem gebührt, der an seinem Körper verletzt wurde. Es sah jedoch den Begriff der körperlichen Verletzung zu eng. Darunter ist nicht nur eine Beeinträchtigung der körperlichen, sondern auch eine solche der geistigen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen (EvBl 1983/82 mwN). Es ist daher in der Rechtsprechung unbestritten, daß auch für massive Einwirkungen in die psychische Sphäre Schmerzengeld gebührt. Nur Einwirkungen, die bloß Unlustgefühle auslösen, welche das seelische Wohlbefinden beeinträchtigen, sind keine Gesundheitsverletzungen (EvBl 1983/82). Störungen der Gehirn- und Nervenfunktionen wurden hingegen als eine körperliche Verletzung gewertet (Schockzustand: RZ 1977/12 Streß: RZ 1979/24). Nach Ansicht des erkennenden Senates stellen seelische Beschwerden jedenfalls dann eine körperliche Verletzung im Sinn der angeführten Bestimmung dar, wenn sie mit körperlichen Symptomen einhergehen, die als Krankheit anzusehen sind.

Der Kläger macht in der Revision zutreffend geltend, daß bei ihm nicht bloß geringfügige psychische Einwirkungen, die das seelische Wohlbefinden beeinträchtigen, gegeben sind, sondern daß eine lang andauernde Angstsymptomatik besteht, die Veränderungen der körperlichen Funktionen, wie Schlafstörungen, Herzjagen, vermehrtes Schwitzen sowie Magen- und Darmsymptome, und damit körperliche Symptome mit Krankheitswert zur Folge hat. Das Berufungsgericht hat dabei die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, wonach sich beim Kläger keine greifbaren Anzeichen einer Nerven-, Geistes- oder Gemütskrankheit oder einer anderen gleichwertigen seelischen Störung finden, offensichtlich mißverstanden, weil damit, wie sich aus den folgenden Ausführungen (Vorliegen eines "Aktualtraumas") eindeutig ergibt, nur anlagebedingte derartige Leiden gemeint waren.

Beim Kläger liegt daher eine Verletzung des Körpers vor, die einen Anspruch auf Schmerzengeld gibt, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind (ebenso für den Fall der Schlaflosigkeit und von Aufregungszuständen schon ZBl. 1937/114). Zu diesen Voraussetzungen gehört, daß das Verhalten des Schädigers rechtswidrig und schuldhaft war und daß die Körperverletzung durch sein Verhalten adäquat herbeigeführt wurde.

Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten ergibt sich hier schon aus der Tatsache, daß er die körperliche Unversehrtheit des Klägers und damit ein absolut geschütztes Rechtsgut verletzte (SZ 51/89), sein Verschulden steht auf Grund des die Gerichte gemäß § 268 ZPO bindenden verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses fest und die Ursächlichkeit seines Verhaltens für die Verletzung des Beklagten wurde durch das Erstgericht festgestellt. Zu prüfen bleibt also die Adäquität des durch das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Beklagten herbeigeführten Erfolges. Sie ist gegeben, wenn mit dem Erfolg in abstrakto gerechnet werden mußte. Hat jemand einen Schaden verursacht und liegen die übrigen Voraussetzungen für die Schadenersatzpflicht vor, so haftet er nur dann nicht, wenn es sich um einen atypischen Erfolg handelt (ZVR 1984/37; ZVR 1984/93 ua), wenn also der Erfolg nur durch eine ganz außergewöhnliche Verkettung von Umständen eingetreten ist (SZ 54/108; JBl 1986, 98 ua). Dieser Fall ist hier jedoch nicht gegeben.

Die Körperverletzung des Beklagten wurde nach den vom Berufungsgericht ergänzten Feststellungen zwar nicht unmittelbar durch den Schuß, sondern durch die hiedurch veranlaßte polizeiliche Einvernehmung des Klägers und Befragung durch Journalisten verursacht. Beides kann aber noch nicht als atypische Folge des Verhaltens des Beklagten angesehen werden und damit ist auch die hiedurch verursachte Körperverletzung kein atypischer Erfolg. Ob der Beklagte damit gerechnet hat oder damit rechnen mußte, ist ohne Bedeutung (ZVR 1977/58; ZVR 1986/37 ua).

Nicht zielführend sind die Ausführungen des Beklagten in der Revisionsbeantwortung, wonach die seelischen Leiden des Klägers auf das pädagogische Fehlverhalten seines Vaters zurückgingen, mit dem er nicht habe rechnen können. Er geht dabei nicht von den Feststellungen des Erstgerichtes aus, aus denen sich eine andere Ursache für die Leiden des Klägers ergibt. Sollte der dem Kläger entstandene Schaden durch das Verhalten von vom Beklagten verschiedenen Personen mitverursacht worden sein, so würde dies gemäß § 1302 ABGB nichts daran ändern, daß der Beklagte dem Kläger den gesamten Schaden zu ersetzen hat.

Der Beklagte hat dem Kläger daher ein angemessenes Schmerzengeld zu bezahlen. Für dessen Bemessung sind nicht allein die Dauer und Intensität der Schmerzen, sondern auch die Schwere der Verletzungen sowie das Maß der psychischen und physischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes maßgebend (ZVR 1983/125 uva). Unter diesem Gesichtspunkt und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des hier zu entscheidenden Falles scheint dem Obersten Gerichtshof zur Abgeltung der bisher aufgetretenen und der zukünftigen, schon vorhersehbaren (vgl. ZVR 1986/77 ua) Schmerzen ein Schmerzengeld von S 100.000,-- als angemessen. Dieses war dem Kläger daher zuzusprechen, wobei Verzugszinsen gemäß § 1334 ABGB erst nach dem Tag der Einmahnung, hier also der Zustellung der Klage, gebühren (Wolff in Klang2 VI 173; Ehrenzweig2 II 300; Mayrhofer, Schuldrecht 370; GlU 11.035).

Da die Irritationszustände des Klägers bis heute nicht abgeklungen und daher derzeit noch nicht absehbare Spätfolgen nicht auszuschließen sind, ist auch das Feststellungsbegehren des Klägers berechtigt, wobei allerdings nur die Feststellung der Schadenersatzpflicht des Beklagten für zukünftige Schäden begehrt werden kann (ZVR 1985/51 ua). Das darüber hinausgehende Mehrbegehren war daher abzuweisen.

Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf § 43 Abs 2 ZPO, bei den Kosten des Rechtsmittelverfahrens außerdem noch auf § 50 ZPO. Bemessungsgrundlage für die dem Kläger zustehenden Kosten ist der ersiegte Betrag zuzüglich des Wertes des Feststellungsbegehrens. Für die erste Phase erhält daher der Kläger, wie im Ersturteil S 10.143,53, für die zweite Phase nur S 8.090,40 (= Verdienstsumme S 2.287,-- + 50 % Einheitssatz + 10 % Streitgenossenzuschlag + 10 % Umsatzsteuer + S 4.038,-- Barauslagen, abzüglich S 98,51 rechtskräftiger Anteil). Hiezu kommen die - gemäß TP 4 I Z 3 letzter Halbsatz RAT nur zur Hälfte gebührenden - Kosten der Privatbeteiligung in der Höhe von S 725,44 und des Antrags auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung der Klagsführung in der Höhe von S 943,80.

Anmerkung

E15391

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0030OB00523.88.0907.000

Dokumentnummer

JJT_19880907_OGH0002_0030OB00523_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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