TE OGH 1988/5/19 7Ob15/88

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Veröffentlicht am 19.05.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Angst und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Emiral O***, Pensionist, Dornbirn, Mühlegasse 8, vertreten durch Dr. Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei V*** DER Ö*** B***,

Versicherungs-AG, Wien 2, Praterstraße 1-7, vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen S 3,280.500,-- s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Dezember 1987, GZ 4 R 217/87-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 9. Juni 1987, GZ 4 Cg 9/87-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 22.756,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.068,80 an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der beklagten Partei einen Unfallversicherungsvertrag nach den Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung 1976 (AUVB 1976) mit einer Vertragsdauer vom 8. September 1984 bis 1. Oktober 1994 abgeschlossen. In diesem Vertrag ist für dauernde Invalidität eine Versicherungsleistung von S 2 Mio., ein Taggeldsatz von S 500,-- und ein Spitalgeldsatz von S 1.000,-- vereinbart. Am 16. Mai 1985 erlitt der Kläger bei einem Verkehrsunfall schwerste Verletzungen.

Der Kläger begehrt die Zahlung von S 3,280.500,-- s.A. und zwar S 3 Mio. auf Grund der Bestimmung des Art. 10 Z 5 AUVB 1976, ein Spitalgeld für 98 Tage von S 98.000,-- und ein Taggeld für 365 Tage von S 182.500,--. Er brachte vor, daß er nach Art. 10 Z 3 AUVB 1976 wegen völliger Arbeitsunfähigkeit zu 100 % invalid sei. Mit Schreiben vom 23. Mai 1986 sei der beklagten Partei eine Schadenanzeige samt ärztlichem Befund, aus dem sich eine dauernde Invalidität ergebe, übermittelt worden. Mit dieser Schadenanzeige sei der Anspruch auf Invaliditätsentschädigung geltend gemacht worden, was von der beklagten Partei auch so verstanden worden sei. Dies ergebe sich aus der qualifizierten Ablehnung iS des § 12 Abs. 3 VersVG vom 10. Juli 1986. Die qualifizierte Ablehnung einerseits und die Erklärung andererseits, daß ein Versicherungsanspruch nicht geltend gemacht worden sei, verstießen gegen Treu und Glauben.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie sei leistungsfrei. Am 18. Februar 1985 sei eine qualifizierte Mahnung nach § 39 VersVG erfolgt. Trotz nachfolgender Rechtsanwaltsmahnung und Erlassung eines Zahlungsbefehls sei die Prämie erst am 20. Mai 1985, sohin nach dem vorliegenden Unfall, bezahlt worden. Nach Art. 8 II.2. der AUVB 1976 sei ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes zu begründen. Es handle sich um eine Präklusionsfrist. Der Kläger habe innerhalb der 15 Monate weder seinen Anspruch geltend gemacht, noch diesen durch Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes begründet. Die Schadenmeldung vom 23. Mai 1986 könne nicht als Geltendmachung eines Anspruches wegen Dauerfolgen gewertet werden. Die Unterschriftsleistung eines Arztes ohne nähere Ausführungen könne nicht als Befundbericht angesehen werden.

Das Erstgericht gab der Klage statt und traf folgende Feststellungen:

Auf Grund des Versicherungsvertrages war der Kläger verpflichtet, ab dem 1. November 1984 eine monatliche Folgeprämie von S 872,40 zu bezahlen. Die Bezahlung erfolgte im Lastschriftverfahren über die Dornbirner Sparkasse. Der Einzug der Dezember-Folgeprämie konnte nicht mehr durchgeführt werden, weil das Konto des Klägers keine Deckung mehr aufwies, so daß es zu einer Rückbelastung im Lastschriftverfahren kam. Daraufhin setzte bei der beklagten Partei das EDV-Mahnverfahren ein, in dessen Rahmen als erste Maßnahme am 26. Jänner 1985 ein Erinnerungszahlschein erstellt wurde (Mahnstufe 1). Nachdem dieser Zahlungsaufforderung nicht nachgekommen wurde, wurde im Verfahren der Mahnstufe 2 am 18. Februar 1985 eine Mahnung gemäß § 39 VersVG von der Zentrale der beklagten Partei in Wien im automationsunterstützten Weg ausgedruckt und gelangte am 10. Februar 1985 an das Postbüro zum Versand. Dieser Mahnvordruck beinhaltete einen Zahlschein mit dem fälligen Prämienrückstand von S 2.677,20 inklusive Mahnspesen für Dezember 1984 bis Februar 1985 sowie die Rechtsbelehrung mit der zwingend vorgeschriebenen Fristsetzung iS des § 39 VersVG. Die Übermittlung der Mahnung samt beigeheftetem Zahlschein erfolgte nicht mittels eingeschriebenen Briefes, sondern wurde im üblichen Postweg an den Kläger abgesandt. Weder die erste Zahlungsaufforderung vom 26. Jänner 1985, noch das qualifizierte Mahnschreiben vom 20. Februar 1985 sind dem Kläger zugekommen. Ein Zustellnachweis für diese zwei Schreiben ist nicht vorhanden. Ob der Kläger im Jänner und Februar 1985 im Ausland war, läßt sich nicht feststellen. Nach der qualifzierten Fristmahnung erging seitens der beklagten Partei die sogenannte "Rechtsabteilungsmahnung der dritten Mahnstufe" am 3. März 1985. Nach der am 25. März 1985 erreichten höchsten Mahnstufe ging die interne Zuständigkeit in dieser Angelegenheit von der Zentrale der beklagten Partei in Wien auf die Landesdirektion Vorarlberg über. Diese brachte nach einer erfolglosen Rechtsanwaltsmahnung vom 2. April 1985 am 25. April 1985 beim Bezirksgericht Dornbirn eine Mahnklage ein, mit welcher neben einer ausständigen Prämie aus einer Haushaltsversicherung die rückständige Folgeprämie aus dem gegenständlichen Unfallversicherungsvertrag geltend gemacht wurde. Der daraufhin erlassene Zahlungsbefehl über S 4.475,-- samt Zinsen wurde dem Kläger am 7. Mai 1985 zugestellt und ist am 4. Juni 1985 in Rechtskraft erwachsen.

Am Tage der Zustellung des Zahlungsbefehls an den Kläger mußte dieser zusammen mit seiner Gattin einen Leichentransport in die Türkei begleiten. Bei der Rückfahrt wurde der Kläger auf der Tauernautobahn von einem Fahrzeug angefahren, als er aus seinem Auto stieg, um eine Hinweistafel zu lesen. Er erlitt bei diesem Unfall am 18. Mai 1985 ein schweres Schädelhirntrauma, eine Halbseitenlähmung links, einen offenen Unterschenkeltrümmerbruch links und weitere Verletzungen. Der Kläger war über einen Zeitraum von 98 Tagen in Spitalsbehandlung. Nach der stationären Behandlung und einer laufenden ambulanten Behandlung liegen beim Kläger als Folgen des Unfalls ein hochgradiges organisches Psychosyndrom nach SHT, atypische Reste nach weitgehender Rückbildung einer Halbseitenlähmung links sowie ein Zustand nach einem Dreietagenbruch am linken Unterschenkel vor. Gesamtheitlich gesehen liegt beim Kläger aus unfallchirurgischer, neurologischer und psychiatrischer Sicht eine dauernde Invalidität von 70 % vor, wobei sich diese Einstufung aus 40 % für das organische Psychosyndrom und aus 30 % für die unfallchirurgisch-orthopädischen Schädigungen zusammensetzt. Die 70 %-ige Invalidität ist als Dauerschaden anzusehen und bedingt eine dauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers, die bei seinen bisherigen beruflichen Verwendungen in der Landwirtschaft, als Hilfsarbeiter bei einer Elektrofirma, als Hilfsarbeiter im Eisenhandel und als Pächter eines Gasthauses gegeben ist. Der Kläger ist weder umschulungs- noch einschulungsfähig für andere Arbeiten und Beschäftigungen.

Am 20. Mai 1985 trug die Gattin des Klägers einem Angestellten ihres Lokals telefonisch auf, die rückständige Folgeprämie aus der Unfallversicherung im Betrag von S 6.600,-- direkt bei der beklagten Partei zur Einzahlung zu bringen. Tatsächlich wurde dieser Betrag im Kundenbüro der beklagten Partei bezahlt und von einem Angestellten der beklagten Partei entgegengenommen. Dieser Betrag deckte die rückständige Prämie aus der Unfallversicherung und die damit verbundenen Spesen ab.

Am 28. Februar 1986 wurde die beklagte Partei vom Vertreter des Klägers mit Schreiben Beilage G zur Leistung aufgefordert, was von der beklagten Partei mit Schreiben vom 10. Juli 1986 unter Berufung auf die nicht rechtzeitige Bezahlung der Folgeprämie abgelehnt wurde. Gleichzeitig machte die beklagte Partei den Kläger unter Hinweis auf Art. 18 AUVB aufmerksam, daß der Anspruch auf jeden Fall erlösche, wenn nicht innerhalb von sechs Monaten nach Zugang dieses Schreibens eine Klage eingebracht werde.

Zwischenzeitlich, nämlich am 23. Mai 1986, wurde der beklagten Partei unter Beischluß einer Kurznotiz die ausgefüllte Schadenanzeige übermittelt. Der behandelnde Arzt Dr. Martin J*** diagnostizierte in diesem Befundbericht, einem Vordruck der beklagten Partei, ein schweres Schädelhirntrauma mit mäßiger Hemiparese links. Die Frage nach einer bleibenden Invalidität des Klägers wurde von Dr. J*** bejaht. Gleichzeitig wurde in diesem Befundbericht die gänzliche Arbeitsunfähigkeit auf Dauer und die stationäre Behandlung vom 18. Mai bis September 1985 bestätigt. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, das Mahnschreiben nach § 39 VersVG reise auf Gefahr des Versicherungsunternehmens, das auch den Empfang durch den Versicherungsnehmer zu beweisen habe. Die beklagte Partei habe diesen Beweis nicht erbracht. Der Anspruch des Klägers sei nicht präkludiert. Der Kläger habe diesen Anspruch fristgerecht geltend gemacht. Die Schadenanzeige enthalte einen Befundbericht. Das Klagebegehren sei auch der Höhe nach berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, insbesonders auch jene, wonach dem Kläger weder die erste Zahlungsaufforderung, noch das qualifizierte Mahnschreiben zugekommen sei, und stellte zusätzlich fest, daß der Facharzt Dr. Martin J*** in der Schadenmeldung vom 3. April 1986 ein schweres Schädelhirntrauma und den Umstand bestätigt hat, daß beim Kläger eine bleibende Invalidität zu erwarten ist. Nach Art. 8 II.2. der AUVB 1976 sei ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes zu begründen. Die AUVB enthielten keine Sanktion gegen eine Versäumung der 15-monatigen Frist. Es erübrige sich deshalb, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Kläger der Bestimmung des Art. 8 II.2. der AUVB 1976 entsprochen habe. Der im Art. 8 II.1. der AUVB 1976 festgesetzte Risikoausschluß greife nicht Platz, denn es stehe fest, daß sich bereits innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an ergeben habe, daß eine dauernde Invalidität zurückbleibe. Das Klagebegehren sei auch der Höhe nach berechtigt. Das Erstgericht sei richtigerweise von einer 100 %-igen Invalidität des Klägers ausgegangen, weil der Kläger zur Gänze arbeitsunfähig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen § 503 Abs. 1 Z 2 bis 4 ZPO erhobene Revision ist nicht begründet.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit (§ 503 Abs. 1 Z 2 und 3 ZPO) liegt nicht vor. Die Ausführungen der beklagten Partei zu diesen Revisionsgründen enthalten im übrigen zum überwiegenden Teil Rechtsausführungen.

Der Oberste Gerichtshof teilt nicht die Auffassung der beklagten Partei, daß durch die am 7. Mai 1985 erfolgte Zustellung des gerichtlichen Zahlungsbefehls des Bezirksgerichtes Dornbirn die Voraussetzungen für die Leistungsfreiheit iS des § 39 Abs. 2 VersVG geschaffen wurden. Nach § 39 Abs. 1 VersVG kann der Versicherer, wird eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, dem Versicherungsnehmer ..... eine Zahlungsfrist von mindestens zwei

Wochen bestimmen ..... dabei sind die Rechtsfolgen anzugeben, die

nach § 39 Abs. 2 und 3 VersVG mit dem Ablauf der Frist verbunden sind; eine Fristbestimmung, ohne Beachtung dieser Vorschriften, ist unwirksam. Nach dem Abs. 2 des § 39 VersVG ist der Versicherer, tritt der Versicherungsfall nach dem Ablauf der Frist ein und ist der Versicherungsnehmer zur Zeit des Eintritts mit der Zahlung der Folgeprämie ..... in Verzug, von der Verpflichtung zur Leistung frei. Die Anwendung des § 39 VersVG setzt immer voraus, daß eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, dem Versicherungsnehmer danach eine Zahlungsfrist gesetzt und er "qualifiziert" gemahnt wurde. Im Zahlungsbefehl des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 29. April 1985 setzt nicht der Versicherer eine Frist zur Zahlung, sondern das Gericht trägt dem Kläger (im Zahlungsbefehl Beklagten) auf, die nach Darstellung der beklagten (dort klagenden) Partei rückständigen Prämien binnen 14 Tagen zu bezahlen. Vor allem aber werden in dem Zahlungsbefehl die in § 39 VersVG vorgesehenen Rechtsfolgen nicht angegeben.

