TE OGH 1990/3/8 12Os172/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.03.1990
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.März 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer in der Strafsache gegen Slavko T*** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 3.November 1989, GZ 1 b Vr 601/89-13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, der gesetzlichen Vertreter des Angeklagten, Nedeljko T*** und Ljubojka T***, und des Verteidigers Dr. Frühwald, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 4 (vier) Monate erhöht.

Der Angeklagte wird mit seiner (nicht ausgeführten) Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 18.Juni 1973 geborene Jugendliche Slavko T*** wurde der Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach dem § 202 Abs. 1 StGB und des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er in Wien

A/ am 20.Februar 1989 außer den Fällen des § 201 StGB eine Person, nämlich die am 17.Februar 1976 geborene Sandra S***, mit Gewalt, indem er sich auf sie setzte und er selbst sowie mehrere unbekannte Personen sie an Armen und Beinen gegen den Erdboden drückten, zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung, nämlich zum Betasten der aus dem Büstenhalter gezogenen nackten Brust, genötigt; B/ am 21.März 1989 Verfügungsberechtigten der Firma "H***" eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Paar Sportschuhe im Wert von 799 S, mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen getrachtet, indem er die Schuhe an sich nahm und damit das Geschäftslokal ohne Bezahlung zu verlassen suchte. Daneben erging ein unbekämpft gebliebener (im Gesetz nicht vorgesehener Qualifikations-)Freispruch.

Seine Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 5, 9 lit a und b sowie 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Zum Schuldspruch wegen Vergehens der

geschlechtlichen Nötigung (A):

Der laut Mängelrüge (Z 5) innere Widerspruch des Urteils, der darin bestehen soll, daß der Angeklagte Sandra S*** mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt habe (Urteilsspruch), wogegen das Erstgericht in den Urteilsgründen davon ausgehe, daß er die ohne Beziehung auf einen geschlechtlichen Mißbrauch herbeigeführte "Wehrlosigkeit des Mädchens dazu benutzte", um Sandra S*** "zu einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen" (S 95; was aber schon begrifflich ausgeschlossen sei, weil eine bereits Wehrlose nicht genötigt werden könne), liegt in Wahrheit nicht vor. Denn aus den Urteilsfeststellungen in ihrer Gesamtheit ergibt sich, daß das am Boden liegende und vom Angeklagten festgehaltene Mädchen zu dem Zeitpunkt, als er den Entschluß faßte, es zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen, nicht "wehrlos" im Sinn von widerstandsunfähig (§ 205 Abs. 2 StGB) war, sondern es vielmehr des weiteren Einsatzes von physischer Kraft durch ihn selbst und "andere Kinder" (S 95, 96) bedurfte, um Sandra S*** am Boden festzuhalten und zu zwingen, die Entblößung und das Betasten ihrer Brust hinzunehmen.

Die den Schuldspruch wegen § 202 Abs. 1 StGB betreffenden Rechtsrügen des Angeklagten (Z 9 lit a und 10) erweisen sich zum Teil als nicht gesetzmäßig ausgeführt, zum Teil als unbegründet:

Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, daß er wegen der von ihm am 20.Februar 1989 begangenen Tat des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB in der Fassung der StG-Novelle 1989, BGBl 1989/242, sohin nach einem Strafgesetz schuldig erkannt worden ist, das erst mit 1.Juli 1989 (sohin nach der Tat) in Kraft getreten ist. Allerdings erweist sich die in der Beschwerde vertretene Rechtsansicht, es habe vor dem Inkrafttreten der StG-Novelle 1989 kein "vergleichbares Delikt" gegeben, als nicht zutreffend. Denn vor dem 1.Juli 1989 wäre das vom Erstgericht festgestellte Verhalten des Angeklagten als Vergehen der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs. 1 StGB (gleichfalls) mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen gewesen. Dieses Vergehens machte sich nämlich schuldig, wer außer den Fällen der §§ 201 bis 203 StGB (aF) eine Person mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zur Unzucht nötigte, wobei unter Unzucht jede nicht bloß flüchtige sexualbezogene Berührung von zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen, somit dem männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümlichen Körperpartien des Opfers, also jedenfalls auch das Betasten der (voll entwickelten - S 94, 98) nackten Brust des Mädchens durch den Täter, zu verstehen war.

Davon ausgehend ergibt aber der gemäß § 61 StGB vorzunehmende Günstigkeitsvergleich zwischen altem und neuem Recht, daß dem Erstgericht bei der Beurteilung des in Rede stehenden Sachverhalts als - unverändert mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedrohtes - Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach dem § 202 Abs. 1 StGB nF kein Rechtsirrtum unterlaufen ist. Denn § 61 StGB ordnet in Ergänzung des § 1 Abs. 1 StGB die Anwendung neuer Strafgesetze schon dann an, wenn diese - wie im konkreten Fall bei gleicher Strafdrohung - in ihrer Gesamtauswirkung für den Täter zumindest gleich günstig sind wie die zur Tatzeit in Geltung gestandenen Gesetze.

