TE OGH 1991/11/21 14Os127/90

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Veröffentlicht am 21.11.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.November 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden, den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller und Dr. Kießwetter, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Horak, Dr. Hörburger, Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Prokisch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Günther V***** wegen der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 und Abs. 2 lit a FinStrG sowie einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und des Finanzamtes Salzburg-Stadt gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 27. Juni 1990, GZ 35 Vr 99/89-56, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, des Vertreters des Finanzamtes Salzburg-Stadt Rat Dr. Schmidt, des Angeklagten Günther V***** und seines Verteidigers Dr. Zitta zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im Freispruch unberührt bleibt, im Schuldspruch und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben. Gemäß § 288 Abs. 2 Z 1 StPO wird eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Erstgericht verwiesen. Hingegen werden die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und des Finanzamtes verworfen und ihre Berufungen zurückgewiesen.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf die Entscheidung über seine Nichtigkeitsbeschwerde verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Günther V***** der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 und Abs. 2 lit a FinStrG (Punkt 1 und 2 des Schuldspruchs) sowie des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs. 2 StGB (Punkt 3 des Schuldspruchs) schuldig erkannt und gemäß § 33 Abs. 5 FinStrG iVm § 21 Abs. 1 und Abs. 2 FinStrG zu einer Geldstrafe sowie gemäß § 293 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er als geschäftsführender Gesellschafter der H***** OHG in Salzburg

1. unter Verletzung der abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Abgabe unrichtiger Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1980 bis 1983 Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen sind, und zwar die von der OHG zu entrichtende Umsatzsteuer um nachstehende Beträge:

für das Jahr 1980                         S   672.918,--

für das Jahr 1981                         S 1,245.455,--

für das Jahr 1982                         S   713.652,--

für das Jahr 1983                         S 1,339.443,--

                zusammen                  S 3,971.468,--

vorsätzlich verkürzt, indem er Vorsteuergutschriften mit (gemeint: Vorsteuerbeträge aus) Scheinrechnungen des Bruno R***** über angebliche Warenlieferungen geltend gemacht hat;

2. unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1972 entsprechenden Voranmeldungen auf die vorbezeichnete Art und Weise Vorauszahlungen an Umsatzsteuer für die Jahre 1980 bis 1983 in der Höhe von insgesamt S 3,971.468,-- verkürzt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiß gehalten;

3. durch die (unter Punkt 1 und 2 des Schuldspruchs beschriebene) Verwendung einer unbestimmten Anzahl von Scheinrechnungen für die Jahre 1980 bis 1983 falsche Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht.

Von dem weiteren Anklagevorwurf, er habe als geschäftsführender Gesellschafter der H***** OHG

1. unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1972 entsprechenden Voranmeldungen auf die zu Punkt 1 des Schuldspruchs beschriebene Art und Weise Vorauszahlungen an Umsatzsteuer für die Jahre 1984 und 1985 in der Höhe von insgesamt S 1,953.691,-- verkürzt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiß gehalten; und

2. durch die Verwendung von Scheinrechnungen des Bruno R***** für die Jahre 1984 und 1985 falsche Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht, und (auch) hiedurch (zu 1) das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit a FinStrG und (zu 2) das Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs. 2 StGB begangen, wurde Günther V***** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Mit seiner auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5, 5 a, 9 lit a und lit b, 10 und 11 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde wendet sich der Angeklagte gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch. Die Staatsanwaltschaft und das Finanzamt hingegen bekämpfen mit ihren der Sache nach aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden den Teilfreispruch. Außerdem haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Finanzamt "Berufung" angemeldet (S 115 bzw 117/II), dieses Rechtsmittel aber in der Folge nicht ausgeführt.

Rechtliche Beurteilung

In den den Schuldspruch betreffenden Entscheidungsgründen weist das Erstgericht zunächst auf die vom steuerlichen Vertreter der H***** OHG am 16.April 1985 "vorsorglich" erstattete Selbstanzeige und auf deren Ergänzung vom 17.April 1985 hin, worin dem Finanzamt mitgeteilt wurde, daß den beigelegten Einkaufsrechnungen des Bruno R***** für die Jahre 1979 bis 1985 "eventuell keine Warenlieferungen zugrunde liegen" (S 15 und 19/I). Sodann wird die Verantwortung des Angeklagten vor dem Finanzamt vom 29.April 1985 wiedergegeben, wonach er die Selbstanzeige als unrichtig bezeichnet und behauptet hat, daß die den Rechnungen des Bruno R***** entsprechenden Warenlieferungen durchwegs tatsächlich erfolgt und auch bezahlt worden seien (S 21 ff/I). Dem werden die Aussagen des Bruno R***** vor dem Finanzamt (S 9 ff, 25 ff, 361 ff/I) gegenübergestellt, der die Ausstellung von Scheinrechnungen zugegeben, allerdings in der Folge deren mengenmäßigen Umfang eingeschränkt habe, schließlich aber in dem gegen ihn selbst geführten Strafverfahren (Beiakt AZ 6 e Vr 12.573/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) dabeigeblieben sei, u.a. auch für die H***** OHG Scheinrechnungen ausgestellt zu haben. Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Betriebsprüfung und die Erhebungen der Steuerfahndung (enthalten in der Schlußanzeige des Finanzamtes vom 5.Jänner 1989, ON 40/I) wird sodann festgestellt, daß erhebliche Mittel der gegen "R*****-Rechnungen" gebuchten Kassenausgänge der

