TE OGH 1989/5/23 2Ob62/89

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Veröffentlicht am 23.05.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga M***, früher: D***, gewerbliche Hilfskraft, Sitzenthal 26, 3382 Loosdorf, vertreten durch Dr. Gottfried Lindner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Josef E***, Angestellter, Dietsham 1, 3650 Pöggstall, 2.) E*** A***

Versicherungsaktiengesellschaft, 1011 Wien, Landskrongasse 1-3, beide vertreten durch Dr. Erwin Dillinger und Dr. Christian Függer, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen 359.312,92 S sA und Rente (299.107,08 S), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2. November 1988, GZ 17 R 200/88-41, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 17. Juni 1988, GZ 5 Cg 60/84-34, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 28. Juni 1981 verschuldete der bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherte Erstbeklagte mit seinem PKW, pol. Kennzeichen N 772.047, auf der Bundesstraße 36 im Gemeindegebiet von Pöggstall einen Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin als Mitfahrerin schwer verletzt wurde. Am 30. September 1982 schlossen die Streitteile vor dem Kreisgericht St. Pölten zu 6 Cg 19/82 einen Vergleich, demzufolge die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand der Klägerin gegenüber für alle in der Zukunft liegenden Schadenersatzansprüche aus dem Unfall zu 80 % zu haften haben. Die Haftung der zweitbeklagten Partei wurde bis zu der im Versicherungsvertrag mit dem Erstbeklagten festgelegten Höhe beschränkt.

Die Klägerin begehrte von den Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes von 80.000 S. Dieser Anspruch wurde mit rechtskräftigem Teilurteil vom 19. Juni 1986 erledigt. Im Verlaufe des Verfahrens dehnte sie ihr Klagebegehren auf Bezahlung von Verdienstentgang aus und begehrte den Zuspruch von insgesamt 359.312,92 S sA für die Zeit bis 30. April 1988. Außerdem stellte sie ein Rentenbegehren von monatlich 8.308,53 S ab 1. Mai 1988. Sie habe bei dem Unfall eine seitliche Verkrümmung und eine Fehlstellung der Wirbelsäule sowie einen Bruch des linken Schlüsselbeins erlitten. Dieser Bruch sei sehr schlecht verheilt, sodaß es am 20. März 1983 und Mitte 1984 zu einem neuerlichen Bruch gekommen sei. Aufgrund dieser Verletzungen sei die Klägerin auf dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt vermittlungsfähig und habe keine Chance auf einen Arbeitsplatz.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und bestritten insbesondere den Kausalzusammenhang zwischen den neuerlichen Brüchen und der ursprünglichen Verletzung der Klägerin durch den Unfall.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von 321.399,86 S sA statt, wies ein Mehrbegehren von 37.913,06 S sA ab und sprach der Klägerin ab 1. Mai 1988 eine monatliche Rente von 8.308,53 S zu. Es traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:

Bei dem Unfall erlitt die damals 17-jährige Klägerin einen Bruch des linken Schlüsselbeins, Eindrückungsbrüche des 7., 8. und 9. Brustwirbels, eine Brustkorbquetschung mit Bluterguß im Brustfellraum, eine stumpfe Bauchverletzung ohne Organverletzung und eine Gehirnerschütterung. Sie wurde im Krankenhaus Melk bis 18. August 1981 stationär behandelt. Dabei wurde der Schlüsselbeinbruch mit Metallplatten fixiert, die am 14. März 1983 operativ entfernt wurden. Schon am 19. März 1983 kam es zu einem neuerlichen Bruch des Schlüsselbeins an der gleichen Stelle. Die Klägerin wurde am 18. April 1983 im Krankenhaus Horn aufgenommen, wo eine operative Behandlung in der Form durchgeführt wurde, daß vom linken Darmbein Knochenmaterial entnommen, im Bruchbereich am Schlüsselbein beigelegt und mittels einer Metallplatte aneinandergepaßt und fixiert wurde. Ursache für diesen neuerlichen Bruch war eine Scheingelenksbildung nach nicht knöchern, sondern nur bindegewebig verheilten Knochenbrüchen. Bereits bei geringer Belastung kann es an dieser Stelle zu einem neuerlichen "Bruch" kommen. Sowohl die Fehlbildung als auch der Bruch sind Folge der ursprünglichen Verletzung. Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt zwischen 19. April und 4. August 1984 kam es zu einem neuerlichen Bruch des Schlüsselbeins mit Bruch auch der eingesetzten Platte, sodaß nunmehr die beiden Bruchstücke mehr als Schaftbreite auseinander wichen und auch derzeit eine deutliche Abweichung der Knochenachse besteht.