Da nach § 39 Abs. 1, letzter Satz, VersVG eine Fristbestimmung ohne Angabe der Rechtsfolgen unwirksam ist, vermag der dem Kläger zugestellte Zahlungsbefehl die "qualifzierte" Mahnung nicht zu ersetzen. Leistungsfreiheit der beklagten Partei wegen nicht rechtzeitiger Zahlung einer Folgeprämie ist daher nicht gegeben. Nach Art. 8 II.2. der AUVB 1976 ist ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend zu machen und unter Vorlage einer ärztlichen Befundberichtes zu begründen. Mit der Frage, ob in dieser Bestimmung eine Ausschlußfrist oder eine Obliegenheit festgesetzt wird, waren Lehre und Rechtsprechung bereits mehrfach befaßt; der Oberste Gerichtshof hat hiezu zuletzt in der Entscheidung vom 25. Februar 1988, 7 Ob 3/88, ausführlich Stellung genommen. Er hat dabei insbesondere unter Berufung auf Wussow-Pürckhauer, AUB5, 178 ff, und Prölss-Martin, VVG23 1263 (iglS VVG24 1525) sowie auf die Rechtsprechung des deutschen BGH (VersR 1978, 1036 ff) seine bereits in mehreren Entscheidungen (7 Ob 48/81, 7 Ob 9/85, 7 Ob 52/87) vertretene Ansicht aufrecht erhalten, daß Art. 8 II.2. der AUVB 1976 eine Ausschlußfrist bestimmt. Der Oberste Gerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von der in diesen Entscheidungen vorgenommenen rechtlichen Beurteilung abzugehen. Obliegenheiten des Versicherungsnehmers iS des § 6 Abs. 3 VersVG werden im Art. 7 der AUVB statuiert. Die Verletzung dieser Obliegenheiten wird im Art. 13 der AUVB 1976 geregelt. Daß Art. 8 II.2. der AUVB 1976 aus diesem Grund eine sanktionslose Obliegenheit festlege, kann nicht angenommen werden, weil sich in diesem Fall die Bestimmung erübrigen würde. Nach dem Zweck der Bestimmung, zweifelhafte Spätschäden vom Versicherungschutz auszunehmen (vgl. VersR 1982, 567), kann in der vorgenommenen Befristung daher nur eine Ausschlußfrist erblickt werden, mit der die Leistungspflicht des Versicherers grundsätzlich objektiv zeitlich begrenzt wird.

Obwohl es sich aber um eine Ausschlußfrist handelt, kann doch der Versicherer dadurch, daß er sich auf diese Frist beruft, gegen Treu und Glauben verstoßen (7 Ob 3/88, 7 Ob 52/87 ua; Wussow-Pürckhauer aaO 178 ff, Prölls/Martin aaO, VersR 1978, 1036 ff).

Der Kläger hat ausdrücklich eingewendet, das Verhalten der beklagten Partei verstoße gegen Treu und Glauben (AS 24 f). Dieser Einwendung kann Berechtigung nicht abgesprochen werden. Es ist keine Frage, daß der Kläger mit dem Schreiben seines Vertreters vom 28. Februar 1986, Beilage G, die beklagte Partei zur Leistung aus dem Versicherungsvertrag aufgefordert, bzw. diese Leistung urgiert hat. Daß diese Leistung auf Grund dauernder Invalidität begehrt wird, war nach der Schadenanzeige offensichtlich. Dennoch hat sich die beklagte Partei in dem Schreiben vom 10. Juli 1986 auf die Erklärung beschränkt, sie könne Versicherungsschutz nicht gewähren, weil Versicherungsdeckung nach § 39 VersVG nicht gegeben sei, wobei sie der Ablehnung die Belehrung nach Art. 18 AUVB 1976 (= § 12 Abs. 3 VersVG) angefügt hat. Nach Treu und Glauben aber wäre die beklagte Partei gehalten gewesen, den Kläger darauf aufmerksam zu machen, daß sie in der erstatteten Schadenmeldung weder die Geltendmachung eines Anspruches auf Leistung für dauernde Invalidität noch auch einen ärztlichen Befundbericht erblickt, und daß die Geltendmachung des Anspruches und die Vorlage eines Befundberichtes innerhalb (einer Ausschlußfrist) von 15 Monaten vom Unfalltag an zu erfolgen habe. Ohne diesen Hinweis aber - wie er in anderen Fällen durchaus gemacht wird (vgl. 7 Ob 3/88) - durfte der Kläger im Hinblick auf die in der Schadenmeldung medizinisch begründete Behauptung dauernder Invalidität der Überzeugung sein, dem Erfordernis des Art. 8 II.2. der AUVB 1976 entsprochen zu haben.

