TE OGH 1990/10/30 15Os108/90

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Veröffentlicht am 30.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Oktober 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef H*** und Magdalena E*** wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen beider Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16.Mai 1990, GZ 7 b Vr 4554/88-95, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben sowie die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten darauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Josef H*** und Magdalena E*** des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1

und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Darnach haben sie sich in der Zeit vom 17.Juni bis zum 29.Dezember 1987 in Wien im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter ein ihnen anvertrautes Gut im Gesamtwert von rund 3,480.000 S, und zwar das ihnen am zuerst bezeichneten Tag von Antonia H*** übergebene Inventar der Wohnung in 1020 Wien, Czerningasse 6/3/21, beinhaltend im Tenor detailliert angeführte Einrichtungsgegenstände (sowie Hausrat, Gebrauchsgegenstände und Spirituosen), Schmuckstücke und Pretiosen sowie Sparbücher und Pfandbriefe (richtig: Sparbriefe), von denen ihnen die Losungswörter bekannt waren, mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem sie diese Sachen teils an sich brachten und teils verkauften sowie Sparbücher zum Teil realisierten.

Das Erstgericht schenkte der Verantwortung der Angeklagten, wonach sie die "Auflösung" der in Rede stehenden Wohnung im Auftrag der Antonia H*** vorgenommen und den verbliebenen Wohnungsinhalt, die durch Verkäufe erzielten Erlöse sowie die schon vorher von ihr übernommenen Sparbücher ohnehin teils für sie verwendet und im übrigen für sie aufbewahrt hätten, keinen Glauben, sondern nahm dementgegen als erwiesen an, daß H*** und E*** die ihnen von H*** übergebene Wohnung ohne deren Wissen eigenmächtig aufgelassen und sich deren im Spruch bezeichnetes Vermögen entsprechend ihrem vorgefaßten Tatplan zugeeignet haben.

Rechtliche Beurteilung

Den auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5 a, 9 lit a, 9 lit b und 10 StPO gestützten, in einer gemeinsamen Rechtsmittelschrift ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagten gegen den Schuldspruch kommt Berechtigung zu.

Denn bei der Verwertung der im Vorverfahren deponierten Angaben der inzwischen verstorbenen Zeugin H***, die das Schöffengericht primär der Feststellung zugrunde legte, daß jene den Beschwerdeführern nicht den Auftrag erteilt hat, ihre Wohnung aufzulassen (US 15, 27 f.), werden im Urteil in der Tat Teile ihrer Darstellung mit Stillschweigen übergangen, deren Berücksichtigung möglicherweise zu einer negativeren Beurteilung der Beweiskraft ihrer darauf bezogenen Bekundungen geführt und deshalb die Überzeugung der Tatrichter von der Nichterteilung eines derartigen Auftrags durch sie an die Angeklagten (§ 258 Abs 2 StPO) in Frage gestellt hätte. So hatte Antonia H*** zwar bei der Anzeigeerstattung eingeräumt, im Pflegeheim St.Andrä - also frühestens gegen Ende August 1987 (US 15) - "einige Zettel", die von der Angeklagten E***

"textmäßig für sie formuliert" worden seien und die sie später als "Vollmachten" bezeichnete, die ihr letztere zur Unterschrift vorgelegt habe, im Vertrauen auf deren Zusage, es gehe dabei nur um die Ermächtigung, während ihrer Abwesenheit für sie den Zins zu bezahlen, sowie in der Annahme, E*** werde sich weiter um die Wohnung kümmern, "im guten Glauben" und ohne sie durchzulesen unterschrieben zu haben (S 50, 57/I, ersichtlich mit Beziehung auf S 71, 75/I); augenscheinlich unter Bezugnahme auf zwei weitere Vollmachten mit dem Datum "16.6.1987" (S 61, 63/I) hingegen hatte sie schon damals erklärt, daß "diese verkraxelte Schrift nicht von ihr" stammen könne (S 51, 95/I). Beim Untersuchungsrichter aber deponierte sie in der Folge darüber hinaus, daß sie "mit Sicherheit" auch keine Vollmacht unterschrieben habe, derzufolge die Angeklagte E*** berechtigt sei, für sie die Wohnung "aufzulösen", und daß sie (dementsprechend) "mit Sicherheit" auch die als S 71 und 75/I im Akt befindlichen Schriftstücke nicht unterschrieben habe (S 186 f./I); ebenso behauptete sie bei ihrer späteren Vernehmung im Rechtshilfeweg, sie habe den Angeklagten "keine Vollmachten ausgestellt" (S 230/I).

Schon im Hinblick auf die einander widersprechenden Angaben der Zeugin H*** über die Unterfertigung oder Nichtunterfertigung der zuerst relevierten Schriftstücke durch sie im Pflegeheim, in Ansehung deren es ihre letzte Darstellung unerwähnt ließ und auf ihre ersten Bekundungen zurückgriff (US 15, 17), sowie umsomehr deswegen, weil es ihren (im Urteil gleichfalls übergangenen, stets gleichlautenden) Behauptungen dahin, daß sie die beiden Vollmachten vom 16.Juni 1987 mit Sicherheit nicht unterschrieben habe, mit Rücksicht auf ein gegenteiliges Schriftsachverständigen-Gutachten nicht folgte (US 13 bis 15, 26, 28), wäre das Erstgericht jedenfalls verhalten gewesen darzutun, warum es nichtsdestoweniger gegen die Verläßlichkeit der die Nichterteilung eines Auftrags zur Wohnungs- "Auflösung" durch sie an die Beschwerdeführer betreffenden Angaben der Belastungszeugin keine Bedenken hegte: gewiß steht es dem Gericht frei, eine Aussage selbst dann in bestimmten Punkten als tragfähig anzusehen, wenn es demselben Zeugen in anderen Belangen nicht zu folgen vermag, doch ist in solchen Fällen regelmäßig eine insoweit differenzierende, logisch und empirisch fehlerfreie (Z 5) sowie intersubjektiv nachvollziehbare (Z 5 a) Begründung unerläßlich (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO).

Davon war das Schöffengericht im vorliegenden Fall auch nicht durch jene Überlegungen entbunden, die es für die Annahme einer Unwahrscheinlichkeit der von den Angeklagten behaupteten Auftragserteilung durch H*** an sie ins Treffen führte (US 20, 27); wird doch solcherart die Möglichkeit einer erst nachträglichen Sinnesänderung bei der genannten Zeugin nicht geradezu ausgeschlossen, sodaß es dessenungeachtet sehr wohl verpflichtet gewesen wäre, sich beweiswürdigend damit auseinanderzusetzen, warum letztere die Unterfertigung der Vollmachten teils von Anfang an und teils in einem späteren Verfahrensstadium objektiv wahrheitswidrig bestritten hat.

Die im Übergehen dieser Verfahrensergebnisse gelegene, von den Beschwerdeführern - im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 5 a) - zutreffend bemängelte Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe (Z 5) betrifft deswegen eine entscheidende Tatsache im Sinn des zuletzt relevierten Nichtigkeitsgrundes, weil ihr hier interessierendes, nach der Überzeugung der Tatrichter auf einem vorgefaßten einheitlichen Tatplan beruhendes Verhalten dann, wenn ihnen Antonia H*** entgegen den Urteilsannahmen doch einen Auftrag zur Wohnungs- "Auflösung" erteilt hätte, unzweifelhaft insgesamt in einem wesentlich anderen Licht erscheinen könnte und sich demgemäß eine neuerliche Überprüfung ihrer leugnenden Verantwortung speziell unter jenem Aspekt als unumgänglich erwiese.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden war daher nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort wie im Spruch zu erkennen (§ 285 e StPO), ohne daß es einer Erörterung der weiteren Beschwerdeeinwände bedarf.

Die kassatorische Entscheidung war ungeachtet dessen, daß im zu erneuernden Verfahren ein Zuspruch an den Privatbeteiligten in sinngemäßer Anwendung der §§ 293 Abs 3, 290 Abs 2 StPO nicht in Betracht kommen wird, zur Wahrung von dessen (sonstigen) Rechten im Rahmen der neuen Hauptverhandlung (§ 47 Abs 2 Z 3 StPO) aus Gründen des Zusammenhangs (§ 289 StPO) auch auf den Ausspruch gemäß § 366 Abs 2 StPO zu erstrecken.

Bei der rechtlichen Beurteilung des festzustellenden Tatverhaltens der Angeklagten wird im zweiten Rechtsgang zu beachten sein:

1. Ein "Anvertrauen" iS § 133 StGB setzt die Übertragung des Alleingewahrsams an dem betreffenden Gut auf den Übernehmer und dementsprechend den gänzlichen Ausschluß des Anvertrauenden vom Gewahrsam voraus (vgl, jeweils zu § 133, Kienapfel BT II2 RN 25 f. mwN, Bertel im WK Rz 3 mwN, Bertel-Schwaighofer BT I Rz 2); in bezug auf den Inhalt einer Wohnung kann davon bei deren vorerst nur vorübergehendem Verlassen durch den Inhaber, der einem Nachbarn den ihm schon vorher zur Verfügung gestandenen Schlüssel dazu beläßt oder ohne Verzicht auf die Möglichkeit jederzeitiger Selbstbenützung der Wohnung einen Schlüssel übergibt, in der Regel nicht gesprochen werden (vgl, jeweils zu § 127, Leukauf-Steininger StGB2 RN 15, 21, Kienapfel aaO RN 60, 89, Bertel aaO, Rz 16, Bertel-Schwaighofer aaO Rz 8).

Diesfalls kommt daher bei der Wegnahme von Sachen aus der betreffenden Wohnung durch den Nachbarn nicht Veruntreuung, sondern vor allem Diebstahl (§ 127 StGB) in Betracht; handelt jedoch der Täter nicht mit Bereicherungsvorsatz, wie etwa beim Entfernen von Inventar aus der Wohnung im Weg einer (dessen Freigabe zur Vernichtung bedeutenden) Entrümpelung, dann sind die Voraussetzungen dauernder Sachentziehung (§ 135 StGB) zu prüfen.

2. Vinkulierte Sparbücher sind nicht Wertträger und können deshalb selbst für den Fall, daß der Täter das Losungswort kennt, nicht Gegenstand eines Diebstahls sein; werden sie dem Gewahrsamsinhaber weggenommen, dann sind demgemäß nur Urkundenunterdrückung (§ 229 StGB) sowie - bei entsprechender Ausführungsnähe (§ 15 Abs 2 StGB) schon in der Entwicklungsstufe des Versuchs erfaßbarer - Betrug durch Behebung der Einlage mittels Täuschung von Bankangestellten (§ 146 StGB) aktuell (vgl Kienapfel aaO § 127 RN 32a f., § 146 RN 46 mwN).

Wohl aber sind derartige Sparbücher - genauer: die zugehörige Spareinlage - unter der Voraussetzung, daß sie dem Täter vom Berechtigten in den Alleingewahrsam übertragen wurden, mögliche Objekte einer Veruntreuung; denn im Fall ihrer Übergabe unter Bekanntgabe des Losungswortes oder doch immerhin im Bewußtsein, daß dieses dem Übernehmer bekannt ist oder bekannt sein könnte, wodurch letzterer in die Lage versetzt wird, über die betreffende Einlage als bei der Bank erliegendes sogenanntes "Giralgeld" (vgl EvBl 1985/104) zu verfügen, geht es bei vinkulierten Sparbüchern - ungeachtet dessen, daß ihnen selbst auch diesfalls keine Sach-Qualität iS § 127 StGB zukommt - gleichermaßen wie bei Inhaber-Wertpapieren um ein dem Übernehmer "anvertrautes Gut" iS § 133 StGB. Dessen Zueignung freilich wird bei vinkulierten Sparbüchern deswegen, weil ihnen selbst wie schon erwähnt nicht die Eigenschaft von Wertträgern zukommt, erst durch eine entsprechende Verfügung über die Einlage bewirkt, auf die auch bei dem für die Annahme eines strafbaren Versuchs maßgebenden Erfordernis einer Ausführungsnähe abzustellen ist.

Wird allerdings ein Sparbuch nicht ausschließlich zur Verwahrung oder zu einer bestimmten Verwendung übergeben, sondern vielmehr dem Übernehmer darüber hinausgehend eine (sei es auch nur mit einem geringen Maß an aktuellem Machthaberermessen verbundene) Dispositionsbefugnis über die Einlage eingeräumt, dann kommt - neben dem (auch für Täter, denen vom Berechtigten der Alleingewahrsam am Sparbuch anvertraut worden war, aktuellen) Tatbestand nach § 229 StGB - nicht Veruntreuung, sondern Untreue (§ 153 StGB) in Betracht, für deren Eintritt ins Versuchs-Stadium gleichfalls das zuvor relevierte Kriterium maßgebend ist.

Anmerkung

E22777

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0150OS00108.9.1030.000

Dokumentnummer

JJT_19901030_OGH0002_0150OS00108_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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