TE OGH 1989/6/6 2Ob551/89

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Veröffentlicht am 06.06.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Johann Manuel S***, geboren am 2.November 1986, infolge Revisionsrekurses der Mutter Petra Cornelia S***, Hilfsarbeiterin, Puchnerstraße 29, 4600 Wels, vertreten durch Dr. Johannes Charwat-Pessler, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgericht vom 28.März 1989, GZ R 183/89-44, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom 18.Jänner 1989, GZ P 101/87-31, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der am 2.November 1986 geborene Johann Manuel S*** ist ein eheliches Kind der Petra Cornelia und des Johann S***. Die Ehe der Eltern wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom 20.Jänner 1988, 1 C 134/87-9, aus beiderseitigem Verschulden geschieden.

Das Erstgericht entschied entsprechend dem Antrag des Vaters, daß die Elternrechte im Sinne des § 144 ABGB in Hinkunft ihm zustehen; den Antrag der Mutter, ihr die Elternrechte zuzuerkennen, wies es ab.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Eltern wohnten mit dem Kind im Haus der Eltern des Vaters in Reittern Nr. 3, zu welchem eine Vollerwerbslandwirtschaft gehört. Sie bewohnten dort einen Raum, der durch eine Trennwand in einen Schlafzimmer- und in einen Wohnzimmerteil abgetrennt war. Während aufrechter Ehegemeinschaft kümmerten sich beide Elternteile um das Kind. Auch der Vater betreute es, und zwar auch nachts. Das Kind wurde von der Mutter des öfteren unzureichend versorgt, insbesondere dadurch, daß sie ihm anstatt Milch Limonade oder Tee verabreichte. Während der beiden letzten Monate der ehelichen Gemeinschaft, als die Mutter einen eigenen PKW zur Verfügung hatte, war sie des öfteren auch nachts von zu Hause fort. Nach dem 30.Oktober 1987 hielt sie sich nur mehr sporadisch in Reittern auf, und zwar jeweils nur kurz in der Nacht vom 6. auf den 7.November, am 11., 20. (oder 21.) und 27.November sowie am 24.Dezember 1987. Sie wohnte nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft vorerst in Timelkam und dann in Wels, wo sie vorübergehend (5 Tage lang) in einer Peepshow arbeitete. Am 24.Dezember 1987 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Eltern, weil der Vater der Mutter den Schlüssel zum gemeinsam finanzierten, jedoch von der Mutter allein benützten PKW abnehmen wollte. Beim Versuch, ihr den Schlüssel zu entreißen, zog er sie zu Boden, verdrehte ihr den Arm und riß sie an den Haaren, wodurch die Mutter eine Distorsion des linken Kleinfingergrundgelenks, eine Prellung des linken Unterarms und eine Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule erlitt. Der Vater wurde deswegen rechtskräftig des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Auch wegen seiner Äußerung im vorliegenden Verfahren, die Mutter gehe der Prostitution nach, wurde der Vater nach § 111 StGB verurteilt.

Der Vater arbeitete während aufrechter Ehe und auch nach der Trennung von der Mutter als Packer bei der Getränkefirma S*** in Frankenmarkt. Seit Juli 1988 ist er bei dieser Firma nur mehr halbtags als Gärtner tätig und widmet sich im übrigen der Bewirtschaftung der Landwirtschaft seiner Eltern, die er einmal übernehmen soll. Seit Annahme, der Halbtagsbeschäftigung steht er zwischen 5,30 Uhr und 6 Uhr auf, bereitet dem Kind das "Flascherl", fährt um 6,45 Uhr zur Arbeit und kommt zu Mittag nach Hause. Das Kind schläft von etwa 6,45 Uhr bis etwa 10 Uhr oder 10,30 Uhr und wird nach dem Aufwachen von der väterlichen Großmutter trockengelegt. Insbesondere am Abend kümmert sich der Vater um die Betreuung des Kindes. Aus jugendpsychologischer Sicht wäre es empfehlenswert, wenn der Vater seine Dienstzeiten so ändern könnte, daß er erst später mit dem Dienst beginnt, damit das Kind während der Zeit, in der die Großmutter im Stall arbeitet, nicht unbeaufsichtigt ist. Der Vater lebt in geordneten Verhältnissen. Der Haushalt, in dem der Vater und das Kind wohnen, wird sauber und ordentlich gehalten. Das Kind macht einen gepflegten und aufgeweckten Eindruck und ist auch ordentlich gekleidet. Die Mutter war bis zum vor der Geburt des Kindes einsetzenden Beschäftigungsverbot bei der Firma H*** Armaturenerzeugung in Vöcklabruck als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Danach arbeitete sie als Vertreterin für eine Putzmittelfirma. Seit 23.November 1987 (nach Aufhebung der Ehegemeinschaft) ist sie bei der Seilerei T*** in Wels beschäftigt. Sie wohnt mit ihrem als Maurer berufstätigen Lebensgefährten Günther D*** und dessen Eltern Karl und Hilde D*** in einer etwa 100 m2 großen Betriebswohnung der W*** R***. Für das Kind wäre dort ein Kinderzimmer vorgesehen, das zur Zeit als Arbeitszimmer Verwendung findet. Das Wohnzimmer und die Wohnküche werden von den Bewohnern gemeinsam benützt. Die Räume sind ordentlich und sauber gehalten, die Wohnverhältnisse bei der Familie D*** geordnet. Die Schwägerin des Lebensgefährten der Mutter Veronika D*** hat sich bereit erklärt, während der berufsbedingten Abwesenheit der Mutter das Kind zu betreuen. Es ist geplant, daß dann, wenn die Mutter Spätschicht hat, das Kind in der Wohnung der Veronika D*** in Wels, Flurgasse 68, schläft. Die Mutter ist aber bemüht, in Hinkunft nur mehr in der Frühschicht zu arbeiten. Das Kind hat zu Hause Kontakt mit verschiedenen Kindern aus der Umgebung, etwa mit den Kindern des Bruders und der Schwester des Vaters, die ebenfalls in Reittern wohnen.

Am 28.April 1988 wurde anläßlich einer Nachschau durch den Pflegschaftsrichter an Ort und Stelle um 9,30 Uhr festgestellt, daß sich das Kind allein im Haushalt befand. Dazu war es deshalb gekommen, weil die Eltern des Vaters sich im Glauben, als Auskunftspersonen vernommen zu werden, zu Gericht begeben hatten. Aus psychologischer Sicht besteht beim Vater eine affektive Intelligenzhemmung mit geringer geistiger Beweglichkeit. Er ist affektiv instabil und stimmungslabil, ruhig, nachgiebig, etwas verschlossen und introvertiert. Der Kontakt des Vaters zu dem Kind, das einen sehr aufgeweckten und lebendigen Eindruck macht, ist als herzlich zu bezeichnen. Der Vater kann auf das Kind und dessen Bedürfnisse und Stimmungen gut eingehen. Er zeigt den Befund einer durchschnittlich intelligenten, aber introverierten und empfindsamen Persönlichkeit, die den Auseinandersetzungen zwischen seiner Mutter und seiner Ehegattin nicht gewachsen war. Offensichtlich konnte sich die Mutter in der primär von Arbeit erfüllten Welt des Vaters nicht einfügen.

Die Mutter des Vaters ist eine vitale aktive Frau mit durchschnittlicher Intelligenz und für das Kind eine vertraute Bezugsperson.

Der väterliche Großvater zeigt Hinweise auf einen hirnorganischen Altersabbau. Er ist als Spielgefährte für das Kind gut bekannt. Die Mutter zeigt eine gewisse Affekt- und Denkhemmung (Abwehrhaltung), ist introvertiert, emotional stabil, jedoch sehr unkritisch und verschlossen. Sie ist durchschnittlich intelligent und zeigt eine geringe Fähigkeit zur Selbstreflexion und wenig Frustrationstoleranz. Es fiel ihr schwer, sich in der Familie ihres Mannes zu integrieren, in der die emotionalen Beziehungen eher unterkühlt sind und die Arbeit im Zentrum des Interesses steht. Im unmittelbaren Kontakt mit dem Kind überhäuft sie dieses mit Zuwendungen und vermutet Wünsche beim Kind, die eigentlich ihre eigenen sind. Das Kind ist ihr emotional zugetan, zeigt aber keine Verstörung oder Angst, wenn sie wegfährt.

Die Schwägerin des Lebensgefährten der Mutter Veronika D*** ist eine stabile Persönlichkeit, jedoch dem Kind völlig fremd. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß bei Gegenüberstellung der Verhältnisse der Eltern in ihrer Gesamtheit, bei Beachtung des Grundsatzes der Kontinuität der Pflege und Erziehung und des Umstandes, daß auch die Mutter auf Grund ihrer Berufstätigkeit sich bei der Pflege und Erziehung des Kindes zeitweilig der Hilfe dritter Personen bedienen müßte, der Zuweisung der Elternrechte an den Vater der Vorzug zu geben sei.

Dem gegen diese Entscheidung des Erstgerichts gerichteten Rekurs der Mutter gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß keine Folge. Es stellte zusätzlich fest, daß der Mutter in den Monaten Jänner bis März 1988 bei mehrfachen Versuchen, das Kind zu sehen, der Zutritt verwehrt wurde und daß gerade durch diese mehrmonatige Trennung von ihrem Kind ihre übertriebene Haltung diesem gegenüber erklärbar erscheint. Die Eltern des Vaters haben in ihrer Landwirtschaft 14 Kühe zu versorgen. Die väterliche Großmutter befindet sich täglich von etwa 5 Uhr bis 8,45 Uhr im Stall. Da der Vater um 6,45 Uhr außer Haus geht, ist somit eine Beaufsichtigung des Kindes für die Dauer von zwei Stunden nicht gewährleistet, während welcher Zeit das Kind allerdings bisher regelmäßig schlief. Im übrigen übernahm das Rekursgericht die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich.

Rechtlich führte es im wesentlichen aus, daß sich das Erstgericht mit einem für die Zuteilung der Elternrechte wesentlichen Grundsatz nicht auseinandergesetzt habe, nämlich dem, daß jüngere Kinder in der Regel eine stärkere Bindung zur Mutter hätten und deshalb, wenn nicht andere Umstände besonderer Art dagegen sprächen, vorzüglich der Pflege und Erziehung der Mutter zuzuweisen seien. Die Zuweisung der Elternrechte an die Mutter würde aber einen Pflegeplatzwechsel bedingen, der zwar grundsätzlich vermieden werden solle bzw. nur bei einer beachtlichen Verbesserung der Situation des Kindes in Betracht komme, aber keinesfalls, vor allem bei einer ernstmaligen Entscheidung über die Zuteilung der Elternrechte, generell abgelehnt werden dürfe. Der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung dürfe nicht um seiner selbst willen aufrecht erhalten werden, sondern sei immer dem Wohl des Kindes, das oberste Richtschnur für jede Regelung des Eltern-Kind-Verhältnisses sei, unterzuordnen. Demgemäß dürfe auch dem zufälligen Aufenthalt des Kindes zum Zeitpunkt der Trennung der Eltern keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Gegen die Person und die Lebensverhältnisse der Mutter spreche an sich nichts. Sie lebe in geordneten Verhältnissen, gehe seit November 1987 einer geregelten Arbeit nach und verfüge über ausreichend Wohnraum. Es bestehe neben der Versicherung der Betreung durch Veronika D*** auch eine Betreuungsmöglichkeit durch die in der gemeinsamen Wohnung aufhältige Mutter ihres Lebensgefährten. Dennoch vermeine das Rekursgericht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht, daß die Wahrung des Kindeswohls bei Gegenüberstellung der Verhältnisse der Eltern in ihrer Gesamtheit für eine Unterbringung des Kindes im Haushalt des Vaters spreche. Das Kind befinde sich seit Geburt dort, verfüge über mehrere Bezugspersonen und Spielgefährten und erfahre eine ausreichende Betreuung. Dem Umstand, daß das Kind bislang in den Morgenstunden etwa zwei Stunden in seinem Zimmer (meist schlafend) verbleiben habe müssen, komme im Hinblick auf das Alter des Kindes und die demnach schon anzunehmende Möglichkeit der Mitnahme in den Stall in fortschreitendem Maße geringere Bedeutung zu. Es könne demnach auch bei Bejahung der Eignung der Mutter als Erziehungsperson im Hinblick auf die dem Kindeswohl in höherem Maße dienliche Unterbringung des Kindes im Haushalt des Vaters die Entscheidung des Erstgerichts keine Änderung erfahren.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die Elternrechte ihr zuerkannt werden; hilfsweise stellt sie den Antrag, den angefochtenen Beschluß als nichtig aufzuheben "und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen, wobei dem Erstgericht insbesondere aufgetragen werden möge, festzustellen, in welcher Art und Weise dem Wohl des Kindes am besten entsprochen werden könne".

Dieses Rechtsmittel ist zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 16 Abs. 1 AußStrG findet im außerstreitigen Verfahren gegen bestätigende Entscheidungen des Rekursgerichts nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof statt.

Die Mutter erklärt zwar in ihrem Rechtsmittel, die Entscheidung des Rekursgerichtes aus allen drei im § 16 Abs. 1 AußStrG angeführten Rechtsmittelgründen anzufechten, doch ist ihren Rechtsmittelausführungen nicht zu entnehmen, worin sie eine dem Rekursgericht unterlaufene Nichtigkeit oder entscheidungswesentliche Aktenwidrigkeit erblickt.

Das Vorliegen eines Verfahrensverstoßes vom Gewicht einer Nichtigkeit (EFSlg. 44.682, 52.804 uva) ist auch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. In gleicher Weise ist nicht zu erkennen, daß das Rekursgericht Akteninhalt unrichtig wiedergegeben hätte und auf dieser Grundlage zu seiner Entscheidung gekommen wäre. Der im § 16 Abs. 1 AußStrG normierte Rechtsmittelgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung nur gegeben, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (EFSlg. 44.642, 52.757 uva). Bei der Entscheidung über die Zuteilung der Elternrechte handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, deren offenbare Gesetzwidrigkeit nur dann bejaht werden könnte, wenn die dafür maßgebenden Kriterien, insbesondere das Wohl des Kindes, nicht berücksichtigt worden wären (EFSlg. 44.657, 52.781 ua). Davon kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein. Die Vorinstanzen (die Richtigkeit der von ihnen getroffenen Feststellungen kann im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses keinesfalls mit Erfolg bekämpft werden) haben sich mit der Frage, ob dem Wohl des Kindes durch Zuteilung der Elternrechte an den Vater oder an die Mutter besser entsprochen wird, ausführlich und unter Berücksichtigung aller dafür in Frage kommenden Kriterien befaßt und sind übereinstimmend zu der Auffassung gelangt, daß das Wohl des Kindes die Zuteilung der Elternrechte an den Vater erfordert. Die sachliche Richtigkeit dieser Beurteilung ist der Überprüfung im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses entzogen (2 Ob 524/89 ua). Es liegt somit auch der Rechtsmittelgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit nicht vor.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist daher mangels Vorliegens eines im § 16 Abs. 1 AußStrG normierten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

Anmerkung

E17222

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00551.89.0606.000

Dokumentnummer

JJT_19890606_OGH0002_0020OB00551_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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