TE OGH 1990/4/3 14Os27/90 (14Os28/90)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.04.1990
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.April 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Felzmann und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofko als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Udo Rudolf P*** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146 f StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8.Mai 1989, AZ 20 qu Vr 8.024/84, sowie einen weiteren Vorgang, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, und des Vertreters der betroffenen Beteiligten Dr. Alexandra C***-M***,

Rechtsanwältin Dr. Prokopp, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Strafverfahren zum AZ 20 qu Vr 8024/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde das Gesetz verletzt

1. durch den Vorgang, daß der Untersuchungsrichter die Zeugin Dr. Alexandra C***-M*** anläßlich ihrer Vernehmung am 8. Mai 1989 nicht über die Möglichkeit der Zeugnisverweigerung nach § 153 Abs. 1 StPO belehrte, in der Bestimmung des § 153 Abs. 3 StPO, ferner dadurch, daß er die Genannte trotz Vorliegens eines Entschlagungsgrundes zur Ablegung einer Zeugenaussage verhielt, in der Bestimmung des § 153 Abs. 1 StPO;

2. durch den Beschluß des Untersuchungsrichters vom 8.Mai 1989, mit dem über Dr. Alexandra C***-M*** die Beugehaft

verhängt wurde, in der Bestimmung des § 160 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Im Verfahren zum AZ 20 qu Vr 8024/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde im Zuge von Erhebungen nach dem Verbleib des Angeklagten Udo P*** Dr. Alexandra C***-M*** zunächst am 2.Dezember 1988 von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien über ihren (eigenen) Aufenthaltsort in der Zeit vom 16.August bis zum 11. September 1988 niederschriftlich vernommen. Hiedurch sollte geklärt werden, ob sie sich während dieses Zeitraumes mit dem Angeklagten P*** getroffen hatte. Da sich Dr. C***-M*** auf die (nach ihrem eigenen Vorbringen in ON 9 des Aktes 23 b Vr 2191/89 des LGSt Wien erst am 7.Juni 1989 urteilsmäßig festgestellte) Vaterschaft des Udo P*** zu ihrem außerehelich geborenen Kind Nikolaus Luitpold Jurij (von) G*** berief, wurde sie vor der Befragung zur Sache - im Ergebnis zutreffend (vgl. NRsp 1988/8) - belehrt, daß hieraus ein Entschlagungsrecht nach § 152 Abs. 1 Z 1 StPO nicht ableitbar sei. Sie gab hierauf an, sich während des zuvor genannten Zeitraumes ausschließlich in Österreich und somit keinesfalls in Manila aufgehalten zu haben und auch nicht mit Udo P*** zusammengetroffen zu sein.

Am 17.Feber 1989 befragte sie der zuständige Untersuchungsrichter im selben Verfahren als Zeugin unter anderem auch zu dem vorerwähnten Beweisthema, nachdem er sie über den Begriff der Lebensgemeinschaft im Sinn des § 72 Abs. 2 StGB belehrt, ihr ein nunmehr auch in dieser Hinsicht reklamiertes Zeugnisbefreiungsrecht nach § 152 Abs. 1 Z 1 StPO nicht zuerkannt und sie schließlich noch auf ihr Recht zur Zeugnisverweigerung nach § 153 StPO dergestalt hingewiesen hatte, daß sie "hinsichtlich einzelner Fragen das Recht habe, das Zeugnis zu verweigern, falls die Beantwortung der Frage für sie die Schande oder die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder einen unmittelbaren und bedeutenden vermögensrechtlichen Nachteil nach sich zieht". Als sie hierauf dennoch unter neuerlicher Berufung auf den Bestand einer Lebensgemeinschaft mit dem Angeklagten P*** die Ablegung einer Zeugenaussage generell verweigerte, verhängte der Untersuchungsrichter über sie eine Beugestrafe in der Höhe von 2.000 S.

