TE OGH 1991/10/8 4Ob549/91

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Veröffentlicht am 08.10.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Michael *****, geb. *****1973, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 19. Juli 1991, 47 R 496/91-207, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 3. Juni 1991, 1 P 254/75-203, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Das Erstgericht gewährte dem Minderjährigen auf den von seinem Vater zu leistenden gesetzlichen Unterhalt, der mit Beschluß vom 21. Mai 1986 mit S 1.600,-- monatlich bestimmt worden war, zunächst Vorschüsse in der Höhe des Exekutionstitels, die es wegen des eigenen Einkommens des Minderjährigen (Lehrlingsentschädigung) von durchschnittlich S 4.031,-- monatlich ab 1. Mai 1991 auf S 500,-- monatlich herabsetzte.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, welcher die gänzliche Einstellung der Vorschüsse beantragt hatte, nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Der Unterhaltsberechtigte habe dadurch, daß sein eigenes Einkommen (S 4.031,-- monatlich) die Höhe des sogenannten "Richtsatzes" nach § 6 Abs 1 UVG (iVm § 293 Abs 1 lit. c/bb, erster Fall, ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG)) übersteige, den Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nicht zur Gänze verloren. Gemäß § 5 Abs 1 UVG seien Vorschüsse jeweils in der beantragten Höhe grundsätzlich bis zu dem im Exekutionstitel festgesetzten Betrag zu gewähren; die in § 6 Abs 1 UVG festgesetzte Höchstgrenze sei nur im fiskalischen Interesse dahin zu verstehen, daß die gewährten Vorschüsse ganz allgemein den Richtsatz nicht übersteigen dürften. Eigeneinkünfte des unterhaltsberechtigten Kindes iS des § 140 Abs 3 ABGB seien bereits im Titelverfahren durch eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruches gegenüber dem Unterhaltsschuldner, im Fall von Änderungen nach der Schaffung des Exekutionstitels durch ein Vorgehen nach § 7 UVG zu berücksichtigen. Nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG habe das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Eine gesetzliche Grundlage dafür, daß über diese Bestimmung hinaus das Eigeneinkommen des Kindes von dem in § 6 UVG normierten Richtsatz abzuziehen und Vorschüsse überhaupt zu versagen seien, wenn das Eigeneinkommen die Richtsatzhöhe überschreitet, fehle.

Der gegenteiligen Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes in den Entscheidungen 6 Ob 598/90 vom 31. Mai 1990 und 7 Ob 519/91 vom 21. März 1991 könne nicht gefolgt werden, zumal diese Entscheidungen mit den Entscheidungen 1 Ob 521/91 vom 20. März 1991 und 8 Ob 504/91 vom 31. Jänner 1991 nicht im Einklang stünden.

Weder das Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten noch allenfalls im Exekutionsweg vom Unterhaltsschuldner hereingebrachte Beträge hätten auf die Grenze des § 6 Abs 1 UVG einen Einfluß. Für die Teilzahlungen des Unterhaltsschuldners folge dies aus § 3 UVG, wonach Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe zu bewilligen sind, wenn eine wegen der laufenden Unterhaltsbeträge geführte Exekution auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor dem Stellen des Vorschußantrages fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll deckt. Exekutiv hereingebrachte Unterhaltsbeträge schmälerten nicht den Vorschußbetrag; sie seien vielmehr gemäß § 27 Abs 1 und 2 UVG zur Rückzahlung der geleisteten Vorschüsse an den Bund abzuführen.

Es sei auch nicht einzusehen, wieso ein Kind mit Eigeneinkommen vorschußmäßig bessergestellt seien sollte als ein einkommensloses. Wäre das Eigeneinkommen eines Kindes dadurch zu berücksichtigen, daß Vorschüsse nur in der Höhe der Differenz zwischen dem Einkommen und dem Richtsatz gewährt werden dürften, würde gerade jenes Kind benachteiligt, welches einen Eigenverdienst hat, weil dieser einerseits zu einer Verringerung des Unterhaltsanspruches iS des § 140 Abs 3 ABGB führe und zusätzlich die Vorschüsse auf die Differenz zwischen Einkommen und Richtsatz reduziert würden. Die Auslegung des § 6 Abs 1 in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 6 Ob 598/90 vom 31. Mai 1990, sei keine "systemgerechte Wertung", sondern eine Korrektur des Gesetzes, welche nicht Aufgabe der Gerichte, sondern des Gesetzgebers sei.

Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien bekämpft diese Entscheidung mit Revisionsrekurs und beantragt, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß der Unterhaltsvorschuß ab 1. Mai 1991 zur Gänze eingestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt. Die Anregung des Revisionsrekurswerbers, eine Verstärkung des einfachen Senates gemäß § 8 Abs 1 OGHG zu beschließen, war nicht aufzugreifen, da die Voraussetzungen hiefür (noch) nicht vorliegen. Eine ständige Rechtsprechung zur Frage der Bedeutung der Betragsgrenze des § 6 Abs 1 UVG liegt noch nicht vor; die Entscheidungen 1 Ob 521/91 und 8 Ob 504/91 stehen zu den Entscheidungen 6 Ob 598/90 und 7 Ob 519/91 nur im Ergebnis im Widerspruch.

Gemäß § 1 UVG hat der Bund auf den gesetzlichen Unterhalt minderjähriger Kinder nach diesem Bundesgesetz Vorschüsse zu gewähren. Die vom Bund zu erbringenden Leistungen bestimmen sich grundsätzlich nach der im Zivilrecht umschriebenen

und - außerdem - in einem Exekutionstitel konkretisierten Unterhaltsforderung des Kindes; auf diese gewährt der Bund nur Vorschüsse (JA 199 BlgNR 14. GP 2). Das Gesetz will damit grundsätzlich nur Abhilfe dagegen schaffen, daß das Kind die durch einen Exekutionstitel festgesetzte gesetzliche Unterhaltsforderung, die ihm nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften des Familienrechtes zusteht, vom Verpflichteten dennoch nicht hereinbringt; es verschafft hingegen dem Unterhaltsberechtigten - im Regelfall- keinen Ausgleich bei Leistungsunfähigkeit oder geringer Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.

Von diesem Grundkonzept hat das Gesetz aber schon in seiner Stammfassung aus sozialpolitischen Gründen Ausnahmen gemacht, welche mit den folgenden Novellen schrittweise erweitert wurden. Unterhaltsvorschüsse gebühren etwa auch dann, wenn der Unterhaltsschuldner durch sein Verhalten die Schaffung (oder spätere Valorisierung) eines vollstreckbaren Unterhaltstitels vereitelt (JA aaO 2) oder wenn dem Unterhaltsschuldner auf Grund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann, ferner auf Grund eines noch nicht rechtskräftigen Unterhaltszuspruches im Zusammenhang mit der Feststellung der Vaterschaft und bei der Zuerkennung vorläufigen Unterhaltes nach § 382a EO. In diesen Fällen ist der Zusammenhang zwischen dem familienrechtlichen Unterhaltsanspruch und dem Vorschuß wesentlich gelockert oder, wie im Fall der Vorschußgewährung während des Strafvollzuges des Unterhaltspflichtigen, praktisch überhaupt aufgehoben. Wegen dieser weitreichenden Ausnahmen liegt dem UVG kein einheitliches Konzept der Vorschußgewährung zugrunde, was bei der Auslegung zweifelhafter Bestimmungen entsprechend zu berücksichtigen ist. Vor allem kommt in diesen Ausnahmefällen eine Anknüpfung der Vorschußleistung an einen im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltsbeitrag (§ 5 Abs 1 UVG; sogenannte "Titelvorschüsse") nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat vielmehr die in diesen Fällen (höchstens) zu gewährenden Vorschüsse mit einheitlichen Beträgen festgesetzt, die nach Altersgruppen der Unterhaltsberechtigten abgestuft (JA aaO 6), und, um der allgemeinen Entwicklung der Einkommensverhältnisse Rechnung zu tragen, aus dem jeweiligen Richtsatz der Pensionsversicherung für Halbwaisen (§ 293 Abs 1 lit. c/bb, erster Fall, ASVG) zu errechnen sind.

Andererseits besteht gerade im Normalfall der sogenannten "Titelvorschüsse" (§§ 3, 4 Z 1, § 5 UVG) die Gefahr mißbräuchlicher Inanspruchnahme überhöhter Vorschüsse (zB durch Schaffen überhöhter Gefälligkeitstitel; Weiterbeziehen eines der Unterhaltspflicht nicht mehr entsprechenden Vorschusses), gegen welche der Gesetzgeber durch entsprechende gesetzliche Beschränkungen Vorsorge treffen mußte. Er hat daher für die Fälle des "Titelunterhaltes" in § 6 Abs 1 UVG bestimmt, daß die Vorschüsse monatlich den Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit. c/bb, erster Fall, ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG), nicht übersteigen dürfen. Unabhängig von dieser Höchstgrenze hat das Gericht gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. §§ 19 und 20 UVG ergänzen diese Vorschriften durch die Möglichkeit, bereits bewilligte Vorschüsse bei geänderten Verhältnissen herabzusetzen oder einzustellen. Der auf Grund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuß soll daher der jeweiligen (materiellen) gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen, und er darf außerdem den in § 6 Abs 1 UVG genannten Betrag ("Richtsatzhöhe") nicht überschreiten.

Die Frage, ob der Richtsatzbetrag nur die Höhe des monatlich auszuzahlenden Vorschusses begrenzt oder ob damit im Sinne der Sicherung einer Mindestversorgung zum Ausdruck gebracht wird, daß der Unterhaltsberechtigte nicht mehr vorschußwürdig ist, wenn ihm zu seinem Unterhalt ein Betrag in dieser Höhe - sei es (wie hier) auf Grund eigener Einkünfte oder infolge regelmäßiger Teilzahlungen des Unterhaltspflichtigen - zur Verfügung steht, ist an den - erst seit 1. Jänner 1990 in solchen Fragen anrufbaren - Obersten Gerichtshof schon mehrmals herangetragen worden (zu den Entscheidungen zweiter Instanzen siehe EFSlg 43.844; 41.899).

Der 6. Senat ist in der Entscheidung vom 31. Mai 1990, 6 Ob 598/90, zu dem Ergebnis gekommen, daß die monatlichen Vorschüsse den Unterschiedsbetrag zwischen dem Richtsatz des § 6 Abs 1 UVG und den eigenen Einkünften (in keinem Fall) übersteigen dürfen. Die Höchstgrenze des § 6 Abs 1 UVG sei nicht bloß eine fiskalische; sie besage nicht nur, daß dem Vorschußberechtigten höchstens dieser Betrag monatlich ausgezahlt werden dürfe, sondern lege die Vorschußbedürftigkeit des Minderjährigen dahin fest, daß ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuß nur insoweit bestehe, als dem Kind für den monatlichen Unterhaltszeitraum der Richtsatzbetrag nicht oder nicht vollständig (anderweitig) zur Verfügung steht. § 6 Abs 1 UVG sei also dahin zu verstehen, daß die Vorschüsse die Verfügbarkeit eines im Normalfall bereits titelmäßig festgesetzten Unterhaltsbeitrages nur bis zur Höhe des Richtsatzes gewährleisten sollen, bei teilweiser Verfügbarkeit aber nur den Restbetrag. Nur eine solche Auslegung werde dem sozialen Charakter der Einrichtung gerecht, weil einem Kind ohne eigene Einkünfte zugemutet werde, mit Vorschüssen in Richtsatzhöhe das Auslangen zu finden, "was auch für jene Minderjährigen zu gelten hätte, die einen Teil ihrer Bedürfnisse durch eigene Einkünfte selbst zu decken vermögen".

Der 7. Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 21. März 1991, 7 Ob 519/91 der Entscheidung 6 Ob 598/90 angeschlossen. Der Zweck des UVG sei nicht auf eine völlige Substitution von Unterhaltsleistungen gerichtet, sondern nur darauf, im wesentlichen im Rahmen bereits festgesetzter Unterhaltsansprüche den Unterhalt von Kindern aus Mitteln der Allgemeinheit und daher auch nur bis zur Höhe des Richtsatzes zu sichern. Auch ein Kind ohne eigene Einkünfte müsse sich mit einem Vorschuß in Richtsatzhöhe begnügen und mit diesem Sockelbetrag das Auslangen finden; ein Kind mit eigenem Einkommen besserzustellen, wäre sachlich ungerechtfertigt. Auch Vorschußempfänger nach § 4 Z 2 und 3 UVG müßten sich eigene Einkünfte auf den Pauschalbetrag anrechnen lassen.

In der Folge hat der 6. Senat seine Rechtsansicht in der Entscheidung vom 4. Juli 1991, 6 Ob 584/91 dahin ergänzt, daß die monatlichen Vorschüsse den Unterschiedsbetrag zwischen dem Richtsatz des § 6 Abs 1 UVG und den eigenen Einkünften des Minderjährigen, soweit diese zur Befriedigung der vom Unterhaltsschuldner in Geld abzudeckenden Bedürfnisse heranzuziehen sind, nicht übersteigen dürfen. Er hat damit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes Rechnung getragen, wonach eigene Einkünfte des unterhaltsberechtigten Kindes gleichrangig auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen (und daher auch auf die vom obsorgenden Elternteil in natura erbrachten Betreuungsleistungen) anzurechnen seien (6 Ob 624/90 JUS 553; ÖA 1991, 77 und 78).

Andererseits haben der 8. und der 1. Senat in den Entscheidungen vom 31. Jänner 1991, 8 Ob 504/91 und vom 20. März 1991, 1 Ob 521/91, in welchen es ebenfalls um die Frage der Herabsetzung von Unterhaltsvorschüssen wegen eigener Einkünfte des vorschußberechtigten Kindes ging, die Meinung des 6. und des 7. Senates im Ergebnis nicht übernommen, ohne allerdings die Frage der Auswirkungen der Betragsgrenze des § 6 Abs 1 UVG bei teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit Minderjähriger infolge eigener Einkünfte zu erörtern. Nach Prüfung der in den betreffenden Exekutionstiteln festgelegten Unterhaltspflicht iS des § 7 Abs 1 Z 1 UVG sind beide Senate zu der Überzeugung gekommen, daß der (jeweils) gewährte Vorschuß über den durch eigene Einkünfte geminderten Unterhaltsanspruch jedenfalls nicht hinausgehe.

Der erkennende Senat schließt sich diesen Entscheidungen an und billigt damit aus folgenden Gründen im wesentlichen die Ansicht des Rekursgerichtes:

Gemäß § 140 Abs 3 ABGB mindert sich der Anspruch auf Unterhalt insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. In Wahrheit kommt es allerdings nicht zu einer Minderung des Unterhaltsanspruches durch bloßes Abziehen der Nettoeinkünfte vom bisherigen Unterhaltsanspruch, sondern zu einer Verringerung des konkreten Bedarfes (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 11 zu § 140); dabei stehen den bedarfsmindernden Einkünften häufig auch bedarfserhöhende Auslagen gegenüber, die durch die beginnende Berufstätigkeit ausgelöst werden. Da der verringerte (veränderte) Bedarf nur einer der Bemessungsfaktoren für den Unterhaltsanspruch ist, mindern eigene Einkünfte nicht auch zwingend den Unterhaltsanspruch (6 Ob 598/90); dies vor allem dann nicht, wenn der Unterhaltspflichtige wegen seiner geringen Leistungsfähigkeit bisher nur einen Bruchteil des Bedarfes des Unterhaltsberechtigten decken konnte. Im Regelfall werden aber eigene Einkünfte des Kindes auch eine Verminderung seines Unterhaltsanspruches nach sich ziehen.

Diesen Veränderungen hat das Gericht, wenn schon ein Exekutionstitel bestanden hat, auf Antrag des Unterhaltspflichtigen durch eine entsprechende Herabsetzung des bisher festgesetzten Unterhaltsbeitrages Rechnung zu tragen. Ist dies im Zeitpunkt der Entscheidung über die (Weiter-)Gewährung von Vorschüssen nicht bereits geschehen oder treten später Veränderungen ein, so hat das Gericht gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG die Vorschüsse teilweise zu versagen bzw. gemäß § 19 Abs 1 UVG (iVm § 7 Abs 1 Z 1 UVG) herabzusetzen. Es sind also nicht die (Netto-)Einkünfte des Minderjährigen von dem bisher als Vorschuß gewährten Betrag einfach abzuziehen, sondern es ist zu ermitteln, mit welchem Betrag die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht unter Bedachtnahme auf die eigenen Einkünfte des Kindes noch besteht. Die Berechnung der Vorschüsse auf die Weise, daß vom Richtsatz nach § 6 Abs 1 UVG die eigenen Einkünfte des Minderjährigen (nach Reduzierung um die mit ihrer Erzielung verbundenen Auslagen) abgezogen werden und dem Kind nur der (allfällige) Unterschiedsbetrag - ohne Rücksicht auf einen höheren Unterhaltsanspruch nach § 140 Abs 3 ABGB - als Vorschuß gewährt wird, widerspricht bei "Titelvorschüssen" der vom Gesetz in § 7 Abs 1 Z 1 UVG angeordneten Anpassung an die Höhe des aktuellen Unterhaltsanspruches. Soweit die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht und der gesetzlichen Unterhaltspflicht entspricht, bildet sie die Grundlage für die Gewährung von Vorschüssen nach § 5 Abs 1 UVG.

Daß über diese Regelung hinaus durch § 6 Abs 1 UVG nicht nur der monatliche Auszahlungsbetrag begrenzt, sondern auch der Anspruch auf Vorschüsse dadurch beschränkt werden sollte, daß eigene Einkünfte auf den Richtsatzbetrag anzurechnen sind und mit dem Erreichen dieser Einkommensgrenze jeder Anspruch auf "Titelvorschüsse" (ohne Rücksicht auf ungedeckt bleibende Teile eines höheren Unterhaltsanspruches) erlischt, ist weder dem Gesetz noch den Materialien zu entnehmen. Eine solche Auslegung würde die vom Gesetz nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG (§ 19 UVG) vorgeschriebene Prüfung, den gegenüber dem Exekutionstitel verminderten Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflicht festzustellen und der Entscheidung über die Einschränkung der Vorschüsse zugrunde zu legen, in den Fällen eigener Einkünfte des Kindes weitgehend überflüssig machen; der Vorschußgewährung würde im Widerspruch zu § 7 Abs 1 Z 1 UVG nicht die Höhe des durch die Einkünfte des Kindes (nicht zwingend im selben Maß) geminderten Unterhaltsanspruches, sondern die Höhe des Richtsatzes zugrunde gelegt und die Einkünfte rein rechnerisch abgezogen.

Die These, daß durch eine solche Vorgangsweise die Gleichbehandlung von Kindern mit und ohne eigene Einkünfte gewahrt und eine gleichmäßige Mindestversorgung aller Kinder gesichert werde, überzeugt nicht. Hier wird übersehen, daß der Gesetzgeber bei der Bemessung der Vorschüsse den "Titelunterhalt" (§§ 5, 6 Abs 1 UVG) und den "Richtsatzunterhalt" (§ 6 Abs 2 UVG) - aus durchaus sachlichen Erwägungen - nicht gleich behandelt und insbesondere für alle Fälle des Titelunterhaltes - anders als in § 6 Abs 2 UVG - eine starre Höchstgrenze für Minderjährige aller Altersstufen festgelegt hat. Gemessen an den sog. Regelbedarfssätzen deckt diese starre Grenze derzeit die Bedürfnisse eines Kleinkindes etwa 2,5 mal, die Bedürfnisse eines knapp 19-jährigen aber nur 1,1 mal; der Titelvorschuß für ein Kleinkind reicht also auch noch zur Befriedigung stark gehobener sozialer Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten aus. Mit dem altersbedingt steigenden Bedarf nimmt dieser "Deckungsgrad" ab. Es kann daher keine Rede davon sein, daß durch die Grenze des § 6 Abs 1 UVG eine gleichmäßige Mindestversorgung aller Kinder gesichert werden sollte. Die starre Grenze des § 6 UVG läßt sich daher am ehesten als bloße fiskalische Auszahlungsgrenze erklären. Mangels jeglicher Anhaltspunkte im Gesetz ist sie nicht als Unterhaltsgrenze zu verstehen.

Die Fälle, daß der Unterhaltsberechtigte eigene Einkünfte hat und daß er einen Teil seines Unterhaltsanspruches hereinbringen kann, beruhen zwar auf ähnlichen Wertungen, sind aber rechtlich nicht gleich, weil im ersten Fall der Beurteilung nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG ein verminderter Unterhaltsanspruch (im Sinne der obigen Ausführungen zu § 140 Abs 3 ABGB) zugrunde zu legen ist, während im zweiten Fall der Unterhaltsanspruch unverändert ist, aber (wegen regelmäßiger Teilleistungen) nur einer teilweisen Sicherung bedarf. Zu diesem verwandten Fall vertritt Knoll (in seinem KommzUVG in ÖA Rz 8 zu § 5 UVG) zunächst die Meinung, daß mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im UVG anzunehmen sei, daß es sich gegenüber der Unterhaltshöhe neutral verhalte; sein Zweck sei es (auch), ungedeckte Unterhaltsteile zu bevorschussen (vgl auch JA 199 BlgNR 14. GP 5). Knoll meint aber dann doch, daß diese Erwägungen nicht zwingend seien; die in § 6 UVG angeführten Summen seien als "Sockelbeträge" anzusehen, die den Unterhalt nur in den gegebenen Grenzen sichern sollen. Eine "Überalimentierung" müsse vermieden werden; es könne nicht Zweck des Gesetzes sein, Ausfälle bei sehr hohen Unterhaltsbeträgen zu sichern.

Dem ist - hier nur für den verwandten Fall der Eigeneinkünfte - entgegenzuhalten, daß sich eine Gesetzesauslegung nicht an Extremfällen orientieren darf, "Überalimentierungen" in aller Regel schon durch die Anwendung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG begegnet werden kann und der Unterhaltsbedarf von Minderjährigen knapp vor der Volljährigkeit in der Regel auch bei nicht gehobenen Lebensverhältnissen über der derzeitigen Grenze des § 6 Abs 1 UVG liegen wird; warum es den Zielsetzungen des UVG widersprechen soll, derartige, zur Sicherung des gesetzlichen Unterhalts notwendige Unterhaltsteile zu bevorschussen, ist nicht zu sehen.

Die Ansicht, § 6 Abs 1 UVG lege die Grenze der Vorschußbedürftigkeit derart fest, daß der Unterhaltsberechtigte, dem dieser Betrag zur Verfügung steht, keinen Anspruch auf Sicherung seines restlichen gesetzlichen Unterhaltsanspruches habe, steht auch mit der Entscheidung vom 15. Mai 1990, 5 Ob 556/90 (ÖA 1991, 81), im Widerspruch. In dieser Entscheidung wurde (auch für "Titelvorschüsse") ausgesprochen, daß einem Kind, das (Geld-)Unterhaltsansprüche gegen mehrere Unterhaltsschuldner hat, auf jeden einzelnen Unterhaltsanspruch Vorschüsse in voller Höhe der in § 6 UVG genannten Beträge gebühren; der Gesetzgeber sei von dem Normalfall ausgegangen, daß sich das Kind bei einem Elternteil befindet, der seiner Unterhaltspflicht durch dessen Betreuung nachkommt, und daß daher die Obergrenzen des § 6 UVG im Falle der Geldunterhaltspflicht beider Elternteile - durchaus sachgerecht - für jeden von ihnen in voller Höhe gelten sollten.

Der Gefahr einer Überalimentierung sei (auch in diesem Fall) durch teilweise Versagung oder Herabsetzung der Vorschüsse in analoger Anwendung des § 7 Abs 1 Z 2 UVG (§ 19 Abs 1 UVG; im betreffenden Fall ging es um "Richtsatzvorschüsse") zu begegnen. Im Zusammenhang damit fällt auf, daß der zu 6 Ob 584/91 ausgesprochene (modifizierte) Rechtssatz, diejenigen Minderjährigen mit eigenem Einkommen benachteiligt, die nur noch einen unterhaltspflichtigen Elternteil haben und in fremder Pflege sind, weil hier die günstigere Regel, daß die Hälfte des eigenen Erwerbs auf die vom obsorgenden Elternteil in natura erbrachten Betreuungsleistungen anzurechnen ist, nicht greift. Ein solches Kind wird wegen der Kosten der Fremdpflege in der Regel einen höheren Unterhaltsanspruch gegen den einzigen Unterhaltspflichtigen haben, müßte sich aber dennoch vom Richtsatz des § 6 Abs 1 UVG die gesamten Einkünfte abziehen lassen.

Auch eine analoge Anwendung des § 7 Abs 1 Z 2 UVG auf Titelvorschüsse kommt nicht in Betracht; der Gesetzgeber konnte im Fall der Gewährung von "Richtsatzvorschüssen" eine Prüfung, wie weit durch eigene Einkünfte ein Abweichen des Exekutionstitels von der gesetzlichen Unterhaltspflicht eingetreten ist, nicht anordnen, weil die "Richtsatzvorschüsse" nicht an eine konkret feststellbare Unterhaltspflicht anknüpfen, sondern auf einheitlichen "Pauschal"-Beträgen beruhen. Es handelt sich daher um zwei verschiedene Bemessungssysteme, die nicht miteinander vermengt werden dürfen, weil dem UVG - wie oben ausgeführt - insoweit kein einheitliches Vorschußkonzept zugrunde liegt.

Da die gesetzliche Unterhaltspflicht des Vaters trotz der den Richtsatz von derzeit S 3.980,-- geringfügig übersteigenden Einkünfte des Minderjährigen noch mit einem Teilbetrag von S 500,-- aufrecht geblieben ist, entsprechen die Beschlüsse der Vorinstanzen der Rechtslage.

Dem Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes ist daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E27423

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0040OB00549.91.1008.000

Dokumentnummer

JJT_19911008_OGH0002_0040OB00549_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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