Soweit der Beschwerdeführer in seinen Rechtsrügen - wie bereits bei Behandlung der Mängelrüge dargetan - unter verfehlter Interpretation der Urteilsfeststellungen vorsätzlichen Einsatz von Gewalt zur Willensbeugung in Abrede stellt und von einer Ausnützung einer von ihm nicht herbeigeführten "Wehrlosigkeit" des Opfers ausgeht, setzt er sich über jene Urteilskonstatierungen hinweg, wonach er die Zeugin zunächst - wenn auch ohne Beziehung auf geschlechtlichen Mißbrauch - zu Boden riß, sie in der Folge durch vorsätzlichen weiteren Einsatz physischer Kraft am Boden festhielt und zwang, die Entblößung und das Betasten ihrer Brust zu dulden (S 95, 96; 99).

Im übrigen übersieht der Beschwerdeführer, daß durch die Gleichsetzung des vom Erstgericht verwendeten Ausdrucks "Wehrlosigkeit" mit dem gesetzlichen, eine Lage extremer subjektiver Hilflosigkeit umschreibenden Begriff der Widerstandsunfähigkeit (von der nur gesprochen werden kann, wenn weiterer Widerstand unmöglich, aussichtslos oder unzumutbar ist, sodaß infolge der bereits geschehenen Ausschaltung eines entgegenstehenden Willens eine weitergehende - gewaltsame - Willensbeugung "begrifflich nicht möglich ist") für ihn nichts gewonnen wäre; hätte er doch diesfalls das mit gleicher Strafe bedrohte Vergehen der Schändung nach dem § 205 Abs. 2 StGB zu verantworten.

Zum Schuldspruch wegen Vergehens des versuchten

Diebstahls (B):

Eine Unvollständigkeit und Undeutlichkeit (Z 5) bzw einen Feststellungsmangel (Z 9 lit a) macht die Beschwerde mit der Begründung geltend, dem Urteil sei nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte bei der Sachwegnahme mit Bereicherungsvorsatz gehandelt habe. Vielmehr sei sein Handlungsmotiv, nämlich eine "Wette", völlig unberücksichtigt geblieben. In Wahrheit habe er nicht einmal mit dem Vorsatz gehandelt, die Sache dauernd aus dem Gewahrsam Verfügungsberechtigter des Kaufhauses "H***" zu entziehen. Mit diesem Vorbringen übergeht der Beschwerdeführer seine Angaben vor der Polizei vom 21.März 1989, wonach er - angestiftet von seinem Freund Zoltan F*** - den Entschluß faßte, Schuhe zu stehlen (S 50), die sein Freund verkaufen könne (S 44); gleichermaßen setzt er sich über sein diesbezüglich in der Hauptverhandlung ausdrücklich in Richtung des Vergehens des versuchten Diebstahls abgelegtes Geständnis (S 87) hinweg. In voller Übereinstimmung mit der Verantwortung des Angeklagten, sohin auch unter Einbeziehung seines Handlungsmotivs, gelangten daher die Tatrichter unter Hinweis auf diese Angaben (S 98) mängelfrei zu den nunmehr (im Ergebnis zu Unrecht) vermißten Urteilsannahmen, wonach er "aufgrund einer Wette" beschlossen hat, einen Diebstahl auszuführen (S 96, 100). Daraus und im Zusammenhalt mit dem Urteilsspruch ergibt sich aber - der Beschwerde zuwider - mit hinlänglicher Deutlichkeit, daß der Angeklagte nach tatrichterlicher Beurteilung mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung gehandelt hat. Da der Angeklagte bei der Wegnahme der Sportschuhe beobachtet wurde, ihm also der Bruch des Gewahrsams nicht gelang, wurde ein solcherart zutreffend begründeter Versuch des Diebstahls angenommenen (Foregger-Serini4, Erl V zu § 127 StGB). Der so gesehen auf mängelfrei begründeten, ausreichenden Urteilsfeststellungen basierende Schuldspruch wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls erweist sich sohin als rechtsrichtig. Nicht zielführend bleibt schließlich auch der Beschwerdeeinwand, daß in Ansehung des versuchten Diebstahls die Voraussetzungen des § 42 StGB (Z 9 lit b) vorlägen. Denn abgesehen davon, daß die Anstiftung des Angeklagten durch Zoltan F***, welcher kurz vorher (schon in dessen Begleitung) einen gleichartigen Diebstahl von Sportschuhen im Werte von 898 S ausgeführt hatte (S 43), keineswegs so massiv war, um in Ansehung des Angeklagten bereits die Bejahung geringer Schuld rechtfertigen zu können (daß die Tat keine Folgen nach sich gezogen hat, liegt im Wesen des Versuchs), erfordern - entgegen der unkonkretisierten gegenteiligen Behauptung des Beschwerdeführers - insbesondere spezialpräventive Erwägungen eine Bestrafung des Angeklagten. Dieser war nämlich nach der Aktenlage während der zu 12 b Vr 799/88 des Jugendgerichtshofes Wien gemäß dem § 9 Abs. 1 Z 1 JGG wegen Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach dem § 136 Abs. 1 und Abs. 2 StGB am 14. März 1989 festgesetzten Probezeit jedenfalls in Kenntnis des Umstandes, daß gegen ihn wegen der vom Schuldspruch A erfaßten Tat ein (weiteres) Verfahren anhängig war (Niederschrift vom 21. Februar 1989 - S 17) bereits am 21.März 1989 neuerlich straffällig geworden (Schuldspruch B), wobei er sich - nachdem er eben Zeuge eines von seinem Begleiter verübten Diebstahls geworden war - dessen Jeans-Jacke zur Verbergung des angestrebten Diebsguts überstreifte (S 43, 44). Sein Versuch, zum Beweis seines "Mutes" Sportschuhe im Werte von 799 S zu stehlen, konnte nur infolge der Aufmerksamkeit der Warenhausdetektivin vereitelt werden. Dazu kommt, daß der Angeklagte nach seiner Betretung auf frischer Tat zunächst gezielt ein falsches Nationale angab, um solcherart unentdeckt zu bleiben (S 50).