Die Eindrückungsbrüche des 7., 8. und 9. Brustwirbels verursachen eine erhebliche Fehlstellung der Wirbelsäule, nämlich eine hochgradige Buckelbildung und eine Seitenabweichung der Wirbelsäule im Sinne einer s-förmigen Skoliose. Diese Fehlbildung ist Quelle ständiger Schmerzen und setzt die körperliche Leistungsfähigkeit der Klägerin empfindlich herab, obwohl die Beweglichkeit der Wirbelsäule relativ gut ist. Auf Grund der verletzungsbedingten Fehlstellung der Wirbelsäule muß mit späteren Verschleißerscheinungen und reaktiven Knochenveränderungen gerechnet werden. Vor dem Unfall bestand keine höhergradige Fehlstellung der Wirbelsäule, sondern lediglich eine relative harmlose "schlechte Haltung",

Die Klägerin war vom Unfall bis Ende des Jahres 1981 und dann wieder vom 19. März 1983 bis Ende des Jahres 1983 arbeitsunfähig, in der übrigen Zeit war sie in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert, und zwar bis 31. Mai 1986 um 50 %, ab 1. Juni 1986 um 45 %. Der Zustand der Klägerin ist in den letzten Jahren im wesentlichen stabil, ihre subjektiven Beschwerden halten sich in erträglichen Grenzen. Es sind alle leichten bis kurzzeitig mittelschweren der üblichen "Frauenarbeiten" zumutbar. Ständiges Sitzen während der ganzen Arbeitszeit, ohne zumindest kurzzeitige Ausgleichsbewegungen zwischendurch sind ebenso unzumutbar wie häufiges Bücken sowie das Heben und Tragen von schwereren Lasten und eine besondere Belastung der linken oberen Gliedmaße. Eine wesentliche Besserung ist in Zukunft nicht mehr zu erwarten, eine neuerliche Operation am Schlüsselbein könnte nur eine geringfügige Besserung bringen..Dagegen sind Verschlechterungen sowohl in gestaltmäßiger als auch in funktioneller Hinsicht möglich. Die Klägerin besuchte 4 Jahre die Volksschule, 4 Jahre Hauptschule und den einjährigen polytechnischen Lehrgang. Nach dessen Abschluß arbeitete sie ab 2. Juli 1979 als gewerbliche Hilfskraft im Gasthaus R*** in Würnsdorf. Ihr Aufgabenbereich umfaßte das Aufräumen der Zimmer und Gasträumlichkeiten, Verrichtung von Küchenhilfsdiensten, Beschickung des Kühlraumes, wobei sie auch Kisten mit Getränkeflaschen aus dem Keller zu tragen hatte, Wäsche zu waschen und zu bügeln. Das Dienstverhältnis endete nach ihrem Unfall am 29. Juni 1981. Sie bezog ein Bruttoeinkommen von 5.240 S, netto 4.244,60 S, darin enthalten 1.500 S für freie Kost und Quartier. Weiters erhielt sie durchschnittlich monatlich ca. 500 S an Trinkgeld. Im Jänner 1982 versuchte sie die Arbeit im Gasthaus R*** wieder aufzunehmen, da sie jedoch ständig unter Schmerzen litt, beendete sie diese Tätigkeit nach 2 Tagen, zumal es ihr nicht möglich war, schwerere Tätigkeiten zu verrichten.