H***** OHG - zwecks Verschleierung unter Einschaltung der Mittelspersonen Ing. Max B***** und Dipl.Ing. Josef R***** - in Wahrheit offenbar für Schwarzeinkäufe sowie für den privaten Aufwand verwendet worden seien. Nach Wiedergabe der vom Angeklagten dazu vorgebrachten Verantwortung (S 450/I und 13/II) und Skizzierung der wechselnden Angaben des Ing. Max B***** (S 411 ff/I) resümiert das Erstgericht, es bestehe "somit kein Zweifel, daß die bei der H***** OHG auf Wareneinkauf von Bruno R***** gebuchten Zahlungen für Schwarzlieferanten bzw nicht betriebliche Aufwendungen, vor allem den privaten Lebensaufwand, erfolgten und daß Günther V***** auf diese Art und Weise für die Jahre 1980 bis 1983 insgesamt einen Betrag von S 3,971.468,-- an Umsatzsteuer der H***** OHG als deren geschäftsführender Gesellschafter verkürzt hat" (US 8).

Zu diesen Feststellungen des (objektiven) Sachverhalts und der Höhe der hinterzogenen Abgaben (betreffend Schuldspruchfaktum 1) gelangte das Schöffengericht nicht aufgrund einer eigenständigen Würdigung der wiedergegebenen Verfahrensergebnisse, sondern es berief sich insoweit ausschließlich auf die rechtskräftigen Abgabenbescheide (vom 22.Dezember 1986) über die veranlagte Umsatzsteuer für die Jahre 1980 bis 1983, an die es sich "im Sinne des § 55 FinStrG und der dazu ergangenen Rechtsprechung" in diesem Umfang für absolut gebunden erachtete (US 9 unten). Zur subjektiven Tatseite argumentierte es, daß bei steuerlicher Geltendmachung von Rechnungen (gemeint: von darin ausgewiesenen Vorsteuerbeträgen) in dem Bewußtsein, daß diesen Rechnungen keine Warenlieferungen zugrunde liegen, nur vorsätzliches Handeln in Betracht komme, zumal Irrtum, Zurechnungsunfähigkeit oder andere vorsatzausschließende Umstände nicht behauptet worden seien (US 10). Demnach stellte es fest, daß der Angeklagte im Schuldspruchfaktum 1 vorsätzlich gehandelt hat (US 8 unten).

Zum zeitlich und betraglich korrespondierenden Schuldspruch wegen Verkürzung der Umsatzsteuer schon im Voranmeldungsstadium (Schuldspruchfaktum 2) führte das Erstgericht aus, daß insoweit zwar "nicht die absolute Bindungswirkung des § 55 FinStrG vorliegt" (US 10), "weil es sich bei den Umsatzsteuervoranmeldungen nicht um veranlagte Abgaben im Sinne des § 55 FinStrG handelt" (US 11), doch folgerte es aus dem auf Grund der rechtskräftigen Abgabenbescheide über die jeweilige Jahresumsatzsteuer als erwiesen anzunehmenden Sachverhalt zum Schuldspruchfaktum 1, daß der Angeklagte auf die gleiche Art und Weise schon zuvor auch unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen erstattet haben müsse und damit auch den Tatbestand nach § 33 Abs. 2 lit a FinstrG objektiv verwirklicht habe. Die für die dadurch bewirkte Verkürzung von Umsatzsteuervorauszahlungen erforderliche Vorsatzform der Wissentlichkeit erschloß es daraus, daß die Abgabenverkürzung ja gerade der Zweck der Vorgangsweise des Angeklagten gewesen sei (US 10/11). "In weiterer logischer Konsequenz" gelangte der Schöffensenat zur Ansicht, daß der Angeklagte durch die Vorlage von (gemeint: durch die Berufung auf die) Scheinrechnungen und deren Einverleibung in sein Rechnungswerk auch falsche Beweismittel im verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht habe (Schuldspruchfaktum 3), wobei es insoweit bedingten Vorsatz annahm (US 11).

Den Freispruch des Angeklagten vom Anklagevorwurf, auch in den Jahren 1984 und 1985 unter Berufung auf Scheinrechnungen des Bruno R***** unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen erstattet und dadurch Vorauszahlungen verkürzt zu haben (Freispruchfaktum 1), begründete das Erstgericht damit, daß "hier keine Bindungswirkung im Sinne des § 55 FinStrG vorliegt", weil "es sich bei den Umsatzsteuervorauszahlungen nicht um veranlagte Abgaben im Sinne des § 55 FinStrG handelt" (US 11). Dabei beurteilte es die Beweissituation im Gegensatz zu der in Ansehung der Schuldspruchfakten 1 und 2 vorgenommenen beweismäßigen Verknüpfung ersichtlich deshalb anders, weil der Anklagevorwurf (mangels Erstattung falscher Jahresumsatzsteuererklärungen für 1984 und 1985) nicht auch auf das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG durch Verkürzung der Jahresumsatzsteuer gerichtet war, und es demnach anscheinend den Rechtsstandpunkt einnahm, sich diesfalls nicht auf die an sich auch für die Jahre 1984 und 1985 vorliegenden rechtskräftigen endgültigen Jahresumsatzsteuerbescheide berufen zu dürfen. Insoweit nahm das Erstgericht daher eine eigenständige Beweiswürdigung vor und kam - "in logischer Konsequenz" auch in Ansehung des Vorwurfs des Gebrauchs falscher Beweismittel im Sinne des § 293 Abs. 2 StGB (Freispruchfaktum 2) - zu dem Schluß, daß infolge Ablebens der Zeugen Bruno R***** und Ing. Max B***** und der damit verbundenen Unmöglichkeit ihrer unmittelbaren Vernehmung vor dem erkennenden Senat die abgabenverkürzende Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen aus Scheinrechnungen des Bruno R***** für die Jahre 1984 und 1985 nicht mit der für ein Strafverfahren notwendigen Sicherheit als erwiesen angenommen werden könne (US 11/12).

