TE OGH 1989/10/19 7Ob34/89

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Veröffentlicht am 19.10.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter S***, Gendarmeriebeamter, Feldkirch-Tosters, Hubstraße 30, vertreten durch Dr. Reinhard Pitschmann, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei D*** DER A***, Österreichische

Allgemeine Rechtsschutz-Versicherungs-AG, Wien 17., Hernalser Gürtel 17, vertreten durch Dr. Armin Paulitsch, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Revisionsinteresse S 61.000 s.A.) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 16. Juni 1989, GZ 2 R 97/89-11, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 22. Dezember 1988, GZ 3 Cg 351/88-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 617,70 an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 20. März 1986 und am 21. Oktober 1986 Unfälle. Zu diesem Zeitpunkt bestanden für ihn bei der E*** A*** V*** AG und bei der V***

L*** Privatunfallversicherungen und bei der beklagten Partei eine Rechtsschutzversicherung.

Der Kläger begehrte die Feststellung, die beklagte Partei habe ihm zur Verfolgung seiner Ansprüche aus der Unfallversicherung gegen die E*** A*** U*** AG aus dem Ereignis vom 20. März 1986 sowie zur Verfolgung seiner Ansprüche aus der Unfallversicherung gegen die V*** L*** aus den Ereignissen vom 20. März und 21. Oktober 1986 Versicherungsschutz im Umfang der Art 1 und 3 ARB und der Sonderbedingungen V, in eventu im Umfang der Art 1, 3 und 7 Z 5 zweiter Absatz ARB und der Sonderbedingungen V, zu gewähren. Über das auf Gewährung von Rechtsschutz zur Verfolgung von Ansprüchen gegen die V*** L*** aus den Ereignissen vom 20. März und 21. Oktober 1986 gerichtete Klagebegehren wurde bereits rechtskräftig entschieden. Es ist daher nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Zu seinem Begehren auf Gewährung von Versicherungsschutz zur Verfolgung von Ansprüchen gegen die E*** A*** aus dem Ereignis vom 20. März 1986 brachte der Kläger vor, es verbleibe aus diesem Unfall eine dauernde Invalidität. Der Kläger habe gegenüber der E*** A*** seine Ansprüche mit Schreiben vom 9. März 1988 unter Beischluß mehrerer Befundberichte angemeldet. Die E*** A*** habe hierauf bei dem Oberarzt Dr. Arnold H*** medizinischen Sachbefund und Gutachten in Auftrag gegeben. Im Gutachten vom 30. März 1988 habe Dr. H*** die Ansicht vertreten, es bleibe hinsichtlich des Ereignisses vom 20. März 1986 keine entschädigungspflichtige dauernde Invalidität zurück. Die E*** A*** habe daraufhin die Erbringung einer Versicherungsleistung hinsichtlich dieses Ereignisses aus dem genannten Grund abgelehnt. Das Gutachten des Sachverständigen sei unrichtig. Der Kläger habe deshalb bei der beklagten Partei um Kostendeckung für die Verfolgung seiner Ansprüche gegen die E*** A*** angesucht. Obwohl sich die E*** A*** bisher nicht darauf berufen habe, daß Ansprüche des Klägers auf Leistungen für dauernde Invalidität nach Art 8 II 2 AUVB binnen 15 Monaten geltend zu machen sind und daß diese Frist bei Zugang des Schreibens vom 9. März 1988 abgelaufen gewesen sei, verweigere die beklagte Partei die Kostendeckung. In der Folge habe der Vertreter des Klägers mit Schreiben vom 12. Oktober 1988 das Verfahren nach Art 14 AUVB hinsichtlich des Versicherungsfalles vom 20. März 1986 eingeleitet. Die E*** A*** habe hierauf mit Schreiben vom 20. Oktober 1988 geantwortet und als Vertreter der Ärztekommission ihrerseits Dr. Arnold H*** namhaft gemacht. Da die E*** A***

hinsichtlich des Ereignisses vom 20. März 1986 bisher nie den Einwand des Ablaufes der 15-monatigen Ausschlußfrist erhoben und mit Schreiben vom 20. Oktober 1988 sogar einen Gutachter namhaft gemacht habe, habe sie auf die Einwendung des Ablaufes dieser Frist verzichtet. Eine Berufung hierauf in Zukunft würde gegen Treu und Glauben verstoßen. Die beklagte Partei vertrete gleichwohl die Ansicht, die E*** A*** könne noch immer die Verfristung der Ansprüche des Klägers wegen Versäumung der 15-Monatefrist einwenden. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger habe die in Art 8 II 2 der AUVB normierte Anmeldefrist nicht gewahrt. Er habe daher - auch wenn die E*** A*** ihre Ablehnung bisher nicht auf Verfristung gestützt habe - keinen Anspruch aus dem bestehenden Unfallversicherungsvertrag. Es bestehe demnach keine hinreichende Aussicht auf Prozeßerfolg. Die Kostendeckung sei daher zu Recht abgelehnt worden.