Da inzwischen diverse Erhebungsergebnisse die inhaltliche Unrichtigkeit der in Rede stehenden Beweisaussage

Dris. C***-M*** vor dem Sicherheitsbüro indizierten, stellte die Staatsanwaltschaft Wien am 23.Feber 1989 den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung gegen die Genannte wegen des Vergehens nach § 289 StGB, dem der zuständige Untersuchungsrichter mit dem am 6.März 1989 gefaßten Beschluß - welcher der Betroffenen am 30.März 1989 kundgemacht wurde - entsprach (S 1, 2 und 34 im Akt 23 b Vr 2191/89). Als Dr. C***-M*** im Zuge des nunmehr gegen sie anhängigen Strafverfahrens vom Untersuchungsrichter am 18.April 1989 als Beschuldigte abgehört wurde, erklärte sie ausdrücklich, über ihren Aufenthalt während des bezeichneten Zeitraumes keine Angaben machen zu wollen (S 35 verso im Akt 23 b Vr 2191/89).

Am 8.Mai 1989 setzte der Untersuchungsrichter im Verfahren zum AZ 20 qu Vr 8024/84 die zeugenschaftliche Vernehmung Dris. C***-M*** über allfällige Kontakte zu Udo P*** nach dessen Flucht ins Ausland fort. Dabei befragte er sie - nach Belehrung in Richtung der §§ 288 und 299 StGB sowie des § 160 StPO, jedoch ohne (neuerlichen) Vorhalt der Bestimmung des § 153 StPO - ungeachtet ihrer nunmehrigen Stellung als Beschuldigte im Verfahren zum AZ 23 b Vr 2191/89 - auch wieder über ihren Aufenthalt während des Zeitraumes vom 16.August bis 11. September 1988. Da Dr. C***-M*** die Beantwortung dieser Frage zunächst mit dem Hinweis auf das gegen sie anhängige Strafverfahren und schließlich unter Berufung auf ihre Angehörigeneigenschaft als Mutter eines außerehelichen Kindes des Angeklagten P*** ablehnte, wurde vom Untersuchungsrichter über sie die Beugehaft nach § 160 StPO verhängt.

Rechtliche Beurteilung

Das Vorgehen des Untersuchungsrichters anläßlich der Zeugenvernehmung vom 8.Mai 1989 steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die Abgrenzung der Position des Zeugen von jener des Beschuldigten sowohl für die Hauptverhandlung als auch (angesichts der Regelung des Aussagenotstandes durch § 290 StGB nunmehr) hinsichtlich des Vorverfahrens allein nach der prozessualen Stellung der vernommenen Person und demgemäß ausschließlich nach formellen Gesichtspunkten vorzunehmen (vgl. insbesondere JBl. 1981, 276; RZ 1984/43; Pallin im WK § 288 Rz 6). Hieraus folgt zum einen, daß in ein- und demselben Verfahren niemand zugleich Angeklagter und Zeuge sein kann (vgl. 11 Os 201/83, 11 Os 11/87). Zum anderen ergibt sich aus diesem formellen Standpunkt in Verbindung mit §§ 153 und 170 Z 1 StPO, welche (ebenso wie § 290 StGB mit der Statuierung des Schuldausschließungsgrundes des Aussagenotstandes) dem Widerstreit zwischen der Verpflichtung des Zeugen zur Ablegung einer wahren Aussage und der hieraus resultierenden Gefahr einer Selbstbezichtigung Rechnung tragen und durch die zuerst angeführte Bestimmung eine (relative) Zeugnisbefreiung sowie mittels des § 170 Z 1 StPO den Ausschluß einer Beeidigung des belasteten Zeugen normieren, daß nicht nur Vernehmungen eines Tatbeteiligten (§ 12 StGB) in einem gegen seinen Komplizen gesondert geführten Strafverfahren, sondern überhaupt Vernehmungen von Personen außerhalb des gegen sie selbst anhängigen Verfahrens als Zeugenvernehmungen durchzuführen sind.

Dies gilt im vorliegenden Fall für Dr. C***-M***,

deren Strafverfahren wegen des Verdachtes des - mutmaßlich zugunsten des Udo P*** verübten - Vergehens der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 StGB abgesondert vom Verfahren gegen den Angeklagten P*** geführt wird.