In der Folge meldete sich die Klägerin am Arbeitsamt Zwettl als Arbeitssuchende und bezog auch Arbeitslosenunterstützung. Über Vermittlung des Arbeitsamtes trat sie am 1. September 1982 eine Tätigkeit bei dem praktischen Arzt Dr. Reinhard W*** in Groß Weikersdorf an. Sie arbeitete zu einem Drittel im Haushalt und zu zwei Drittel in der Ordination. Ihr Tätigkeitsbereich umfaßte Haushaltsarbeiten, Besorgung von Einkäufen sowie die Beaufsichtigung der drei Kinder des Dr. W*** und die Besorgung des Telefondienstes. Sie arbeitete von Montag bis Freitag tagsüber, fallweise auch Samstag vormittags. Es stand ihr eine Dienstnehmerwohnung im Hausverband zur Verfügung, sie erhielt freie Kost. Sie bezog von Jänner bis März 1983 für die Tätigkeit im Haushalt 2.432 S brutto, für die Arbeit in der Ordination 4.582 S jeweils zuzüglich Sonderzahlungen. Nach dem neuerlichen Bruch des linken Schlüsselbeins am 19. März 1983 konnte die Klägerin ihre Arbeit nicht mehr im vollen Umfang verrichten. Sie erhielt als Entlohnung im April 1983 810 S, sodann nichts mehr. Für ihre Tätigkeit in der Ordination bezog die Klägerin im April 1983 4.123 S und im Mai 3.360 S jeweils brutto. Da sie kaum mehr körperliche Arbeit verrichten konnte, legte ihr Dr. W*** nahe, mit einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses einverstanden zu sein. Tatsächlich endete das Dienstverhältnis mit 18. Juli 1983. Insgesamt bezog sie im Zeitraum 1. September 1982 bis 18. Juli 1983 unter Berücksichtigung von Kost und Quartier mit 1.790 S monatlich einen Betrag von insgesamt etwa 40.000 S netto.

Anfang 1983 lernte die Klägerin ihren späteren Ehegatten Roman M*** kennen. Einige Monate später faßten sie den Entschluß, zu heiraten und planten gemeinsam ein Haus zu bauen. Sie betrachteten es daher als unerläßlich, daß auch die Klägerin einer Arbeit nachgehen sollte. Tatsächlich versuchte die Klägerin in der Folge neuerlich über das Arbeitsamt Zwettl eine Beschäftigung zu finden. Insgesamt bezog sie in den Jahren 1982 und 1983 an Arbeitslosenunterstützung 23.705 S. Aufgrund ihrer Behinderung war sie jedoch im Bezirk Zwettl nicht mehr vermittelbar. Am 6. Februar 1984 wurde vom Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Zwettl eine 50 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit festgestellt. Am 14. September 1984 heiratete die Klägerin. Zwischen 19. Dezember 1984 und 6. Mai 1985 bezog sie wegen Erwerbslosigkeit des Ehegatten vom Arbeitsamt Melk die Notstandshilfe in nicht feststellbarer Höhe. Die Klägerin ist auch im Bezirk Melk wegen ihrer Behinderung praktisch nicht vermittelbar. Am 4. Augsut 1985 gebar die Klägerin einen Sohn. Sie wohnt mit ihrem Ehegatten und dem Kind in einer Wohnung in Loosdorf, führt den Haushalt und kümmert sich um das Kind. Hätte die Klägerin nicht den Unfall und die dadurch verursachten Verletzungen erlitten, hätte sie im Gasthaus R*** gegen ein Entgelt von 5.451 S netto unter Berücksichtigung von Sonderzahlungen und Trinkgeld weiterarbeiten können. Unter der gleichen Annahme hätte die Klägerin auch ihre am 1. September 1982 begonnene Tätigkeit bei Dr. W*** fortsetzen können. Die Klägerin wäre nach der Geburt ihres Sohnes ein Jahr karenziert gewesen. Im Anschluß daran hätte sie die Möglichkeit gehabt, ihr eigenes Kind mit den drei Kindern des Dr. W*** mitzubetreuen. Es wären ihr Einkommenssteigerungen von 10 % in den Jahren 1983 und 1984 und von 5 % in den Jahren 1985, 1986 und 1987 zugute gekommen. Unter Berücksichtigung von Sonderzahlungen für die Tätigkeit im Haushalt, der Sonderzahlungen für die Tätigkeit in der Ordination, anteiliger Einrechnungen einer ziffernmäßigen Bewertung von Kost und Quartier sowie einer Reduktion der Einkünfte im Karenzjahr auf Karenzgeld und Wochengeld hätte das Jahresnettoeinkommen der Klägerin ohne Anwendung des Alleinverdienerabsetzbetrages und ohne Berücksichtigung etwaiger Lohnsteuerfreibeträge in den einzelnen Jahren folgende Höhe erreicht:

1983                         S    94.445,82

1984                         S   101.290,13

1985                         S    93.731,--

1986                         S    76.260,77

1987                         S   123.067,43

1988                         S   127.391,74.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß eine wirtschaftliche Erwerbsunfähigkeit auch dann gegeben sei, wenn die Verletzung trotz teilweiser Arbeitsfähigkeit Ursache dafür sei, daß der Verletzte keinen Erwerb finden könne. Bei Bestimmung der Höhe der Rente sei von einer Erwerbsunfähigkeit der Klägerin in Zukunft auszugehen. Zur Berechnung des der Klägerin bis 30. April 1988 zustehenden Verdienstentgangs sei nach der Differenzmethode, d.h. vom hypothetischen Einkommen der Klägerin auszugehen, das sie erzielt hätte, wenn das schädigende Ereignis nicht stattgefunden hätte. Dieses sei in Relation zum tatsächlich erzielten Einkommen zu setzen. Daraus errechneten sich bis 31. Mai 1984 unter Berücksichtigung der Einkünfte im Gasthaus R*** und bei Dr. W*** fiktive Einkünfte von 189.352,58 S. Dieser Betrag reduziere sich um die Arbeitslosenunterstützung, die die Klägerin in den Jahren 1982 und 1983 in der Höhe von 23.705 S bezog. Davon sei ein 20 %iger Abzug wegen des Mitverschuldens vorzunehmen. Das Erstgericht gelangte so zu einem Ergebnis von 125.878,06 S und erachtete das Begehren der Klägerin für die Zeit bis 31. Mai 1984 von 22.083,40 S jedenfalls als berechtigt. Bei den weiteren Berechnungen ging das Erstgericht vom fiktiven Einkommen der Klägerin, das sie als Haushalts- und Ordinationshilfe bei Dr. W*** bezogen hätte, aus und kam zum Ergebnis, daß das Begehren der Klägerin für die Zeit vom Juni 1984 bis Dezember 1985 in der Höhe von 106.619,79 S unter Berücksichtigung der Notstandshilfe und des 20 %igen Mitverschuldens mit 107.797,53 S, also jedenfalls gerechtfertigt sei. Für das Jahr 1986 habe die Klägerin einen Verdienstentgang von 96.688,32 S geltend gemacht; bei Dr. W*** hätte sie nur 76.260,77 S bezogen. Unter Berücksichtigung von 20 % Eigenverschulden ergebe sich ein abzuweisendes Mehrbegehren von 35.679,71 S. Für das Jahr 1987 habe die Klägerin 100.687,29 S begehrt, das fiktive Einkommen bei Dr. W*** hätte 123.067,43 S betragen, 80 % davon seien 98.453,94 S. Dies ergebe ein unberechtigtes Mehrbegehren von 2.233,35 S, weshalb insgesamt das abzuweisende Mehrbegehren 37.913,06 S betrage. Eine zeitliche Begrenzung der Rentenzahlung erachtete das Erstgericht als nicht geboten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien teilweise Folge. Es bestätigte mit Teilurteil den Zuspruch des Erstgerichts von 320.246,72 S (321.399,86 S - 1.153,14 S), erkannte das Rentenbegehren mit 8.204,49 S (8.308,53 S - 104,04 S) für berechtigt und hob die erstgerichtliche Entscheidung in einem weiteren Zuspruch von 1.153,14 S sA und im Rentenzuspruch von 104,04 S ab 1.Mai 1988 zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung in diesem Belang auf. Die Klägerin gehe von keinem fiktiven Verdienstentgang, sondern von einer konkreten, für sie verloren gegangenen Verdienstmöglichkeit aus. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob der von ihr erzielte und erzielbar gewesene Verdienst höher lag als der durchschnittliche, weshalb die Einvernahme eines berufskundlichen Sachverständigen nicht erforderlich gewesen sei. Das Erstgericht sei allerdings auch für das Jahr 1988 von einer 5 %igen Lohnerhöhung ausgegangen, ohne daß dies in den Erhebungen gedeckt sei. Demgemäß müsse in den davon betroffenen Zusprüchen mit Aufhebung vorgegangen werden; im übrigen seien aber die vom Erstgericht vorgenommenen Berechnungen des Verdienstentganges der Klägerin nicht zu beanstanden. Mit Recht sei vom tatsächlichen Berufslauf der Klägerin ausgegangen worden und von jenem Verdienst, den die Klägerin erzielte, als sie die Spätfolgen des Unfalls trafen. Die beklagten Parteien hätten nicht darlegen können, welchen Arbeitsplatz die Klägerin hätte erhalten können und welche weiteren konkrete Bemühungen sie hätte setzen sollen, um Arbeit zu finden. Bei dem Vorbringen, die Klägerin hätte es unterlassen, sich freiwillig in der Pensionsversicherung weiterversichern zu lassen, handle es sich um eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung. Eine zeitliche Begrenzung der Rente hätte nicht zu erfolgen, weil eine solche nur dort stattzufinden habe, wo konkret mit dem Bezug einer Sozialversicherungsleistung zu rechnen ist. Ist es jedoch ungewiß, ob der Geschädigte, insbesonders durch den frühzeitigen, unfallsbedingten Verlust einer Berufstätigkeit eine Altersversorgung beziehen wird, so sei die Rente unbefristet zuzusprechen; es sei Sache des Schädigers, allfällige diesbezügliche Veränderungen wahrzunehmen.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der beklagten Parteien aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Teilurteil abzuändern und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die unter dem Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO vorgebrachten Anfechtungspunkte sind - wie der Oberste Gerichtshof überprüfte - nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unter dem Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO stellen sich die Beklagten auf den Standpunkt, daß die Vorinstanzen zu Unrecht von der tatsächlichen Entwicklung des Verdienstentganges der Klägerin ausgegangen seien; es könne nur jener Verdienst der Klägerin in die Erwägungen über ihren Verdienstentgang einbezogen werden, den sie zum Zeitpunkt des Unfalls bezogen habe. Es dürfe nämlich als sicher angenommen werden, daß die Klägerin ohne den Unfall immer im Gasthaus R*** beschäftigt geblieben wäre. Im übrigen hätte eine Begrenzung der Rentendauer erfolgen müssen. Das Gericht hätte von sich aus Auskünfte von Sozialversicherungsträgern einholen müssen, um allfällige Nebeneinkommen der Klägerin feststellen zu können.

Den dargelegten Ausführungen ist zu erwidern:

Bei der Beurteilung der Frage, ob einem Geschädigten ein Verdienstentgang iS des § 1325 ABGB entstanden ist, ist darauf Bedacht zu nehmen, welchen Verdienst der Geschädigte ohne Unfall bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge voraussichtlich erzielt hätte (ZVR 1979/232; 8 Ob 267/80; 8 Ob 116/83 ua). Welches Einkommen der Geschädigte bei Ausnützung seiner Erwerbsfähigkeit ohne die Unfallsfolgen erzielt hätte, kann nur auf Grund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden. Derartige Feststellungen betreffen aber trotz ihres hypothetischen Charakters ausschließlich den Tatsachenbereich (SZ 25/280; SZ 26/155; 8 Ob 67/81; 8 Ob 116/83 ua) und können daher im Revisionsverfahren nicht mit Erfolg bekämpft werden, es sei denn, sie beruhten auf Schlußfolgerungen, die mit den Denkgesetzen unvereinbar wären (RZ 1967, 105; ZVR 1987/113; 8 Ob 38/81; 8 Ob 116/83 uva). Solche unlogische Schlußfolgerungen zeigen die Beklagten jedoch nicht auf. Die Vorinstanzen konnten den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Berufsweg der Klägerin ohne Verstoß gegen Denkgesetze durchaus daran orientieren, welche berufliche Tätigkeit die Klägerin in solchen Phasen ihrer Entwicklung ausübte, in welchen sie zwischenzeitig Verdienst erzielte. Eher denkgesetzwidrig wäre der Standpunkt der Revisionswerber, daß mit Sicherheit hätte angenommen werden müssen, daß die Klägerin immer beim gleichen Dienstgeber beschäftigt geblieben wäre, bei dem sie zum Zeitpunkt des Unfalls in Beschäftigung gestanden war. Zusammenfassend kann daher der von den Vorinstanzen festgestellte Berufsweg, den die Klägerin ohne den Unfall eingeschlagen hätte, mit der vorliegenden Revision nicht in Frage gestellt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist es eine offenkundige Tatsache, daß unselbständig Erwerbstätige in der Regel nach den im § 253 Abs 1 ASVG bestimmten Zeitpunkten (Männer mit Vollendung des 65. Lebensjahres, Frauen mit Vollendung des 60. Lebensjahres) einer Erwerbstätigkeit zufolge Erreichung des Pensionsalters nicht mehr nachgehen, weshalb Verdienstentgangsrenten - auch ohne darauf abzielenden Einwand des Beklagten im Verfahren erster Instanz - mit diesen Zeitpunkten zu begrenzen sind. Besondere Tatsachen, die eine längere Rentendauer begründen könnten, müßte der Geschädigte behaupten und beweisen (ZVR 1985/10; 8 Ob 86/85 ua). Wie der Oberste Gerichtshof aber weiters in Übereinstimmung mit der Lehre (Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, § 392 II 2; vgl. auch Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 28 zu § 1325) ausgesprochen hat, darf der Ausdruck "Verdienst" im § 1325 ABGB nicht eng ausgelegt werden (ZVR 1978/165). Darunter kann auch eine Sozialversicherungsrente verstanden werden (ZVR 1964/228). Daher muß als "Entgang von Verdienst" auch der Entgang einer solchen Sozialversicherungsrente angesehen werden (SZ 52/77). Bei der im vorliegenden Fall gegebenen Sach- und Rechtslage besteht für die Klägerin - da sie nach den getroffenen Feststellungen am Arbeitsmarkt infolge ihrer Unfallsverletzung nicht mehr vermittelbar ist - nicht die Möglichkeit, nach der Erreichung der Altersgrenze dereinst eine Alterspension zu beziehen. Steht aber fest, daß eine Änderung dieses Zustandes nicht erreicht werden kann, oder fehlt es wie im vorliegenden Fall gänzlich an konkreten Anhaltspunkten hiefür, kann - wie das Berufungsgericht im wesentlichen richtig erkannte - die Rente der Klägerin ohne Beschränkung auf die Erreichung des Pensionsalters zugesprochen werden (SZ 52/77). Da letztlich das Berufungsgericht die Auffassung der beklagten Partei, das Erstgericht hätte von Amts wegen entsprechende Anfragen an den Sozialversicherungsträger stellen sollen, mit Recht verneinte, erweist sich die Revision auch in diesem Belang nicht als berechtigt. Ihr war vielmehr der Erfolg zu versagen. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 52 Abs 2, 392 Abs 2 ZPO.

Anmerkung

E18057

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00062.89.0523.000

Dokumentnummer

JJT_19890523_OGH0002_0020OB00062_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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