Die Berufung der beklagten Partei auf den Fristablauf war daher treuwidrig, so daß der Anspruch des Klägers nicht wegen Fristversäumung erloschen ist.

Die in Art. 8 II.1. der AUVB 1976 statuierte Voraussetzung für den in Art. 8 II.2. der AUVB 1976 vorgesehenen Anspruch, daß sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet ergibt, daß eine dauernde Invalidität zurückbleibt, ist, worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat, durch die Schadenanzeige vom 3. April 1986 erfüllt, in der ärztlich bestätigt wird, daß beim Kläger eine bleibende Invalidität zu erwarten ist. Dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit (Definition der Invalidität) ist eine solche, deren Dauer nicht mit einiger Bestimmtheit abgesehen werden kann (Prölss/Martin, VVG24, 1524; vgl. auch Wussow-Pürckhauer aaO 176: ".... ist anzunehmen, wenn sie innerhalb eines Jahres, vom Unfalltag an gerechnet, vorliegt und anzunehmen ist, daß sie in erheblichem Maße länger als drei Jahre vom Abschluß der ärztlichen Behandlung an andauern wird, ohne daß ihr Ende mit Sicherheit abzusehen ist). Die in der Schadenanzeige (vom Versicherer!) verwendete Diktion entspricht daher den Ausführungen der Lehre zum Begriff der dauernden (im Gegensatz zur vorübergehenden) Invalidität.

Zu Unrecht macht die beklagte Partei geltend, die Leistung wäre entsprechend dem Invaliditätsgrad mit 70 % zu bemessen gewesen. Es steht fest, daß die 70 %-ige Invalidität des Klägers seine dauernde Arbeitsunfähigkeit bedingt, die bei seinen bisherigen beruflichen Verwendungen gegeben ist, und daß der Kläger für andere Arbeiten und Beschäftigungen weder umschulungs- noch einschulungsfähig ist. Daß der Grad der Arbeitsunfähigkeit nicht zwangsläufig gleich dem Grad der Invalidität zu setzen ist, geht schon aus Art. 10 Z 1 der AUVB 1976 hervor ("Für die Bemessung der Leistung gelten unter Ausschluß des Nachweises einer höheren oder geringeren Arbeitsfähigkeit folgende Invaliditätsgrade"). Da sich der Invaliditätsgrad des Klägers nach der Gliedertaxe nicht bestimmen läßt, sind die Vorinstanzen bei Bemessung der Leistung zutreffend von Art. 10 Z 3 der AUVB 1976 ausgegangen, wonach bei der Bemessung in Betracht gezogen wird, inwieweit der Versicherte imstande ist, Erwerb durch einen Beruf (Beschäftigung) zu erzielen, der seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufes zugemutet werden kann. Gegenstand des Schutzes der Unfallversicherung ist danach die Arbeitsfähigkeit selbst; der Invaliditätsgrad ist in diesem Fall unter Berücksichtigung der ausgeübten Tätigkeit zu bemessen (Wussow-Pürckhauer aaO 182 ff). Bei der von der Gliedertaxe unabhängigen Bemessung des Grades der Invalidität nach Art. 10 Z 3 AUVB 1976 ist der körperliche Zustand des Versicherten nur insoweit Beurteilungsgrundlage seiner Arbeitsfähigkeit, als ihm Bedeutung für die Fähigkeit zur Arbeitsleistung zukommt (Bruck-Moeller-Wagner, VVG8 VI/1, Anm. G 308). Maßgebend ist daher die Arbeitsfähigkeit des Klägers; da diese nicht mehr gegeben ist, beträgt auch die Invalidität des Klägers iS des Art. 10 Z 3 der AUVB 1976, ungeachtet der medizinischen Beurteilung, 100 %. Die Versicherungsleistung war dementsprechend zu bemessen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E14704

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00015.88.0519.000

Dokumentnummer

JJT_19880519_OGH0002_0070OB00015_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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