TE OGH 1991/9/17 10ObS220/91

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Veröffentlicht am 17.09.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer (Arbeitgeber) und Univ.Prof.Dr.Walter Schrammel (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Valerie Sch*****, vertreten durch Dr. Kurt Peichel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. November 1990, GZ 31 Rs 211/90-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 31. Mai 1990, GZ 23 Cgs 506/90-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung der ersten Instanz wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die einschließlich 603,84 S Umsatzsteuer mit 3.623,04 S bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 19. Jänner 1990 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 14. August 1989 auf Hilflosenzuschuß (zur seit 29. November 1976 gebührenden Alterspension) ab, weil sie nicht ständig der Wartung und Hilfe bedürfe.

Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf den abgelehnten Zuschuß im gesetzlichen Ausmaß von der Antragstellung an gerichtete Klage stützt sich darauf, daß der Klägerin wegen der darin aufgezählten Leiden lebenswichtige Verrichtungen nicht zumutbar seien.

Die beklagte Partei bestritt dies und beantragte die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin vom 14. August 1989 an einen Hilflosenzuschuß von 2.826 S monatlich zu gewähren.

Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

Die am 16. April 1915 geborene Klägerin leidet an diffuser spastischer Bronchitis, Hausstauballergie und Abnützungserscheinungen am Stütz- und am übrigen Bewegungsapparat. Im Jahre 1989 wurde ihr ein künstliches Hüftgelenk implantiert. Sie geht mit Hilfe zweier Unterarmstützkrücken, ohne die ihr Gang etwas unsicher und langsamer ist. Dieser nicht besserungsfähige Zustand bestand schon bei der Antragstellung. Die Klägerin kann sich ohne Hilfe an- und auskleiden, ihren Körper "oberflächlich" reinigen, duschen, aber in keine Badewanne steigen, Nahrung zu sich nehmen und die Notdurft verrichten, Geschirr abwaschen und die kleine Leibwäsche waschen. Sie kann sich kleinere Speisen, wie Suppen, Eierspeise, Tiefkühlkost udgl. bereiten oder aufwärmen, nicht aber Kartoffeln, Gemüse, Fleisch oder komplette Mahlzeiten, und zwar insbesondere deshalb, weil sie (ununterbrochen) nur fünf Minuten stehen kann und dann fünf Minuten sitzen muß, bevor sie wieder stehen kann. Wegen der Hausstauballergie kann sie die Wohnung nicht einmal oberflächlich reinigen, das Bett nicht mehr überziehen und die Hauswäsche nicht besorgen. Weil sie im

2. Stock eines Hauses ohne Lift wohnt, kann sie auch nicht mehr im Nahbereich von 500 m allein ausgehen und daher auch keine Lebensmittel einholen. Die Wartung eines Ofens für feste Brennstoffe wäre ihr nicht möglich, erübrigt sich aber wegen der Zentralheizung.

Das Erstgericht veranschlagte den durchschnittlichen täglichen Zeitaufwand für Wohnungsreinigung, Einkaufen, Zubereiten einer kompletten warmen Mahlzeit und Bettenüberziehen mit etwa zwei Stunden und schätzte den monatlichen Betreuungsaufwand bei einem Stundensatz von 70 S auf 4.200 S.

Dagegen erhob die beklagte Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung Berufung. Weil die Klägerin sich nicht nur Tiefkühlkost, sondern auch frische Speisen zubereiten könne, (seien im Zusammenhang mit der Zubereitung der Mahlzeiten) keine Dienstleistungen notwendig. Mit dem nur in größeren Zeitabständen erforderlichen Bettenüberziehen sei kein nennenswerter Aufwand verbunden. Deshalb seien nur die Aufwendungen für die Wohnungsreinigung und das Einkaufen zu berücksichtigen, die weit unter dem begehrten Hilflosenzuschuß lägen.

Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil im klageabweisenden Sinne ab.

Für eine dem allgemeinen Standard angepaßte menschengerechte Lebensführung sei zwar einmal täglich die Einnahme einer ordentlich gekochten Mahlzeit erforderlich. Dazu zählten aber auch die in großer Vielfalt angebotene Tiefkühlkost und Konserven, die nur gewärmt werden müßten. Solche Speisen seien der Klägerin, wenn auch nicht ständig, so doch in größerem Umfang zuzumuten, weshalb Hilfe zum Kochen nur im Abstand von mehreren Tagen erforderlich sei. Wohnungsreinigung, Einkäufe und Bettenüberziehen seien ebenfalls nur im Abstand von mehreren Tagen notwendig. Deshalb benötige die Klägerin höchstens 30 Stunden pro Monat eine Hilfskraft, deren Kosten nicht annähernd die Höhe des Mindest(?)hilfslosenzuschusses erreichen würden.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg.cit. zulässige Revision ist berechtigt.

Der Revisionswerberin ist darin beizupflichten, daß der zur Erbringung der notwendigen Hilfeleistungen erforderliche durchschnittliche monatliche Zeitaufwand vom Berufungsgericht mit höchstens 30 Stunden erheblich zu gering geschätzt wurde.

Berücksichtigt man, daß die Klägerin etwa dreimal pro Woche mit frischen Nahrungsmitteln, insbesondere Milch und Brot bzw. Gebäck, zu versorgen ist, daß aber auch alle anderen Bedarfsgegenständen für sie eingekauft werden müssen und die größere Wäsche - falls sie nicht von der Hilfskraft in der Wohnung der Klägerin gewaschen wird - in die Wäscherei gebracht und von dort wieder abgeholt werden muß, dann können für diese in verschiedenen Geschäften (Bäckerei, Lebensmittelhandlung, Obst- und Gemüsegeschäft, Drogerie, Apotheke, Wäscherei udgl.) zu erledigenden Besorgungen einschließlich der Wege von und zur Wohnung der Klägerin pro Woche durchschnittlich mindestens drei Stunden bzw. pro Monat rund dreizehn Stunden veranschlagt werden.

Da die Revisionswerberin wegen ihres durch eine Hausstauballergie ausgelösten Asthmas keinerlei Wohnungsreinigungsarbeiten verrichten kann, braucht sie dazu nicht nur in größeren Zeitabständen, sondern mehrmals wöchentlich Hilfe. Weil es sich beim Hausstaub um ein Inhalationsallergen handelt, ist offenkundig, daß dieser Staub häufig und jeweils möglichst gründlich aus der Wohnung der Klägerin, insbesondere vom Fußboden, dessen Belägen und den Möbeln, vor allem aus den Polstermöbeln und dem Bett, entfernt werden muß, damit er nicht in die Atemwege der Klägerin eindringen kann. Bei den diesbezüglichen Revisionsausführungen, es müsse zumindest jeden zweiten Tag der oberflächliche Staub abgewischt, der Fliesenboden feucht aufgewischt, das Bett abgesaugt und ein frisches Leintuch eingebreitet werden, handelt es sich daher - entgegen der Meinung der Revisionsgegnerin - um keine unzulässigen Neuerungen. Rechnet man zu den etwa dreimal pro Woche notwendigen gründlichen Wohnungsreinigungsarbeiten noch den Zeitaufwand für die auch vom Berufungsgericht im Abstand von mehreren Tagen zugebilligte regelmäßige Hilfe bei der Zubereitung von Mahlzeiten dazu, so können für die Wohnungsreinigungs- und Küchenarbeiten pro Woche durchschnittlih etwa sieben bis acht Stunden und im Monat etwa 30 bis 34 Stunden angesetzt werden.

Schon die bisher genannten Hilfsdienste erfordern bei realistischer Schätzung einen durchschnittlichen monatlichen Zeitwaufwand von rund 43 bis 47 Stunden und bei Zugrundelegung eines Stundenlohnes von 70 S einen monatlichen Mehraufwand von rund 3.000 bis 3.300 S.

Weil schon dieser Mehraufwand höher ist als der begehrte Hilflosenzuschuß, gebührt der Klägerin vom 14. August 1989 an nach § 105a Abs 1 ASVG zur Alterspension ein Hilflosenzuschuß, ohne daß auf die weiteren Revisionsausführungen einzugehen war.

Daher war der Revision Folge zu geben und das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern. Daß der Hilflosenzuschuß vom 14. August bis 31. Dezember 1989 nur in der damaligen gesetzlichen Höhe von 2.784 S und erst ab 1. Jänner 1990 in der vom Erstgericht bereits ab 14. August 1989 zuerkannten Höhe von 2.826 S zuzusprechen gewesen wäre, war nicht mehr aufzugreifen, weil die Rechtsrüge der Berufung der beklagten Partei keine Ausführungen zur Höhe des zuerkannten Zuschusses enthält.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit. a und Abs 2 ASGG.

Anmerkung

E27665

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00220.91.0917.000

Dokumentnummer

JJT_19910917_OGH0002_010OBS00220_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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