Im allgemeinen reicht zwar die einem Zeugen einmal (rechtsrichtig und vollständig) erteilte Belehrung über das in Rede stehende Zeugnisentschlagungsrecht auch für fortgesetzte Vernehmungen (im selben Verfahren aus) und muß nicht bei jeder weiteren (ergänzenden) Befragung des Zeugen ausdrücklich wiederholt werden. Ergeben sich jedoch zwischen der ersten und einer weiteren Vernehmung des Zeugen (zusätzliche) Umstände, die augenfällig die Möglichkeit einer Zeugnisverweigerung nahelegen, wozu insbesondere die förmliche Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Zeugen im Zusammenhang mit dem Gegenstand seiner (weiteren) Vernehmung zählt, dann ist die neuerliche Belehrung des Zeugen über das Recht zur Zeugnisentschlagung nach § 153 StPO bei der fortgesetzten Vernehmung jedenfalls erforderlich. Denn § 153 Abs. 3 StPO schreibt die Belehrung eines Zeugen über das Zeugnisverweigerungsrecht nach Abs. 1 und Abs. 2 dieser Gesetzesstelle zwingend vor, sobald sich Anhaltspunkte für die Möglichkeit einer derartigen Zeugnisverweigerung zeigen (vgl. SSt. 48/80, 48/25). Am 8.Mai 1989 war es bereits aktenkundig, daß gegen Dr. C***-M*** ein Verfahren wegen des Vergehens nach § 289 StGB anhängig war, das einen Sachverhalt zum Gegenstand hatte, der sich mit dem Thema der Zeugenbefragung deckte. Der Untersuchungsrichter hätte sich somit an diesem Tag nicht damit begnügen dürfen, der Zeugin bereits bei der Vernehmung vom 17. Feber 1989 auch § 153 StPO vorgehalten zu haben. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, daß die Dr. C***-M*** bei der ersten Vernehmung als Zeugin am 7.Feber 1989 erteilte - oben wiedergegebene - Belehrung durch den Untersuchungsrichter, (bloß) das Recht zu haben, hinsichtlich "einzelner Fragen" das Zeugnis zu verweigern, gar nicht dem tatsächlichen Umfang des in § 153 Abs. 1 StPO in der geltenden Fassung normierten Zeugnisentschlagungsrecht entspricht.

Die Unterlassung dieser unter den gegebenen Voraussetzungen zwingend vorgeschriebenen Belehrung verstieß gegen die Bestimmung des § 153 Abs. 3 StPO.

Die zeugenschaftliche Vernehmung am 8.Mai 1989 lief zwangsläufig (auch) darauf hinaus, die auf Grund ihrer Zeugenstellung nunmehr unter Wahrheitspflicht stehende Dr. Alexandra C***-M*** zum allfälligen Eingeständnis der ihr im Verfahren zum AZ 23 b Vr 2191/89 zur Last gelegten falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 StGB zu verhalten.

Dadurch, daß die Zeugin zur Ablegung einer Aussage veranlaßt wurde, obwohl nach der Aktenlage ein Entschlagungsgrund vorlag - auf den die Zeugin auch anläßlich ihrer Vernehmung am 8.Mai 1989 durch den Hinweis auf ihr Strafverfahren aufmerksam gemacht hat -, ist das Gesetz in der Bestimmung des § 153 Abs. 1 StPO verletzt worden; eine Interessenabwägung (§ 153 Abs. 1 am Ende StPO) hinwieder wurde nicht vorgenommen.

Gemäß § 160 StPO ist der Untersuchungsrichter berechtigt, durch Verhängung einer Beugestafe und bei weiterer Weigerung in wichtigen Fällen durch Verhängung einer Beugehaft Zeugen zur Aussage anzuhalten, wenn der Zeuge ohne gesetzlichen Grund ein Zeugnis abzulegen verweigert. Die Verhängung der Beugehaft, obwohl ein Entschlagungsgrund vorlag (und eine Interessenabwägung nicht vorgenommen wurde), verstieß daher auch gegen die Bestimmung des § 160 StPO und kommt der Ausübung unzulässigen Zwanges zur Ablegung eines Geständnisses gleich.

In Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher die Verletzung des Gesetzes in den Bestimmungen der §§ 153 Abs. 1, Abs. 3 und 160 StPO festzustellen und der Beschluß, mit dem die Beugehaft verhängt wurde, in Anordnung des § 292 letzter Satz StPO zu beheben.

Anmerkung

E20204

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0140OS00027.9.0403.000

Dokumentnummer

JJT_19900403_OGH0002_0140OS00027_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten