TE OGH 1989/10/13 16Os32/89

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Veröffentlicht am 13.10.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Oktober 1989 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Edelmann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Rudolf K*** wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Korneuburg vom 14.Juni 1989, GZ 10 a Vr 829/88-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Bassler, und des Verteidigers Dr. Strauss, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen, der im übrigen aufrecht bleibt, zur Hauptfrage 1 und zur Eventualfrage 2 sowie das darauf beruhende, sonst gleichfalls unberührt bleibende angefochtene Urteil im Schuldspruch wegen Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der 20-jährige Rudolf K*** (zu 1.) des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB und (zu 2.) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 28. November 1988 in Straßhof

1. in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung, nämlich nach einem Streit und einer tätlichen Auseinandersetzung, sich dazu hinreißen lassen, Johann E*** durch Versetzen von zumindest 31 Messerstichen gegen Kopf, Brust, Bauch und obere Extremitäten zu töten;

2. fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Stereoanlage im Wert von 5.000 S, 2 Alben mit Schallplatten und 4 Langspielplatten im Wert von insgesamt 1.500 S, den über den Nachlaß des Johann E*** verfügungsberechtigten Personen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Nur den Schuldspruch wegen Verbrechens des Totschlags (Punkt 1 des Urteilssatzes) bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Dieser Schuldspruch war erfolgt, nachdem die Geschwornen die anklagekonforme Hauptfrage 1 (nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB) mit 7 Nein- und 1 Ja-Stimme verneint und die hiezu gestellte Eventualfrage 2 (nach dem Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB) mit 7 Ja- und 1 Nein-Stimme bejaht sowie die Zusatzfrage 6 (nach dem Schuldausschließungsgrund des § 11 StGB) einstimmig verneint hatten. Die Eventualfrage 3 (nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 StGB) und die Eventualfrage 4 (nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB) waren folgerichtig unbeantwortet geblieben.

Dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, die sich dagegen wendet, daß den Geschwornen eine Eventualfrage nach Totschlag gestellt wurde und deren Sitzungsvertreter sich in der Hauptverhandlung nach Verlesung der an die Geschwornen zu richtenden Fragen der Stellung dieser Eventualfrage widersetzt und sich nach Verkündung der bezüglichen Entscheidung des Schwurgerichtshofes die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten hat (S 239/Bd. II), sodaß die prozessualen Voraussetzungen für die Anfechtung der Fragestellung gegeben sind ( 345 Abs 4 StPO), kommt Berechtigung zu. Eine Eventualfrage ist (ua) dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, nach denen - sofern sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele (§ 314 StPO). Bezogen auf die hier aktuelle Fallkonstellation setzt die Stellung einer Eventualfrage nach Totschlag demnach ein bestimmtes Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung voraus, das, wenn es zutrifft, die rechtliche Annahme zuläßt, der Angeklagte habe sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Johann E*** zu töten.

Rechtliche Beurteilung

Derartige Tatsachen wurden jedoch, wie die Anklagebehörde zutreffend rügt, in der Hauptverhandlung nicht vorgebracht. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung der Tötung des Johann E*** schuldig bekannt und sich im übrigen mit Volltrunkenheit verantwortet (S 221/Bd. II). Seiner Darstellung nach sei es - wie schon öfter (S 228, 229/Bd. II) - zwischen Johann E*** und ihm zu einem Streit "wegen seiner Freundin" gekommen, in dessen Verlauf ihm E*** eine Ohrfeige versetzt habe. Dies habe zu einem Handgemenge geführt, an dessen Ausgang er sich nicht mehr erinnere. Danach sei er in die Küche gegangen, habe die offene Tischlade gesehen und daraus ein Messer entnommen. Im Schlafzimmer habe er dann auf E*** eingestochen. Weiter wisse er nichts (S 224, 225/Bd. II). Dem Gutachten des in der Hauptverhandlung beigezogenen Sachverständigen Dr. G*** ist insoweit zu entnehmen, daß der Angeklagte Alkoholmißbrauch betreibt und infolge seiner Frustrationsintoleranz zu affektiven Entgleisungen neigt (S 233/Bd. II). Durch den Streit mit und die Tätlichkeiten des Johann E*** im Zusammenhalt mit seiner erheblichen Alkoholisierung sei der Angeklagte in einen hochgradigen affektiven Erregungszustand geraten, der sich im Sinn einer Primitivreaktion als Affektsturm in der Tathandlung entladen habe (S 234, 235/Bd. II). Als "auslösendes Moment" der Reaktion des Angeklagten bezeichnete der Sachverständige ausdrücklich dessen Alkoholisierung und leichte Enthemmbarkeit infolge seiner Frustrationsintoleranz sowie die von ihm besonders empfundene "Aggressivität des Opfers" (S 236/Bd. II). Diese Verfahrensergebnisse deuten zwar darauf hin, daß der Angeklagte sich in einem heftigen Affektsturm zur Tat hinreißen lassen haben mag, schließen aber dessen Beurteilung als allgemein begreiflich jedenfalls aus. Denn allgemein begreiflich ist eine Gemütsbewegung nur, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlaß und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, dh wenn ein Durchschnittsmensch sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen des Einzelfalles in eine solche Gemütsverfassung geraten. Die Ursache der Gemütsbewegung muß somit - objektiv gesehen - sittlich verständlich sein. Sie darf daher nicht im psychisch abnormen Persönlichkeitsbild des Täters oder in seinen verwerflichen Leidenschaften oder Neigungen liegen, sondern muß ausschließlich in äußeren Umständen begründet sein (Foregger-Serini StGB4 Anm. I, Kienapfel BT I2 Rz 30, Leukauf-Steininger Komm2 Rz 5, Moos in WK Rz 37, jeweils zu § 76, und die dort zit. Judikatur). Im vorliegenden Fall war aber dem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung zufolge der (allfällige) Affekt beim Angeklagten nur eingetreten, weil dieser infolge seiner auf Alkoholmißbrauch beruhenden Alkoholisierung enthemmt war und die an sich belanglose wörtliche und tätliche Auseinandersetzung mit Johann E*** aufgrund seiner frustrationsintoleranten Persönlichkeitsstruktur - anders als ein Durchschnittsmensch - als besonders heftige Aggression empfand. Die Ursache des Affekts war demnach nicht in äußeren Umständen, sondern im psychisch abnormen Persönlichkeitsbild des Angeklagten und seiner Neigung zum Alkoholmißbrauch begründet. Dies läßt aber eine sozialethisch positive Bewertung im Sinn einer allgemeinen Begreiflichkeit des Affekts nicht zu (vgl. Mayerhofer-Rieder StGB3 ENr. 10, 10 a zu § 76).

Mangels eines tatsächlichen Substrats, das die rechtliche Beurteilung der Tat als Fall privilegierter vorsätzlicher Tötung eines Menschen im Sinn des § 76 StGB zuließ, war somit die Stellung einer Eventualfrage nach diesem Verbrechen verfehlt, weshalb in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Anklägers spruchgemäß zu erkennen war.

Der Vollständigkeit halber sei zum weiteren Rechtsmittelvorbringen bemerkt, daß das Gesetz für Schuldfragen nach Totschlag eine Konkretisierung jener Umstände, aus denen die Geschwornen im konkreten Fall eine Tatbegehung in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung ableiten könnten, nicht verlangt (EvBl. 1985/134 = RZ 1985/65 ua). Wird die Frage aber in diesem Belang konkretisiert, dann ist das zur Tatbeurteilung unter dem Aspekt der privilegierenden Merkmale des § 76 StGB maßgebende Tatsachensubstrat allerdings so zu beschreiben, daß den Geschwornen die Berücksichtigung aller bezüglichen Umstände des Einzelfalles (einschließlich der psychologischen Zusammenhänge) ermöglicht wird.

Anmerkung

E18637

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0160OS00032.89.1013.000

Dokumentnummer

JJT_19891013_OGH0002_0160OS00032_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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