Das Erstgericht gab der Klage im noch strittigen Umfang statt und traf folgende Feststellungen:

Dem vom Kläger bei der beklagten Partei abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1965/82) und die Sonderbedingungen für die Rechtsschutzversicherung V zugrunde. Das Erstgericht stellte den Inhalt dieser Urkunden fest. Während der aufrechten Dauer dieses Versicherungsverhältnisses erlitt der Kläger Unfälle am 20. März und 21. Oktober 1986. Zu diesen Zeitpunkten bestand zu seinen Gunsten eine Privatunfallversicherung sowohl bei der E*** A*** als auch bei der V***

L***. Der Kläger verständigte diese beiden Versicherungsgesellschaften von den Unfällen erstmals mit Schreiben vom 9. März 1988. Die V*** L*** vertrat in

einem Schreiben an den Kläger vom 13. Juni 1988 den Standpunkt, sie sei leistungsfrei, weil der Kläger die Frist des Art 8 II 2 AUVB nicht eingehalten habe. Die E*** A*** dagegen verständigte den Kläger mit Schreiben vom 21. März 1988 davon, daß sie den Oberarzt Dr. Arnold H*** mit der Durchführung einer vertrauensfachärztlichen Untersuchung betraut habe. Aufgrund des von Dr. H*** am 30. März 1988 erstatteten Gutachtens bezahlte die E*** A*** im Zusammenhang mit dem Unfall vom 21. Oktober 1986 an den Kläger einen Betrag von 70.000 S. Hinsichtlich des Vorfalls vom 20. März 1986 lehnte sie, gestützt auf das Gutachten des Dr. H***, eine Versicherungsleistung ab, weil ein Dauerschaden durch diesen Unfall nicht eingetreten sei. Mit Schreiben vom 12. Oktober 1988 bestritt der Vertreter des Klägers die Richtigkeit des Gutachtens, verlangte die Einsetzung einer Ärztekommission gemäß Art 14 Z 1 AUVB und machte für diese den Primar Dr. Hartmut H*** namhaft. Die E*** A*** bestätigte in ihrem Schreiben vom 20. Oktober 1988 den Inhalt des Schreibens vom 12. Oktober 1988 und machte ihrerseits als Vertreter in der Ärztekommission Dr. Arnold H*** namhaft. Während der bisherigen Kontakte hat sich die E*** A*** sowohl hinsichtlich des Unfalls vom 20. März 1986 als auch hinsichtlich des Unfalls vom 21. Oktober 1986 nie auf ein Verstreichen der 15-Monatefrist des Art 8 II 2 der AUVB berufen.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, nach Art 7 Abs 5 der ARB habe der Versicherer das Recht, seine Kostenhaftung zur Gänze abzulehnen, wenn er zum Ergebnis komme, daß erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg bestehe. Sei die Aussicht auf Prozeßerfolg nicht hinreichend, das heiße, ein Unterliegen im Prozeß wahrscheinlicher als ein Obsiegen, so sei er berechtigt, seine Kostenhaftung für die der Gegenseite zu erstattenden Kosten abzulehnen. Zu prüfen sei daher, ob die vom Kläger beabsichtigten Rechtsstreite gegen seine Unfallversicherer Aussicht auf Erfolg hätten. Dabei sei von den vom Kläger behaupteten Sachverhaltsgrundlagen auszugehen, ohne prüfen zu müssen, ob die Unfälle vom 20. März und 21. Oktober 1986 tatsächlich eine Invalidität des Klägers hervorgerufen haben. Bei der im Art 8 II 2 AUVB genannten Frist, wonach ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität innerhalb von 15 Monaten vom Unfallstag an unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes geltend zu machen und zu begründen sei, handle es sich um eine Ausschlußfrist. Der Kläger habe diese Frist versäumt. Die Unfallversicherer hätten keinerlei Verhalten gesetzt, das mit der verspäteten Anzeige in Zusammenhang stehe. Allfällige Ansprüche des Klägers aus dem Versicherungsvertrag mit der V*** L*** seien daher verfristet.

Anders verhalte es sich hinsichtlich der E*** A***, die sich nie auf den Ablauf der 15-Monatefrist berufen, sondern sich auf ein Verfahren nach Art 14 Z 1 AUVG eingelassen habe. Sie habe damit auf die Geltendmachung der Ausschlußfrist schlüssig verzichtet. Eine künftige Geltendmachung dieser Frist verstieße gegen Treu und Glauben. Ansprüche des Klägers gegen die E*** A*** könnten daher nicht als aussichtslos bezeichnet werden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000,-, nicht aber S 300.000,- übersteigt, und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig ist. Ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil keine Judikatur zur Auslegung des Art 7 Abs 5 ARB sowie zur Frage vorhanden sei, ob Art 8 II 2 AUVB eine überraschende (§ 864 a ABGB) oder sittenwidrige (§ 879 Abs 3 ABGB) Klausel darstelle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei (deren Zulässigkeit entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht nicht deswegen in Frage gestellt werden kann, weil dem Kläger von der E*** A*** V*** AG inzwischen hinsichtlich des Ereignisses vom 20. März 1986 eine Entschädigungsleistung von S 17.500,-

angeboten wurde, mit der sich der Kläger auch einverstanden erklärt hat) ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei führt in ihrer Revision aus, die E*** A*** habe die Ansprüche des Klägers materiell für nicht berechtigt gehalten und daher Versicherungsleistungen abgelehnt. Daß sich die E*** A*** bis zur Bestellung der Ärztekommission nicht auch auf die Ausschlußfrist des Art 8 II 2 AUVB berufen habe, könne dem Kläger nicht zum Vorteil gereichen. Der Anspruch des Klägers sei infolge Fristablaufes vernichtet worden. Die E*** A*** könne sich noch immer auf den Ablauf der Ausschlußfrist berufen. Damit seien die aus dem Versicherungsvertrag erhobenen Ansprüche des Klägers zum Scheitern verurteilt. Nach Art 7 Abs 5 der ARB sei aber der Rechtsschutzversicherer berechtigt, die begehrte Versicherungsdeckung abzulehnen, wenn erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg bestehe. Die Geltendmachung der Ausschlußfrist durch die E*** A*** wäre nur dann treuwidrig, wenn sie selbst ein Verhalten gesetzt hätte, das den Kläger veranlaßt habe, seine Forderungen nicht innerhalb der Frist geltend zu machen. Die Leistungsfrist des Unfallversicherers sei im Sinne des Art 8 II 2 AUVB objektiv zeitlich begrenzt. Im Falle einer Fristüberschreitung erlösche der Anspruch des Versicherungsnehmers, ohne daß es eines ausdrücklichen Einwandes des Versicherers bedürfe. Das Revisionsgericht schließt sich dieser Ansicht nicht an. Zwar vertritt der Oberste Gerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung (7 Ob 15/88 = VersR 1989, 421) die Ansicht, Art 8 II 2 AUVB bestimme eine Ausschlußfrist.

Diese Auffassung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes (VersR 1978, 1036 ff) und der deutschen Lehre (Wussow-Pürckhauer, AUB5 178 ff, Prölss-Martin, VVG24 1525). Obwohl es sich aber um eine Ausschlußfrist handelt - so daß dann, wenn sie versäumt wird, der Entschädigungsanspruch grundsätzlich erlischt -, kann doch der Versicherer dadurch, daß er sich auf diese Frist beruft, gegen Treu und Glauben verstoßen (VersR 1989, 422; VersR 1978, 1036 ff; Prölss-Martin aaO; Wussow-Pürckhauer aaO 179). Gegen Treu und Glauben verstößt die Berufung auf die Fristversäumnis unter anderem dann, wenn sie in irgendeiner Weise durch das Verhalten des Versicherers verursacht worden ist. Außerdem kann die Berufung auf den Fristablauf treuwidrig sein, wenn sich der Versicherer nach Fristablauf noch auf Verhandlungen einläßt und neue Gutachten anfordert (Prölss-Martin aaO, 7 Ob 11/89).

Im vorliegenden Fall hat die E*** A*** aufgrund des Schreibens des Klägers vom 9. März 1988, mit dem er unter anderem den Unfall vom 20. März 1986 erstmals und in offensichtlich verspäteter Weise der Versicherungsunternehmung anzeigte, nicht nur den Oberarzt Dr. Arnold H*** mit der Durchführung einer vertrauensfachärztlichen Untersuchung betraut, ohne in irgendeiner Form auf die verspätete Geltendmachung hinzuweisen, sondern auch noch, nachdem sie, gestützt auf das von ihr eingeholte Gutachten, eine Versicherungsleistung wegen dauernder Invalidität aufgrund des Unfalls vom 20. März 1986 abgelehnt hatte, dem Verlangen des Vertreters des Klägers auf Einsetzung einer Ärztekommission zugestimmt und einen Vertreter für diese Kommission namhaft gemacht. Unter den beschriebenen Umständen könnte eine künftige Geltendmachung des Ablaufes der 15-Monatefrist des Art 8 II 2 AUVB durch die E*** A*** wohl gegen Treu und Glauben verstoßen. Die beklagte Partei hat die Verfolgung der Ansprüche des Klägers wegen dessen Unfall vom 20. März 1986 gegen die E*** A*** nur deswegen abgelehnt, weil sie diese Ansprüche aus dem Grunde des Art 8 II 2 AUVB als erloschen ansieht. Aus den dargelegten Gründen könnte aber einer entsprechenden Einwendung der E*** A*** keine besonderen Erfolgschancen zugebilligt werden. Es kann daher auch nicht gesagt werden, daß eine Klagsführung keine Aussicht auf Erfolg hätte. Die Voraussetzungen für die Übernahme aller Kosten im Sinne des Art 7 Abs 5, erster Teil, ARB liegen daher insoweit vor. Mit Recht haben die Vorinstanzen dem Klagebegehren in diesem Umfang stattgegeben. Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E19095

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00034.89.1019.000

Dokumentnummer

JJT_19891019_OGH0002_0070OB00034_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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