Die Entscheidung über die vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerden hängt maßgeblich von der Beantwortung der darin aufgeworfenen zentralen Rechtsfrage ab, ob und bejahendenfalls inwieweit rechtskräftigen Bescheiden von Abgabenbehörden über die endgültige Abgabenfestsetzung im nachfolgenden gerichtlichen Finanzstrafverfahren Präjudizialität zukommt. In Ablehnung der vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung verficht der Angeklagte den Standpunkt, daß sich das Erstgericht bei der Feststellung des (objektiven) Sachverhalts und der Höhe der vom Schuldspruch laut Punkt 1 und 2 des Urteilssatzes umfaßten Abgabenverkürzung sowie - davon abgeleitet - auch bei der Feststellung der objektiven Tatseite des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs. 2 StGB laut Punkt 3 des Schuldspruchs zu Unrecht ausschließlich auf die nach Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO erlassenen Umsatzsteuerbescheide des Finanzamtes Salzburg-Stadt vom 22.Dezember 1986 für die Jahre 1980 bis 1983 gestützt und eine Reihe von Beweisanträgen, die auf die Widerlegung dieser Annahmen abzielten (S 70 ff/II), unter Hinweis auf eine bindende Wirkung solcher Abgabenbescheide abgewiesen hat (S 74/II, US 12).

Die Staatsanwaltschaft und das Finanzamt hinwieder reklamieren, daß das Erstgericht sich bei der Beurteilung des Anklagevorwurfs wegen Verkürzung der Umsatzsteuervorauszahlungen im Laufe der Jahre 1984 und 1985 unter Verwendung von Scheinrechnungen nicht über die sich aus den auch für diese Jahre bestehenden rechtskräftigen Bescheiden über die endgültige Festsetzung der Umsatzsteuer implizit ergebende Tatsache einer mittels Scheinrechnungen des Bruno R***** schon zuvor bewirkten Verkürzung der entsprechenden Umsatzsteuervorauszahlungen hätte hinwegsetzen dürfen.

Zur Frage der Präjudizialität von Abgabenbescheiden hat der Oberste Gerichtshof im Anschluß an seine Entscheidung eines verstärkten Senates vom 21.April 1977, 13 Os 28/76 (= SSt 48/36) in ständiger Rechtsprechung mit hier nicht aktuellen Modifikationen (vgl Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch E 17 a, 18 b und 18 c zu § 55 FinStrG) die Auffassung vertreten, daß das Gericht im Finanzstrafverfahren - und zwar auch außerhalb des Bereiches der im § 55 FinStrG aufgezählten Abgaben (a.a.O. E 18 e) - vom Bestehen der sich aus dem Spruch eines gegen den Beschuldigten ergangenen (rechtskräftigen) Bescheides über die endgültige Abgabenfestsetzung dem Grunde und der Höhe nach ergebenden Abgabenschuld als Tatsache auszugehen hat, es im übrigen aber in der Beurteilung der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschuldigten völlig frei ist und daher selbständig und unabhängig die objektiven Tatbestandsmerkmale (wie etwa die als Mittel der Tatbegehung anzusehende Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht) und uneingeschränkt die innere Tatseite einschließlich des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit selbst zu prüfen hat, wobei die Frage der Rechtmäßigkeit der Abgabenschuld nur für den Bereich der subjektiven Tatseite Gegenstand einer selbständigen gerichtlichen Beurteilung sein kann (SSt 48/36 (verst Senat) und idS die nachfolgende, a.a.O. unter E I zu § 55 FinstrG zahlreich zit Jud). Allerdings hat der Oberste Gerichtshof - wie zur Klarstellung noch vermerkt sei - diese Auffassung nicht auf § 55 FinStrG gestützt, vielmehr ausdrücklich ausgesprochen, daß dieser (und ihrer Vorgänger-)Bestimmung eine unmittelbare Aussage zur rechtlichen Bedeutung der Abgabenfestsetzung für das Erkenntnis des Strafgerichtes fehlt.

Der zur Entscheidung über die vorliegenden Rechtsmittel primär berufene Senat des Obersten Gerichtshofes wurde gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 OGHG u.a. deshalb verstärkt, weil die vom einfachen Senat ins Auge gefaßte und vom Angeklagten Günther V***** angestrebte Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ein Abgehen von der darüber zuletzt ergangenen, im Rechtssatz eben wiedergegebenen Entscheidung eines verstärkten Senates bedeutete (Beschluß vom 29.Oktober 1991, GZ 14 Os 127/90-8).

Der verstärkte Senat hat hiezu erwogen:

Der Abgabenanspruch bzw die Abgabenschuld entsteht allgemein gemäß § 4 Abs. 1 BAO mit der Verwirklichung jenes Tatbestands, an welchen das Gesetz die Abgabenpflicht knüpft. Die Abgabenschuld gründet sich also nicht erst auf den erlassenen Abgabenbescheid, sondern entsteht ex lege mit der Verwirklichung eines vom Gesetz als relevant erklärten Sachverhalts (Reeger-Stoll, Kommentar zur BAO, Anm 2 zu § 4; Seiler, Die Bedeutung der Vorfragen für den Strafrichter, JBl 1981, 572). Grund der Abgabenschuld ist daher ein bestimmtes, in der Vergangenheit liegendes reales Geschehen, das allerdings zur Durchsetzung des damit entstandenen Abgabenanspruchs in der Regel der Feststellung seiner konkreten Verwirklichung in einem Abgabenbescheid (§§ 198 ff BAO) bedarf. Werden nach Aufdeckung einer Abgabenhinterziehung die vom Steuerpflichtigen geschuldeten Abgabenbeträge endgültig festgesetzt, so ergeben sich aus dem Abgabenbescheid (als dem Resultat der ihm zugrundeliegenden Beweisaufnahme) nicht allein jene Sachverhaltsfeststellungen, in welchen sich die Verwirklichung des abgabenrechtlichen Tatbestands als Grund der ziffernmäßig bestimmten Höhe der Abgabenschuld manifestiert, sondern zudem auch - und zwar (wie hier) meist sachverhalts- und beweismäßig untrennbar ineinander verwoben - jene tatsächlichen Annahmen der Abgabenbehörde, in welchen die die Abgabenverkürzung begleitenden abgabenrechtlichen Pflichtverletzungen als Tatbegehungsmittel zum Ausdruck kommen. Solcherart sind daher in einem Abgabenbescheid die objektiven Tatbestandselemente einer Abgabenhinterziehung weitgehend bereits von der Abgabenbehörde bescheidmäßig festgestellt. Geht man weiters davon aus, daß die subjektive Tatseite einschließlich des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit oft schon durch das objektive Geschehen indiziert ist - wie abermals gerade der vorliegende Fall mit seiner für alle entscheidungswesentlichen Umstände maßgeblichen Frage, ob und in welchem Umfang der Angeklagte Scheinrechnungen zur Verkürzung von Umsatzsteuer gebraucht hat, mit aller Deutlichkeit beweist - so bleibt unter dem Postulat, daß Grund und Höhe der im Abgabenbescheid festgesetzten Abgabenschuld unverrückbare, im gerichtlichen Finanzstrafverfahren nicht mehr überprüfbare Tatsachen seien, für den Strafrichter nur mehr ein vergleichsweise geringer Spielraum zu einer eigenständigen Entscheidung. Gewiß ist durch eine Bindung im erwähnten Umfang rechtlich noch kein Schuldspruch des Abgabepflichtigen auch wegen eines Finanzvergehens vorweggenommen. Dieser Schuldspruch ist aber dadurch faktisch in einem solchen Maß vorgegeben, daß es in der praktischen Rechtsanwendung einem Präjudiz gleichkommt, das mit der gemäß Art 6 Abs. 2 MRK verfassungsgesetzlich verankerten Vermutung, daß der nunmehr wegen eines gerichtlich strafbaren Finanzvergehens Angeklagte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat, nicht in Einklang gebracht werden kann.

Dies insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die zur Auslegung des Art 6 Abs. 2 MRK ergangene Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 4./5.Oktober 1974, Nr 5523/72, wonach diese Bestimmung grundsätzlich fordert, daß die Richter bei Erfüllung ihrer Aufgaben nicht von der Annahme ausgehen dürfen, daß der Angeklagte die Tat, welcher er angeklagt ist, begangen hat (im englischen Text zit in VfSlg 8111: "Article 6(2) requires basically that court judges in fullfilling their duties should not start with the assumption that the accused committed the act with which he is charged."). Dies schließt, wie der Verfassungsgerichtshof in dem eben zitierten Erkenntnis vom 30. Juni 1977 (VfSlg 8111) und seither in ständiger Rechtsprechung (VfSlg 9395, 10.144 ua), der auch der Verwaltungsgerichtshof gefolgt ist (VwSlg 5836 F (verst Senat), 5946 F ua), zumindest für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren ausgesprochen hat, aus, die Frage nach der Verwirklichung (auch nur) des objektiven Tatbestands durch den Beschuldigten (zur Gänze oder auch nur teilweise) mit einer bloßen Verweisung auf einen rechtskräftigen Abgabenbescheid zu beantworten. Enthält auch diese Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts keine unmittelbare Aussage für das gerichtliche Finanzstrafverfahren, so ist doch kein tragfähiges Argument zu einer anderen Auslegung für den Justizbereich ersichtlich. Gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung schon seiner Natur nach uneingeschränkt, so gewinnt zudem für die gestellte Auslegungsfrage auch der Umstand besondere Bedeutung, daß durch die Finanzstrafgesetznovelle 1985 (BGBl 571) die Unschuldsvermutung expressis verbis in das Finanzstrafgesetz rezipiert worden ist (§ 6 Abs. 2 FinStrG), was wohl nur dahin verstanden werden kann, daß aus der für den gegenständlichen Rechtsbereich typischen Zweiteilung von Abgabenverfahren und Finanzstrafverfahren einerseits sowie von verwaltungsbehördlichem und gerichtlichem Finanzstrafverfahren andererseits eine einschränkende Interpretation der Tragweite dieses Grundsatzes nicht abgeleitet werden darf. Dazu kommt als weiteres rechtshistorisches Argument, daß die Regierungsvorlage zur Finanzstrafgesetznovelle 1975, 1130 BlgNR 13. GP, soweit sie eine Bindung der Gerichte und der Finanzstrafbehörden an die rechtskräftige Abgabenfestsetzung vorgesehen hat, nicht Gesetz geworden ist. (Zur Problematik der Unschuldsvermutung im gegebenen Zusammenhang vgl Roessler, Zur Frage der Bindung des Gerichtes an einen rechtskräftigen Abgabenbescheid im Finanzstrafrecht, AnwBl 1977, 11 f; Seiler, Die Bedeutung der Vorfragen für den Strafrichter, JBl 1981, 572 ff; Anzenberger, Finanzstrafrecht und MRK 1989, 162 ff; und jüngst Werndl, Zur Bindung der Strafgerichte (Finanzstrafbehörden) an Bescheide der Abgabenbehörden, JBl 1991, 356 ff; siehe auch die Glosse von Graff in AnwBl 1991, 577 ff; sowie Harbich-Dorazil FinStrG 12. Lfg. Anm o zu § 56).

Aus dem Prinzip der Gewaltentrennung (Art 94 B-VG) läßt sich ein zwingendes Gegenargument jedenfalls nicht ableiten. Die verfassungsmäßige Kompetenzverteilung zwischen Justiz und Verwaltung kann, eben weil die Abgabenfestsetzung den Abgabenbehörden und die strafrechtliche Beurteilung einer Abgabenhinterziehung (unter den Voraussetzungen des § 53 FinStrG) den Gerichten obliegt, auch gegen eine faktische Bindungswirkung von Abgabenbescheiden ins Treffen geführt werden, zumal kein einziger materiellrechtlicher Tatbestand des Finanzstrafgesetzes Grund und Höhe der Abgabenverkürzung als Vorfrage derart konzipiert hat, daß sich das Strafgericht diesbezüglich an die Feststellungen der Abgabenbehörde zu halten hätte (Werndl, a.a.O. S 361).

Zwar kann diesfalls das Gericht hinsichtlich der Höhe der Abgabenschuld mit Rücksicht auf die selbständigen Feststellungen zur objektiven Abgabenverkürzung zu einem vom Abgabenbescheid abweichenden Ergebnis gelangen, was aber am Bestand der Abgabenschuld für den Abgabenbereich (jedenfalls zunächst) nichts zu ändern vermag. Diese Konsequenz ist gewiß nicht wünschenswert, angesichts der grundsätzlichen Verpflichtung der Strafgerichte zur amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit (§§ 3, 96, 232 Abs. 2, 254 StPO) prävaliert aber das Postulat, die aus Abgabenbescheiden (bzw aus dem ihnen zugrunde liegenden Ermittlungsverfahren) sich ergebenden entscheidungswesentlichen Tatsachen uneingeschränkt einer Überprüfung unterziehen zu können und darnach als fehlerhaft erkannte Tatsachen nicht der gerichtlichen Entscheidung zugrunde legen zu müssen (Seiler, a. a.O. S 574; Werndl, a.a.O. S 363), mag dies auch mit der Idealvorstellung von der Einheit der Rechtsordnung in Widerstreit stehen. Da aber einerseits die Bestimmung des § 5 Abs. 2 StPO die Möglichkeit unterschiedlicher Ergebnisse von Strafverfahren mit Beziehung auf administrative oder zivilgerichtliche Vorentscheidungen (mit gewissen Einschränkungen - siehe dazu Mayerhofer-Rieder StPO3 Anm 2 zu § 5 sowie die dort zit E) durchaus in Kauf nimmt und andererseits die Vorschrift des § 268 ZPO über die Bindung der Zivilgerichte an verurteilende Erkenntnisse des Strafgerichtes durch den Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben worden ist (JBl 1991, 104 ff), hält der Oberste Gerichtshof die auf die (erstrebenswerte) Einheit der Rechtsordnung gestützte Argumentation nicht mehr für durchschlagskräftig (vgl VfSlg 6854).

Nicht zu übersehen ist ferner die unterschiedliche Stellung des Abgabenpflichtigen im Abgabenverfahren und des Beschuldigten (Angeklagten) im gerichtlichen Strafverfahren. Zwar herrschen in beiden Verfahrensarten die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit, gleichwohl ergeben sich Unterschiede hinsichtlich der Beweiserhebung. So bestehen etwa für den Abgabepflichtigen unter der Sanktion des § 184 BAO (Schätzung der Grundlagen für die Abgabenerhebung) eine ganze Reihe von Mitwirkungspflichten (§§ 119-142 BAO), während im gerichtlichen Finanzstrafverfahren stets der Beweis der Schuld durch das Gericht erforderlich ist, und zwar auch dann, wenn sich der Beschuldigte (Angeklagte) verschweigt oder auf eine Verantwortung ohne konkretes Beweisanbot beschränkt. Im Abgabenverfahren gibt es kein Verwertungsverbot, sehr wohl aber im Strafverfahren. Auch bei der Beweiswürdigung zeigen sich Unterschiede, hat doch der erkennende Richter im Strafverfahren zweifelhafte Tatsachen nur zu beachten, wenn das zum Vorteil des Angeklagten ausschlägt, hingegen darf er sie nicht berücksichtigen, wenn sie sich zum Nachteil des Angeklagten auswirken würden (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 38 ff zu § 258; Werndl a.a.O. S 362). Demgegenüber gilt in dem zur Abgabenfestsetzung führenden Verfahren - namentlich im Bereich der Schätzung nach § 184 BAO - dieser Zweifelsgrundsatz nicht (12 Os 56/91; Werndl a.a.O.).

Von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch, daß im Abgabenverfahren keine unabhängigen Organe (§ 20 B-VG) entscheiden. Dies trifft auch auf die Berufungssenate gemäß §§ 270 f BAO zu, da diesen kein Richter angehört und im übrigen auch nur die entsendeten Mitglieder ausdrücklich weisungsfrei gestellt sind (§ 271 Abs. 1 BAO). Die (aus dem Personalstand der Finanzverwaltung kommenden) ernannten Mitglieder sind demgegenüber weiterhin weisungsgebunden. Insofern kann von einem Gericht ("Tribunal") im Sinne des Art 6 Abs. 1 MRK in bezug auf die Abgabenbehörden keine Rede sein. Die ungeprüfte Übernahme von Feststellungen eines weisungsgebundenen Organs über Grund und Höhe einer Abgabenschuld (und der sich daraus implizit ergebenden Abgabenverkürzung) durch ein Gericht als eine der wesentlichen Grundlagen seiner eigenen Entscheidung widerspricht daher auch dem in Art 6 Abs. 1 MRK normierten Gebot, daß nur ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht ("Tribunal") über die Stichhaltigkeit strafrechtlicher Anklagen zu entscheiden hat (vgl Roessler a.a.O., Werndl, a.a.O. S 362; siehe auch EGMR 28.Juni 1990 im Fall Obermeier gg. Österreich, ÖJZ 1991, 22 ff).

Aus den dargelegten Erwägungen vermag der Oberste Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zur Frage der Präjudizialität von Abgabenbescheiden im gerichtlichen Finanzstrafverfahren nicht mehr aufrecht zu erhalten. Solchen Abgabenbescheiden und dem ihnen zugrunde liegenden Abgabenverfahren kommt daher für das gerichtliche Finanzstrafverfahren nur die Bedeutung einer - allerdings qualifzierten - Vorprüfung der Verdachtslage in Ansehung der objektiven Tatseite (Abgabenverkürzung) eines bestimmten Finanzvergehens zu (vgl Seiler a.a.O. S 574; Anzenberger a.a.O. S 164; Werndl a.a.O. S 364), zu deren eigenständiger Nachprüfung das Gericht mit allen ihm auch sonst nach den Verfahrensvorschriften zu Gebote stehenden Mitteln berechtigt, aber auch verpflichtet ist. Insofern behält auch das befristete Verhandlungsverbot des § 55 FinStrG eine durchaus sinnvolle Funktion.

Aus dem Vorgesagten ergibt sich, daß das Erstgericht, indem es seine Feststellungen zum (objektiven) Sachverhalt einschließlich der unter Verwendung falscher Beweismittel praktizierten Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten und zur Höhe der hinterzogenen Umsatzsteuer (sowohl im Voranmeldungsstadium als auch im Stadium ihrer bescheidmäßigen Festsetzung) ausschließlich aus den rechtskräftigen Abgabenbescheiden des Finanzamtes für die Jahre 1980 bis 1983 ableitete und die in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismittel insoweit nicht eigenständig auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sowohl einzeln als auch in ihrem inneren Zusammenhang überprüfte (§ 258 StPO), den Schuldspruch des Angeklagten unzureichend begründet hat (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO). Daraus folgt weiters, daß der Schöffensenat auch Verteidigungsrechte des Angeklagten zumindest dadurch verletzt hat (§ 281 Abs. 1 Z 4 StPO), daß er dessen Beweisanträge auf zeugenschaftliche Vernehmung des Matthias K*****, Karl P***** und Friedrich H*****, die auf eine Widerlegung der belastenden Angaben des im gerichtlichen Verfahren infolge seines Ablebens nicht mehr vernommenen Zeugen Bruno R***** vor dem Finanzamt abzielten, nicht mit dem bloßen Hinweis ablehnen durfte, daß die sich aus den Abgabenbescheiden ergebenden Tatsachen einer Überprüfung im gerichtlichen Finanzstrafverfahren nicht mehr zugänglich seien.

Schon deshalb ist die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Günther V***** begründet und die Aufhebung des erstinstanzlichen Schuld- und Strafausspruchs unter Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unvermeidlich (§ 288 Abs. 2 Z 1 StPO). Damit ist seine mit der Nichtigkeitsbeschwerde verbundene Berufung gegenstandslos geworden.

Aus denselben Erwägungen mußte den gegen den Freispruch des Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und des Finanzamtes ein Erfolg versagt bleiben, weil insoweit das Erstgericht die ihm vorliegenden Beweismittel ohnedies einer selbständigen Würdigung unterzogen hat, der dagegen, gestützt auf die bisherige Rechtsprechung erhobene Einwand der beiden Beschwerden nicht mehr zum Tragen kommen kann, andere Begründungsmängel aber nicht geltend gemacht worden sind.

Die angemeldeten, jedoch unausgeführt gebliebenen Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Finanzamtes waren - von ihrer nunmehrigen Gegenstandslosigkeit abgesehen - schon deshalb zurückzuweisen, weil mehr als eine Strafe ausgesprochen worden ist und auch in den Rechtsmittelanmeldungen nicht erklärt wurde, gegen welche von ihnen sich die Berufungen richten (§§ 294 Abs. 2 und Abs. 4, 296 Abs. 1 und Abs. 3 StPO).

Im zweiten Rechtsgang wird noch folgendes zu beachten sein:

Der Angeklagte hat - und zwar abermals im bewußten Gegensatz zur ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - auch geltend gemacht (Punkt I/5 der Nichtigkeitsbeschwerde), daß das Erstgericht zu Unrecht echte Realkonkurrenz der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG (Schuldspruchfaktum 1) und nach § 33 Abs. 2 lit a FinStrG (Schuldspruchfaktum 2) bezüglich der Verkürzung der Umsatzsteuer für denselben Zeitraum sowohl im Vorauszahlungsstadium als auch im Stadium ihrer bescheidmäßigen Festsetzung angenommen habe.

Auch diese Rechtsfrage hat der Oberste Gerichtshof - von einer Ausnahme

(11 Os 110,193/76 - vgl Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch E 32 zu § 33 FinStrG) abgesehen - in den letzten Jahren durchwegs bejaht und dies damit begründet, daß sich die beiden Tatbestände in bezug auf Tathandlung, Tatobjekt und geschütztes Rechtsgut sowie in bezug auf die Vorsatzerfordernisse unterscheiden, weshalb § 33 Abs. 2 lit a FinStrG nicht unter dem Gesichtspunkt einer selbständig strafbaren Vorbereitungs- oder Versuchshandlung zu § 33 Abs. 1 FinStrG als materiell subsidiär angesehen werden könne, zumal bereits durch die Verletzung der Verpflichtung zur Umsatzsteuervorauszahlung die Abgabenverkürzung eingetreten und das Finanzvergehen daher vollendet ist (SSt 50/71, 53/10, EvBl 1983/10 uva; siehe Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch E 35 und 36 zu § 33 FinStrG).

Der auch im Hinblick auf ein beabsichtigtes Abgehen von dieser ständigen Rechtsprechung verstärkte Senat hat demgegenüber folgende Überlegungen angestellt:

Unbestritten ist, daß die auf einen bestimmten Zeitraum bezogene Umsatzsteuer (hier: der Umsatzsteuerbetrag von S 3,971.468,-- für die Jahre 1980 bis 1983) nur einmal geschuldet wird, handelt es sich doch bei der im Voranmeldungsstadium zu entrichtenden Umsatzsteuer bloß um Vorauszahlungen (§ 21 Abs. 1 UStG), die bei der nach Ablauf des Kalenderjahres auf Grund einer entsprechenden Umsatzsteuererklärung vorzunehmenden Veranlagung der Umsatzsteuer ebenso wie die nach § 12 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge zu berücksichtigen sind (§§ 20 Abs. 1 und Abs. 2 sowie 21 Abs. 4 UStG).

Durch die Bestimmung des § 33 Abs. 2 lit a FinStrG wird die Strafbarkeit einer (wissentlichen) Verkürzung von Umsatzsteuer im Voranmeldungsstadium gegenüber einer unter Verletzung der abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch eine itlich nachfolgende unrichtige Jahresumsatzsteuererklärung (vorsätzlich) bewirkten Umsatzsteuerverkürzung nach § 33 Abs. 1 FinStrG zwecks Durchsetzung eines möglichst umgehenden und kontinuierlichen Umsatzsteueraufkommens bloß vorverlegt, ohne daß dadurch der Umfang der verpönten Abgabenverkürzung insgesamt eine Änderung erführe. Durch die spätere Abgabe einer der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung entsprechenden, ihrerseits falschen Jahresumsatzsteuererklärung wird somit eine Verkürzung der Umsatzsteuer in keinem größeren Ausmaß bewirkt, als dies durch die Umsatzsteuerverkürzung im Voranmeldungsstadium ohnedies bereits geschehen ist. Dies schließt zwar eine Beurteilung der Verkürzung von Umsatzsteuervorauszahlungen als bloßes Vorstadium zu einer dementsprechenden Verkürzung der Jahresumsatzsteuer aus, kann doch eine weitergehende Rechtsgutbeeinträchtigung durch eine falsche Jahresumsatzsteuererklärung insoweit nicht mehr bewirkt werden. Es fehlt daher in der Tat an einem maßgeblichen Kriterium für die Lösung des anstehenden Konkurrenzproblems unter dem Gesichtspunkt materieller Subsidiarität (vgl Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, 399 ff).

Allerdings wird zumindest im Regelfall eine Verkürzung der Umsatzsteuer durch die Abgabe einer unrichtigen Jahresumsatzsteuererklärung nur dann erfolgreich sein, wenn zuvor entsprechend unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen erstattet worden sind. Andernfalls würde schon ein bloßer Vergleich der Jahreserklärung mit den Voranmeldungen die Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten offenbaren. Damit bietet sich aber der dogmatische Ansatz an, das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit a FinStrG als "Vortat" zu sehen, die die Verwirklichung des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG (in bezug auf die Hinterziehung von Umsatzsteuer) als "Haupttat" erst ermöglicht oder zumindest erleichtert. Dieser Fall scheinbarer Konkurrenz setzt voraus, daß sich die Vortat gegen dasselbe Rechtsgut richtet wie die Haupttat und keinen über diese hinausgehenden Schaden verursacht, die Folgen der Vortat also ganz im Schaden der Haupttat aufgehen (Burgstaller aaO S 464).

Dies trifft nach Ansicht des verstärkten Senates im Gegensatz zur bisher vertretenen Rechtsauffassung zu.

Schon nach der einheitlichen Deliktsbezeichnung ("Abgabenhinterziehung"), vor allem aber nach dem gemeinsamen Tatbestandsmerkmal der "Abgabenverkürzung" (nämlich: der Umsatzsteuer) bzw der "Verkürzung von Umsatzsteuer" ist von den hier zu untersuchenden Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 FinStrG und § 33 Abs. 2 lit a FinStrG als Rechtsgut jeweils die Umsatzsteuer schlechthin betroffen. Auf das unterschiedliche Fälligkeitsstadium dieser Steuer, in welchem deren Verkürzung bewirkt wird, kann es insoweit nicht ankommen, tritt doch dadurch keine substantielle Änderung des Rechtsgutes als solches ein. Betroffen ist in beiden Fällen der Anspruch des Staates auf Entrichtung der Umsatzsteuer zum vorgeschriebenen Fälligkeitstermin. Eine Differenzierung nach der Fälligkeit der Umsatzsteuer wäre auch im Sinne einer materiellen Zusammenfassung von eng zusammenhängenden Rechtsgütern zu einheitlichen Schutzsphären nicht am Platz (vgl Burgstaller aaO S 462).

Das weitere Erfordernis einer Konsumtion unter dem Aspekt einer sogenannten "straflosen" oder "nachbestraften" Vortat ist ebenfalls gegeben. Durch das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG wird der gesamte Verkürzungsbetrag (einschließlich der schon im Vorauszahlungsstadium fällig gewesenen Beträge) voll erfaßt. Ein darüber hinausgehender tatbestandsmäßiger Verkürzungsschaden kann durch die Abgabe einer unrichtigen Jahresumsatzsteuererklärung nicht mehr eintreten. Zinsenverluste des Fiskus gehören nicht zum Tatbild.

Gegen die Annahme echter Realkonkurrenz spricht auch, daß darnach zufolge der Vorschrift des § 21 Abs. 2 FinStrG die einheitliche Geldstrafe nach der Summe der den beiden zusammentreffenden Finanzvergehen zugrunde liegenden Wertbeträge zu bemessen wäre (§ 33 Abs. 5 FinStrG). Dies bedeutete, daß der Verkürzungsbetrag bei der Berechnung des Strafrahmens zweimal in Anschlag gebracht werden müßte, obgleich die Umsatzsteuer in Wahrheit nur einmal geschuldet wird und demnach in diesem Umfang auch nur einmal eine Abgabenverkürzung im Sinne der Begriffsbestimmungen des § 33 Abs. 3 FinStrG eintreten kann. Eine derartige Doppelbestrafung wegen einer in Summe nur einmal verwirklichten Rechtsgutverletzung ist nicht nur grundsätzlich abzulehnen, es besteht dafür auch keinerlei Bedürfnis, weil dem im Einzelfall wegen des größeren Umfanges der Pflichtenverletzung gegebenen Erfordernis strengerer Bestrafung im Rahmen der Strafbemessung ohnedies Rechnung getragen werden kann (§ 23 Abs. 2 FinStrG iVm § 32 Abs. 3 StGB).

Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher aus den vorstehenden Erwägungen veranlaßt, auch in der aufgeworfenen Konkurrenzfrage von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit a FinStrG wird, wenn in der Folge mit Beziehung auf den gleichen Betrag und denselben Steuerzeitraum auch das Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 FinStrG zumindest versucht wird, von letzterem konsumiert (vgl Schwaighofer, Zur Konkurrenz der Abgabenverkürzung nach § 33 Abs. 1 und § 33 Abs. 2 lit a FinStrG, AnwBl 1991, 781 ff).

Demnach wird das Erstgericht, falls es im zweiten Rechtsgang abermals zu einem Schuldspruch wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG gelangen sollte, in bezug auf die davon erfaßte Umsatzsteuerverkürzung eine zeitlich und betraglich korrespondierende Verkürzung von Umsatzsteuervorauszahlungen nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG nicht mehr annehmen dürfen.

Anmerkung

E27026

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0140OS00127.9.1121.000

Dokumentnummer

JJT_19911121_OGH0002_0140OS00127_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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