Demgemäß ist eine Bestrafung des Beschwerdeführers unerläßlich, um ihn künftig von strafbaren Handlungen abzuhalten. Die zur Gänze nicht berechtigte Nichtigkeitsbeschwerde war sohin zu verwerfen.

Zu den Berufungen:

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten gemäß §§ 28, 202 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG eine Freiheitsstrafe von einem Monat, welche gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen zweier Vergehen sowie den "Rückfall in einer Probezeit" (gemeint: Diebstahlsversuch zu B ca eine Woche nach der vorläufigen Einstellung des Verfahrens AZ 12 b Vr 799/88 des Jugendgerichtshofes Wien) als erschwerend, als mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel, den Umstand, daß der Diebstahl beim Versuch geblieben ist und das Teilgeständnis des Angeklagten.

Diesen Strafausspruch bekämpfen die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte (letzterer allerdings in diesem Punkt ohne Rechtsmittelausführung) mit Berufung.

Der eine Erhöhung des Strafausmaßes anstrebenden Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu. Unbeschadet der beiden Deliktshandlungen innewohnenden Komponenten jugendlicher Unausgewogenheit wird doch in ihnen eine nicht unerhebliche deliktische Willensintensität erkennbar, die die ausgesprochene Freiheitsstrafe bei der hier aktuellen Strafdrohung von bis zu eineinhalb Jahren weder als tat-, noch als tätergerecht erscheinen läßt. Mag auch dem Angeklagten die vorläufige Einstellung des Verfahrens AZ 12 b Vr 799/88 des Jugendgerichtshofes Wien erst nach den in Rede stehenden Taten durch Zustellung bekannt gemacht worden sein (Akt 12 b Vr 799/88, ON 13), so wurde der Angeklagte doch in beiden Fällen zumindest in Kenntnis seiner gerichtlichen Strafverfolgung in jenem Verfahren (in dem er immerhin eine mehrstündige polizeiliche Verwahrungshaft erlitten hatte) erneut straffällig, ohne sich einer davon ausgehenden präventiv-erzieherischen Wirkung zugänglich zu zeigen. Unter weiterer Berücksichtigung des in der Beteiligung mehrerer Täter gelegenen erhöhten Störwerts der geschlechtlichen Nötigung und des für seine Persönlichkeitsbeurteilung nicht günstigen Versuchs des Angeklagten, bei seiner Betretung mit dem Diebsgut seine Identität durch unrichtige Angaben zu verschleiern, erweist sich in Verbindung mit den im übrigen vom Erstgericht zutreffend festgestellten Strafzumessungsgründen eine Freiheitsstrafe von vier Monaten als sachgerecht, weshalb (unter Beibehaltung der bedingten Strafnachsicht gemäß § 43 Abs. 1 StGB) mit entsprechender Straferhöhung vorzugehen war.

Mit seiner hiedurch gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E19895

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0120OS00172.89.0308.000

Dokumentnummer

JJT_19900308_OGH0002_0120OS00172_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten