TE OGH 1990/5/23 9ObA117/90

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Veröffentlicht am 23.05.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Adametz und Eduard Giffinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T*** G***, Innsbruck,

Klara-Pölt-Weg 2, vertreten durch Dr.Harald E.Hummel, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Fritz B***, Monteur, St.Johann i.P., Breitenbach 115, vertreten durch Dr.Gert Kastner und Dr.Hermann Tscharre, Rechtsanwälte in Innsbruck,

2. Hubert W***, ÖBB-Bediensteter, Grins Nr 57, vertreten durch Dr.Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, sowie des Nebenintervenienten auf seiten der zweitbeklagten Partei Ö*** B***, Wien 1., Elisabethstraße 9, vertreten

durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 182.185,62 sA und Feststellung (S 50.000), infolge Revision aller Parteien und des Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.November 1989, GZ 5 Ra 142/89-54, womit infolge Berufung der beklagten Parteien und des Nebenintervenienten das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 26.Juni 1989, GZ 47 Cga 77/88-44, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Revisionen der beklagten Parteien und des Nebenintervenienten wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision der klagenden Partei Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird. Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen wie folgt:

a) beide Beklagten zur ungeteilten Hand S 67.456,05 (darin S 11.177,92 Umsatzsteuer und S 388,50 Barauslagen),

b) der Zweitbeklagte überdies noch S 8.042,69 (darin S 473,78 Umsatzsteuer und S 5.200 Barauslagen).

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen wie folgt:

im Berufungsverfahren

a) beide Beklagten zur ungeteilten Hand S 9.134,40 (darin S 1.522,40 Umsatzsteuer),

b) der Zweitbeklagte überdies noch S 566,54 (darin S 94,12 Umsatzsteuer)

im Revisionsverfahren

a) beide Beklagten zur ungeteilten Hand S 8.151,66 (darin S 1.358,61 Umsatzsteuer),

b) der Erstbeklagte überdies noch S 2.043,36 (darin S 340,56 Umsatzsteuer) und

c) der Zweitbeklagte überdies noch S 9.447,34 (darin S 741,22 Umsatzsteuer und S 5.000 Barauslagen).

Text

Entscheidungsgründe:

Im September 1986 war im Streckenbereich Ötztal Bahnhof-Stams die ÖBB-Oberleitung neu zu verlegen. Den diesbezüglichen Auftrag erhielt die S*** AG; die Bauüberwachung oblag der Elektrobauleitung Uttendorf, Losbauführung Innsbruck, der ÖBB. Der Erstbeklagte war als Arbeitnehmer der S*** AG Partieführer; ihm unterstanden ca 10 bis 12 Monteure, die in Zweier- bis Vierergruppen arbeiteten. Der Zweitbeklagte ist ÖBB-Bediensteter und hatte als Schaltbefugter die örtliche Aufsicht über die Arbeiten. Reinhold H***, ein Angestellter der S*** AG, der bei der Klägerin krankenversichert war, war bei den Arbeiten als Monteur beschäftigt. Als er am 22.September 1986 mit der Arbeit an der Oberleitung beginnen wollte, geriet er in den Stromkreis und wurde schwer verletzt.

Mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Silz wurden beide Beklagten der fahrlässigen schweren Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Dem Erstbeklagten wurde zur Last gelegt, daß er unter pflichtwidriger Außerachtlassung der ihm zumutbaren Sorgfalt als Partieführer dem Zweitbeklagten gegenüber den abzuschaltenden Bereich der Stromleitung nicht genau definiert, und dem Zweitbeklagten, daß er sich als zuständiger Schaltbefugter der ÖBB nicht ausreichend über den abzuschaltenden Bereich der Stromleitung informiert habe.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin den Ersatz des nunmehr der Höhe nach außer Streit gestellten Betrages von S 182.185,62 sA zur ungeteilten Hand und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Leistungen. Beide Beklagten treffe ein grobes Verschulden am Zustandekommen des Arbeitsunfalls. Der Erstbeklagte habe dem Zweitbeklagten die abzuschaltende Strecke nicht genau bekanntgegeben, so daß dieser irrtümlich nicht die Strecke Silz-Stams, sondern die Strecke Silz-Ötztal Bahnhof abgeschaltet habe. überdies habe er entgegen den ihm nachweislich zur Kenntnis gebrachten Sicherheitsbestimmungen der ÖBB keine Arbeitsplatzerdung vorgenommen. Er habe insgesamt gegen lebenswichtige Schutzbestimmungen verstoßen.

Der Zweitbeklagte hätte seinerseits den Bereich der Stromabschaltung genau erheben müssen. Er habe sich aber mit der ungenauen Definition durch den Erstbeklagten begnügt. Die Klägerin habe für Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Familien- und Taggeld, Krankenbehandlung, Krankenhauspflege, Transportkosten und Heilbehelfe insgesamt Beträge in Höhe des Leistungsbegehrens an den Geschädigten erbracht. Gemäß § 332 ASVG seien die kongruenten Schadenersatzansprüche des Versicherten Reinhold H*** gegen die Beklagten zur Deckung und bis zur Höhe der Leistungen der Klägerin auf diese übergegangen.

Die Beklagten beantragten, die Klagebegehren abzuweisen. Der Erstbeklagte wendete im wesentlichen ein, daß er vorerst beim Zweitbeklagten im Bahnhof Silz gewesen sei. Bei der Fahrt von Silz nach Stams habe er einen beschädigten Isolator gesehen. Er habe beim Zweitbeklagten angefragt, ob die Leitung für die Reparatur frei sei. Er habe in diesem Gespräch, den Mast zwar nicht genau bezeichnet, habe aber gesagt, daß der Isolator wahrscheinlich bei Reparaturarbeiten in der Nacht vorher beschädigt worden sei. In dieser Nacht seien aber ausschließlich auf der Strecke Silz-Stams Arbeiten verrichtet worden. Nach Freigabe der Leitung durch den Zweitbeklagten habe er den Monteur H*** mit der Arbeit beginnen lassen. Da er auf die Reparaturarbeiten in der Nacht vorher hingewiesen habe, treffe ihn kein grobes Verschulden, so daß er als Aufseher im Betrieb nicht zur Haftung herangezogen werden könne. Aufsichtspflichtig seien die ÖBB gewesen.

Der Zweitbeklagte wendete im wesentlichen ein, daß die ÖBB keine besondere Aufsichtspflicht getroffen habe. Im übrigen habe der Monteur H*** den Unfall zu 75 % überwiegend selbst verschuldet. Dieser sei mehrmals darüber belehrt worden, daß im Sichtbereich der Reparatur eine Arbeitsplatzerdung vorzunehmen sei. Er hätte sich daher vor dem Beginn der Arbeit davon überzeugen müssen, daß die Oberleitung geerdet sei. Dem Zweitbeklagten sei kein grobes Verschulden anzulasten. Der Erstbeklagte habe am Morgen des Unfalltages davon gesprochen, daß Arbeiten zwischen Silz und Ötztal zu verrichten seien. Er habe daher annehmen können, daß die Stromabschaltung für diesen Bereich begehrt werde. Von Reparaturen in der vergangenen Nacht sei keine Rede gewesen. Auch der Zweitbeklagte sei als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 ASVG anzusehen und somit haftungsfrei.

Auf seiten des Zweitbeklagten sind die Ö***

B*** als Nebenintervenient beigetreten; auch sie

beantragten, die Klagebegehren hinsichtlich des Zweitbeklagten

abzuweisen.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen noch fest:

In der Nacht vom 20. auf den 21.September 1986 (Samstag/Sonntag) führte die S*** AG im Streckenabschnitt Silz-Stams Montagearbeiten durch, die der Erstbeklagte als Partieführer beaufsichtigte. Der Zweitbeklagte hatte in dieser Nacht als Schaltbeauftragter der ÖBB Dienst und es war ihm bekannt, auf welcher Strecke gearbeitet wurde. In der Nacht vom 21.September auf den 22.September (Sonntag/Montag) wurde nicht gearbeitet (im Berufungsverfahren außer Streit gestellt).

Am Montag, dem 22.September 1986, fuhr der Erstbeklagte gegen 7 Uhr zum Bahnhof Silz und besprach dort die weiteren Arbeiten. Er wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß im Streckenabschnitt Silz-Stams ein Stützisolator schief stand. Er ersuchte den Zweitbeklagten unter anderem, die Maße der Schienenoberkanten für den Streckenabschnitt Silz-Ötztal herauszusuchen, damit dort mit dem Montieren der Konsolen begonnen werden könne. Davon, wann mit der Montage der Konsolen angefangen und wann eine Streckenabschaltung Silz-Ötztal Banhhof notwendig werde, war nicht die Rede. Nach der Besprechung fuhr der Erstbeklagte mit den Monteuren H*** und T*** nach Stams. Auf der Fahrt bemerkte er, daß ein Stützisolator beschädigt war. Er nahm mit dem Zweitbeklagten über Funk Kontakt auf und ersuchte, die Verstärkungsleitung abzuschalten. Eine genaue Strecken- bzw Positionsangabe machte er dabei nicht. Er sagte lediglich, daß es sich um den Bereich handle, in dem in der Nacht zuvor gearbeitet worden sei. Aufgrund dieser Angabe nahm er an, daß der Zweitbeklagte den richtigen Streckenabschnitt abschalten werde.

Auch der Zweitbeklagte unterließ es, den Streckenabschnitt genau zu definieren bzw die Richtung des abgeschalteten Abschnittes anzugeben. Er teilte dem Erstbeklagten gegen 8 Uhr lediglich über Funk mit, daß die Verstärkungsleitung ausgeschaltet und geerdet sei. Er hatte aber tatsächlich die Verstärkungsleitung auf der Strecke Silz-Ötztal Bahnhof abgeschaltet und geerdet, da er aufgrund der Besprechung mit dem Erstbeklagten am Morgen annahm, daß es sich um Arbeiten in diesem Bereich handle. Nach dem Erhalt der Meldung "Verstärkungsleitung ausgeschaltet und geerdet", gab der Erstbeklagte diese Meldung an die Monteure H*** und T*** weiter. Diese hatten den Auftrag, den Montagewagen aufzubauen und nach Erhalt der Freischaltung mit dem Austausch des defekten Stützisolators zu beginnen. Der Erstbeklagte fuhr in das Materiallager in Silz, um einen neuen Stützisolator zu holen. Als der Monteur Reinhold H*** ca 2 km östlich des Bahnhofes Silz mit den Arbeiten begann, geriet er in den Stromkreis. Er erlitt vorwiegend drittgradige und zweitgradige Verbrennungen von 35 % der Körperoberfläche.

Die S*** AG führte ständig Belehrungen über Arbeiten im Spannungsbereich und über unfallsicheres Arbeitsverhalten durch. Nach Punkt 3.2.1 des "Merkblattes zum Schutz gegen die Gefahren des Bahnbetriebes" darf mit Arbeiten an Bahnstromanlagen, die betriebsmäßig unter Spannung stehen, erst begonnen werden, wenn einwandfrei festgestellt ist, daß die Anlage abgeschaltet und an der Arbeitsstelle geerdet ist. Gemäß Punkt 11 des "Merkblattes über die Bedingungen für das Arbeiten von Arbeitsgruppen anderer Dienstzweige oder bahnfremder Firmen an oder in der Nähe von Leitungsanlagen" obliegt die Vornahme und Entfernung der Erdung am Arbeitsplatz im Falle der fernmündlichen Verständigung mit dem Schaltauftragsberechtigten bzw örtlichen Schaltbefugten dem Partieführer. Nach § 13.3.4.1 (3) ÖVG-EV gilt, daß die Erdung und Kurzschließung von der Arbeitsstelle aus sichtbar sein muß. Abweichend hievon darf in der Nähe der Arbeitsstelle außerhalb des Sichtbereiches geerdet und kurzgeschlossen werden, wenn dies aus örtlichen Gegebenheiten oder aus Sicherheitsgründen erforderlich ist. Eine Erdung wäre auch deshalb erforderlich gewesen, um das Auftreten von Restspannungen (Spannung durch Induktion) zu vermeiden. Solche Spannungen können bei einer Entfernung von 2 km bis zur Erdung im nächsten Bahnhof auftreten. Den wesentlichen Schutz bildet die Erdung an der Arbeitstelle gegen Fehlschaltungen mit Kurzschlüssen. Eine Erdung am Bahnhof ist nicht als Erdung an der Arbeitstelle zu werten und gilt auch nicht als Ersatz für die Erdung am Arbeitsplatz. Freischaltungen und Erdungen am Arbeitsplatz waren vom Erstbeklagten als Partieführer beim Zweitbeklagten im Schaltbuch schriftlich zu bestätigen. Bei fernmündlichen Absprachen erfolgte die Bestätigung nach der Arbeit. Der Erstbeklagte bestätigte die Arbeitsplatzerdung in der Regel auch, ohne sich zu überzeugen, ob eine Arbeitsplatzerdung tatsächlich durchgeführt worden war.

Das "Merkblatt zum Schutz gegen die Gefahren des Bahnbetriebes" war sowohl dem Erstbeklagten als auch den Monteuren bekannt. Auch vor Beginn der gegenständlichen Arbeiten kam es zu einer Belehrung, die sich insbesondere auf das Anbringen von Erdungsstangen erstreckte. Danach war jeder Monteur berechtigt und verpflichtet, eine Erdung im Sichtbereich durchzuführen, falls keine vorhanden war. Im Zuge der Bauarbeiten wurde eine Erdung meist in unmittelbarer Nähe bzw im Sichtbereich des Arbeitsplatzes vorgenommen. Es kam aber auch vor, daß der Erstbeklagte oder die Monteure keine solche Erdung in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes durchführten, sondern nur der Zweitbeklagte. Da der Zweitbeklagte üblicherweise auch eine Erdung vornahm, verließen sich die Monteure darauf und vernachlässigten fallweise die örtliche Erdung. Bei Arbeiten im Bahnhofsbereich erfolgte keine zusätzliche Erdung in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes. Die Monteure verließen sich üblicherweise auf die Mitteilung des Erstbeklagten bzw auf die des Zweitbeklagten, daß die Leitung ausgeschaltet und geerdet sei.

Die Monteure H*** und T*** führten im vorliegenden Fall keine selbständige Erdung durch. Sie hatten auch keine Erdungsstange mit, da sie für die vorerst vorgesehene Arbeit keine benötigten. Sie vertrauten vielmehr aufgrund der Mitteilung des Erstbeklagten darauf, daß die Leitung ausgeschaltet und geerdet war. Für die Erteilung eines Schaltauftrages gibt es genaue Vorschriften über die Verständigung bzw Rückverständigung hinsichtlich des auszuschaltenden bzw ausgeschalteten Bereichs. Der Zweitbeklagte hatte für seine Funktion als Schaltbefugter einen eigenen Kurs absolviert und eine Prüfung abgelegt. Seine Aufgabe bestand insbesondere darin, mit dem Erstbeklagten abzusprechen, welche Arbeiten in den Zugspausen durchgeführt werden können. Die Monteure der S*** AG durften mit den Arbeiten erst beginnen, wenn der Zweitbeklagte mitgeteilt hatte, daß die Leitung abgeschaltet ist. Dem Zweitbeklagten war bekannt, daß nach den bahninternen Anordnungen UVV-A 40/Heft 9 und DVV 3 die Arbeiten an Fahrleitungsanlagen von Elektrofachfirmen nur unter Aufsicht eines ständig im Aufsichtsbereich anwesenden örtlich Aufsichtsführenden verrichtet werden dürfen. Er war der örtlich Aufsichtsführende. Die Klägerin erbrachte im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Unfall für den verletzten Reinhold H*** bisher Leistungen in Höhe von insgesamt S 182.185,62. Dessen Verletzungen sind nicht ohne Folgen abgeheilt. Es können für die Klägerin weiterhin unfallskausale Kosten entstehen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß beide Beklagten als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen seien. Die S*** AG und die ÖBB hätten zur Erreichung eines gemeinsamen Arbeitserfolges in der Art eines organisierten Ineinandergreifens zusammengearbeitet, wobei den ÖBB noch zusätzlich die Bauüberwachung zugestanden sei. In einem solchen Fall komme die Aufsehereigenschaft den Angehörigen beider Betriebe gegenüber allen ihren unterstellten bzw zugeordneten Arbeitnehmern zu. Eine Haftung der Beklagten bestehe sohin gemäß § 333 Abs 1 und 4 ASVG nur bei vorsätzlicher Schadenszufügung, die weder behauptet noch festgestellt sei. Ein Forderungsübergang nach § 332 Abs 1 ASVG habe daher nicht stattgefunden.

Der Klägerin stehe aber ein Anspruch nach § 334 Abs 1 ASVG kraft eigenen Rechts zu. Das Verschulden der Beklagten stehe bereits durch das Straferkenntnis fest (§ 268 ZPO). Beiden Beklagten sei im Hinblick auf die Gefährlichkeit von Arbeiten im Leitungsbereich ein besonders schwerer Sorgfaltsverstoß anzulasten, der auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen sei. Sie hätten bei ihrem Funkverkehr mehrmals die Vorschriften mißachtet, wonach die Richtung der abzuschaltenden bzw abgeschalteten Leitung genau zu definieren sei und überdies sei keine selbständige Arbeitsplatzerdung durchgeführt worden. Auf ein allfälliges Mitverschulden des verletzten Monteurs sei nach § 334 Abs 3 ASVG nicht einzugehen. Das Feststellungsbegehren sei in der Möglichkeit von Spätfolgen begründet.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung insoweit, als die Beklagten zur ungeteilten Hand verpflichtet wurden, der Klägerin S 136.639,21 sA zu zahlen. Im übrigen erkannte es den Erstbeklagten schuldig, der Klägerin weitere S 45.546,41 sA zu zahlen und wies das gegen den Zweitbeklagten gerichtete Mehrbegehren in dieser Höhe ab. Das Feststellungsbegehren bestätigte es hinsichtlich des Erstbeklagten zur Gänze und gab ihm hinsichtlich des Zweitbeklagten nur zu 3/4 statt. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und vertrat hinsichtlich des Erstbeklagten die Rechtsauffassung, daß Ansprüche nach § 332 und § 334 ASVG nebeneinander geltend gemacht werden können. Die Klägerin habe alle Tatbestandsmerkmale, wie sie die Regreßmöglichkeit nach § 334 ASVG verlange (etwa Arbeitsunfall, grobe Fahrlässigkeit), behauptet und unter Beweis gestellt. Die in der Klage angeführte Erwägung, daß gemäß § 332 ASVG die konkruenten Schadenersatzansprüche des Versicherten auf sie übergegangen seien, könne schon deshalb nicht dahin verstanden werden, daß der Anspruch ausschließlich auf diesen Rechtsgrund gestützt werde, weil auch der Zweitbeklagte belangt worden sei, bei dem es sich nach der Auffassung der Klägerin nicht um einen Aufseher im Betrieb gehandelt habe. Das Erstgericht habe sohin durch seine Entscheidung die Anträge der Klägerin nicht überschritten und daher auch nicht gegen § 405 ZPO verstoßen. Grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn die Sorgfaltsvernachlässigung so ungewöhnlich und auffallend sei, daß sich der Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich voraussehen lasse. Es liege auf der Hand, daß bei Außerachtlassung der gegenständlichen Unfallverhütungsvorschriften und Sicherheitsvorkehrungen mit schweren und fatalen Folgen zu rechnen sei. Der Erstbeklagte habe die vorgeschriebene genaue Bezeichnung der abzuschaltenden Strecke unterlassen. Auch in der Meldung des Zweitbeklagten über den abgeschalteten Bereich habe die genauere Bezeichnung jenes Streckenteiles, der abgeschaltet und geerdet worden sei, gefehlt. Diese genaue Definition des Bereiches wäre aber gerade deshalb umso notwendiger gewesen, da die Reparatur am Stützisolator unerwartet angefallen und vorher mit dem Zweitbeklagten nicht abgesprochen worden sei. Gegenstand des Gespräches mit diesem sei vielmehr der Streckenabschnitt Silz-Ötztal Bahnhof gewesen. Der dem Zweitbeklagten gegenüber abgegebene Hinweis auf die Arbeiten in der vorhergehenden Nacht (tatsächlich vorvergangene Nacht) habe das Erfordernis der genauen Streckenbezeichnung umsoweniger zu ersetzen vermocht. Der Erstbeklagte habe überdies die Arbeitsstelle verlassen, bevor noch eine Arbeitsplatzerdung, für die er zu sorgen gehabt hätte, errichtet worden sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß auch die Monteure selbst berechtigt und verpflichtet gewesen seien, auf die Arbeitsplatzerdung zu achten und sie notfalls anzubringen. Die Monteure hätten nämlich gar keine Ausrüstung für eine solche Erdung mitgehabt. Ob der Erstbeklagte davon gewußt habe, sei unerheblich, da er als Partieführer für die Arbeitsplatzerdung und daher auch für die entsprechende Ausrüstung verantwortlich gewesen sei. Der Erstbeklagte habe sich sohin einer Reihe von Versäumnissen schuldig gemacht, die bei entsprechender Sorgfalt in jedem dieser Punkte den Unfall hintangehalten hätten. Sein Fehlverhalten müsse sohin als grob fahrlässig und damit als haftungsbegründend im Sinne des § 334 Abs 1 ASVG angesehen werden. Hinsichtlich des Zweitbeklagten sei entgegen der Ansicht des Erstgerichtes nicht davon auszugehen, daß auch er dem Geschädigten gegenüber Aufseher im Betrieb gewesen sei. Der verletzte Monteur sei ausschließlich Arbeitnehmer der S*** AG gewesen und der Zweitbeklagte ausschließlich Bediensteter der ÖBB, die ihrerseits im Rahmen eines Werkvertrages Auftraggeber der S*** AG gewesen sei. Die Tatsache, daß der Zweitbeklagte örtlich Aufsichtsführender der ÖBB gewesen sei, bedeute nur, daß er die Agenden des Auftraggebers an Ort und Stelle wahrzunehmen gehabt habe.

Der Zweitbeklagte habe zum maßgeblichen Zeitpunkt des Unfalls nur Tätigkeiten ausgeführt, welche die ÖBB zu verrichten hatten, damit die S*** AG überhaupt an der Bahnanlage arbeiten habe können. Daraus sei keinerlei Über- oder Unterordnung des Zweitbeklagten abzuleiten. Der Zweitbeklagte sei in keiner Weise in den Betrieb der S*** AG eingegliedert gewesen. Es sei daher der im Berufungsverfahren vertretenen Ansicht der Parteien beizupflichten, daß der Zweitbeklagte nicht Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG gewesen sei. Demnach erübrige sich eine weitere Erörterung darüber, ob auch den Zweitbeklagten ein grobes Verschulden treffe.

Da sich sohin der Anspruch gegen den Zweitbeklagten auf § 332 Abs 1 ASVG gründe, sei auch auf die Frage es Mitverschuldens des verletzten Monteurs einzugehen. Dieser habe dadurch, daß er die Arbeit beginnen wollte, obwohl keine Erdungsstange im Sichtbereich angebracht gewesen sei, selbst gegen eine Schutznorm verstoßen. Sein Versehen sei aber als das letzte Glied in der Kette anzusehen, das die Schwere des Unfalls nur deshalb herbeiführen konnte, da sowohl der Erstbeklagte als auch der Zweitbeklagte die sie zunächst treffenden Pflichten mißachtet hätten. In erster Linie habe die Erdungsstange der Ableitung von Restspannungen gedient und erst darüber hinaus bringe diese Erdung eine endgültige Sicherheit darüber, ob die Leitung noch stromführend sei. Berücksichtige man, daß der verletzte Monteur die Arbeit erst begonnen habe, nachdem der Erstbeklagte ihm die Mitteilung über die Erdung und Stromabschaltung gemacht hatte, und daß für ihn kein besonderer Anlaß bestanden habe, an der Richtigkeit dieser Meldung und der Durchführung der Stromabschaltung zu zweifeln, so könne das Unterlassen der Arbeitsplatzerdung gegenüber dem groben Fehlverhalten der Beklagten nur als geringfügig angesehen werden; es sei daher mit einem Viertel auszumessen und die Ansprüche der Klägerin gegenüber dem Zweitbeklagten seien in diesem Ausmaß zu kürzen.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen sämtlicher Parteien und des Nebenintervenienten. Die Klägerin wendet sich gegen die Teilabweisung ihres Begehrens, macht als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils. Die Beklagten und der Nebenintervenient bekämpfen die angefochtene Entscheidung im Umfang der Stattgebung der Klagebegehren und beantragen deren Abänderung im Sinne einer gänzlichen Abweisung der Klagebegehren. Sie machen als Revisionsgründe unrichtige rechtliche Beurteilung, der Erstbeklagte überdies Mangelhaftigkeit des Verfahrens (in eventu Nichtigkeit), geltend und stellen ebenso wie die Klägerin hilfsweise Aufhebungsanträge.

Die Klägerin, der Zweitbeklagte und der Nebenintervenient erstatteten Revisionsbeantwortungen, in denen sie jeweils begehren, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Lediglich die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Zur Revision des Erstbeklagten:

Soweit der Revisionswerber seine schon im Berufungsverfahren vorgetragenen Argumente wiederholt, die Klägerin habe ihre Ansprüche in der Klage ausschließlich nur auf § 332 ASVG gestützt und die Vorinstanzen hätten den Klagebegehren nicht gemäß § 334 ASVG stattgeben dürfen, macht sie nicht Nichtigkeit, sondern nur eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Sinne des § 503 Z 2 ZPO (§ 405 ZPO) geltend (vgl SZ 42/138; ÖBl 1982, 132 uva), die vom Rechtsmittelgericht nur in der nächsthöheren Instanz wahrgenommen werden kann (vgl MGA ZPO14 § 405 E 1; SZ 27/4; ÖBl 1984, 109; RZ 1989/16; 9 Ob A 33/90 ua).

Im übrigen hat das Berufungsgericht die Frage, ob dem Erstbeklagten grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 Abs 1 ASVG anzulasten ist, zutreffend gelöst. Es reicht daher insoweit aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG). Die Ausführungen des Revisionswerbers, es sei ihm lediglich ein einmaliger Aufmerksamkeitsfehler im Zuge einer zur Routine gewordenen Tätigkeit unterlaufen, gehen nicht vom maßgeblichen Sachverhalt aus.

Zur Revision des Zweitbeklagten und des Nebenintervenienten:

Auch diesbezüglich hat das Berufungsgericht die entscheidende Frage, ob der Zweitbeklagte gegenüber dem verletzten Monteur als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen ist, zutreffend gelöst (vgl Arb 9131 ua). Es reicht daher aus, auch insoweit auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 48 ASGG). Soweit die Revisionswerber weiterhin ein Mitverschulden des verletzten Monteurs im Ausmaß von 75 % unterstellen wollen, ist auf die Ausführungen zur Revision der Klägerin zu verweisen.

Zur Revision der Klägerin:

Richtig ist, daß der Monteur Reinhold H*** nach dem Merkblatt zum Schutz gegen die Gefahren des Bahnbetriebes mit der Arbeit erst beginnen hätte dürfen, nachdem er festgestellt hatte, daß die Anlage abgeschaltet und an der Arbeitstelle geerdet ist. Er wurde auch darüber belehrt, daß er berechtigt und verpflichtet sei, im Sichtbereich eine Erdung duchzuführen, falls keine vorhanden ist. Unabhängig davon, ob das Merkblatt und die Belehrung bereits als "Schutzgesetze" im Sinne des § 1311 ABGB anzusehen sind (vgl SZ 51/109), kommt hier auch den übrigen von den Vorinstanzen festgestellten Sicherheitsvorschriften Bedeutung zu, wonach gemäß § 13.3.4.1 (3) ÖVG-EV auch in der Nähe der Arbeitsstelle außerhalb des Sichtbereiches geerdet und kurzgeschlossen werden darf, wenn dies aus den örtlichen Gegebenheiten oder aus Sicherheitsgründen erforderlich ist. Schon daraus folgt, daß die Monteure nicht schon deshalb zwingend auf eine fehlende Erdung in der Nähe des Arbeitsplatzes schließen mußten, wenn sich eine solche Erdung gerade nicht im Sichtbereich befand. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, diente die Erdungsstange in erster Linie zur Ableitung von Restspannungen und hätte überdies im vorliegenden Fall der fernmündlichen Verständigung mit dem Schaltbefugten gemäß Punkt 11 des "Merkblattes über die Bedingungen für das Arbeiten von Arbeitsgruppen anderer Dienstzweige oder bahnfremder Firmen" vom Partieführer, sohin vom Erstbeklagten, angebracht werden müssen. Es war auch üblich, daß in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes keine Erdung durch die Monteure bzw den Erstbeklagten durchgeführt, sondern die Erdung nur vom Zweitbeklagten vorgenommen wurde, worauf sich die Monteure verlassen haben. Insbesondere bei Arbeiten im Bahnhofsbereich führte meist der Zweitbeklagte die Erdung durch, wobei keine zusätzliche Erdung in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes erstellt wurde. In diesem Zusammenhang haben sich (und konnten sich) die Monteure üblicherweise auf die Mitteilung des Erstbeklagten bzw des Zweitbeklagten verlassen, daß die Leitung ausgeschaltet und geerdet sei.

Der Monteur H*** führte zwar im vorliegenden Fall keine selbständige Erdung durch, doch kann ihm diese Unterlassung im Hinblick auf die aufgezeigte Handhabung der zudem nicht eindeutigen Sicherheitsvorkehrungen und der konkreten Situtation nicht als ein ins Gewicht fallendes Verschulden angelastet werden. Obwohl sie gar keine Erdungsstange mithatten, erhielten die Monteure den Auftrag, den Montagewagen aufzubauen, um in der Folge nach Erhalt der Freischaltung mit der Reparatur des defekten Stützisolators zu beginnen. Nach Erhalt der Meldung "Verstärkungsleitung ausgeschaltet und geerdet" gab der Erstbeklagte diese Meldung an die Monteure weiter, die sohin mit der Arbeit zu beginnen hatten. Soweit daher auch den verletzten Monteur ein Mitverschulden trifft, ist dieses nach den gesamten Umständen des Falles gegenüber dem groben Verschulden der Beklagten so geringfügig, daß es vernachlässigt werden kann.

Aus diesen Erwägungen war die Entscheidung des Erstgerichtes wieder herzustellen, ohne daß auf den Einwand des Quotenvorrechts der Klägerin (Deckungsfonds) näher einzugehen wäre. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO und folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Kostenrüge der Beklagten. Der Nebenintervenient ist durch die ihn nicht betreffende Kostenentscheidung nicht beschwert. Bezüglich der Kosten für die Intervention bei der Befundaufnahme nach TP 7 Z 2 RAT ist auch die (im übrigen ebenso vom Erstbeklagten verzeichnete) Fahrzeit von 4/2 Stunden zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens ist in den §§ 50 und 41 ZPO begründet. Der Klägerin stehen die Kosten des Berufungsverfahrens abzüglich der Kosten der erfolgreichen Kostenrüge der Beklagten (TP 3 I A Z 5 lit b RAT) zu. Den Nebenintervenienten trifft keine Kostenersatzpflicht (vgl Fasching, Lehrbuch2 Rz 411 und 462; EvBl 1974/71; ÖBl 1986, 41). Im Revisionsverfahren obsiegte die Klägerin gegen den Zweitbeklagten zur Gänze und war in der Abwehr der Revisionen beider Beklagten und des Nebenintervenienten erfolgreich. Ihr stehen daher die Kosten der Revision und zusätzlich der Revisionsbeantwortung entsprechend der jeweiligen Höhe der Revisionsstreitwerte zu.

Anmerkung

E21033

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00117.9.0523.000

Dokumentnummer

JJT_19900523_OGH0002_009OBA00117_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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