TE OGH 1991/6/20 12Os46/91

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Veröffentlicht am 20.06.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Juni 1991 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Glatz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Martin A***** wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 18.Mai 1990, AZ 11 Bl 36/90, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Beschwerdegericht vom 18.Mai 1990, AZ 11 Bl 36/90, womit die Beschwerde des Martin A***** gegen den (Widerrufs-) Beschluß des Bezirksgerichtes Krems an der Donau vom 22.Jänner 1990, GZ U 365/89-10, als unzulässig zurückgewiesen wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 268 Abs. 2 StPO iVm § 447 Abs. 1 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Kreisgericht Krems an der Donau die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Martin A***** aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Krems an der Donau vom 22. Jänner 1990, GZ U 365/89-10, wurde Martin A***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt.

Zugleich faßte das gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 und Abs. 2 erster Satz StPO hiefür zuständige Bezirksgericht den Beschluß auf Widerruf der Martin A***** mit Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 7.Juni 1988, GZ 8 Vr 170/88-22, gewährten bedingten Strafnachsicht. Im zuletzt genannten Verfahren war über Martin A***** wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 2 StGB eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verhängt worden. Die ursprünglich mit drei Jahren bestimmt gewesene Probezeit war in der Folge aus Anlaß einer Nachverurteilung auf fünf Jahre verlängert worden (S 143, 157 und 187 des Bezugsaktes AZ 8 b E Vr 402/89 des Kreisgerichtes Krems).

Gegenüber dem Bezirksgericht Krems an der Donau erklärte Martin A*****, der im Verfahren AZ U 365/89 anwaltlich nicht vertreten war, sofort nach Verkündung des Urteils und des Widerrufsbeschlusses ausdrücklich, nicht nur auf Rechtsmittel gegen das Urteil, sondern auch auf die Erhebung einer Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß verzichten zu wollen (S 61 iVm S 87 und 89 des U-Aktes). Am folgenden Tag gab aber Martin A***** in der Geschäftsstelle des Bezirksgerichtes zu Protokoll, nunmehr doch Beschwerde gegen den Beschluß auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu erheben; dagegen hielt er seinen Rechtsmittelverzicht bezüglich des wider ihn ergangenen Urteils weiterhin aufrecht (S 69 des U-Aktes).

Die zu Protokoll gegebene (unausgeführt gebliebene) Beschwerde Martin A***** wurde vom Kreisgericht Krems an der Donau mit Beschluß vom 18.Mai 1990, AZ 11 Bl 36/90 (= ON 20 des U-Aktes), als unzulässig zurückgewiesen. Nach Auffassung des Beschwerdegerichtes sieht die Bestimmung des § 268 Abs. 2 StPO nämlich allein den Widerruf des Verzichtes auf Rechtsmittel gegen Urteile vor; dagegen wäre dem Strafverfahrensrecht mangels einer gleichartigen Bestimmung ein Widerruf nach einem abgegebenen Beschwerdeverzicht fremd.

Der zitierte Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau steht - wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Ziel der mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl 1987/605, neu geschaffenen Bestimmung des § 494 a StPO ist die weitgehende Beseitigung des sogenannten "Ratenvollzuges" durch das Konzept der "Gesamtregelung" der Straffrage im Zuge einer neuerlichen Verurteilung. Darnach hat das zuletzt erkennende Gericht - von den Fällen des § 495 StPO abgesehen - über alle noch offenen (bedingten) Unrechtsfolgen, die aus früheren Verurteilungen herrühren, abzusprechen. Diese Entscheidung ergeht gemäß § 494 a Abs. 4 StPO (vorbehaltlich der dort angeführten Regelung für Sonderfälle) mit Beschluß, der gemeinsam mit dem Urteil zu verkünden und auszufertigen ist. Diese Gesamtregelung der Straffrage, die durch die Erweiterung der Zuständigkeit des zuletzt erkennenden Gerichtes im Wege der Strafgesetznovelle 1989, BGBl 1989/242, noch eine Intensivierung erfahren hat, bringt es ferner mit sich, daß eine abschließende Regelung dieser Art auch noch durch das Rechtsmittelgericht erfolgen kann; deshalb sind die in ihrem rechtlichen Bestand von der Rechtskraft des Urteils abhängigen "bedingten" Beschlüsse nach § 494 a StPO auch ohne diesbezügliche Beschwerde im Rahmen einer Rechtsmittelentscheidung über den Strafausspruch zu prüfen (vgl Bericht des Justizausschusses zum Strafrechtsänderungsgesetz 1987, 359 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVII GP S 54 sowie Mayerhofer-Rieder, StPO3, ENr 29 und 33 zu § 494 a). Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber gewünschte gemeinschaftliche Regelung der Straffrage durch Urteil und gleichzeitig verkündeten Beschluß nach § 494 a StPO sind diese beiden Entscheidungen auch in prozessualer Hinsicht eng miteinander verknüpft (vgl dazu neuerlich den Bericht des Justizausschusses zum StRÄG 1987, S 53 und 54 sowie den entsprechenden Bericht des Justizausschusses zur Strafgesetznovelle 1989, 927 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVII GP, S 5 und 6). Dieser Umstand findet nicht zuletzt auch in den Bestimmungen der §§ 494 a und 498 Abs. 2 und 3 StPO seinen Niederschlag, durch welche die Vorschriften über die Beschwerdeerhebung gegen Beschlüsse nach § 494 a StPO denjenigen über Rechtsmittel gegen Urteile angeglichen worden sind: bei Verbindung der Beschwerde mit einem Rechtsmittel gegen das zugleich verkündete Urteil bleibt die Beschwerdefrist, die an sich schon mit der Verkürzung des Beschlusses in der Hauptverhandlung zu laufen begonnen hat, durch Einbringung der Beschwerde innerhalb der zur Ausführung gegen jenes Rechtsmittel offenstehenden Frist auch dann gewahrt, wenn letzteres wieder zurückgezogen wird.

Eine ausdrückliche Regelung ist allerdings insoweit nicht erfolgt, als die §§ 494 a und 498 StPO keine dem § 268 Abs. 2 StPO entsprechende Vorschrift enthalten, die dem Angeklagten ausdrücklich das Recht einräumt, auch den unmittelbar nach der Urteilsverkündung ohne Besein eines Verteidigers abgegebenen Rechtsmittelverzicht gegen den Widerrufsbeschluß binnen drei Tagen zu widerrufen. Angesichts der dargelegten Funktion des Beschlusses nach § 494 a StPO im Rahmen der Lösung der Straffrage und der Tatsache, daß § 268 Abs. 2 StPO ebenso wie diese Neuregelung mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987 eingeführt wurde, ergibt aber die wörtliche Interpretation unter Zugrundelegung der vom Gesetzgeber mit § 268 Abs. 2 StPO verfolgten Zielsetzung, den nicht durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten von den Folgen eines am Schluß der Hauptverhandlung unbedacht abgegebenen Rechtsmittelverzichtes zu bewahren, daß unter "Rechtsmittel" auch die Beschwerde gegen den gleich wie das Urteil einen (Teil-)Ausspruch über die aus der Verurteilung resultierenden Rechtsfolgen enthaltenden Beschluß nach § 494 a StPO gemeint sein muß (vgl in diesem Zusammenhang den bereits erwähnten Bericht des Justizausschusses zum Strafrechtsänderungsgesetz 1987, S 41 betreffend § 268 StPO). Demnach ist aus § 268 Abs. 2 StPO im Wege einer insoweit sachlogisch indizierten Auslegung abzuleiten, daß auch der in bezug auf einen Beschluß nach § 494 a StPO abgegebene Beschwerdeverzicht unter den Voraussetzungen des § 268 Abs. 2 StPO, die gemäß § 447 Abs. 1 StPO auch im bezirksgerichtlichen Verfahren gelten, widerrufen werden kann (in diesem Sinne bereits Mayerhofer-Rieder, StPO3, ENr 32 a zu § 268 und 25 Bs 238,239/90 des Oberlandesgerichtes Wien).

In Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Beschwerde war mithin spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E27265

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0120OS00046.91.0620.000

Dokumentnummer

JJT_19910620_OGH0002_0120OS00046_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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